Österreichische Schlaganfall Gesellschaft: Aktuelle Herausforderungen und Versorgungsstrukturen

Jährlich erleiden in Österreich rund 20.000 Menschen einen Schlaganfall. In der Akutbehandlung ist jede Minute entscheidend. Die Wiederherstellung des Blutflusses im betroffenen Gefäß im Gehirn ist das Ziel einer optimalen Behandlung beim ischämischen Schlaganfall mit einem Gerinnsel. Eine Studie des österreichischen Stroke-Unit-Registers belegt, dass bei bestimmten schweren Schlaganfällen der Erfolg der modernsten Therapie auch von der Tageszeit abhängig ist. Während der Kernarbeitszeit von Kliniken ist das Ergebnis besser, da an den Tagesrandzeiten mehr Zeit bis zur Behandlung vergeht.

Die Säulen der Schlaganfallakutversorgung

In der Schlaganfallakutversorgung gibt es derzeit drei Behandlungssäulen, die in vielen Ländern bereits langjährig gelebte Routine sind:

  1. Stroke-Unit-Behandlung: Sie begann vor Jahrzehnten.
  2. i.v. Thrombolyse: Die intravenöse Thrombolyse von Gehirngefäßverschlüssen innerhalb eines Zeitfensters von 4,5 Stunden folgte als nächste Säule.
  3. Endovaskuläre Thrombektomie: Zuletzt kam 2016 die Rekanalisation durch endovaskuläre Thrombektomie bei ausgewählten Patienten hinzu.

Das vorrangige Behandlungsprinzip beim Schlaganfall lautet unverändert „time is brain“; ein Behandlungserfolg setzt also voraus, dass alle Teile der Behandlungskette kompetent und gut organisiert sind. Als Behandlungserfolg wird dabei ein Überleben ohne funktionell relevante Behinderung (modified RANKIN Scale 0-2 auf einer 7-stufigen Skala) definiert.

Besonderheiten der Schlaganfallversorgung in Österreich

In Österreich wurde bereits 1997 mit Etablierung der LKF-Krankenhaus-Abrechnung dem prozesshaften Verlauf des Schlaganfallmanagements Rechnung getragen. Für die Frührehabilitation nach einem Schlaganfall im Krankenhaus wurden bereits 1997 Struktur- und Prozessqualitätskriterien definiert, ohne deren Erfüllung keine Abrechnung erfolgen kann. Ebenso gibt es mit 38 Stroke Units und mehreren regionalen Interventionszentren ein dichtes stationäres Versorgungsnetz für die österreichische Bevölkerung von >8 Mio. Einwohnern. Auch der Bereich der Schlaganfallrehabilitation außerhalb des LKF-Systems ist national gut ausgebaut, an diversen Schnittstellen findet sich jedoch immer wieder Adaptationsbedarf.

Das österreichische Stroke-Unit-Register (ASUR)

Das österreichische Stroke-Unit-Register (ASUR=Austrian Stroke Unit Registry) besteht seit 2005 und wird von der Gesundheit Österreich GmbH im Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen als nationales webbasiertes Qualitätsregister geführt. In Zusammenarbeit mit der ÖGSF (Österreichische Gesellschaft für Schlaganfallforschung) haben sich alle Stroke-Unit-Betreiber in Österreich geeinigt, einen umfangreichen Datensatz für jeden Schlaganfallpatienten, der an einer Stroke Unit behandelt wird, einzugeben. Eine Datenerfassung erfolgt bei Aufnahme und Entlassung aus der Stroke Unit sowie bei einem ambulanten Nachsorgetermin etwa 3 Monate nach dem Ereignis. Jedes Jahr werden mehr als 15000 Datensätze eingegeben. Es erfolgt ein automatisiertes Benchmarking für jede Stroke Unit, wobei jährlich die eigenen Ergebnisse mit denen aller anderen Stroke Units verglichen werden. So kann man bei wesentlichen Qualitätsparametern (z.B. Lyse-Rate bei ausgewählten Patienten: Anteil der Pat. <80 Jahren mit zerebraler Ischämie und definiertem Schweregrad, die im Zeitfenster das Krankenhaus erreichen) etwa das eigene Leistungsvolumen mit dem anderer Stroke Units in Beziehung stellen und eventuell notwendige Organisationsänderungen veranlassen.

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Diese Daten sind auch datenschutzkonform pseudonymisiert und mit dem österreichischen Sterberegister verknüpft, sodass Patientenkarrieren nachverfolgt werden können. Neben der Qualitätsüberprüfung individueller Stroke Units können somit auch nationale Trends in der Akutversorgung von Schlaganfällen über die Jahre belegt werden. Diese Datenbasis unterstützt also die Gesundheitsplanung wesentlich.

Ziele der European Stroke Organisation (ESO)

Entsprechend den Zielen der ESO (European Stroke Organisation) sollen in Europa bis 2030 etwa 90% aller Schlaganfallpatienten auf Stroke Units behandelt werden. Gleichzeitig soll durch konsequente vaskuläre Präventionsmaßnahmen die Inzidenz von Schlaganfällen um 10% gesenkt werden. Jedes europäische Land sollte einen „Schlaganfallbehandlungspfad“ definieren, um den oben erwähnten vielgliedrigen Versorgungsprozess nachhaltig zu standardisieren.

A-IQI (Austrian Inpatient Quality Index)

Seit 2013 gibt es parallel zum GÖG-Stroke-Register auch die nationale Qualitätsstrategie des A-IQI (Austrian Inpatient Quality Index) über das Bundesministerium für Gesundheit. Hier wird unter Nutzung von LKF-Routine-Entlassungsdaten ein Vergleich zwischen verschiedenen Spitälern bei vordefinierten Krankheitsbildern über festgelegte Indikatoren generiert. Auch der Schlaganfall in all seinen Facetten ist wegen seiner Häufigkeit und finanziellen Auswirkungen eines dieser Schlüsselkrankheitsbilder. Konkret werden zum Schlaganfall mehrere ICD-10-Diagnosen seit 2013 mit dieser Methodik monitiert (Tab. 1). Da ursprünglich maximal 60% all dieser Patienten an Stroke Units aufgenommen waren, wurde mit 2018 die Dokumentationspflicht auf alle Abteilungen, die solche Patienten behandeln, ausgedehnt. Nun gibt es durch Übermittlung eines „LKF basic dataset“ für alle Schlaganfälle, die in Österreich stationär behandelt werden, eine Datenbank aus Abrechnungsdaten im Bundesministerium. Mithilfe eines Ampelsystems und des Vergleichs mit deutschen Krankenhausdaten werden ganze Spitäler im Behandlungsprozess dargestellt. Die Leistungen einzelner Abteilungen sind dabei unerheblich.

Prähospitale Schlaganfallversorgung

Mit der zunehmenden Spezialisierung der Spitäler kann nicht mehr jedes Krankenhaus die volle Palette der Schlaganfallakuttherapie anbieten. Gleichzeitig kann nicht jeder Schlaganfallpatient direkt in ein „comprehensive stroke center“, in dem das komplette Behandlungsspektrum im 24/7-Modus verfügbar ist, gebracht werden. Ob also der jeweilige Patient nun eine Stroke Unit, eine endovaskuläre Thrombektomie oder eine Neurochirurgie benötigen wird, muss bis zu einem gewissen Ausmaß rasch PRÄHOSPITAL entschieden werden. Das klinische Bild eines Schlaganfalles jedoch kann durch viele Ursachen bedingt sein - Ischämie, Blutung, Sinusvenenthrombose, postiktal, Migräne mit Aura und seltenere Ätiologien. Deshalb ist zwar die klinische Einschätzung des Schweregrades durch einen prähospitalen Score anhand der Symptome wertvoll, aber ohne akute zerebrale Bildgebung relativ unspezifisch.

Prähospitale Schlaganfall-Scores

International wurden mehrere prähospitale Schlaganfall-Scores entwickelt (z.B. FAST, RACE), um den Rettungssanitätern die Früherkennung des Schlaganfalles zu erleichtern und den zeitkritischen Zutransport in eine passende Stroke Unit zu sichern. Diese Scores zeigen eine gewisse Sensitivität, aber geringe Spezifität für die Ätiologie des klinischen Syndroms und sind somit in Zeiten des wachsenden Therapiespektrums nicht ausreichend für die Festlegung des passenden Behandlungsortes eines Patienten.

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Mobile Stroke Units (MSU)

Deshalb wurde vor mehr als 10 Jahren in Deutschland das neue Konzept einer „mobilen Stroke Unit (MSU)“ für Großstädte entwickelt. In einem umgebauten LKW kommen medizinisches Personal (Rettungssanitäter, Neurologe als Notarzt), Bildgebung und Labor direkt zum Patienten. Solche MSU gibt es mittlerweile international in mehr als 20 Städten weltweit. Die meiste Evidenz gibt es aus Berlin, wo nicht nur die maximale Treffsicherheit dieser modernen Form der prähospitalen Triage gezeigt wurde, sondern auch ein Behandlungsvorteil der MSU-zutransportierten Patienten im Vergleich mit der Standardtherapie. Bei der virtuellen ESO-WSO-Tagung im November 2020 wurden auch vielversprechende Daten der MSU-Behandlung aus Melbourne/Australien gezeigt, wo eine Verkürzung der Behandlungszeiten sowohl für die systemische Thrombolyse als auch für die endovaskuläre Thrombektomie belegt werden konnte.

Endovaskuläre mechanische Thrombektomie

Seit 2016 ist die endovaskuläre mechanische Thrombektomie von akuten Verschlüssen der vorderen Zirkulation eine Standardbehandlung, weil bei richtiger Patientenselektion das Behandlungsergebnis erheblich besser ausfällt als bei der Kombination von systemischer Thrombolyse mit Stroke-Unit-Behandlung. Es handelt sich mit einer „number needed to treat“ von 2,6 um eine der effektivsten Therapien überhaupt (HERMES-Collaborators-Metaanalyse, 2016). Dennoch sind Zeitfenster, Reihenfolge der Behandlung und auch Fragen der verwendeten Devices bzw. Auch die Organisationsformen der Zuweisung in das Interventionszentrum werden oft durch historische, geografische und regionale Gegebenheiten bestimmt. Es gibt das „Mothership“- und das „Drip-and-ship“-Konzept, aber keine „One size fits all“-Regel für alle Regionen. Essenziell für eine gute Qualität dieser spitzenmedizinischen Leistung sind laut AHA Ausbildung, Standardisierung, Erarbeitung gemeinsamer Behandlungsprotokolle und Monitierung der Ergebnisqualität. In Katalonien wurde soeben eine große randomisierte klinische Studie zum Vergleich der beiden erwähnten Versorgungskonzepte beim akuten zerebralen Großgefäßverschluss fertiggestellt. Die dortige Versorgungslandschaft umfasst 28 Stroke Units und 6 Thrombektomie-Zentren und ist etwa vergleichbar mit Österreich. Bei insgesamt 1401 Patienten mit schwerem klinischem Schlaganfallsyndrom (RACECAT; Oral Presentation, virtual ESOC-WSO 2020) wurden für „drip-and-ship“ im Vergleich zu „mothership“ die gleiche Wirksamkeit und Sicherheit dokumentiert. Die Behandlungserfolge drei Monate nach dem Schlaganfall waren in beiden Gruppen gleich. Ein anderes Konzept für die Durchführung der endovaskulären Thrombektomie ist das „Drip-and-drive“-Prinzip, das in Hamburg erprobt wird.

Herausforderungen und Perspektiven in der Post-Akut-Phase

Die nicht unerhebliche Rezidivgefahr, besonders in den ersten Wochen „post-stroke“, und auch das enorme Demenzrisiko nach Schlaganfall sind wesentliche Gründe für die Empfehlung der strikten Einstellung aller vaskulären Risikofaktoren nach einem Schlaganfall. Dennoch müssen Risikofaktoren nach einem Schlaganfall oft erst detektiert (z.B. paroxysmales Vorhofflimmern in ca. 30% aller Schlaganfallpatienten) und dann behandelt werden. Auch die permanente Abstinenz nach Entwöhnung bei Nikotinabusus (ebenso bei >30% aller Schlaganfallpatienten) stellt eine große Herausforderung in der „Post-stroke“-Phase dar.

Spitalsträger in Österreich versuchen zunehmend, stationäre Behandlungskosten der Rehabilitation in den LKF-externen Bereich auszulagern. Dem steht der oben ausgeführte duale Behandlungsbedarf der meist schwer kranken Schlaganfallpatienten gegenüber, die ohne die Rehabilitationsbetten in den Akutspitälern kaum fit für Rehabilitationszentren werden. Hier müssen Fachgesellschaften und medizinische Führungskräfte laufend in diversen Gremien Bewusstsein für die realen medizinischen Bedürfnisse von Schlaganfallpatienten schaffen.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie

Die seit fast einem Jahr neue weltweite Herausforderung für den gesamten Schlaganfallversorgungsprozess hat alle Beteiligten vor neue Fragen gestellt. Ärzte sind mit einer Flut von Publikationen konfrontiert, bei denen die Möglichkeit der Verallgemeinerung der Beobachtungen oft zweifelhaft bleibt. Jedenfalls scheint in der „ersten Welle“ im Frühjahr 2020 die Anzahl der akuten Schlaganfallpatienten vielerorts reduziert gewesen zu sein, sei es, weil es weniger Ereignisse im Lockdown gab oder weil die Patienten das Spital nicht erreichten. Ebenso zeigte sich, dass gut organisierte und bewährte Gesundheitssysteme den vielfältigen Belastungen standhielten und die Versorgung der akuten Schlaganfallpatienten besser gewährleisten konnten als weniger stabile Versorgungssysteme. Dennoch bleibt durch die prolongierte Pandemie-Situation die Notwendigkeit der Sicherung der fachspezifischen Schlaganfallbehandlung nach State of the Art für die Patienten bei gleichzeitig gefordertem Mitarbeiterschutz und Ressourcenschonung stationärer Bettenkapazitäten eine enorme Herausforderung.

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