Neurosen bei Kindern: Ursachen, Symptome und Therapie

Neurosen sind psychische Störungen, die sich durch Ängste, Sorgen und innere Konflikte auszeichnen. Obwohl der Begriff in modernen Diagnosemanualen wie DSM-5 und ICD-10 nicht mehr verwendet wird, ist das Verständnis von Neurosen im Kontext psychischer Gesundheit von Kindern und Jugendlichen weiterhin relevant. Stattdessen werden verschiedene Störungen unter den Kategorien „neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ zusammengefasst. Diese Veränderungen reflektieren die Bedeutung des Neurosebegriffs und die Notwendigkeit, psychische Störungen differenzierter zu betrachten.

Was ist eine Neurose? Definition und Historischer Kontext

Der Begriff Neurose wurde erstmals 1776 von dem schottischen Arzt William Cullen eingeführt, um Nervenkrankheiten ohne erkennbare organische Ursache zu beschreiben. Im Laufe der Zeit, besonders durch den Einfluss von Sigmund Freud, wurde die Neurose zu einer wichtigen Kategorie in der Psychologie. Neurosen und Psychosen klingen ähnlich bezeichnen jedoch sind zwei völlig unterschiedliche Arten von psychischen Störungen. Die Realitätskontrolle bleibt bei Neurosen erhalten, während sie bei Psychosen oft gestört ist. Im Gegensatz zu Psychosen, bei denen die Realitätswahrnehmung gestört ist, bleibt bei Neurosen die Realitätskontrolle erhalten. Menschen mit Neurosen sind sich ihrer Probleme bewusst, auch wenn sie keine klaren körperlichen Ursachen für ihre Beschwerden finden können. Der Begriff "Neurose" ist fester Bestandteil der Alltagssprache: Verhält sich jemand ungewöhnlich oder übertrieben, gilt das Verhalten schnell als neurotisch.

Symptome von Neurosen bei Kindern

Auch Kinder und Jugendliche können an Neurosen erkranken. Darunter versteht man ein auffälliges Verhalten dieser Kinder, das die soziale Einfügung stört. Die Symptome von Neurosen sind vielfältig und können sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen äußern. Es ist wichtig zu beachten, dass die Symptome je nach Art der Neurose variieren können.

  • Emotionale Störungen: Angststörungen gehören mit bis zu 15 Prozent Erkrankungshäufigkeit zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Kinder können übermäßige Ängste, Sorgen und Unsicherheiten zeigen. Eine emotionale Störung mit Trennungsangst ist nicht so sehr eine eigenständige Störung, sondern eher eine Verstärkung der normalen Trennungsangst bei Kindern. Sie wird diagnostiziert, wenn Kinder über das typische Alter für Trennungsangst hinaus (also etwa ab drei Jahren) eine starke, anhaltende Angst haben, von Menschen, zu denen sie eine enge Beziehung haben, getrennt zu werden, das Haus zu verlassen oder in die Schule zu gehen.
  • Zwangsstörungen: Eine Zwangsstörung (Obsessive Compulsive Disorder, OCD), früher auch unter „Zwangsneurose“ geläufig, äußert sich in erster Linie durch zwanghafte, wiederholende Handlungen oder Gedanken. Kinder und Jugendliche mit Zwangsstörungen kämpfen oft mit erheblichen Ängsten und haben Schwierigkeiten, die Kontrolle über ihre Gedanken und Handlungen zu behalten. Max ist ein 8-jähriger Junge, der unter Zwangsstörungen leidet. Jeden Abend, bevor er ins Bett geht, muss er seine Zimmertür und das Fenster immer wieder überprüfen. Er steht mehrmals auf, um sicherzustellen, dass die Tür auch wirklich verschlossen ist und das Fenster keinen Spalt offen lässt.
  • Körperliche Beschwerden: Körperliche Symptome sind oft nicht auf eine tatsächliche körperliche Erkrankung zurückzuführen. Es können Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, Muskelverspannungen, Müdigkeit und Erschöpfung auftreten.
  • Verhaltensauffälligkeiten: Dazu gehören Essstörungen, Stottern, Nägelkauen, Zerstörungslust, Geschwisterneid und übermäßiger Gehorsam. Aber auch nächtliches Bettnässen bzw. Einnässen und Einkoten am Tag gehören zu den Symptomen von Neurosen bei Kindern.
  • Soziale Probleme: Neurotische Kinder können Schwierigkeiten haben, soziale Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Spezifische Symptome und Verhaltensweisen

  • Wasch- und Putzzwänge: Wiederholtes Händewaschen oder Angst vor Keimen und Verschmutzung.
  • Kontrollzwänge: Ständiges Überprüfen von Dingen, um das Gefühl der Sicherheit zu erlangen.
  • Wiederholungsrituale: Das Kind führt eine Handlung oder einen Satz immer wieder aus, um ein Gefühl der Kontrolle zu haben oder unangenehme Gedanken zu neutralisieren.
  • Symmetrie und Ordnung: Starkes Bedürfnis, Gegenstände in perfekter Symmetrie anzuordnen.
  • Sammelzwänge: Das zwanghafte Bedürfnis, bestimmte Dinge zu sammeln, auch wenn dies über das normale Maß hinausgeht oder das Kind Schwierigkeiten hat, sich von diesen Objekten zu trennen.
  • Essrituale: Bestimmte Lebensmittel werden in einer festgelegten Reihenfolge oder nach Farbe und Größe gegessen.
  • Pica: Eine Essstörung, bei der zwanghaft nicht essbare Dinge konsumiert werden.

Psychische Begleiterkrankungen

Zwangsstörungen können sehr belastend sein, aber sie sind gerade im Kindesalter gut behandelbar. Die Erkrankung kostet enrom viel Energie und Ressourcen. Das hat Einfluss auf das Stresssystem und wirkt sich zudem stark auf das Selbstbewusstsein aus. Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angst- und Panikstörungen sind daher keine Seltenheit.

  • Depressionen und bipolare Störungen
  • Angst- und Panikstörungen
  • Essstörungen
  • Somatisierungsstörungen

Grundformen von Zwangsstörungen

  • Zwangsgedanken: Wiederkehrende, aufdringliche Gedanken, die bei betroffenen Kindern oft Angst oder Unbehagen verursachen.
  • Zwangshandlungen: Wiederholte Verhaltensweisen, die Kinder ausführen, um unangenehme Gedanken oder Ängste zu neutralisieren.
  • Zwangsimpulse: Hartnäckige Vorstellungen, die im Widerspruch zu den eigenen Werten stehen.

Ursachen von Neurosen bei Kindern

Die Ursachen von Neurosen sind vielfältig und komplex. Es gibt in der Regel mehrere Aspekte, die sich gegenseitig beeinflussen:

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  • Genetische Veranlagung: Obwohl der genetische Zusammenhang als gering eingeschätzt wird, treten Zwangsstörungen häufiger bei Kindern auf, wenn beide Elternteile betroffen sind.
  • Erziehungsstile: Hohe Erwartungen und ständige Kritik können Unsicherheit verstärken und das Risiko einer späteren Erkrankung erhöhen.
  • Seelische Belastungen: Traumatische Erfahrungen oder negative Ereignisse können zu einer Zwangserkrankung führen.
  • Neurobiologische Faktoren: Studien haben gezeigt, dass eine erhöhte Durchblutung bestimmter Hirnbereiche mit Zwangsstörungen in Verbindung gebracht werden kann.
  • Charakterliche Besonderheiten: Scheu, Gehemmtheit, Introvertiertheit und Gefühlverdrängung.
  • Schwierige Lebensphasen: Pubertät oder Wechseljahre.
  • Ungünstige Einflüsse durch Menschen und Umwelt: Mangelnde Zuneigung und Achtung oder Entmutigung.
  • Akute Belastungssituationen: Versagung, d. h., dem Betroffenen wurde in der Vergangenheit etwas vorenthalten, was in der Gegenwart nicht ohne psychische Konsequenzen bleibt.
  • Traumatisierungen: Seelischer und/oder körperlicher Natur, z. B. Gewalttätigkeit, Missbrauch, Unfälle, die als lebensbedrohlich und unentrinnbar erlebt wurden.

Diagnose von Neurosen bei Kindern

Die Diagnose einer Neurose ist ein vielschichtiger Prozess, der verschiedene Methoden umfasst, um ein umfassendes Bild der psychischen Störung zu erhalten. Neurosen können, je nach Ausprägung, den Alltag stark einschränken und den Betroffenen zunehmend belasten. Eltern sollten aufmerksam werden, wenn sich das Verhalten von Kindern oder Jugendlichen mit oder ohne erkennbare Ursache plötzlich ändert.

  • Verhaltensänderungen: Plötzliche Veränderungen im Verhalten, die die soziale Einfügung stören.
  • Häufigkeit und Intensität: Genaue Angaben, wie oft die Auffälligkeiten auftreten und wie intensiv sie sind.
  • Auslöser: Sind Auslöser für die Auffälligkeiten bekannt?
  • Bewährte Maßnahmen: Greifen bewährte Maßnahmen nicht mehr, könnte dies auch daran liegen, dass sie sich abgenutzt haben.
  • Rücksprache mit Bezugspersonen: Wenn andere Bezugspersonen des Kindes wie Großeltern, Erzieher im Kindergarten, Lehrer oder Betreuer die Veränderungen ebenfalls bemerken und sich besorgt zeigen, stehen Sie mit Ihren Sorgen nicht mehr alleine und können sich austauschen.

Therapie von Neurosen bei Kindern

Eine passende psychotherapeutische Behandlung kann Zwangsgedanken und Zwangshandlungen so weit abmildern, dass ein normaler Alltag wieder möglich wird. Zwangsstörungen können sehr belastend sein, aber sie sind gerade im Kindesalter gut behandelbar. Die Behandlung von Neurosen erfolgt häufig durch Psychotherapie. Dabei gibt es verschiedene Methoden, die je nach Bedarf eingesetzt werden. Junge Menschen mit psychischen Erkrankungen unterstützen wir in unserer Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem breiten Spektrum an Therapieverfahren für ihre individuellen Bedürfnisse und den spezifischen Symptomen.

  • Psychotherapie: Bei der Psychotherapie wird ein geschulter Psychotherapeut versuchen, dem Neurose-Patienten die nicht-bewussten, verdrängten oder nicht erkannten tieferen Ursachen seiner seelischen Probleme aufzudecken und vor Augen zu führen. Als therapeutische Mittel können etwa Gespräche und Musik eingesetzt werden. Auch Rollenspiele oder Zeichnen und Modellieren helfen, den Betroffenen zu fördern und zu stützen.
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Sie zielt darauf ab, die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen zu erkennen und zu verändern. Die Behandlung von Zwangsgedanken und Zwangsimpulsen erfolgt häufig mit kognitiver Verhaltenstherapie. Das Kind lernt, die Gedanken zu hinterfragen und zu erkennen, dass die befürchteten Ereignisse sehr unwahrscheinlich sind.
  • Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP): Die effektivste Form der kognitiven Verhaltenstherapie zur Behandlung von Zwangsstörungen.
  • Medikamentöse Therapie: In solchen Fällen können Medikamente helfen. Medikamente können den Heilungsprozess bei Neurosen unterstützen. Medikamente in der Neurosebehandlung sind vor allem Beruhigungsmittel und Antidepressiva.
  • Psychosensorische Verfahren: Dazu gehören z. B. die Klopfakupressur (EFT) oder Augenbehandlungen (EMDR, OEI nach Bradshaw und Kollegen).

Therapieansätze im Detail

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Eine der wirksamsten Therapiemethoden bei Zwangserkrankungen.
  • Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP): Die effektivste Form der KVT zur Behandlung von Zwangsstörungen.
  • Familientherapie: Einbeziehung der Familie in die Therapie, um die Kommunikation und das Verständnis zu verbessern.
  • Spieltherapie: Besonders hilfreich bei kleineren Kindern, um ihre Gefühle und Ängste auszudrücken.

Was Eltern tun können

  • Offene Kommunikation: Sprechen Sie mit Ihrem Kind über seine Ängste und Sorgen.
  • Unterstützung suchen: Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
  • Verständnis zeigen: Vermeiden Sie es, das Kind für sein Verhalten zu bestrafen oder zu kritisieren.
  • Positive Verstärkung: Loben Sie Ihr Kind für seine Fortschritte und Bemühungen.

Selbsthilfe und Vorbeugung

Um einer Neurose vorzubeugen, sollten Sie einige Verhaltensweisen beachten. Gehen Sie offensiv mit Ihrer Neurose um, verzagen Sie nicht. Haben Sie Mut und sprechen Sie mit Ihrem Partner oder guten Freunden über das, was Sie belastet. Das kann klärend und entspannend wirken.

  • Entspannungstechniken: Lernen Sie Entspannungsmethoden wie Autogenes Training oder Yoga. Auch Meditation kann helfen, zu sich selbst zu finden, Ruhe einkehren zu lassen und belastende Situationen in den Griff zu bekommen.
  • Johanniskraut: Johanniskrautpräparate hellen die Stimmung auf. Die stimmungsaufhellende Wirkung tritt erst nach 2- bis 3-wöchiger regelmäßiger Einnahme ein.
  • Rechtzeitig entgegensteuern: Verdrängen Sie z.B. ungewöhnliche Ängste, Wünsche oder Triebe nicht. Besser ist es, sich damit bewusst zu befassen.
  • Ausgeglichenes Leben: Führen Sie Ihr Leben nicht unter Dauerbelastung. Schaffen Sie Ausgleich durch Sport und motivierende geistige Aktivität, pflegen Sie Ihre Sozialkontakte, essen Sie gesund und halten Sie sich fit.
  • Kein übermäßiger Druck: Üben Sie keinen übermäßigen Druck auf Ihre Kinder aus, etwa durch übertriebene Erwartungen an deren Leistungen, Reinlichkeit oder durch Strafandrohungen. Ermutigen Sie Ihre Kinder viel mehr, über Gefühle, Sorgen und Verletzungen zu sprechen.

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