Statin-induzierte Polyneuropathie: Ursachen, Risiken und Management

Statine sind weit verbreitete Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels und zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Obwohl sie im Allgemeinen gut verträglich sind, können sie in seltenen Fällen eine periphere Polyneuropathie verursachen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Risiken und das Management der Statin-induzierten Polyneuropathie.

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist eine Erkrankung, die mehrere periphere Nerven betrifft. Sie kann sich durch verschiedene Symptome äußern, darunter Taubheitsgefühl, Kribbeln, brennende Schmerzen, Muskelschwäche und Koordinationsstörungen, meist in den Extremitäten. Polyneuropathien können verschiedene Ursachen haben, darunter Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, genetische Faktoren, Vitaminmangel oder -überschuss, Toxine, Autoimmunerkrankungen und Medikamente.

Statine und Polyneuropathie: Ein möglicher Zusammenhang

Statine, auch HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren genannt, werden häufig zur Behandlung von Hypercholesterinämie eingesetzt. Sie wirken, indem sie ein Enzym blockieren, das für die Cholesterinproduktion in der Leber notwendig ist. Obwohl Statine im Allgemeinen als sicher gelten, gibt es Berichte über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Statinen und der Entwicklung einer peripheren Polyneuropathie.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) wies bereits 2006 auf den Fall einer Patientin hin, bei der nach der Einnahme von Simvastatin Muskelzuckungen in den Extremitäten auftraten. Nach Absetzen des Medikaments verschwanden die Symptome, kehrten aber nach erneuter Einnahme von Atorvastatin zurück. In einigen Fällen können die Symptome auch nach dem Absetzen des Statins persistieren.

In den Fachinformationen von Statinen werden periphere Polyneuropathien als seltene bis sehr seltene Nebenwirkung genannt. Sie manifestieren sich meist an den unteren Extremitäten, können sich aber auch in Form von Taubheitsgefühlen, brennenden Missempfindungen oder Muskelschwäche äußern.

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Epidemiologische Daten und Risikobewertung

Die verfügbaren epidemiologischen Daten zum Zusammenhang zwischen Statinen und Polyneuropathie sind nicht eindeutig. Einige Studien haben ein erhöhtes Risiko für Polyneuropathie bei Statin-Anwendern festgestellt, während andere keinen solchen Zusammenhang gefunden haben.

Eine italienische Studie aus dem Jahr 2015 ergab ein um 19 % erhöhtes Polyneuropathierisiko bei Patienten, die mit Simvastatin, Pravastatin oder Fluvastatin behandelt wurden. Eine dänische Fall-Kontroll-Studie aus dem Jahr 2002 zeigte ein deutlich erhöhtes relatives Risiko für periphere Neuropathie bei Statin-Anwendern, insbesondere bei längerer Einnahmedauer.

Eine neuere Studie aus den Niederlanden aus dem Jahr 2019 fand jedoch heraus, dass Patienten mit Polyneuropathie signifikant seltener Statine eingenommen hatten als gesunde Kontrollen. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017, die Daten von über 3000 Patienten analysierte, ergab ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Statinen und einem erhöhten Risiko für Polyneuropathie.

Es ist wichtig zu beachten, dass die absolute Inzidenz der Statin-induzierten Polyneuropathie wahrscheinlich gering ist. Schätzungen zufolge tritt bei etwa 14.000 Patienten, die ein Jahr lang mit Statinen behandelt werden, ein zusätzlicher Fall von Polyneuropathie auf. Dieses geringe Risiko muss gegen den nachgewiesenen kardioprotektiven Nutzen der Statine abgewogen werden.

Mögliche Ursachen und Mechanismen

Die genauen Mechanismen, die der Statin-induzierten Polyneuropathie zugrunde liegen, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt verschiedene Hypothesen, die mögliche Ursachen erklären könnten:

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  • Cholesterolmangel in Nervenzellen: Statine hemmen die Cholesterinsynthese, was zu einem Mangel an Cholesterin in den Nervenzellen führen könnte. Cholesterin ist ein wichtiger Bestandteil der Zellmembranen und spielt eine Rolle bei der Nervenfunktion.
  • Beeinträchtigung der Ubiquinon-(Coenzym Q10-)Synthese: Statine können auch die Synthese von Coenzym Q10 beeinträchtigen, einem wichtigen Antioxidans und Energieträger in den Zellen. Ein Mangel an Coenzym Q10 könnte die Energieversorgung der Nervenzellen stören und zu Schäden führen.
  • Gesteigerte Apoptose: Einige Forscher vermuten, dass Statine die Apoptose (programmierter Zelltod) von Nervenzellen fördern könnten.
  • Störung des Fettsäure-Stoffwechsels: Studien haben gezeigt, dass Statine den Fettsäure-Stoffwechsel in Muskelzellen beeinflussen und die Produktion von Eicosanoiden drosseln können. Eicosanoide sind Signalmoleküle, die an verschiedenen biologischen Prozessen beteiligt sind, darunter die Entwicklung von Muskelzellen und die Schmerzentstehung.

Diagnosestellung und Differenzialdiagnose

Die Diagnose einer Statin-induzierten Polyneuropathie erfordert eine sorgfältige Anamnese, eine neurologische Untersuchung und gegebenenfalls weitere diagnostische Tests, um andere mögliche Ursachen der Polyneuropathie auszuschließen.

Es ist wichtig, andere häufige Ursachen von Polyneuropathie wie Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, Vitaminmangel und andere Medikamente in Betracht zu ziehen. Bei Diabetikern, die Statine einnehmen, kann es schwierig sein, zwischen einer diabetischen Neuropathie und einer Statin-induzierten Polyneuropathie zu unterscheiden.

Behandlung und Management

Die wichtigste Maßnahme bei Verdacht auf eine Statin-induzierte Polyneuropathie ist das Absetzen des Statins. In den meisten Fällen bessern sich die Symptome nach dem Absetzen des Medikaments innerhalb von Tagen bis Wochen. In einigen Fällen können die Symptome jedoch persistieren oder irreversibel sein.

Weitere Behandlungsoptionen können je nach Schweregrad der Symptome und den individuellen Bedürfnissen des Patienten in Betracht gezogen werden:

  • Schmerzmittel: Bei Schmerzen können Schmerzmittel wie nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Opioide oder Antikonvulsiva eingesetzt werden.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft und Koordination zu verbessern.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann Patienten helfen, ihre täglichen Aktivitäten trotz der Polyneuropathie auszuführen.
  • Nahrungsergänzungsmittel: Einige Studien deuten darauf hin, dass die Einnahme von Coenzym Q10 oder Omega-3-Fettsäuren die Symptome der Statin-induzierten Myopathie (Muskelschmerzen) lindern kann. Es ist jedoch unklar, ob diese Nahrungsergänzungsmittel auch bei Polyneuropathie wirksam sind.

Alternativen zu Statinen

Für Patienten, bei denen Statine aufgrund von Nebenwirkungen wie Polyneuropathie nicht vertragen werden, stehen alternative lipidsenkende Medikamente zur Verfügung. Dazu gehören:

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  • Ezetimib: Ezetimib hemmt die Aufnahme von Cholesterin im Darm und kann in Kombination mit Statinen oder als Monotherapie eingesetzt werden.
  • PCSK9-Hemmer: PCSK9-Hemmer sind eine neuere Klasse von Medikamenten, die die Wirkung eines Proteins namens PCSK9 blockieren. PCSK9 führt normalerweise zum Abbau von LDL-Rezeptoren in der Leber. Durch die Blockierung von PCSK9 erhöhen diese Medikamente die Anzahl der LDL-Rezeptoren und senken so den LDL-Cholesterinspiegel im Blut. PCSK9-Hemmer werden in der Regel als Injektion verabreicht.
  • Fibrate: Fibrate senken in erster Linie die Triglyceridwerte im Blut, können aber auch den HDL-Cholesterinspiegel erhöhen und den LDL-Cholesterinspiegel senken.

Prävention und Risikomanagement

Obwohl die Statin-induzierte Polyneuropathie selten ist, sollten Ärzte und Patienten sich des potenziellen Risikos bewusst sein. Folgende Maßnahmen können dazu beitragen, das Risiko zu minimieren:

  • Sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung: Vor der Verordnung von Statinen sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen, insbesondere bei Patienten mit bereits bestehenden Risikofaktoren für Polyneuropathie wie Diabetes mellitus oder Alkoholmissbrauch.
  • Niedrigstmögliche Dosis: Es sollte die niedrigstmögliche Dosis von Statinen verwendet werden, die zur Erreichung der gewünschten Cholesterinwerte erforderlich ist.
  • Aufklärung der Patienten: Patienten sollten über die möglichen Nebenwirkungen von Statinen, einschließlich Polyneuropathie, aufgeklärt werden. Sie sollten angewiesen werden, ihren Arzt zu informieren, wenn sie neue oder ungewöhnliche Symptome entwickeln.
  • Regelmäßige Überwachung: Bei Patienten, die Statine einnehmen, sollten regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.
  • Vermeidung von Wechselwirkungen: Die gleichzeitige Einnahme von Statinen mit anderen Medikamenten oder Lebensmitteln, die zu Wechselwirkungen führen können, sollte vermieden werden.

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