Bipolare Störung: Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze

Die bipolare Störung, auch bekannt als manisch-depressive Erkrankung, ist eine psychische Erkrankung, die durch extreme Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist. Betroffene durchleben sowohl manische (oder hypomanische) als auch depressive Episoden, die ihr Verhalten, Denken und Fühlen stark beeinflussen können. Diese Episoden können sich in unregelmäßigen Abständen wiederholen und das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.

Was ist eine bipolare Störung?

Eine bipolare Störung ist eine psychische Erkrankung, die durch ausgeprägte Stimmungsschwankungen charakterisiert ist. Diese Schwankungen bewegen sich zwischen den Extremen von Manie (oder Hypomanie) und Depression. In der Manie oder Hypomanie sind Menschen mit bipolarer Störung oft überschwänglich, sehr aktiv, sprunghaft und unruhig. Im Gegensatz dazu sind sie in depressiven Phasen von Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Hoffnungslosigkeit geplagt.

Die bipolare Störung wird in verschiedene Typen unterteilt, basierend auf der Art und Ausprägung der Krankheitsepisoden:

  • Bipolar-I-Störung: Hierbei erleben die Betroffenen mindestens eine manische Episode, die mindestens 7 Tage andauert oder so schwerwiegend ist, dass eine Krankenhauseinweisung erforderlich ist. Zusätzlich treten meist auch depressive Episoden auf, die mindestens 14 Tage andauern.
  • Bipolar-II-Störung: Diese Form ist durch depressive Episoden gekennzeichnet, die mindestens 14 Tage andauern, sowie durch hypomanische Phasen. Hypomanie ist eine mildere Form der Manie.
  • Zyklothyme Störung: Bei dieser leichteren Form der bipolaren Störung erleben die Betroffenen über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren regelmäßig leichte manische und depressive Stimmungsschwankungen. Allerdings erfüllen die einzelnen Episoden nicht alle Kriterien für eine Manie oder Depression.

Symptome einer bipolaren Störung

Die Symptome einer bipolaren Störung variieren je nach Phase der Erkrankung. Es gibt hypomanische, manische und depressive Episoden, sowie Mischzustände.

Hypomanie

  • Leicht gehobene Stimmung
  • Gesteigerte Aktivität
  • Körperliche Ruhelosigkeit
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Grosse Gesprächigkeit
  • Vermindertes Schlafbedürfnis
  • Erhöhtes sexuelles Verlangen
  • Rücksichtsloses Verhalten

Manie

Eine manische Episode ähnelt der hypomanischen, ist aber in der Symptomatik noch weiter ausgeprägt. In ausgeprägten Fällen können Betroffene psychotische Symptome wie Grössen- oder Liebeswahn entwickeln, auch Halluzinationen sind möglich. Während einer manischen Phase fällt es Erkrankten zunehmend schwer, die Konsequenzen ihres Verhaltens einzuschätzen. Es kann zu gefährlichen Situationen kommen. Charakteristische Anzeichen sind beispielsweise Kaufrausch, verstärkte Ablenkbarkeit und Gesprächigkeit, ein verringertes Schlafbedürfnis, Promiskuität oder Grössenwahn.

Lesen Sie auch: Neurologie vs. Psychiatrie

Depression

Die depressive Episode unterscheidet sich praktisch nicht von den schweren Stadien einer reinen Depression. Betroffene zeigen typische depressive Symptome wie Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Wertlosigkeit. Sie haben weniger Interesse an Freunden und Freizeitaktivitäten, schlafen eventuell länger oder leiden unter Schlafstörungen. Zusätzlich können psychotische Symptome auftreten, wie Verarmungswahn, Schuldwahn oder die Angst, unheilbar erkrankt zu sein.

Gemischte Episode

Eine gemischte Episode stellt einen Mischzustand dar. Betroffene sind zwar in einer depressiven Stimmung, haben aber gleichzeitig einen gesteigerten Antrieb.

Ursachen der bipolaren Störung

Die genauen Ursachen der bipolaren Störung sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass mehrere Faktoren zusammenwirken, darunter genetische, biologische und psychosoziale Einflüsse. Die Entstehung einer bipolaren Störung ist im Sinne einer anlagebedingten Verletzlichkeit des Nervensystems zu verstehen, die von vielen weiteren äußeren Faktoren beeinflusst wird. Ob ein Lebensereignis eine Bipolare Störung auslöst, hängt also von der individuellen Disposition ab.

Genetische Faktoren

Studien haben gezeigt, dass eine genetische Veranlagung eine Rolle spielt. Bei Verwandten ersten Grades von Personen mit bipolarer Störung ist die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls zu erkranken, etwa siebenmal höher. Wenn ein Elternteil betroffen ist, liegt die Wahrscheinlichkeit für die Nachkommen bei etwa 10 %, bei zwei betroffenen Elternteilen steigt sie auf bis zu 50 %. Eineiige Zwillinge haben ein etwa 60-prozentiges Risiko, beide an der Störung zu erkranken, wenn ein Zwilling betroffen ist. Die bipolare Störung ist jedoch keine klassische Erbkrankheit, die nach den Mendelschen Regeln vererbt wird. Viele verschiedene Gene, die vor allem auf den Chromosomen 18, 4 und 21 liegen und wichtig für Noradrenalin, Serotonin sowie für die Plastizität des Nervensystems sind, scheinen zu dem Störungsbild beizutragen. Wenn jedoch bei einer Person viele solcher Gene verändert sind, dann besteht eine größere Disposition, an einer Bipolaren Störung zu erkranken.

Biologische Faktoren

Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt wurden bei Menschen mit bipolarer Störung festgestellt. Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die an der Weiterleitung von Nervenimpulsen beteiligt sind. Bei depressiven Phasen herrscht ein Mangel an Neurotransmittern wie Noradrenalin und Serotonin, während bei Manie eine erhöhte Konzentration von Dopamin und Noradrenalin vorliegt. Es wird davon ausgegangen, dass nicht einzelne Veränderungen der Neurotransmitter, sondern eine Störung des Gleichgewichts verschiedener Transmitter ursächlich ist. Außerdem ist bei depressiven Menschen die Empfindlichkeit und Dichte der Rezeptoren verändert, auf die die Neurotransmitter einwirken.

Lesen Sie auch: Expertise in Neurologie: Universitätsklinik Heidelberg

Körperliche Ursachen und Medikamente

Körperliche Erkrankungen können zu psychiatrischen, manisch-depressiven Symptomen führen. Veränderungen des Schilddrüsensystems können zu Inaktivität und gedrückter Stimmung, aber auch zu gesteigerter Aktivität und Getriebenheit führen. Auch Erkrankungen anderer Hormonsysteme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologische Erkrankungen können solche psychischen Veränderungen verursachen. Medikamente wie Cortison, Bluthochdruckmittel (z. B. Beta-Blocker) oder Antibiotika können ebenfalls manisch-depressive Zustände auslösen. Auch Drogenkonsum und Alkohol können die Gemütslage verändern und zu Antriebssteigerung oder dem gegenteiligen Effekt führen. Auf Dauer verändert Alkohol das Gehirn so, dass sich affektive Erkrankungen manifestieren können.

Psychosoziale Faktoren

Belastende Lebensereignisse wie frühe Scheidung der Eltern, Trauerfälle, frühe schwere körperliche Erkrankungen oder Traumata wie sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und Vernachlässigung können zu psychiatrischen Erkrankungen wie der bipolaren Störung führen oder diese mitverursachen. Stress und psychische Belastung gelten ebenfalls als Auslöser. Betroffene reagieren sensibler auf psychosozialen Stress wie Partnerschaftskonflikte, Arbeitsplatzschwierigkeiten und Wohnungswechsel. Daher ist eine gesunde Lebensführung wichtig: Wie gehe ich mit Stress um? Schlafe ich ausreichend? Betäube ich mich mit Alkohol? Kann ich noch abschalten?

Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklärt, dass eine genetische oder biologische Veranlagung (Vulnerabilität) in Kombination mit Stressoren zum Ausbruch der bipolaren Störung führen kann.

Diagnose einer bipolaren Störung

Die Diagnose einer bipolaren Störung erfordert eine sorgfältige Anamnese und Untersuchung durch einen Arzt oder Psychiater. Dabei werden aktuelle Beschwerden, frühere Stimmungsschwankungen und die Krankengeschichte der Familie berücksichtigt. Im Idealfall werden auch Angehörige befragt.

Folgende Anzeichen können auf eine bipolare Störung hindeuten, insbesondere wenn eine Depression festgestellt wird:

Lesen Sie auch: Aktuelle Informationen zur Neurologie in Salzgitter

  • Häufigerer Energieverlust
  • Vermehrtes Schlafbedürfnis
  • Gesteigerter Appetit
  • Jüngeres Alter bei Auftritt der ersten Depression (etwa 16 bis 18 Jahre)

Um andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen, wie Schizophrenie, Epilepsie oder Migräne, erfolgt auch eine körperliche Untersuchung.

Behandlung der bipolaren Störung

Die Behandlung der bipolaren Störung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Stimmung zu stabilisieren und Rückfälle zu verhindern. Da die Ursachen nicht beseitigt werden können, ist die bipolare Störung eine chronische Erkrankung, die ein Leben lang behandelt werden sollte. Die Therapie ist sehr individuell und besteht im Wesentlichen aus einer medikamentösen Behandlung und Psychotherapie.

Akut-Therapie

Die Akut-Therapie wird bei akuten Krankheitsphasen angewendet, um depressive Symptome oder Hypomanie zu vermindern. Sie wird so lange fortgesetzt, bis sich die Symptome deutlich gebessert haben. Abhängig von der Schwere der Symptome werden Medikamente und nicht-medikamentöse Behandlungen angewendet.

Erhaltungs-Therapie

Die Erhaltungs-Therapie folgt auf die Akut-Therapie und soll den Zustand der Betroffenen stabilisieren, um Rückfälle zu vermeiden. Der stabile Zustand soll dabei mindestens sechs bis zwölf Monate aufrechterhalten werden. Hier wird eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten angewendet.

Rückfall-Prophylaxe

Die Rückfall-Prophylaxe beginnt, sobald sich die Stimmung der Betroffenen stabilisiert hat. Sie soll verhindern, dass es zu einer erneuten akuten Episode kommt. Die Anzahl der Phasen der bipolaren Störung bestimmt dabei, wie lange diese Behandlung durchgeführt wird.

Medikamentöse Behandlung

Welche Medikamente bei einer bipolaren Störung angewendet werden, hängt vom Verlauf der Erkrankung ab und wird individuell abgestimmt. Es werden vor allem drei Gruppen von Medikamenten eingesetzt, die alle auf das zentrale Nervensystem einwirken und psychische Funktionen beeinflussen:

  • Stimmungsstabilisierer: Sie werden in allen drei Behandlungsphasen eingesetzt und sorgen dafür, dass übermässige Stimmungsschwankungen sowohl in manischen als auch in depressiven Episoden stabilisiert werden. Lithium ist die Substanz, die das Risiko des erneuten Auftretens von manischen und depressiven Episoden statistisch am stärksten senkt. Antikonvulsiva oder atypische Antipsychotika werden als stimmungsstabilisierende Medikamente eingesetzt, wenn Lithium sich als nicht verträglich erweist. Lithium wird auch in der Akutbehandlung manischer Episoden eingesetzt und senkt außerdem unabhängig vom Vorliegen einer bipolaren Störung das Suizidrisiko.
  • Antidepressiva: Bei einer depressiven Akutphase kommen diese in Kombination mit einem Stimmungsstabilisierer zum Einsatz. Sie sollen bei bipolaren Störungen nur in Kombination mit Stimmungsstabilisierern eingesetzt werden, da sie sonst bei manchen Patienten manische Episoden auslösen können.
  • Atypische Antipsychotika: In manischen Akutphasen muss in manchen Fällen der Stimmungsstabilisierer mit einem atypischen Antipsychotikum kombiniert werden, um eine ausreichende anti-manische Wirkung zu erreichen. Sie werden häufig zur Akutbehandlung von manischen Episoden und bei psychotischen Symptomen eingesetzt. Sie können auch als Zusatzmedikation in der Langzeitbehandlung verwendet werden.

Die Wirkung der Medikamente setzt erst nach einigen Wochen ein, weshalb sich die Symptome nicht sofort bessern. Langzeitüberwachung und regelmäßige Kontrollen sind unerlässlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung zu gewährleisten.

Psychotherapie

Psychotherapeutische Massnahmen werden zusätzlich zu medikamentöser Behandlung angewandt, um die Symptome zu verstehen und zu mildern und damit die Lebensqualität deutlich zu steigern. In therapeutischen Gesprächen wird über Gedanken, Gefühle, Beschwerden und Probleme im Alltag gesprochen.

Verschiedene Therapieansätze können zur Anwendung kommen:

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Sie hilft den Betroffenen, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern, was zur Verbesserung der Stimmung und zur Vermeidung von Rückfällen beiträgt.
  • Psychoedukation: Sie zielt darauf ab, den Betroffenen und deren Angehörigen Wissen über die Erkrankung zu vermitteln. Dies umfasst Informationen über Symptome, Auslöser und Behandlungsmöglichkeiten.
  • Familientherapie: Sie hilft häufig dabei, das Familienumfeld zu stabilisieren und die Kommunikation zu verbessern, was für den Krankheitsverlauf und das Verständnis des Umfeldes von großer Bedeutung ist.
  • Interpersonelle und soziale Rhythmustherapie (IPSRT): Sie konzentriert sich auf die Regulierung der sozialen Rhythmen und die Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese Therapieform hilft den Betroffenen, stabile tägliche Routinen zu entwickeln und soziale Interaktionen zu verbessern, was wiederum die Stimmung stabilisiert und Rückfälle verhindert.

Weitere Therapieansätze

  • Lichttherapie: Sie findet Anwendung während einer depressiven Phase, die auch deutlich häufiger in den dunklen Wintermonaten auftreten. Dabei sieht die Patientin oder der Patient einmal täglich - in der Regel am Morgen - ein bis zweimal pro Minute in das weiße Licht einer Leuchtstoffröhre.
  • Wachtherapie: Bei dieser Therapie erfolgen zwei oder drei Wachperioden in einer Woche. Die Patientin oder der Patient ist dabei 36 bis 40 Stunden durchgehend wach.
  • Elektrokrampftherapie: Sie ist eine etablierte Therapie vor allem bei schweren depressiven und manischen Episoden.
  • Sport und Bewegung: Sport und Bewegung wirken sich positiv auf das psychische Befinden aus. Es lenkt von negativen Gedanken ab und fördert oft auch soziales Miteinander.
  • Ergotherapie: Durch Ergotherapie soll der Patientin oder dem Patienten ermöglicht werden, wieder mehr am Leben teilzuhaben.

Lebensstil und Selbsthilfe

Die Anpassung des Lebensstils ist von elementarer Bedeutung für Menschen mit bipolarer Störung.

  • Strukturierter Tagesablauf und Schlafhygiene: Ein geregelter Tagesablauf mit festen Schlafenszeiten ist wichtig für die Stabilisierung der Stimmung. Regelmäßige Routinen helfen, das Risiko von manischen oder depressiven Episoden zu verringern.
  • Stressmanagement und gesunde Ernährung: Effektives Stressmanagement, zum Beispiel durch Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation, kann das Rezidivrisiko senken. Eine gesunde Ernährung trägt ebenfalls zur allgemeinen körperlichen und psychischen Gesundheit bei und reduziert so Stimmungsschwankungen.
  • Selbsthilfegruppen und Peer-Unterstützung: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen ist für viele Betroffene sehr hilfreich. Peer-Unterstützung bietet nicht nur emotionalen Beistand, sondern auch praktische Tipps und Strategien für den Umgang mit der Erkrankung im Alltag. Der Kontakt zu Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, mindert oft das Gefühl der Isolation und unterstützt den Genesungsprozess.

Frühzeitiges Erkennen und Behandlung

Je früher die Erkrankung diagnostiziert und behandelt wird, desto besser sind die Chancen, die Symptome zu kontrollieren und schwere Episoden zu verhindern. Sowohl Betroffene als auch Angehörige können lernen, auf bestimmte Frühwarnzeichen zu achten, um Krankheitsepisoden frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Angehörige sollten in die Therapie einbezogen werden, sofern der Patient damit einverstanden ist.

Folgen einer unbehandelten bipolaren Störung

Wird eine bipolare Störung nicht behandelt, kann das enorme Auswirkungen haben. Betroffene können sich in manischen Phasen durch ihr Verhalten in Gefahr bringen oder viel Geld verspielen. Beziehungen aller Art können in die Brüche gehen und Arbeitsplätze verloren gehen. Depressionen führen nicht nur zu einem extrem emotionalen Tief, sondern können auch Suizidgefährdung zur Folge haben. Unbehandelt verschlimmern sich die Symptome häufig, was zu intensiveren und häufigeren manischen und depressiven Episoden und damit zu erheblichen sozialen und beruflichen Beeinträchtigungen führen kann. Das Risiko für Substanzmissbrauch ist ebenfalls erhöht.

tags: #neurologie #bipolare #störung #ursachen