Ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ist ein komplexer Prozess, der darauf abzielt, die Ursachen und das Ausmaß von neurologischen und psychischen Beeinträchtigungen festzustellen. Es wird häufig im Zusammenhang mit Unfällen, Verletzungen oder Erkrankungen erstellt, um die Kausalität zwischen einem Ereignis und den resultierenden gesundheitlichen Folgen zu bewerten und den Grad der Beeinträchtigung zu bestimmen.
Anlässe für ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten
Ein Gutachten wird oft im Verlauf von Rehabilitationsmaßnahmen erstellt, wenn ein Personenschaden durch ein Unfallereignis verursacht wurde. Dies kann automatisch geschehen, beispielsweise im Rahmen eines Arbeitsunfalls durch die Berufsgenossenschaft, oder im Rahmen von gerichtlichen Auseinandersetzungen erforderlich sein. Häufig fordert die gegnerische Versicherung ein Gutachten an, um sich ein objektives Bild von der Schadenshöhe zu machen.
Die Komplexität neurologischer Verletzungen
Im Gegensatz zu anderen Verletzungen, wie z.B. Arm- oder Beinbrüchen, sind Verletzungen des Gehirns oft wesentlich komplexer zu beurteilen. Das Ausmaß von Hirnschädigungen kann stark variieren, und es gibt oft keine direkte Beziehung zwischen dem Ausmaß des Unfallschadens und den Auswirkungen der Unfallfolgen im privaten oder beruflichen Alltag. Einige Verletzungen des Nervensystems werden nicht sofort offensichtlich und bedürfen einer sorgfältigen und umfangreichen Untersuchung.
Die Rolle des Gutachters
Es ist wichtig zu verstehen, dass der Gutachter eine unparteiische Person ist, die die vorliegenden Fakten in Bezug auf die Unfallfolgen prüft und abwägt. Er ist weder "Ihr Freund" noch Ihr Fürsprecher. Seine Aufgabe ist es, die Situation objektiv zu beurteilen. Ob Sie den Gutachter sympathisch finden oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Gutachtenaussage.
Arten von Gutachten
Es gibt zwei wesentliche Arten von Gutachten:
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- Nachweis über den Zusammenhang von Unfallereignis und Beeinträchtigungen (Kausalität): Hierbei wird geprüft, ob ein Unfallereignis tatsächlich die Ursache für eine Hirnschädigung ist. In der Fachsprache wird dies als "Vollbeweis" bezeichnet. Der Gutachter beschreibt den Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und gesundheitlichen Folgen als gesichert oder als "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit". Diese Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass sie praktisch einer Gewissheit gleichkommt.
- Bewertung des Ausmaßes der Unfallfolgen (Finalität): Hierbei geht es darum, die Einschränkungen im Alltag zu bewerten, die durch die Unfallfolgen entstanden sind. Es ist wichtig zu betonen, dass ausschließlich Funktionsausfälle und die dadurch bedingten Einschränkungen im Alltag entschädigungspflichtig sind. Die Schwere der Verletzung im Computertomogramm ist nicht der alleinige Maßstab, sondern allein die Leistungseinschränkungen.
Mögliche Beeinträchtigungen nach einem Unfall
Die Bandbreite möglicher Beeinträchtigungen nach einem Unfall ist groß. Sie kann Lähmungen, Zittern der Hände, Gangschwierigkeiten, Rollstuhlpflicht oder Bettlägerigkeit umfassen. Auch Bewusstseinsstörungen, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen, Planungs- und Handlungsstörungen, Antriebsstörungen, Sprachdefizite, Schluckschwierigkeiten, Schlafstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Kreislaufschwierigkeiten sind möglich. Neben diesen körperlichen und geistigen Einschränkungen sind auch die psychischen Auswirkungen der Unfallfolgen bei jedem Menschen unterschiedlich.
Individuelle Faktoren
Die Auswirkungen von Unfallfolgen können je nach Beruf und persönlichem Umfeld variieren. So wird ein Elektriker eine leichte räumliche Vorstellungsschwäche beruflich besser verkraften können als ein Ingenieur. Umgekehrt könnte ein Ingenieur im Rollstuhl seine Arbeit am Schreibtisch eher weiterleisten als ein Elektriker im Rollstuhl. Der Gutachter muss diese Aspekte sorgfältig beachten und beschreiben, damit sie für den weiteren Begutachtungsprozess nachvollziehbar sind.
Vorerkrankungen und Persönlichkeit
Auch Vorerkrankungen und die individuelle Persönlichkeit des Verunfallten spielen eine Rolle. Der Gutachter muss gut trennen zwischen den Erkrankungen, die schon vorher bestanden haben, und denen, die durch den Unfall hinzugekommen sind.
Schwierigkeiten bei der Begutachtung
Eine Komplizierte Beschreibung und Einschätzung der Leistungseinschränkungen entsteht, wenn es Unterschiede in der Tagesform gibt. Manchmal treten Unfallfolgen auch erst im weiteren zeitlichen Verlauf nach dem Unfall auf. Hierzu zählen insbesondere Kopfschmerzen oder posttraumatische Epilepsien. Manchmal können die Unfallfolgen schlicht nicht vorherzusagen sein und erfordern eine sorgfältige Beobachtung und Dokumentation.
Medikamente und Nebenwirkungen
Auch der Einsatz von Medikamenten zur Behandlung von Unfallfolgen kann die Begutachtung erschweren. Solche Medikamente bringen auf der einen Seite einen Gewinn an Lebensqualität, andererseits aber auch eine Belastung durch mögliche Nebenwirkungen mit sich.
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Zusatzgutachten
In komplexen Fällen kann es notwendig sein, dass der Gutachter Zusatzgutachten von anderen Fachärzten (z.B. Internisten, Orthopäden, Schmerztherapeuten) oder ein neuropsychologisches Gutachten einfordert. Solche Zusatzgutachten sind üblich und als fair und notwendig im Gesamtprozess zu bezeichnen.
Betreuung und Pflege
Insbesondere nach schweren Unfällen kann es notwendig werden, dass eine Betreuung eingerichtet werden muss, da der Betroffene seine Angelegenheiten nicht mehr selbst oder nur teilweise erledigen kann. Möglicherweise wird er auch pflegebedürftig oder bedarf einer dauernden Aufsicht.
Antriebsstörungen und emotionale Störungen
Schwierig kann die Einschätzung werden, wenn zwar die Grundfunktionen weitgehend normal wirken, jedoch massive Antriebsstörungen oder emotionale Störungen den Alltag für alle Beteiligten erschweren. Wichtig ist, dass die Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Auffälligkeiten des Verhaltens im Alltag durch Angehörige notiert werden. Ohne diese Dokumentation wird es schwierig sein, alle Details im Gespräch mit dem Gutachter angemessen zu behandeln.
Vorbereitung auf das Gutachten
Es ist ratsam, sich vor dem Gutachten Notizen zu machen und alle wichtigen Informationen (z.B. Medikamente, Vorerkrankungen) schriftlich festzuhalten. Bringen Sie diese Notizen und aktuelle Befunde und Berichte der letzten 3 Monate zum Gutachten mit.
Ablauf des Gutachtens
Das Gutachten beginnt in der Regel mit einem Gespräch, in dem der Gutachter Ihre Krankengeschichte (Anamnese) erfragt und sich nach Ihrem aktuellen Befinden erkundigt (Exploration). Schildern Sie im Gespräch nicht nur die Fakten, sondern beschreiben Sie auch genau, wie es Ihnen täglich geht. Nach dem Gespräch folgt in aller Regel die neurologische Untersuchung. Hierbei wird der Gutachter verschiedene Tests durchführen, um Ihre neurologischen Funktionen zu überprüfen. Bei Bedarf kann auch eine neuropsychologische Untersuchung oder weitere Zusatzgutachten angeordnet werden.
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Neurologische Untersuchung
Bei der neurologischen Untersuchung wird das menschliche Nervensystem systematisch untersucht. Hierbei werden unter anderem folgende Bereiche geprüft:
- Inspektion des Kopfes
- Untersuchung des Kopfes
- Hirnnerven
- Reflexe
- Motorik
- Bewegungskoordination
- Sensibilität
- Vegetative Funktionen
- Orientierende internistische Untersuchung, insbesondere des Herzens und der Blutgefäße
- Psychischer Befund
- Bei Bedarf: Neuropsychologische Untersuchung oder weitere Zusatzgutachten
Ehrlichkeit und Offenheit
Es ist wichtig, bei seinen Angaben ehrlich zu bleiben und die Dinge so zu schildern, wie sie sind. Ein erfahrener Gutachter würde Unstimmigkeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit entdecken. Er würde aber genauso gut in allen Feinheiten wahrnehmen, wenn Sie ihm die Schwierigkeiten und besonderen Einzelheiten im Alltag gut nachvollziehbar beschreiben.
Einsichtsfähigkeit
Einige Hirnschädigungen können zu einer Störung der Einsichtsfähigkeit in die eigenen Leistungsdefizite führen. In solchen Fällen wird der Gutachter möglicherweise zusätzliche Informationen durch ein Angehörigengespräch einholen.
Zeitplanung
Planen Sie genügend Zeit für die Untersuchungen ein und organisieren Sie andere Verpflichtungen mit Pufferzeiten. Ein Gutachten kann mehrere Stunden in Anspruch nehmen.
Auskunftspflicht
Die Ergebnisse der Untersuchungen wird der Gutachter Ihnen normalerweise nicht mitteilen. Er ist zunächst einmal demjenigen gegenüber auskunftspflichtig, der das Gutachten in Auftrag gegeben hat.
Spezialisten für neurologisch-psychiatrische Gutachten
Es gibt eine Vielzahl von Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie, die sich auf die Erstellung von Gutachten spezialisiert haben. Einige von ihnen sind zertifizierte Gutachter der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung e.V. (DGNB).
Die Rolle der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung e.V. (DGNB)
Die DGNB ist eine assoziierte Gesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. Hauptziele der Gesellschaft sind die Förderung der Ausbildung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der gesamten neurowissenschaftlichen Begutachtung, die Entwicklung qualitätssichernder und -verbessernder Maßnahmen sowie die Erarbeitung von Leitlinien und Stellungnahmen zu Fragen der neurowissenschaftlichen Begutachtung.
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