Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur die Weltgesundheit, sondern auch die neurologische Forschung vor neue Herausforderungen gestellt. Neben den direkten neurologischen Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion rücken auch mögliche neurologische Komplikationen nach einer COVID-19-Impfung in den Fokus. Dieser Artikel beleuchtet den aktuellen Stand der Wissenschaft bezüglich der Ursachen, Symptome und Häufigkeit von Neuritis und ähnlichen neurologischen Beschwerden im Zusammenhang mit COVID-19-Impfungen, auch bekannt als Post-Vac-Syndrom (PVS).
Neurologische Probleme nach COVID-19: Ein Überblick
Neurologische und kognitive Probleme treten häufig bei zwei Gruppen von COVID-19-Genesenen auf. Einerseits sind es Patienten, die einen schweren Krankheitsverlauf hatten und intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Studien, wie eine im Fachblatt "Nature Aging" veröffentlichte, deuten darauf hin, dass Coronaviren eine Art Gehirnalterung hervorrufen können. Andererseits zeigen sich bei einer anderen Gruppe kognitive Probleme: bei Personen, die nach einem leichten bis mittelschweren Verlauf erst scheinbar von Covid-19 genesen sind und nach einer Latenzzeit von ein bis vier Monaten plötzlich eine sogenannte Rebound-Symptomatik bekommen.
Die Symptome von Long Covid können vielfältig sein. Bei Patienten mit Rebound-Effekt zeigt sich ein massiver Leistungseinbruch, eine bleierne Erschöpfung, die zum Chronischen Fatigue Syndrom führen kann, Schwindel, Gangunsicherheiten oder demenzähnliche Symptome. Auch von neurologischen oder kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnis-, Konzentrations- oder Empfindungsstörungen wird berichtet. Manchmal kommen bei dieser Gruppe von Covid-19-Genesenen noch Haarausfall oder Muskel- sowie Gelenkschmerzen hinzu. Laut Jördis Frommhold sind mehr Frauen als Männer von kognitiven Problemen nach einer Coronainfektion betroffen. Die Ärztin hält eine Beteiligung des Immunsystems - also Störungen durch autoimmunologische Prozesse im Körper - für wahrscheinlich. Darüber hinaus sind vor allem ältere Menschen von den Symptomen betroffen.
Es ist bekannt, dass neurologische Störungen nach Virusinfektionen auftreten können, zum Beispiel nach einer Grippe. So konnten Forscherinnen und Forscher der Universität Oxford zeigen, dass ein Drittel der Covid-19-Langzeitpatienten ihrer Studie weiter an neurologischen Beeinträchtigungen leidet. Darunter sind Angst- und Gemütsstörungen am häufigsten, aber auch Schlaganfälle und Demenz wurden beobachtet, vor allem bei Menschen, die einen schweren Verlauf hatten. Bei Covid-19-Patientinnen und Patienten beobachten Mediziner entzündliche Erkrankungen der Nerven. Es kann zu vorübergehenden Lähmungen kommen. Covid-19-Erkrankte berichten, dass sie auch nach der akuten Erkrankung noch das Gefühl haben, ihr Gehirn sei in Watte gepackt. Die Denkfähigkeit kann in der Folge dieser Viruserkrankung über eine gewisse Zeit eingeschränkt sein. Auch Gedächtnislücken können bei Betroffenen auftreten. Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus kann im Gehirn zu einer Entzündung führen. Pathologen konnten im Hirnstamm Entzündungsherde erkennen, die neurologische Probleme erklären.
Post-Vac-Syndrom: Wenn die Impfung zur Belastung wird
Im Zuge der weltweiten Impfkampagnen gegen COVID-19 wurden auch Fälle von anhaltenden Beschwerden nach der Impfung bekannt, die als Post-Vac-Syndrom (PVS) oder Post-Acute COVID-19 Vaccination Syndrome (PACVS) bezeichnet werden. Betroffene klagen über ähnliche Symptome wie bei Long COVID, darunter extreme Müdigkeit, Nervenschmerzen und neurologische Ausfälle.
Lesen Sie auch: Corona-Impfung und Vestibularisneuritis: Ein Zusammenhang?
Häufigkeit und Risikofaktoren
Die Häufigkeit des Post-Vac-Syndroms wird unterschiedlich angegeben. Eine Publikation im Fachjournal "Vaccines" aus dem Jahr 2024 nennt eine Zahl von 0,02 Prozent. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass valide Zahlen schwierig zu erheben sind, da es noch keine allgemein anerkannte Definition des Syndroms gibt. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) weist darauf hin, dass bei vielen Verdachtsfällen Informationslücken bestehen, die eine Beurteilung erschweren.
Symptome und Diagnose
Die Symptome des Post-Vac-Syndroms ähneln denen von Long COVID und umfassen unter anderem:
- Anhaltende Erschöpfung (Fatigue)
- Belastungsintoleranz
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Gedächtnisprobleme
- Schlafstörungen
- Nervenschmerzen
- Neurologische Ausfälle
Die Diagnose gestaltet sich schwierig, da die Symptome unspezifisch sind und auch andere Ursachen haben können. Eine umfassende (Differenzial-)Diagnostik ist daher unerlässlich, um andere behandelbare Ursachen auszuschließen.
Ursachenforschung
Die Ursachen des Post-Vac-Syndroms sindCurrently werden verschiedene Pathomechanismen bzw. ihr Zusammenspiel als Ursache des LCS und PCS diskutiert. Hierzu zählen insbesondere para- und postinfektiöse Autoimmunmechanismen, hyperinflammatorische Prozesse, Koagulopathien und zerebrale Mikrozirkulationsstörungen. Eine direkte ZNS-Schädigung durch das Virus selbst wird mittlerweile für nachrangig gehalten. Dafür spricht auch, dass nur in seltenen Fällen bei schwer und akut an COVID-19 erkrankten Patient:innen mit neurologischen Manifestationen SARS-CoV‑2 mittels PCR („polymerase chain reaction“) im Liquor festgestellt werden konnte. In neuropathologischen Untersuchungen zeigen sich inflammatorische Veränderungen des Hirnstamms, aber auch im Bulbus olfactorius und entlang des Riechtraktes. Dies wird als mögliche Eintrittspforte in das ZNS diskutiert. Allerdings bestehen bezüglich des Auftretens von Mikrogliakativierung Unterschiede zwischen Hirnstamm und Bulbus olfactorius. Das Phänomen der para- oder postinfektiösen virusgetriggerten Auto-Ak-Bildung ist von anderen Viruserkrankungen wie der HSV-Enzephalitis bekannt. Die Kreuzreaktivität antiviraler Ak mit körpereigenen Oberflächenstrukturen ist auch für andere neurologische Erkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom bereits beschrieben. Dass Autoreaktivität bei COVID-19 eine wichtige Rolle spielt, konnte bereits mehrfach gezeigt werden. Der häufig fehlende Nachweis bekannter, oft syndromspezifischer antineuronaler Ak in Liquor oder Serum macht diesen Mechanismus nicht unwahrscheinlicher, da etliche antineuronale Ak eine Rolle spielen dürften und noch nicht bekannt sind. Bei intensivpflichtigen Patient:innen mit neurologischen Manifestationen konnte während der Akutinfektion eine starke Ak-Bindung gegen neuronale Strukturen gezeigt werden. Eine genaue Zuordnung von klinischer Symptomatik zu einem Autoantikörperbefund bzw. zu einer spezifischen Hirnregion steht bislang aus. Die Elimination funktioneller Auto-Ak gegen G‑Protein-gekoppelte Rezeptoren wird aktuell auch als therapeutische Option weiter untersucht, nachdem in einem Fall eine positive Wirkung auf das PCS gezeigt werden konnte. Insgesamt erhielten bis heute drei Patient:innen (zwei Männer und eine Frau zwischen 39 und 51 Jahren, davon ein Fall publiziert) mit schweren neurologischen PCS-Symptomen (u. a. starke Fatigue, kognitive Einschränkungen, Koordinationsschwierigkeiten, Paresen) in individuellen Heilversuchen das ursprünglich gegen Herzinsuffizienz entwickelte Medikament BC 007. Erhöhte Serumspiegel proinflammatorischer Zytokine sind mit einem schlechteren Outcome der akuten COVID-19-Erkrankung assoziiert, weshalb postuliert wurde, dass (neurologische) Komplikationen und schwere Verläufe durch hyperinflammatorische Prozesse wie den sog. Zytokinsturm bedingt sein könnten. Zytokine, v. a. Interleukin‑6, erhöhen die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke, wodurch es zur Aktivierung von Mikroglia und daraus folgenden weiteren Schädigungen des ZNS kommt. Eine zytokin- oder noxenvermittelte Störung der Blut-Hirn-Schranke mit nachfolgender endothelialer Dysfunktion bzw.
Einige Experten vermuten, dass eine Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Infektion eine Rolle spielen könnte. Auch Autoantikörper werden als mögliche Ursache diskutiert. Studien untersuchen, ob bestimmte Autoantikörper, die bei Long COVID-Patienten gefunden wurden, auch bei Post-Vac-Betroffenen vorhanden sind.
Lesen Sie auch: Vestibularis-Neuritis: Alternative Behandlungsmethoden
Therapieansätze
Es existieren derzeit keine kausalen oder etablierten Therapien zur Behandlung des Post-Vac-Syndroms. Die Behandlung zielt daher primär auf die Linderung der Symptome ab. Erste Befunde zu Inflammation und Autoimmunität sind vielversprechend und könnten zu neuen Therapieansätzen führen.
Einige Kliniken bieten spezielle Sprechstunden für Post-COVID-19- und Post-Vac-Patienten an, in denen Betroffene umfassend untersucht und individuell behandelt werden.
Fallbeispiel Hannah Stoll
Ein Beispiel für die Belastung, die das Post-Vac-Syndrom mit sich bringen kann, ist der Fall von Hannah Stoll. Die 24-Jährige entwickelte nach einer COVID-19-Impfung vielfältige Beschwerden, darunter Schmerzen, Erschöpfung und Verdauungsprobleme. Trotz zahlreicher Arztbesuche erhielt sie lange keine Diagnose oder adäquate Behandlung. Erst ein Arzt brachte einen Zusammenhang mit der Impfung und den Post-Covid-Symptomen ins Spiel.
Neurologische Manifestationen im Zusammenhang mit COVID-19
Die ZNS-Manifestationen des LCS und PCS sind vielfältig. Insbesondere während der Postakutphase sind entzündliche, autoimmune, demyelinisierende und vaskuläre Syndrome beschrieben, die den ZNS-Manifestationen der Akutinfektion ähnlich sind. Ein kausaler Zusammenhang der ZNS-Symptome mit der SARS-CoV-2-Infektion ist auch in der Akutphase nicht immer eindeutig. Dies gilt gleichermaßen bzw. noch mehr für das Auftreten von Symptomen in der Postakutphase und im weiteren zeitlichen Verlauf. Unserer Erfahrung nach sind prämorbider Status und Verlauf der Akutinfektion nur bedingt hilfreich im Hinblick darauf, ob und welche Beschwerden residuell nach COVID-19 bestehen. Beschrieben ist das gehäufte Auftreten von Kopfschmerzen und Fatigue bei Patient:innen, die auch schon während der Akutinfektion unter Kopfschmerzen litten. Spezifische Biomarker für LCS/PCS existieren bislang nicht. Umso wichtiger ist die Einleitung einer umfassenden (Differenzial‑)Diagnostik entsprechend den aktuellen DGN-Leitlinien, um potenziell anders zu behandelnde Ursachen auszuschließen bzw. adäquat zu behandeln. Insbesondere bei Patient:innen mit intensivpflichtigem COVID-19-Akutverlauf und anhaltenden neurologischen Beschwerden ist eine ursächliche Zuordnung der neurologischen Manifestationen besonders herausfordernd, da z. B.
Enzephalopathie
Als Enzephalopathie wird eine diffuse Funktionsstörung des Gehirns mit qualitativer und quantitativer Bewusstseinsstörung, aber auch fokalneurologischen Defiziten und/oder epileptischen Anfällen beschrieben. Sie ist als neuropsychiatrische Komplikation der akuten COVID-19-Erkrankung mittlerweile bekannt. Parainfektiöse Enzephalopathien traten im Mittel 13 Tage nach Beginn der Akutsymptomatik auf. Dennoch gibt es auch einige Berichte über persistierende oder verspätet auftretende Enzephalopathien im Rahmen einer leichten COVID-19-Erkrankung.
Lesen Sie auch: Dosierung von Kortison bei Neuritis vestibularis
Enzephalitis
Im Unterschied zur Enzephalopathie findet sich bei der Enzephalitis ein entzündlich veränderter Liquor. Ätiologisch unterscheidet man direkt erregerbedingte und autoimmunvermittelte Enzephalitiden. Auch hier liegen bereits multiple Fallberichte vor, die über eine Enzephalitis oder Enzephalomyelitis als mögliche Komplikation der akuten SARS-CoV-2-Infektion berichten. Da bei den parainfektiösen Enzephalitiden eine para- bzw. postinfektiöse Autoimmunreaktion angenommen wird, ist es nicht verwunderlich, dass diese auch in der Postakutphase von COVID-19 auftreten.
Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und akute nekrotisierende hämorrhagische Leukoenzephalitis (ANHLE)
ADEM ist eine demyelinisierende, autoimmun vermittelte Erkrankung, die meist parainfektiös und in seltenen Fällen postvakzinal auftritt. Es gibt mehrere Fallberichte über das Auftreten von ADEM und ANHLE in der Postakutphase von COVID-19-Erkrankungen, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Die Erkrankung trat im Zeitraum von 9 bis 20 Tagen nach der Akutinfektion und damit in der postinfektiösen Phase auf.
Zerebrovaskuläre Ereignisse
Metaanalysen zeigen einen Zusammenhang der akuten COVID-19-Erkrankung mit dem Auftreten zerebrovaskulärer Ereignisse, insbesondere ischämischer Schlaganfälle v. a. bei kritisch kranken Patient:innen und solchen mit vaskulären Risikofaktoren. In einer großen Kohortenanalyse konnte gezeigt werden, dass bis zu einem Jahr nach einer COVID-19-Erkrankung ein substanziell erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und transitorische ischämische Attacken (TIA) besteht - unabhängig von Alter und kardiovaskulären Risikofaktoren der Patient:innen.
Opsoklonus-Myoklonus-Ataxie-Syndrom (OMAS)
Im Zusammenhang mit COVID-19 gibt es mehrere Fallberichte über das Auftreten eines OMAS in der Postakutphase - die meisten Patient:innen entwickelten die Symptome etwa 2 Wochen (10 Tage bis 6 Wochen) nach der Akutinfektion.
Posteriore reversible Enzephalopathiesyndrom (PRES)
Wir konnten zwei Fallberichte identifizieren, in denen ein PRES nach bereits überstandener schwerer COVID-19-Erkrankung auftrat. Die Symptomatik entwickelte sich auch hier jeweils in der Postakutphase (3 bis 5 Wochen nach Beginn der Akuterkrankung).
Die Rolle der Impfung
Es ist wichtig zu betonen, dass die Impfung gegen COVID-19 weiterhin der beste Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und Long-COVID-Symptomen ist. Das Risiko für neurologische Komplikationen ist nach einer COVID-19-Infektion deutlich höher als nach einer Impfung.
Eine Studie mit rund 23 Millionen Teilnehmern belegt, dass neurologische Erkrankungen nach einer Impfung gegen Corona nicht gehäuft auftreten. Demgegenüber fielen die Inzidenzraten bei den ungeimpften Corona-Infizierten deutlich höher aus, als in der Allgemeinbevölkerung zu erwarten gewesen wäre.