Neurologie und Frührehabilitation: Definition, Ziele und Maßnahmen

Die neurologische Frührehabilitation (Phase B) stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen der Akutversorgung im Krankenhaus (Phase A) und der weiterführenden Rehabilitation (Phase C) dar. Sie ist besonders relevant für Patienten mit schweren neurologischen Erkrankungen. Die Frührehabilitation beinhaltet parallel die Akutversorgung und die Rehabilitation von schwer- und schwersterkrankten Patientinnen und Patienten aus allen Bereichen der Medizin mit dem Schwerpunkt der Neurologie, beginnend bereits in der Beatmungsphase auf der Intensivstation.

Definition der Neurologischen Frührehabilitation

Die neurologische Frührehabilitation beschreibt die Behandlungsphase, die direkt auf die Akutphase folgt. Aus rechtlicher Sicht findet Frührehabilitation nur in der Phase B statt. Dabei benötigen Patienten in der Regel noch eine intensivmedizinische Behandlung, das heißt, sie müssen z.B. beatmet werden. In Phase C können sie bei der Therapie schon mitarbeiten, müssen jedoch weiterhin medizinisch betreut und gepflegt werden. In der Praxis findet aber die Rehabilitation in der Phase C üblicherweise in der selben Spezialklinik für Frührehabilitation statt, wie die Frührehabilitation in der Phase B. Die Patienten bemerken also von der Änderung der rechtlichen Einordnung oft nichts. In manchen Fällen ist die unterschiedliche rechtliche Einordnung aber wichtig, weil teilweise beim Wechsel von Phase B in Phase C ein anderer Kostenträger zuständig wird, z.B.

Ziele der Frührehabilitation

Das allgemeine Rehabilitationsziel der Phase B ist es, die Grundlagen für die weiterführende neurologische Rehabilitation (Phase C) zu schaffen. Unsere Ziele für Frühreha-Patienten liegen in einer Stabilisierung der basalen, lebensnotwendigen Körperfunktionen, im Aufbau einer Kontakt- und Verständigungsfähigkeit, der Wahrnehmung des Körperselbst und der Umgebung, in der Mobilisierung und im Aufbau einer Mitarbeitsfähigkeit für die späteren Phasen der Rehabilitation. Im Vordergrund stehen zunächst meist prophylaktische Maßnahmen. Dadurch soll verhindert werden, dass weitere Komplikationen auftreten, wie z.B. Lungenentzündungen oder Kontrakturen. Dies sind erste gemeinsame Ziele, an denen im interdisziplinären Team Ärzte, Pflegekräfte und die beteiligten Therapeuten gemeinsam arbeiten.

Konkret bedeutet dies, dass - je nach Krankheitsbild und Störungsschwerpunkten - gemeinsam mit den Patienten und ihren Angehörigen sehr elementare alltägliche Aktivitäten wieder erarbeitet werden müssen. Dazu gehören:

  • Längere Phasen von Wachheit
  • Ein geregelter Schlaf/Wach-Rhythmus
  • Körperwahrnehmung
  • Kontrolle über Ausscheidungen
  • Elementare Bewegungen
  • Sitzen, Stehen, Gehen
  • Sich waschen und anziehen
  • Den eigenen Speichel schlucken
  • Wieder zu essen und zu trinken
  • Handlungsaufforderungen verstehen
  • Eigene Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken können
  • Sich für länger werdende Zeiträume auf eine Aktivität konzentrieren können

Maßnahmen der Frührehabilitation

In der Frührehabilitation werden gleichzeitig akutmedizinische Maßnahmen fortgeführt und bereits in dieser Phase mit der Rehabilitation begonnen. Die ausstehende Akutdiagnostik wird komplettiert und die akutmedizinischen Komplikationen so behandelt, dass die schnellstmögliche Herstellung der Rehabilitationsfähigkeit das übergeordnete Ziel darstellt. Die Patientinnen und Patienten werden von einem Team aus therapeutischer Pflege, hochspezialisierten Therapiefachkräften, Sozialdienst etc. und multidisziplinären Rehabilitationsmedizinerinnen und Rehabilitationsmedizinern behandelt.

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Die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation der Phase B nach dem Modell der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) behandelt Patienten nach abgeschlossener Akutbehandlung, die noch nicht frühmobilisiert sind und nicht oder nur sehr eingeschränkt an Gruppentherapien teilnehmen können. Die Ziele der neurologischen Frührehabilitation sind die Stabilisierung des Zustandes des Patienten und eine Frühmobilisierung durch intensive ärztliche, therapeutische und pflegerische Behandlung, um Folgeschäden zu vermeiden oder zu minimieren. Außerdem fördern wir bei der Behandlung Wiederaufbau und Erhalt der Alltagsfähigkeiten unserer Patienten.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

In gemeinsamen interdisziplinären Besprechungen legen Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten erste Ziele und Maßnahmen der Rehabilitation fest. Diese werden wöchentlich ausgewertet, ergänzt und den Fortschritten angepasst. Auch bei diesen Zielen arbeiten die unterschiedlichen Disziplinen Hand in Hand und bringen ihr jeweiliges Fachwissen mit ein. Koordiniert wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den wöchentlich stattfindenden Besprechungen.

Behandlungsschwerpunkte

Patienten in der neurologischen Frührehabilitation sind häufig noch bewusstlos, leiden unter schweren Lähmungen und Sprach- oder Sprech- und Schluckstörungen und werden oft noch mit einer Atemhilfe (Trachealkanüle) versorgt. Ein Wachkomazustand oder hochgradige Verwirrtheitszustände sind nicht selten. Die Patienten können nur teilweise aktiv an den Therapien teilnehmen.

Unsere Behandlungsschwerpunkte sind:

  • Zerebrale Durchblutungsstörungen wie z. B. Schlaganfälle oder Hirnblutungen
  • Hirnschäden unter Sauerstoffmangel (z. B. nach Herzstillstand)
  • Schädelhirntrauma
  • Rückenmarkserkrankungen
  • Zustand nach operativen Eingriffen
  • Tumoren
  • Muskelerkrankungen
  • Entzündungen (inkl. Multiple Sklerose) und degenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems (z. B. Parkinson) in schweren Stadien der Erkrankung
  • Polyneuropathie (Schädigung von peripheren Nerven) z.B. nach langer intensivmedizinischer Behandlung

Weitere Krankheitsbilder umfassen:

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  • erworbene Sprach- und Sprechstörungen
  • neuro-degenerative Erkrankungen
  • neurogen bedingte Schluckstörungen
  • Störungen des peripheren Nervensystems
  • Tumoren des zentralen Nervensystems
  • Hirnschäden unter Sauerstoffmangel (z. B. nach Herzstillstand)
  • infantile Zerebralparese
  • Konzentrationsstörungen
  • Lese-/ Rechenstörungen
  • Merkfähigkeitsstörungen
  • Morbus Parkinson
  • Multiple Sklerose
  • Muskelerkrankungen
  • neuropsychologische Störungen
  • Orientierungsstörungen
  • Polyneuropathien (gleichzeitige Erkrankung mehrerer Nerven)
  • Polyradikulitiden
  • Rückenmarkserkrankungen
  • Schädelhirntrauma
  • Schädigung von Nervenbahnen
  • Tumorerkrankungen des zentralen Nervensystems (auch nach Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie)
  • Zerebrale Durchblutungsstörungen wie z. B. Schlaganfälle oder Hirnblutungen
  • Zustand nach Hirnblutung
  • Zustand nach operativen Eingriffen
  • Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma
  • Zustand nach Schlaganfall
  • Zustände nach entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems

Diagnostik

Bei der Behandlung sind häufig diagnostische Kontrolluntersuchungen erforderlich. Hierfür nutzen wir moderne Untersuchungsgeräte und diagnostische Methoden, wie:

  • Monitorüberwachung mit konstanter Messung von EKG, Blutdruck, Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung
  • Ultraschallgerät
  • Digitales EEG-System (misst die elektrische Aktivität des Gehirns)
  • EMG (Messung der elektrischen Muskelaktivität)
  • evozierte Potenziale (Untersuchung der Funktionsfähigkeit von Nervenbahnen)
  • EKG-Geräte für den Einsatz auf Station und für die Eingangsdiagnostik
  • Langzeit-EKG-Messung
  • 24-Stunden-Bluckdruckmessung
  • Röntgenapparatur für konventionelle Röntgen: Thorax-, Abdomen- und Knochenaufnahmen
  • Labor für die Bestimmung wichtiger Parameter
  • Spirometrie (misst die Lungenfunktion)
  • Screeninggerät zur Schlaf-Apnoe Diagnostik

Außerdem kooperieren wir mit dem Klinikum Main-Kinzig-Klinken Gelnhausen. Bei Bedarf stehen uns zusätzlich folgende Methoden für Ihre Diagnostik zur Verfügung:

  • Bilddiagnostik (Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT))
  • Fachübergreifende Intensivstation mit Beatmungsplätzen

Therapie

Im Zentrum der frühen Phase der Rehabilitation stehen die Wiederherstellung elementarer Funktionen wie die Verbesserung der Bewusstseinslage und Kommunikationsfähigkeit des Patienten sowie der Beginn, bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme mitzuwirken. Um die Rehabilitationsziele zu erreichen, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der nicht nur die Aspekte der akuten Erkrankungen, sondern auch bereits bestehenden Krankheiten berücksichtigt. In der Frühreha wenden wir überwiegend Einzeltherapien an.

Die wesentlichen Inhalte sind:

  • Aktivierende Pflege
  • Basale Stimulation
  • Alltagsbezogene funktionelle Therapie
  • ADL-Training (Ziel des Trainings ist es, die Selbstständigkeit bei „Aktivitäten des täglichen Lebens“ aufrecht zu erhalten oder wieder zu erlangen)
  • Wasch- und Anziehtraining
  • Wahrnehmung und Sensibilitätstraining
  • Hilfsmittelberatung (Rollstühle, Hilfsmittelversorgung nach der Entlassung u. a.): Hier beraten wir Patienten bzw. Angehörige, welche Hilfsmittel sinnvoll sein können, um z. B. den Alltag besser zu bewältigen bzw. es den Angehörigen ggf. leichter zu machen, ihre Angehörigen zu Hause zu pflegen.
  • Funktionelle Übungsbehandlung der oberen Extremität und des Rumpfes: Ein Pfleger
  • Kognitives Training
  • Koordinationsübungen
  • Schienenversorgung (z. B. eine Fußheberorthese, um eine sturzfreies Laufen zu ermöglichen)
  • Sensibilitätstraining und Wahrnehmungsschulung
  • Angehörigenberatung und -schulung
  • Sprachtherapie/ Logopädie, Aphasietherapie zur Verminderung sprachlicher Symptomatik, zur Verbesserung kommunikativer Kompetenz oder Aufbau einer elementaren Kommununikationsstruktur
  • Therapien zur Verminderung von Schluckstörungen
  • Therapien zur Vermeidung einer PEG-Anlage (Perkutane endoskopische Gastrostomie zur künstlichen Ernährung)
  • Therapien zur Ermöglichung einer komplikationslosen, ausreichenden Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und ggf. Festlegung einer Ernährungsstrategie (z.B. Anpassung der Kostform)
  • Engmaschiges Trachealkanülen-Management, inkl. Beachtung von Entblockungszeiten
  • Infusomaten und Perfusoren zur kontinuierlichen Gabe von Medikamenten
  • Ernährungspumpen
  • Absaug-Geräte für die Versorgung von Patienten mit Trachealkanülen

Kriterien für den Übergang von Phase B zu Phase C

In Anlehnung an die BAR Empfehlungen zur Neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C vom 2. November 1995:

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  • Patient ist kommunikations- und interaktionsfähig
  • Patient ist teilmobilisiert (z.B. kontinuierlich zwei bis vier Stunden im Rollstuhl verbringend)
  • Bei den alltäglichen Verrichtungen ist der Patient noch weitgehend auf pflegerische Hilfe angewiesen
  • Patient bedarf keiner intensivmedizinischen Überwachung / Therapie mehr (vital-vegetative Stabilität)

Finanzierung der Frührehabilitation

Frührehabilitation ist Rehabilitation während einer Krankenhausbehandlung und wird bei medizinischer Notwendigkeit z.B. von der Krankenkasse oder Unfallversicherung finanziert. Sie kann bei der akutstationären Behandlung in Allgemeinkrankenhäusern durchgeführt werden, findet aber häufiger erst nach einer Verlegung in eine Spezialklinik statt.

  • Die Kosten für Frührehabilitation übernimmt meistens die Krankenkasse, aber die Krankenversicherten müssen pro Tag 10 € für den Krankenhausaufenthalt oder Aufenthalt in der Rehaeinrichtung zuzahlen, Näheres unter Zuzahlungen Krankenversicherung. Wer schon hohe Zuzahlungen geleistet hat, kann sich bei Überschreiten der sog.
  • Die Träger der sozialen Entschädigung finanzieren die Frührehabilitation bei einem Anspruch auf soziale Entschädigung, z.B.
  • Wer nicht krankenversichert ist, kann das Geld für Frührehabilitation bei finanzieller Bedürftigkeit ganz oder teilweise als Leistung der Sozialhilfe bekommen, Näheres unter Krankenhilfe. Die Krankenhilfe wird aber nur während einer Krankenhausbehandlung gewährt. Für Reha nach der Frührehabilitation (bei neurologischer Rehabilitation ab Phase C) sind die sog. Rehabilitationsträger zuständig.

Gesetzliche Grundlagen

  • Krankenversicherung: § 39 Abs.
  • Krankenhilfe (Sozialhilfe): § 48 S. 1 SGB XII i.V.m. § 39 Abs. 1 S.
  • Soziale Entschädigung: § 42 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 S. Leistungen

Bedeutung der Frührehabilitation

Nach einem Schlaganfall helfen Reha-Maßnahmen, die dauerhaften Folgen der Erkrankung zu verringern. Die Ansprüche auf ein selbstbestimmtes Leben mit einer Behinderung, auf Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und die Vermeidung oder Minderung von Pflegebedürftigkeit sind gesetzlich geregelt. Sie schafft einen möglichen Übergang von der medizinischen Rehabilitation zurück in die Erwerbsfähigkeit. Sie enthält insbesondere Leistungen sowie begleitende Hilfen zur nachhaltigen Sicherung des Erfolges der medizinischen Rehabilitation.

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