Eine neurologische Untersuchung ist ein entscheidendes Instrument zur Erkennung von Erkrankungen des Nervensystems. Sie dient dazu, ein breites Spektrum an Krankheiten zu identifizieren, darunter Schlaganfall, Parkinson, chronische Migräne, Hirnhautentzündung, Epilepsie oder Multiple Sklerose. Diese Erkrankungen können sich auf vielfältige Weise äußern, beispielsweise durch Lähmungserscheinungen, Schwindel, Sprachprobleme, Muskelschwäche, Empfindungsstörungen oder Verwirrtheit.
Einführung in die Neurologische Untersuchung
Die neurologische Untersuchung ist ein diagnostisches Verfahren, das von Neurologen eingesetzt wird, um den Zustand des Nervensystems eines Patienten zu beurteilen. Da das Nervensystem nahezu alle Körperfunktionen steuert, von der Atmung über die Muskelbewegungen bis hin zu Verdauung und Tastsinn, ist eine umfassende neurologische Untersuchung von großer Bedeutung. Sie kann zeitaufwendig sein, folgt aber einem klaren Ablauf, um systematisch alle relevanten Bereiche zu prüfen.
Ablauf einer Neurologischen Untersuchung
Eine neurologische Untersuchung beginnt immer mit einem ausführlichen Gespräch, der sogenannten Anamnese. Hierbei erfragt der Arzt die aktuellen Beschwerden, die Krankengeschichte und eventuelle Vorerkrankungen des Patienten. Anschließend wird der Patient auf äußere Anzeichen einer Erkrankung untersucht, wie z.B. die Art zu gehen, die Körperhaltung, das Gleichgewicht oder Bewegungseinschränkungen. Eine kurze körperliche Untersuchung, bei der Lunge und Herz abgehört und der Puls gemessen werden, schließt sich an.
Es folgen verschiedene Tests, deren Umfang und Ablauf vom vermuteten Krankheitsbild abhängen. Grundsätzlich können alle Bereiche des Körpers neurologisch untersucht werden, die von Nervenkrankheiten betroffen sein können, vom Gehirn bis zum Beinmuskel. Wenn ein Patient nicht in der Lage ist, Fragen zu beantworten oder aktiv an den Tests teilzunehmen, können Angehörige oder nahestehende Personen helfen.
Untersuchung der Hirnnerven
Jeder Mensch besitzt zwölf Hirnnerven, die eine wichtige Rolle bei der Steuerung verschiedener Funktionen spielen. Sie steuern beispielsweise die Muskeln der Augen, des Kiefers oder der Zunge. Darüber hinaus gibt es je einen Riech-, Seh-, Hör- und Gleichgewichtsnerv. Beeinträchtigungen dieser Nerven können auf eine Nervenerkrankung hindeuten und werden daher gezielt untersucht.
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- Geruchssinn: Der Geruchssinn wird mit verschiedenen Duftstoffen getestet, wie z.B. Kaffee, Vanille, Zimt oder Seife. Der Patient muss den Duftstoff von einer Leerprobe unterscheiden.
- Sehvermögen: Das Sehvermögen wird mit Lesetafeln oder durch Erkennen von Zeichen überprüft. Auch das Gesichtsfeld kann mit einem Fingertest untersucht werden.
- Gesichtsnerv: Durch Naserümpfen oder Zähneblecken wird der Gesichtsnerv überprüft.
Untersuchung der Motorik und Koordination
Die allgemeine Beweglichkeit, Feinmotorik und Koordination sind weitere wichtige Untersuchungsbereiche. Hierbei wird geprüft, wie gut der Patient Arme und Beine bewegen, Knopfverschlüsse öffnen oder schreiben kann. Auch die Fähigkeit, sich sicher um die eigene Achse zu drehen oder mit geschlossenen Augen einen Finger zur Nase zu führen, wird getestet.
Untersuchung der Sensibilität
Um festzustellen, ob das Schmerz- und Berührungsempfinden gestört ist, verwendet der Arzt meist einen weichen Stoff und eine Nadel. Auch Sprach- und Rechentests sowie Fragen und Tests zur Merkfähigkeit und Orientierung gehören zu diesem Bereich.
Detaillierte Untersuchung einzelner Bereiche
Um eine möglichst flüssige und strukturierte Untersuchung zu gewährleisten, folgt die neurologische Untersuchung dem Prinzip „von Kopf bis Fuß“. Die Reihenfolge der Untersuchungen ist jedoch flexibel und kann an die spezifischen Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. In der klinischen Praxis wird die neurologische Untersuchung oft durch eine internistische Untersuchung ergänzt.
Bewusstsein und Orientierung
Die Beurteilung des Bewusstseins und der Orientierung ist ein wichtiger Bestandteil der neurologischen Untersuchung. Hierbei wird die Wachheit (Vigilanz) des Patienten überprüft, indem man ihn laut anspricht und seine Reaktion beurteilt. Es können verschiedene Bewusstseinszustände unterschieden werden:
- Wach: Spontane Reaktion, auch ohne Ansprache
- Somnolent: Abnorme Schläfrigkeit, aber gut erweckbar auf Ansprache oder Weckreiz
- Soporös: Tief schlafender Patient, nur durch starke äußere Reize oder Schmerzreize erweckbar
- Komatös: Nicht erweckbarer Patient, keine Reaktion auf Schmerzreize
Auch qualitative Bewusstseinsstörungen, wie Bewusstseinstrübung, Bewusstseinseinengung oder Bewusstseinsverschiebung, werden beurteilt.
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Sprache
Die Sprache des Patienten wird während der Anamnese und der neurologischen Untersuchung grob beurteilt. Dabei werden folgende sprachlichen Funktionen untersucht:
- Spontane Sprachproduktion/Redefluss: Beurteilung von Sprachmelodie, Geschwindigkeit, Grammatik etc.
- Sprachverständnis: Aufforderung zu einer bestimmten Aufgabe, z.B. einen Stift aufheben.
- Nachsprechen: Aufforderung, einen bestimmten Satz nachzusprechen.
- Benennen: Aufforderung, bestimmte alltägliche Gegenstände zu benennen.
- Untersuchung der Aussprache: Ggf. Zungenbrecher nachsprechen lassen, um eine Sprechstörung (Dysarthrie) aufzudecken.
Es ist wichtig, zwischen einer Sprachstörung (Aphasie) und einer Sprechstörung (Dysarthrie) zu unterscheiden. Eine Aphasie ist eine Beeinträchtigung der Sprachproduktion und/oder des Sprachverständnisses durch Schädigung der entsprechenden Hirnareale. Eine Dysarthrie hingegen beschreibt eine Beeinträchtigung der motorischen Fähigkeiten zur Artikulation und Aussprache von Wörtern und Sätzen.
Nervendehnungszeichen
Durch verschiedene Tests und Bewegungen wird eine Dehnung der Nervenbahnen und Hirnhäute ausgelöst. Schmerzen oder eine reaktive, muskuläre Anspannung als Reaktion auf die Bewegungen können auf eine Reizung der Hirnhäute bei Entzündungen oder eine Nervenwurzelreizung hinweisen.
Motorik
Die Untersuchung der Motorik umfasst eine strukturierte Beurteilung von:
- Inspektion: Muskelrelief, Muskeltrophik, Faszikulationen, spontane Myoklonien
- Muskeltonus: Prüfung durch passives Bewegen der Extremitäten
- Aktive Muskelkraft: Einzelkraftprüfung und Halteversuche
- Extrapyramidalmotorik: Beurteilung von Tremor, Bradykinese, Hypokinese und Hyperkinese
Der Muskeltonus wird durch passives Durchbewegen der einzelnen Gelenke und Muskeln beurteilt. Eine Erhöhung des Muskeltonus kann auf verschiedene Erkrankungen hindeuten, wobei es wichtig ist, eine Spastik von einem Rigor zu unterscheiden.
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Die Muskelkraft wird orientierend durch beidseitigen Händedruck und Halteversuche geprüft. Pathologische Halteversuche geben Hinweise auf eine zentrale Parese. Bei Verdacht auf periphere Nervenläsionen oder neuromuskuläre Erkrankungen erfolgt eine Einzelkraftprüfung einzelner Muskeln.
Die Extrapyramidalmotorik wird vor allem bei Verdacht auf Morbus Parkinson oder andere Bewegungsstörungen ausführlich untersucht. Hierbei werden Tremor, Bradykinese, Hypokinese und Hyperkinese beurteilt.
Reflexe
Die neurologische Untersuchung beinhaltet auch die Prüfung der Reflexe. Mit Hilfe eines Reflexhammers testet der Arzt die sogenannten Muskeleigenreflexe, wie z.B. den Bizepssehnenreflex, den Trizepssehnenreflex, den Radiusperiostreflex und den Patellarsehnenreflex. Auch Fremdreflexe und Primitivreflexe werden getestet.
Koordination
Koordination ist die Zusammenfassung von einzelnen Innervationen zu geordneten, fein dosierten oder zielgerichteten Bewegungen. Die Koordination wird mit dem Finger-Nase-Versuch und dem Knie-Hacke-Versuch geprüft. Auch die Feinmotorik, insbesondere die Diadochokinese, wird untersucht.
Sensibilität
Die Sensibilität wird mit verschiedenen Methoden geprüft, wie z.B. Berührungsempfindung mit einem Wattestäbchen, Lageempfindung in Gelenken, Erkennen von auf die Haut geschriebenen Zahlen und Vibrationsempfindung. Auch die Temperatur- und Schmerzempfindung werden geprüft.
Stand- und Gangprüfungen
Zum Nachweis von Störungen des Vestibularapparates (und anderer Formen von Gleichgewichtsstörungen) dienen verschiedene Stand- und Gangprüfungen. Hierzu gehören der Romberg-Versuch und der Einbeinstand.
Hilfsmittel
Für eine neurologische Untersuchung werden verschiedene Hilfsmittel benötigt, darunter:
- Reflexhammer
- Pupillenleuchte
- Stimmgabel
- Holzspatel
- Wattestäbchen
- Frenzel-Brille
Orientierende Neurologische Untersuchung
Bei geringem Verdacht auf eine neurologische Erkrankung oder im Rahmen einer allgemeinen körperlichen Untersuchung kann eine orientierende neurologische Untersuchung ausreichen. Ziel ist es, einen Überblick über die wichtigsten Funktionssysteme zu erhalten und mögliche Warnsignale zu erfassen. Es werden nur die wichtigsten Schritte der neurologischen Untersuchung durchgeführt. Je nach vorliegender Symptomatik kann die Untersuchung um weitere Methoden ergänzt werden.
Bedeutung von Scoring-Systemen
Bestimmte Scoring-Systeme sind ein beliebtes Werkzeug für die Diagnostik neurologischer Erkrankungen. Beispiele hierfür sind die Glasgow Coma Scale (GCS) zur Bewusstseinseinschätzung, die National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) bei Verdacht auf Schlaganfall, die Hunt and Hess Scale bei Verdacht auf Subarachnoidalblutung, Mini-Mental-Tests bei Verdacht auf Demenz und der Besinger-Score bei Myasthenia gravis.
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