Neurologischer Befund in der Physiotherapie: Ein umfassender Überblick

Die neurologische Physiotherapie spielt eine entscheidende Rolle bei der Rehabilitation von Patienten mit Erkrankungen des Nervensystems. Dieser Artikel beleuchtet die wesentlichen Aspekte des neurologischen Befunds in der Physiotherapie, von der Anamnese bis zu spezifischen Tests, und gibt Einblicke in verschiedene Therapieansätze.

Einführung

Erkrankungen des Nervensystems können vielfältige Einschränkungen der Motorik, Sensorik und anderer Funktionen verursachen. Die neurologische Physiotherapie zielt darauf ab, die Selbstständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Grundlage jeder erfolgreichen Therapie ist ein ausführlicher Befund, der die individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen des Patienten erfasst.

Anwendungsbereiche der neurologischen Physiotherapie

Die neurologische Physiotherapie findet Anwendung bei einer Vielzahl von Erkrankungen, darunter:

  • Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks (z. B. Schlaganfall, Multiple Sklerose, Parkinson-Syndrom)
  • Schädigungen des peripheren Nervensystems (z. B. Polyneuropathie)

Ziel ist es, die Haltungs- und Bewegungsmuster zu optimieren und die Unabhängigkeit im täglichen Leben wiederherzustellen.

Grundlagen der neurologischen Physiotherapie

Die neurologische Physiotherapie basiert auf wissenschaftlich fundierten Konzepten wie der Bobath-Therapie und der Propriozeptiven Neuromuskulären Fazilitation (PNF). Diese Methoden nutzen die Fähigkeit des Gehirns, neue Nervenverbindungen aufzubauen und Bewegungsmuster neu zu erlernen. Durch gezielte Stimulation von Bewegungsfühlern (Propriozeptoren), Reflexen und Gleichgewichtsreaktionen werden natürliche sensomotorische Funktionen gefördert.

Lesen Sie auch: Neurologie vs. Psychiatrie

Der neurologische Befund: Grundlage jeder Therapie

Die Befunderhebung ist das Fundament jeder physiotherapeutischen Behandlung, insbesondere bei neurologischen Erkrankungen mit ihren oft komplexen Auswirkungen. Sie dient dazu, die aktuellen Beschwerden, Symptome und Einschränkungen des Patienten zu erfassen und eine individuelle Therapieplanung zu ermöglichen.

Separate Befunderhebung für ZNS und PNS

Um die Befunderhebung zu vereinfachen, ist es sinnvoll, separate Befunderhebungen für Schädigungen des zentralen Nervensystems (ZNS) und des peripheren Nervensystems (PNS) vorzunehmen. Bei Diagnosen wie Schlaganfall oder Multipler Sklerose wird eine ZNS-spezifische Befunderhebung durchgeführt, während bei Polyneuropathie eine PNS-spezifische Befunderhebung erfolgt.

Anamnese: Erfassung der Krankheitsgeschichte

Am Anfang des Befundes steht die Anamnese, bei der grundlegende Daten wie Name, Alter, Diagnose und Beruf erfasst werden. Es werden Fragen nach den momentanen Beschwerden und Einschränkungen sowie deren Dauer gestellt. Weitere Fragen beziehen sich auf die Krankheitsvorgeschichte, das Allgemeinbefinden, eventuelle Schmerzen und bisherige Therapien.

Allgemeine Inspektion: Beurteilung von Haltung und Bewegung

Bei der allgemeinen Inspektion werden die Haltung, das Gangbild und einfache Alltagsbewegungen in Verbindung mit der Grobmotorik überprüft. Auch die Beweglichkeit der Gelenke sollte grob beurteilt werden.

Überprüfung der groben Kraft: Identifizierung von Paresen und Plegien

Die Überprüfung der groben Kraft dient dazu, einzelne Muskelgruppen auf eventuelle Paresen (Teillähmungen) oder Plegien (vollständige Lähmungen) zu untersuchen. Die Überprüfung kann im Liegen oder Sitzen erfolgen. Die Kraftgrade werden in 0 bis 5 unterteilt:

Lesen Sie auch: Expertise in Neurologie: Universitätsklinik Heidelberg

  • Kraftgrad 0: Keine Bewegung, auch keine Anspannung der Muskelgruppe.
  • Kraftgrad 1: Sichtbare Anspannung des Muskels, aber keine Bewegung.
  • Kraftgrad 2: Bewegung des Gelenkes ohne Einwirkung der Schwerkraft möglich.
  • Kraftgrad 3: Bewegung gegen die Schwerkraft möglich, aber nicht gegen Widerstand.
  • Kraftgrad 4: Bewegung gegen Widerstand möglich.
  • Kraftgrad 5: Normale Kraft.

Die Überprüfung beginnt in der Regel an der unteren Extremität und setzt sich nach oben fort. Der Therapeut gibt Widerstand gegen die Bewegungen des Patienten und beurteilt die Kraft in der jeweiligen Bewegungsrichtung.

Überprüfung der Oberflächensensibilität (Tastsinn)

Über in der Haut verteilte Rezeptoren werden Reize wie Druck, Berührung und Schmerz wahrgenommen. Zuerst wird nach Taubheitsgefühlen oder Missempfindungen gefragt. Das Druckempfinden kann mit einem Bleistift überprüft werden, indem wechselnd mit der spitzen und der stumpfen Seite auf die Haut gedrückt wird. Der Patient gibt an, ob er ein spitzes oder dumpfes Drücken spürt. Auch das Schreiben von Buchstaben auf die Haut zur Erkennung durch den Patienten ist möglich. Die Temperaturempfindung kann durch Auflegen eines Eisbeutels überprüft werden, das Schmerzempfinden durch Kneifen. Zuletzt erfolgt die Überprüfung der Stereognosie, der Fähigkeit, Gegenstände durch Tasten zu erkennen.

Überprüfung des Lagesinns (Positionssinn)

Der Lagesinn, der zur Tiefensensibilität gehört, gibt Informationen über die Stellung des Körpers oder einzelner Körperteile im Raum. Er wird überprüft, indem der Therapeut einzelne Gelenke des Patienten (bei geschlossenen Augen) leicht beugt oder streckt und der Patient angibt, ob es eine Beuge- oder Streckbewegung war. Eine weitere Testung erfolgt, indem der Therapeut eine Extremität in eine bestimmte Position bringt und der Patient mit der gegenüberliegenden Seite die gleiche Position einnimmt.

Überprüfung der Feinmotorik

Die Feinmotorik kann unter anderem durch Aufgaben wie Schuhe binden, Knöpfe öffnen und schließen oder Schreiben überprüft werden.

Überprüfung von Muskeleigenreflexen

Überprüft werden beispielsweise der Triceps-, Achilles-, Biceps- und Patellarsehnenreflex.

Lesen Sie auch: Aktuelle Informationen zur Neurologie in Salzgitter

Überprüfung der Koordination

Mittels einfacher Tests kann das Zusammenspiel mehrerer Muskelgruppen überprüft werden. Beispiele hierfür sind:

  • Stand auf einem Bein: Der Patient steht im Wechsel auf einem Bein.
  • Zehenstand: Der Patient steht für einige Sekunden auf den Zehen.
  • Hüpfen: Hüpfen mit beiden Beinen oder auf einem Bein.
  • Finger-Finger-Versuch: Mit geschlossenen Augen werden die Zeigefinger aufeinander zubewegt.
  • Finger-Nase-Versuch: Im Wechsel wird der Zeigefinger zur Nasenspitze geführt.
  • Knie-Hacke-Versuch: In Rückenlage wird die Ferse des einen Beines zur Kniescheibe des anderen Beines geführt und die Schienbeinkante entlang abwärts gestrichen.
  • Seiltänzergang: Der Patient geht wie ein Seiltänzer entlang einer Linie.

Spezifische Befunderhebung bei ZNS-Schädigungen

Bei Schädigungen des zentralen Nervensystems können zusätzlich zu den oben genannten Untersuchungen weitere Tests durchgeführt werden, um spezifische Symptome wie Spastik oder Koordinationsstörungen zu beurteilen.

Unterberger Tretversuch

Bei diesem Test geht der Patient mit geschlossenen Augen und erhobenen Armen für eine Minute auf der Stelle. Eine deutliche Drehung zur Seite kann auf eine Störung des Gleichgewichtssystems hinweisen.

Rebound-Phänomen

Zur Testung des Rebound-Phänomens führt der Patient unter Widerstand eine Ellenbogenbeugung durch. Lässt der Therapeut den Widerstand plötzlich los, kommt es bei zerebellären Störungen zu einer ungebremsten weiterlaufenden Beugebewegung.

Diadochokinese

Diadochokinese bezeichnet die Fähigkeit, rasch aufeinander folgende Bewegungen durchzuführen. Getestet wird dies durch schnelles Pro- und Supinieren der Unterarme.

Pathologische Reflexe

Pathologische Reflexe, wie der Babinski-Reflex, kommen bei gesunden Menschen nicht vor und können auf Schädigungen des ZNS hinweisen.

Überprüfung auf Spastizität

Zur Überprüfung auf Spastizität werden beschleunigte Bewegungen an den Extremitätengelenken durchgeführt. Bei Vorliegen einer Spastizität lässt sich das Gelenk nicht schnell und durchgängig bewegen, die Muskeln spannen unwillkürlich an.

Weitere Untersuchungen

Weitere mögliche Untersuchungen umfassen die Überprüfung auf Tremor, assoziierte Bewegungen, Gleichgewichtsreaktionen, Gesichtsfeldausfälle, Sprachstörungen, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie die Funktion der Hirnnerven.

Therapieansätze in der neurologischen Physiotherapie

Basierend auf dem Befund wird ein individueller Behandlungsplan erstellt, der verschiedene Therapieansätze kombinieren kann.

Bobath-Therapie

Die Bobath-Therapie ist ein ganzheitlicher, neurophysiologisch begründeter Ansatz, der auf den individuellen Fähigkeiten des Patienten aufbaut. Ziel ist es, normale Bewegungsabläufe zu fördern und Spastik zu reduzieren.

Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF)

PNF ist ein Behandlungskonzept, das darauf abzielt, natürliche Bewegungsabläufe zu erleichtern und die neuromuskuläre Kontrolle zu verbessern.

Manuelle Lymphdrainage

Die manuelle Lymphdrainage dient als Ödem- und Entstauungstherapie geschwollener Körperregionen.

Massage

Massage wird eingesetzt, um die Leistungsfähigkeit der Strukturen des Bewegungsapparates zu verbessern.

Kinesiotaping

Kinesiotaping ist eine spezielle Taping-Methode, die zur Unterstützung der Muskelfunktion und zur Schmerzlinderung eingesetzt wird.

Kälte- und Wärmeanwendungen

Kälte- und Wärmeanwendungen beeinflussen die mechanischen Eigenschaften der Gewebe, den Muskeltonus und die Schmerzwahrnehmung.

Schlingentischtherapie

Der Schlingentisch ermöglicht Behandlungen unter teilweiser Wegnahme des Eigengewichtes des Patienten.

Rehabilitation nach Operationen

Nach Operationen erhalten Patienten ein individuelles, mit dem Operateur abgestimmtes Rehaprogramm.

Selbstzahler-Option

Die Therapieangebote können auch als Selbstzahler genutzt werden. Hierfür ist ein Privatrezept mit Diagnose vom behandelnden Arzt erforderlich.

Bedeutung der kontinuierlichen Weiterbildung

Die Physiotherapie ist ein sich ständig weiterentwickelndes Feld. Kontinuierliche Weiterbildung ist daher unerlässlich, um auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Behandlungstechniken zu bleiben.

Fallbeispiele und praktische Anwendung

Die Anwendung des neurologischen Befunds und der verschiedenen Therapieansätze wird in der Praxis anhand von Fallbeispielen verdeutlicht. Diese Fallbeispiele umfassen unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und decken ein breites Spektrum neurologischer Erkrankungen ab.

tags: #neurologie #befund #physiotherapie #beispiel