Stillste Stund, das düster-avantgardistische Musikprojekt von Oliver Uckermann, kehrte nach 15 Jahren kreativer Pause mit der EP "Grüße aus dem Fegefeuer" im Jahr 2023 zurück. Kaum zu glauben, aber das seit dem 14ten März erhältliche „Von Rosen und Neurosen“ ist bereits das fünfte Studioalbum von Stillste Stund. Oliver Uckermann schrieb, komponierte und sang in Zusammenarbeit mit Birgit Strunz „eine erlesene Sammlung grausamster Alpträume“ ein, zwölf Alpträume sind es an der Zahl und Kennern des Projektes ist bereits jetzt klar - zurücklehnen und mit dem Booklet in der Hand im stillen Kämmerlein genießen ist angesagt. Das Werk zeichnet sich durch Kreativität, Vielseitigkeit und die Weigerung, sich einer Kategorisierung zu unterwerfen, aus. Es erfordert die volle Aufmerksamkeit des Hörers, um in die Welt von Stillste Stund einzutauchen.
Die musikalische Reise von Stillste Stund
1998 gründete Oliver Uckermann das Musikprojekt Stillste Stund, um düster-avantgardistische Klänge mit literarischen und philosophischen Einflüssen zu verbinden. STILLSTE STUND betraten erstmals im Jahr 2000 die Elektro-/Gothic-Bühne, als sie mit „Ein Mensch, ein Ding, ein Traum“ ein überraschendes Debütalbum veröffentlichten, das mit seiner abwechslungsreichen und experimentellen Mischung aus düsterem Dark-Wave, tanzbarem Elektro und bedeutungsschweren deutschen Lyrics für Aufsehen sorgen konnte. Nun liegt mit „Ursprung Paradoxon“ das zweite Album von Mastermind und Sänger Oliver Uckermann vor, das sich erneut der gleichen Zutaten bedient und eindrucksvoll beweist, dass es sich bei dem Erstlingswerk um keine Eintagsfliege gehandelt hat.
"Von Rosen und Neurosen": Eine Sammlung grausamster Albträume
Wie bereits die Vorgängeralben brauchen auch die neuen „Rosen und Neurosen“ Geduld und Mühe, vielleicht wird der Hörer sogar noch ein klein wenig mehr gefordert als bisher. Drei Jahre ist es her, daß das „Blendwerk Antikunst“ fesselte und mit diesem Werk hatte Uckermann die Messlatte fast schon unerreichbar hoch angesetzt - wie kann man an ein solches Werk anschließen, wie die Stillste Stund, die Geschichte von Alice wieder aufgreifen und fortführen ? Drei Jahre sind aber eine lange Zeit, vor allem wenn es um ein Projekt geht, daß keinen Zeitverlust in Form von Live-Auftritten zu verbuchen hat. „Von Rosen und Neurosen“ ist es anzuhören, daß sich Uckermann für jede Minute, jeden Satz und jeden Ton Zeit genommen hat - das Album wirkt abgeschlossen und (nahezu) perfekt. Und es wirkt auch schwieriger, nicht so leicht greifbar wie der Vorgänger. Auf Musik im eigentlichen Sinn wurde noch ein Stück mehr verzichtet, Sprechpassagen und ruhige Momente dominieren noch viel stärker als bisher.
"Von Rosen und Neurosen" muss man erleben, wenn man etwas für das Bizarre, Nihilistische, Phantastische und Morbide übrig hat. „Von Rosen und Neurosen“ erscheint neben der regulären Version auch als 2-CD-Variante im Digipak.
Einzelne Tracks im Fokus
„Käfigseele“ führt langsam in die CD ein, ein ruhiges Intro das jäh durch zerbrechliche Vocals unterbrochen wird die wiederum durch energiegeladenen Gesang Uckermanns unterbrochen werden. Der Hörer ist nun hoffentlich bereit und das erste „richtige“ Lied folgt : „Viktor“ ist ein traumhafter Song mit typischer, verschrobener Stillste Stund Instrumentierung (irgendwo zwischen Kammerorchester und Wave) und eine Text, der für einige Schmunzler sorgen wird. Großartig, wie die Geschichte um Viktor Frankenstein für einen augenzwinkernden Song verwurstet wird, alles klingt so normal, ja auch so verständlich und ich pruste immer noch meinen Morgentee aus, denn „…Viktor hat ein Gehirn mitgebracht“. Anspieltipp, definitiv und unbedingt.
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Was auf dem „Ursprung Paradoxon“, dem zweiten Album des Projektes begann und auf dem letzten Album seinen Lauf nahm wird nun zu einem Ende gebracht - „Alice Teil III“ und nun ist sie entgültig tot. Die befremdliche Geschichte des kleinen Mädchens wird nicht nur auf dem regulärem Album beendet sondern erfährt in der limitierten Version einen besonderen Platz. Der dritte Teil selbst greift wieder die altbekannte Melodie auf, wobei sie aber immer weiter verfremdet und pompöser aufgebauscht wirkt.
„Tiefenritt“ ist das poppigste und „netteste“ Lied des Albums. Die Vocals von Birgit Strunz sind wunderschön, die Instrumentierung sehr wavig-schwelgend und die Drums sind recht peppig. Der Titel ist definitiv tanzbar und würde vielleicht auch mal in Diskotheken eine Chance bekommen. Das folgende „Kammerspiel“ fand ich am Anfang wirklich anstrengend und nicht gelungen. Zwei Wochen später, also heute, da ich diese Review schreibe, habe ich das Lied ungefähr 50mal gehört. Die Melodie kreist wieder und wieder in meinem Kopf und der Text vom wirr-süchtigem Verlangen nach dem Spiel „Russisch Roulette“ fesselt mich und hat mich selbst süchtig gemacht. Allein die Textzeilen aus dem Refrain „und ich spüre, ich bin Abzug, ich bin Schlaghahn, ich bin Lauf - muss man nicht alles einmal ausprobiert haben ?“ erzeugt eine unglaubliche Atmosphäre. Großes Kino als Anspieltipp Nummer 2. Der nächste Song ist wieder näher am Wave, fast schon ruhiger Elektro kommt da aus den Boxen und „Sternenwacht“ ist eine romatisch-kitschige Geschichte mit schöner Melodie - wie schon der „Tiefenritt“ ist der Songaufbau und die Instrumentierung durchaus dazu geeignet, das Tanzbein zu schwingen.
„Speichel. Laub und Saitenspiel“ ist mehr Geschichte und Theater (für die Ohren) als Musik, anstrengend, düster und schräg. „Heidnisch Barbastella“ liegt irgendwo zwischen Erzählung und Song und will mir nicht so gut gefallen. Vor allem der zur Mitte des Liedes einsetzende weibliche Beschwörungs-Gesang nervt doch sehr. Der „Marsch in Unschärfe Verlorener“ kann aber nach diesem einzelnen Ausrutscher wieder begeistern. Von der stimmungsvollen Sirene zum Beginn, den für einen Marsch typischen martialischen Trommeln und den gekonnt eingesetzten Chören passen alle Zutaten zusammen und der Hörer nimmt förmlich an diesem Marsch teil. Doch es kommt noch besser, denn „die Hure Babylon“ ist ein unglaublicher Knaller, ein Reigen aus harten Drums, wirren Melodien und vollkommen hysterischen Vocals. Wäre nicht eine sehr ruhig Passage zur Mitte des Liedes wäre „die Hure Babylon“ das Tanzflächenlied meiner Wahl (naja, wahrscheinlich wird es das denoch). Mitreißend, genial, Anspieltipp Nummer 3. „Der galaktische Zoo“ ist wieder ein Erzähl-Lied, die Geschichte ist wieder spannend und faszinierend. „Licht frisst Stille, schwarz frisst Licht“ beendet die Alptraumsammlung ähnlich ruhig wie sie mit der „Käfigseele“ begann. Das Album klingt langsam und stimmig aus, man kann wieder in den Alltag hinaustreten. Aber einiges aus dieser Stunde Hörgenuß wird hängenbleiben. Oft wird man die CD nehmen und sich nocheinmal mit den Geschichten und Melodien auseinandersetzen.
Die Stimme von Stillste Stund
Was wäre Stillste Stund ohne ein Merkmal, daß bisher absichtlich wenig erwähnt wurde : die Vocals von Uckermann selbst ? Einfach unglaublich, was hier auf dieser CD geboten wird. Es erscheint fast unmöglich, aber die gesangliche (bzw. sprachliche) Leistung hat sich gegenüber dem Vorgängerwerk nocheinmal gesteigert. Uckermann erscheint auf den Bookletfotos doch eher anständig und unscheinbar, doch wie er ins Mikrophon wimmert, flüstert, schreit - das alles scheint schon fast nicht von dieser Welt. Dabei wirkt seine Leistung aber nicht übertrieben und/oder lächerlich, denn er schafft es auch in den schrägsten Passagen die Texte gut und hochwertig vorzutragen. Und so ist es ein Genuss, sich allein auf de Stimme einzulassen und allein ihr einen oder mehrere Durchläufe zu widmen.
Einflüsse und lyrische Tiefe
STILLSTE STUND in eine musikalische Kategorie pressen zu wollen erweist sich als hoffnungsloses Unterfangen, mal glaubt man Einflüsse von Goethes Erben zu hören, dann wieder von Janus, Mondsucht oder Das Ich. Clubtauglichen Tracks wie „Mühle mahlt“ oder „Ebenholz, Schnee und Blut“ stehen traumhafte Balladen wie „Leben ist nur ein Traum“ oder „An das Morgenlicht“ gegenüber, die sich auch durch ihre klassischen Instrumentierung deutlich von den elektro-/industriallastigen Clubtracks absetzen. Die Songstrukturen sind stets vielschichtig und komplex, die Verbindung kühler Elektronik mit orchestralen Elementen lässt einen auch nach mehrmaligem Hören immer wieder neue Klänge und Zugänge zu den einzelnen Songs erschließen. Perfekt ergänzt werden diese durch die weiblichen Vocals von Birgit Strunz und Inanis Kurzweil, die den einzelnen musikalischen und lyrischen Meisterwerken noch zusätzlich ihre ganz eigene Atmosphäre verschaffen. Die Lyrics sind dabei nie kitschig und kreisen um den Titel des Albums, mal bizarr oder märchenhaft, dann wieder philosphisch oder poetisch.
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Die Musik und die Texte von STILLSTE STUND eignen sich nicht zum nebenbei hören - zu komplex und vielschichtig sind die Songstrukturen, zu bedeutungschwer die Lyrics.
Uckermanns persönliche Perspektive
Geplant war es so tatsächlich nicht. Es fielen wohl einige besondere Umstände zusammen. Und es ist sicher auch diesen merkwürdigen Zeiten und all dem Lärm geschuldet, dass wir nochmal im Licht der Öffentlichkeit zu finden sind. Davor haben wir eher die Ruhe in der Zurückgezogenheit genossen. Als Konsequenz daraus allerdings auch den Anschluss etwas verloren. Diese Tendenz gab es aber schon immer mal bei Stillste Stund. Ein kreatives Leben voller Kunst und Musik, alles um einen herum ausblenden und vergessen: ja, unbedingt! Am Ende kam noch eine Art Weckruf von Menschen dazu, die Stillste Stund nie losgelassen haben. Irgendwie haben uns die Krisen der letzten Jahre vielleicht gezeigt, dass wir enger zusammenrücken sollten. Die Fassade einer hohlen Welt aus Gaukelei und Lügen brennt jetzt lichterloh, und keine Vernunft, keine Liebe kann sie mehr löschen. Vielleicht suchen Menschen mit Herz und Verstand einander heute mehr denn je. Vielleicht, um den Halt nicht zu verlieren und Rückzugsorte zu bilden. Und das ist auch gut so. Man fühlt sich dadurch nicht allein mit all den erschreckenden Wahrnehmungen. Wir waren davor tatsächlich davon ausgegangen, dass Stillste Stund längst vergessen sein würde. Das hätte ich auch nicht schlimm gefunden. Es ging eigentlich nur noch darum, unsere verwaiste Homepage zu löschen, als wir vom Provider aufgefordert wurden, die Postfächer dafür zu leeren. Was uns dann an Nachrichten entgegenflutete, war einfach unfassbar! Nicht wenige Leute haben uns über all die Jahre regelmäßig geschrieben. Die Nachrichten wirkten teils wie Briefe an einen lieben Verstorbenen. Oder wie Erzählungen am Grabstein, weil ja auch nichts zurückkam. Wir haben Kunst in allen Formen erhalten. Und Berichte von schönen und schlimmen Lebensereignissen, bei denen unsere Musik den Menschen offensichtlich sehr wichtig war. Und uns fiel auf, dass es gerade die letzten Jahre eher mehr als weniger wurde. Obwohl wir ja konsequent wegblieben. Es brauchte dann auch einige Zeit, alles durchzuarbeiten. Die „Grüße aus dem Fegefeuer“ brauchten dann allerdings etwas, bis sie die Leute erreichen konnten. Und das hält offenbar immer noch an.
Ich hab erst im Laufe der Zeit wirklich verstanden, dass Kreativität, Kunst, Musik, Texte lebenswichtige Fluchtwelten für mich sind. Sie nehmen mich komplett raus. Und man kann dort heilen. Denn sie wirken nicht selten wie eine Art Ventil für aufgestaute Dinge. Trost auch, natürlich. Selbstfindung. Aber das funktioniert irgendwie am besten nur für den Moment und völlig ungeplant. Die intensivsten Dinge entstehen, wenn die Aufnahme nicht läuft und somit keinerlei Zwang dahinter steckt. Vielleicht kann man dabei dem göttlichen Zufall näher sein.
Es ist eher so, dass die Musik mich immer wieder an die Anfänge zurückzubringen scheint. Als wenn sie mich auf etwas hinweisen möchte. Natürlich spiegelt sie laufend aktuelle Eindrücke offen oder verdeckt wieder. Erlebnisse, Erkenntnisse, hässliche Einschnitte - sowas hat gravierenden Einfluss. Und doch habe ich das Gefühl, dass ich auch zu Eindrücken aus der Kindheit zurückkehre. Eindrücke, die ja ein Leben lang unterbewusst nachhallen können.
Letzten Endes möchte ich sagen, wenn man keinen Schmerz und Verlust kennt, hat man wohl auch nie gelebt. Nicht in meinem Verständnis von Leben. Parallel zu den Arbeiten an „Grüße aus dem Fegefeuer“ habe ich Rilkes ähnliche Gedanken zu diesem Thema auch nochmal gefunden. In seinem „Stundenbuch“ z. B. sagt er: „Lass Dir alles geschehen. Schönheit und Schrecken.“ Besser kann man Leben meiner Meinung nach nicht beschreiben! Auch wenn es für einige zynisch klingen mag. Aber alle Facetten gehören unbedingt dazu. Man muss sie geatmet haben. Gerade heute sehen wir, ob jemand anhand von solchen Erfahrungen eine Art Resilienz in sich aufbauen konnte. Das Leben gibt uns wahnsinnig viel. Aber statt dankbar zu sein, wird sofort auf das geblickt, was fehlt. Oder was andere haben. Konzerne befeuern dieses Verlangen zudem erfolgreich. Und nun wird natürlich lauthals gefordert, dass sich die Welt doch wieder zurückdrehen möge, damit man sich wieder wohlfühlen kann. Aber das wird sie nicht. Man kann sich nicht auf Andere oder auf andauerndes Glück verlassen. Ansonsten wird man sich mit Einschnitten, die früher oder später nun mal eintreten werden, sehr schwer tun. Man braucht also ein eigenes Konzept - für sich allein. Und das ist sicher sehr individuell. Stillste Stund ist von alldem stark geprägt. Von dem Blick auf das große Bild, von Zäsuren und Grausamkeiten in dieser Welt, aber unbedingt auch von der immensen Kraft im Rückzug!
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Die "Stillste Stund" erleben
Die stillste Stund repräsentiert einen Moment der tiefen Einkehr und Selbsterkenntnis und ist das größte Ereignis im Leben eines Menschen. Sie ist Ratgeberin und Trostspenderin und Ideengeberin. Sie zwingt auf brutale Art zu bedingungsloser Ehrlichkeit und Offenheit, weil sie keine Masken zulässt. Sie zieht einen komplett aus und legt den letzten, dunklen Winkel der Seele frei. Nach einer Begegnung mit ihr, gibt es kaum noch etwas zu verlieren. Und das bedeutet auch Freiheit. Vielleicht treffen viele Menschen sie erst kurz vor ihrem Ableben an. Dann erst können sie keine Maske mehr tragen. Ich finde mehr Halt im Rückzug und meinen stillsten Stunden, als bei den meisten Menschen mit ihrem aufgesetzten Drama um belanglose Nichtigkeiten. Es gibt daher auch nur noch wenige, sehr ausgewählte Individuen in meinem direkten Umfeld.
Philosophische Einflüsse und Reflexionen
Solche Gedanken und Themen blitzen wohl immer mal auf, ja. Und über allem die Frage, was wirklich noch wichtig scheint, wenn man seine eigene Existenz mit Abstand oder gar von außen betrachtet. Einen Schritt zurücktritt, wie bei einem Gemälde. Damit man das große Ganze überblicken kann. Man kann seine eigene Existenz vielleicht nur erahnen, wenn man zwischen den Welten zu wandeln vermag. Viele Denk- und Glaubenskonstrukte scheinen mir allerdings eine Art von Verdrängungskonzept zu sein. Offenbar, um die Endlichkeit des eigenen Bewusstseins leugnen zu können. Vielleicht auch ein Konzept gegen Panik und soziales Chaos, das mag sein. Aber ein Jenseitsgedanke scheint doch eher eine Art Vermeidungshaltung widerzuspiegeln. Und warum eigentlich all diese Angst vor dem eigenen Erlöschen? Wenn es doch nur natürlich ist, wieder zurück zu fließen… Unser Bewusstsein scheint mir dabei eher biochemisch bestimmt. Mein Bewusstsein soll vielleicht nur meinem Selbsterhalt dienen. Bewusstsein wäre somit einfach ein Überlebenskonzept der Natur. Wie auch die Vielfalt und Diversität ein wichtiges Überlebenskonzept der Natur sind. Unser Bewusstsein ist etwas Wunderbares, aber aus meiner Sicht so vorübergehend, wie ein Lidschlag. Wir sollten uns nicht wehren. Die Philosophie bietet da sehr viel mehr Ansatzpunkte, ist offen für die abstrusesten Denkansätze ohne sie sofort zu verurteilen oder zu verteufeln. Vieles ist sicher Kopf, einiges scheint auch sehr individuell geprägt zu sein. Wer einen schlüssigen Gedanken oder auch einen tiefen Glauben für sich selbst gefunden hat, dem sei das unbedingt vergönnt. Denn auch dort liegen sehr wichtige Rückzugswelten! Man darf es also niemandem nehmen. Ich, für mich wohlgemerkt, bleibe wohl auch weiterhin eine nihilistische Seele. Aber mit großem Interesse am Untergang. Der interessierte Beobachter auf einem Hügel bei Picknick mit Gebäck zum Tee.
Ich habe Träume, Gedankenwelten, Realität schon von Kindesbeinen an gleichgesetzt. Vielleicht hatte ich keine andere Wahl. Es gibt für mich mehr Energetisches, als nur Materie und das, was wir in plastischer Form sehen, wahrnehmen oder messen können. Als Kind hätte ich das nicht benennen können. Ich hatte nur immerzu den Wunsch, zu den Sternen zurückzukehren. Es spielt vielleicht kaum eine Rolle, ob man Dinge in dieser Welt erlebt oder in einer anderen - oder in einem Traum. Ohnehin scheinen verschiedene Leute unterschiedliche Realitäten wahrzunehmen. Auch das Bild von sich selbst ist dabei nicht selten um 180 Grad verdreht. Selbstreflexion und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst bleiben aber die Grundlage für Weiterentwicklung. Doch diese Art von Aufrichtigkeit, dieser Blick in den Spiegel, ist selten zu finden.
Einflüsse aus anderen Kunstformen
Es lassen sich sicher viele Anlehnungen und Hinweise auf solche Quellen finden. Die direkte Quelle ist wohl meine eigene Gedankenbibliothek. Wobei diese natürlich ganz klar vielen Einflüssen unterliegt, meist aus der Literatur. Ich mag weiterhin antike und klassische Werke. Oder Sachen aus dem 19. Jahrhundert. Technik hat alles nur beschleunigt, aber nicht verbessert. Deswegen möchte ich die Neuzeit weitestgehend ausblenden. Außerdem mag ich die alte Sprache. Es sei denn ich lese zwischendurch etwas zur Zerstreuung, dann ist alles erlaubt. Ansonsten suche ich gerne Ursprünge und Originale, statt moderner Kopien alter Gedanken und Geschichten. Die Bilder, die Bücher in mir hervorrufen, sind auch weitaus größer, als die von Filmen. Obwohl ich auch da komplett wegtreten kann. Fantasie ist einfach grenzenlos, oder? Wenn mir Bilder daraus gefallen, fließen sie bewusst oder unterbewusst ein. Man muss sich auch bewusst machen, dass in dieser Welt kaum etwas wirklich Neues aus sich selbst heraus entstehen kann. Dinge bauen wohl immer aufeinander auf. Oder entstehen durch neue Verschmelzungen. Ob in der Wissenschaft oder Kunst. Es kann sehr erfüllend sein, wenn man sich gegenseitig inspiriert und mitnimmt. Auch, weil man dadurch erfährt, was andere in den Sachen überhaupt sehen. Ansonsten ist es generell wohl so, dass bei der Betrachtung von Kunst immer auch die eigenen, sehr persönlichen Erfahrungen eine erhebliche Rolle spielen.
Die Bedeutung von Artworks
Die Artworks sind anfangs durch Texte oder Stimmungen inspiriert, bilden sie aber nicht unbedingt 1:1 ab. Eher zeigen sie bereits eine parallele Bewegung, vermischen alles mit neuen Aspekten, die sich einfach ergeben. Ganz ähnlich, wie beim Musikmachen. Man findet immer eine schöne Verbindung, wenn man scheinbar unabhängige Dinge zusammenfügt. Vielleicht leitet einen das Unterbewusstsein dabei an? Sowas finde ich faszinierend. So würde ich mir auch ein Video vorstellen, wenn ich denn die Möglichkeiten dafür hätte. Das Artwork zu den „Grüßen“ ist deswegen auch eine Überlagerung diverser Fotos von Dingen, die wir gerade in unserem Umfeld haben. Eine alte Standuhr aus der Bibliothek, eine Taschenuhr, der Nachthimmel über den Bäumen, wenn man aus den Fenstern sieht. Ich lehne es ohnehin ab, zu sagen (oder zu denken), ein Artwork muss jetzt dies und jenes abbilden. Ich lehne sowas auch als Lebenskonzept komplett ab. Wir brauchen Platz zum Atmen. Dann kann etwas entstehen, was uns wiederum zu überraschen vermag. Und was unsere eingeschränkten und einschränkenden Erwartungen dann auch nicht selten übertrifft.