Parkinson und Pestizide: Ein wachsendes Problem

Bereits vor über 30 Jahren gab es erste Hinweise darauf, dass Pestizide Symptome verursachen können, die denen der Parkinson-Krankheit ähneln. Diese Beobachtungen, die zunächst an Mäusen gemacht wurden, haben seither zu intensiver Forschung geführt, um den Zusammenhang zwischen Pestizidexposition und der Entstehung von Parkinson besser zu verstehen.

Die schleichende Gefahr: Wie Pestizide Parkinson auslösen können

Die Parkinson-Krankheit entsteht durch einen langsam fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn. Im Fall der Parkinson-Krankheit sind jene Nervenzellen betroffen, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Das Absterben dieser Zellen steht am Anfang eines Prozesses, der schließlich in die Symptome der Parkinson-Krankheit mündet. Dieser Prozess kann sich über viele Jahre, sogar Jahrzehnte, hinziehen, bevor erste Symptome auftreten. Besonders gefährdet sind Landwirte und Weinbauern, die den Giftstoffen regelmäßig direkt durch Haut- und Atemwegskontakt ausgesetzt waren.

Pflanzenschutzmittel wirken über unterschiedliche Mechanismen auf den Zellstoffwechsel und können dort den Energiehaushalt und andere Zellfunktionen stören. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass Pestizide die Mitochondrien - also die Kraftwerke der Zellen - direkt im Gehirn nach und nach zerstören. Nehmen Menschen beispielsweise durch fehlende oder unzureichende Schutzkleidung regelmäßig kleine Dosen davon auf, schädigt das Gift ihre Nervenzellen. Pestizide scheinen aber auch über den Darm zu wirken, sagt Eva Schäffer. Die Neurologin vom UKSH in Kiel hat sich auf diesen Forschungsansatz spezialisiert. Pestizide könnten dort dafür sorgen, dass für uns "schlechte" Mikroorganismen die Oberhand gewinnen und einen Entzündungsprozess in Gang setzen. Zudem gibt es eine direkte Verbindung zwischen Darm und Gehirn - den Vagus-Nerv. Alpha-Synuclein, ein fehlgefaltetes Eiweiß, das sich bei fast allen Parkinson-Erkrankten findet, könnte auch auf diesem Weg das Gehirn erreichen. Aber es gebe vermutlich noch viele andere Mechanismen, so Neurologin Schäffer, die an der Ausbreitung der Krankheit beteiligt seien - etwa das Immunsystem.

Risikofaktoren und individuelle Anfälligkeit

Nicht jeder Mensch, der regelmäßig Kontakt zu Pestiziden hat, erkrankt jedoch an der Parkinson-Krankheit. Scheinbar spielen zusätzlich individuelle Faktoren wie etwa Erbanlagen eine zusätzliche Rolle. Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen dafür, dass ein häufiger Kontakt mit Pestiziden das Risiko, an Parkinson zu erkranken, verdoppelt.

Es kommt auf die Art der Pestizide, auf die Menge und die Dauer der Exposition an - also wie lange man den Pestiziden ausgesetzt ist. Dabei sind Landwirt:innen stärker belastet. Meine Forschung hat jedoch gezeigt, dass man nicht mal mit den Schadstoffen hantieren muss, um belastet zu sein. Wenn man im Umkreis von 500 Metern von gespritzten Feldern wohnt, hat man im Schnitt ein 50 bis 100 Prozent höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken. Und je nach Windrichtung besteht ein Risiko auch jenseits der 500 Meter. Wenn normalerweise zwei Prozent der Bevölkerung nach dem 60. Lebensjahr an Parkinson erkranken, sind es bei einer Belastung mit Pestiziden zwischen drei und vier Prozent.

Lesen Sie auch: Parkinson-Medikamente: Was Sie beachten müssen

Parkinson als Berufskrankheit: Ein wichtiger Schritt für Betroffene

Länder wie Italien und Frankreich haben schon vor mehr als zehn Jahren Parkinson als Berufskrankheit im landwirtschaftlichen Bereich definiert. Betroffene haben dadurch die Möglichkeit bekommen, Entschädigungsleistungen zu erhalten. Nach einer Entscheidung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundessozialministerium ist Parkinson nun auch in Deutschland als Berufskrankheit anerkannt. Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass sich Parkinson nicht als Folge einer anderen Grunderkrankung entwickelt hat und die Betroffenen mindestens 100 Tage lang mit einem Pestizid gearbeitet haben.

In einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen wird die Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit ausdrücklich begrüßt: Dadurch werde die Notwendigkeit einer ausreichenden Schutzausrüstung noch klarer.

Schutzmaßnahmen und Prävention

Zum Schutzarsenal der Arbeitsmedizin zählen das Tragen von Schutzkleidung inklusive Ganzkörperschutzanzügen, Schutzhandschuhen und festem Schuhwerk sowie die Verwendung von schützenden Kabinenfahrzeugen und Atemmasken. Hierdurch lasse sich ein Kontakt zu den Giftstoffen mit hoher Sicherheit vermeiden und entsprechend das Risiko für spätere Erkrankungen deutlich reduzieren.

Die Rolle der Forschung: Erkenntnisse und offene Fragen

Die Epidemiologin Prof. Beate Ritz berichtet im Interview, dass ein erhöhtes Parkinson-Risiko nicht nur für Landwirt:innen, die Pestizide spritzen, besteht. Kalifornien hat eine weltweit einmalige Ressource: Landwirt:innen müssen alle Pestizide, die sie spritzen, in einem staatlichen Pestizidregister auflisten. Mithilfe von Computersoftware werden diese Daten auf Landkarten sichtbar: Wir sehen genau, wer wann wo spritzt - und welche Wohnorte betroffen sind.

Die Sicherheit von Glyphosat in Bezug auf Parkinson und andere neurologische Erkrankungen könne wegen schwerwiegender Mängel in den derzeitigen Regulierungsmaßnahmen nicht sicher abgeschätzt werden. Die Forschenden betonen, dass die Parkinson-Krankheit weltweit den schnellsten Anstieg der Prävalenz von allen neurologischen Erkrankungen verzeichne und dass dieser den durch die Demografie erwartbaren Anstieg übertreffe. Die starke Zunahme führen sie zum Teil auf die Exposition gegenüber Umweltgiften, vor allem Pestiziden, zurück. Viele Pestizide führten zum Absterben nigrostriataler Nervenzellen und verursachten bei exponierten Tieren Parkinson-Symptome. »Alles in allem besteht eine große Datenlücke in Bezug auf Glyphosat und das Risiko neurologischer Erkrankungen«, schreiben die Autoren. Die bisherigen Daten ließen einen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Exposition und nigrostriatalem Zelltod und damit ein Risiko für die Parkinson-Krankheit vermuten.

Lesen Sie auch: Die Stadien der Parkinson-Krankheit erklärt

Fallbeispiel: Hubert Roßkothen

Hubert Roßkothen aus Niedertaufkirchen in Oberbayern erinnert sich an eine schwere Zeit. „Mir ging es schon viele Jahre lang nicht gut. Wegen Depressionen war ich mehrfach in der Klinik.“ Er litt unter unerklärlichen Schmerzen, war abhängig von Schmerzmitteln, hatte Schlafstörungen. „Ich fühlte mich faul und träge, und das in meinem Beruf. Als Landwirt arbeitet man 365 Tage im Jahr.“ Als Roßkothen 2020 die Diagnose Parkinson bekam, war da ein Gefühl der Erleichterung. „Endlich wusste ich, was mit mir los ist.“ Dass seine Erkrankung mit seinem Beruf zusammenhängt, auf diese Fährte brachte ihn im vergangenen Jahr ein Schreiben der bayerischen Berufsgenossenschaft für Landwirtschaft.

Landwirte, die wie Roßkothen eine gesicherte Diagnose haben und bestimmte Mittel in der Vergangenheit an jeweils mindestens 100 Tagen eingesetzt haben, können Ansprüche geltend machen.

Pestizide und ihre Wirkung auf den Körper

Es gibt Insektizide, die das Nervensystem von Lebewesen angreifen und es gibt toxische Herbizide, die unter anderem für oxidativen Stress sorgen. Leider sind unsere Gehirnzellen sehr anfällig für oxidativen Stress und werden durch diesen in ihrer Arbeit gestört. Wenn bestimmte Zellen geschädigt werden, die Dopamin produzieren, begünstigt das die Entstehung von Parkinson.

Die Rolle von Pestizidregistern

Ein Gesetz in Kalifornien schreibt seit 1974 vor, dass Farmer melden müssen, wann, wo und was sie spritzen. Diese Daten fließen in ein zentrales Register ein. In Deutschland gibt es kein solches Register. Das US-Register erwies sich für Prof. Dr. Beate Ritz als Schatzkiste für ihre Forschung. Mithilfe des Registers konnte Ritz den Zusammenhang zwischen Pestizid-Exposition und Parkinson besser erforschen.

Symptome der Parkinson-Krankheit

Charakteristisch für die Parkinson-Krankheit ist das Zittern, der sogenannte Tremor. Dieses Parkinson-Anzeichen wird von den Betroffenen meist als erstes, also im Parkinson Frühstadium, wahrgenommen. In einem Großteil der Fälle handelt es sich dabei um einen Ruhetremor. Dabei tritt das Zittern auf, wenn die Muskulatur vollkommen entspannt ist, zum Beispiel wenn die Hand im Schoß liegt.

Lesen Sie auch: Überblick zur Dopamin-Erhöhung bei Parkinson

Die Verlangsamung der Bewegungen fällt vor allem nahen Angehörigen oder Freunden als erstes Anzeichen für die Parkinson-Erkrankung auf. Während Betroffene früher Bewegungen flüssig ausführen konnten, erscheinen sie bei Parkinson allmählich immer stockender und gehemmter. Betroffenen gelingt es oft erst stark zeitverzögert, Arme und Beine in Bewegung zu bringen. Auch dieses Symptom einer Parkinson-Krankheit lässt sich im Parkinson-Frühstadium noch kaschieren.

Die Muskelsteifheit wird zu Anfang oft fehldiagnostiziert. Gerade zu Beginn zeigen sich schmerzhafte Verspannungen in den Oberarmen oder der Schulter. Schnell ist die Diagnose „Alterserkrankung“ wie Rheuma oder Arthrose gestellt. Wenn aber eines der Parkinson-Syndrome vorliegt, schlagen Schmerzmittel nicht an und können den Rigor nicht mildern.

Das auffälligste Anzeichen eines Parkinson-Syndroms ist das Gangbild. Neben den eindeutigen und typischen Symptomen kann noch eine Vielzahl weiterer Symptome auftreten. Diese können auch schon vor der eigentlichen Diagnose beziehungsweise im frühen Stadium auftreten. Wenn sich aufgrund eines Parkinson-Syndroms die Muskeln versteifen, verändert sich auch die Mimik der Betroffenen. In Gesprächen wirken sie dann plötzlich wie unbeteiligt. Ihr Blick ist eher starr und ihre Gestik schwach.

Bis zu 85 Prozent aller Personen mit Parkinson leiden an chronischen Schmerzen. Im Zuge einer Parkinson-Erkrankung klagen Patienten, neben Schmerzen an den Armen, am häufigsten über intensive Nackenschmerzen oder Schulterschmerzen.

Die Niedergeschlagenheit, die viele Parkinson-Erkrankte verspüren, hat sicherlich auch ihren Grund in der Erkrankung selbst. Es ist nicht einfach, plötzlich nicht mehr richtig gehen, sich nicht wirklich an Gesprächen beteiligen zu können oder wenn ständig Dinge aus der Hand fallen. Mehr als 80 Prozent der Parkinson-Patienten leiden an verschiedenen Schlafstörungen. In einigen Fällen werden Betroffene nachts wach oder können nicht wieder einschlafen. In anderen Fällen leiden die Erkrankten am sogenannten „Gewaltschlaf“.

Dadurch, dass sich die Vorgänge im Körper im Krankheitsverlauf verlangsamen und die Nervenimpulse im Gehirn schwächer werden, ist auch der Kreislauf beeinträchtigt.

Was tun bei Verdacht auf Parkinson?

Bei Vorliegen der nachfolgend beschriebenen Beschwerden sollten Sie Ihren Hausarzt oder Neurologen aufsuchen, da sie Frühwarnzeichen für Parkinson sein könnten. Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, da eine zügig eingeleitete Therapie den Krankheitsverlauf mildern und verlangsamen kann.

Pestizide im Alltag: Wie kann ich mich schützen?

Es gibt keine verlässlichen Daten, welche Mengen von welchen Pflanzenschutzmitteln in privaten Gärten zum Einsatz kommen. Fest steht jedoch: Viele dieser Mittel sind extrem giftig, nicht nur für Schädlinge. Im Gegensatz zur professionellen Landwirtschaft sind Hobby-Gärtner zudem nicht geschult darin, wie sie Spritzmittel korrekt anwenden, um die Gefahren für sich und ihre Mitmenschen gering zu halten.

Verwenden Sie möglichst gar keine Pflanzenschutzmittel im privaten Garten. Falls sich die Verwendung nicht umgehen lässt, vermeiden Sie es auf jeden Fall, den Sprühnebel der Mittel einzuatmen, rät das Bundesamt für Verbraucherschutz und Ernährungssicherheit. Tragen Sie Handschuhe und Kleidung, die den ganzen Körper bedeckt. Diese sollten Sie nach der Anwendung außerhalb der Wohnung ausziehen und direkt in die Waschmaschine werfen.

Studien zeigen, dass Menschen, die im Umfeld von landwirtschaftlichen Flächen leben, ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Parkinson haben. Meiden Sie daher Spaziergänge in der Nähe von Feldern, auf denen vor Kurzem gespritzt wurde. Falls Sie in der Nähe von konventionell bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen leben, halten Sie die Fenster geschlossen, während draußen gespritzt wird. Lassen Sie Kinder nicht in der Nähe von konventionell bewirtschafteten Feldern spielen, wenn auf diesen kürzlich Pflanzenschutzmittel aufgetragen wurden.

Daten der Lebensmittelüberwachung zeigen, dass die Belastung mit Pestizidrückständen bei Lebensmitteln seit einigen Jahren leicht rückläufig ist. Allerdings fallen bestimmte Produkte immer wieder durch hohe Pestizid-Belastungen auf. Das gilt etwa für gefüllte Weinblätter oder frische Kräuter aus Übersee. Auch schnell verderbliche Obst- und Gemüsesorten wie frische Beeren, Aprikosen, Tomaten oder Paprika sind häufig stark mit Pestiziden belastet.

Am besten kaufen Sie heimische Produkte in der Saison, auch Bio-Ware ist eine gute Wahl. Waschen Sie Obst und Gemüse immer gründlich unter fließendem Wasser. Waschen Sie sich die Hände, nachdem Sie Zitrusfrüchte, Mangos oder Bananen geschält haben.

Politische und gesellschaftliche Verantwortung

Die Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesarbeitsministerium wirkte wie eine Art Befreiungsschlag. Denn die Aufnahme des „Parkinson-Syndroms durch Pestizide“ in die Berufskrankheitenverordnung ist eine langjährige Forderung der Gewerkschaften und anderer Fachverbände. Der Expertenempfehlung ging ein intensiver Beratungsprozess voraus, in dessen Verlauf internationale wissenschaftliche Studien ausgewertet wurden.

Viele Fachfragen sind noch ungeklärt. So sei etwa noch nicht geklärt, aufgrund welcher genetischer Konstellationen manche Menschen prädisponierter seien als andere, nach dem Umgang mit Pestiziden Parkinson zu entwickeln. Ebenso gibt es laut Berg eine Reihe erster Hinweise, dass nicht nur die direkte Einwirkung von Pestiziden auf Nervenzellen und deren Stoffwechsel eine Rolle spielten, sondern auch indirekte Wirkungen, beispielsweise über die Besiedlung des Magen-Darm-Traktes durch Mikroorganismen.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG), Professor Joseph Claßen, betont: „Der Zusammenhang zwischen individueller hoher Pestizidbelastung und der Entstehung von Parkinson legt nahe, sich beim Einsatz von Pestiziden insgesamt ihrer Gefahren viel stärker bewusst zu werden, ihren Einsatz auch unter dem Aspekt des Schutzes vor neurodegenerativen Erkrankungen auf das Notwendigste zu beschränken, und nach für Mensch und Natur unschädlichen Ersatzstoffen verstärkt zu suchen.“

Ausblick: Die Zukunft der Parkinson-Forschung und Prävention

Zu erwarten sei eine deutliche Zunahme von Parkinsonkranken weltweit. „Wir müssen daher alles tun, die Risikofaktoren, die wir beeinflussen können, anzugehen.“ Hier sieht Berg nicht zuletzt eine Aufgabe der Politik. „Es ist sehr bedenklich, dass Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte teurer sind als hochprozessierte Lebensmittel inklusive Softdrinks.“ Viele Menschen könnten sich dadurch eine gesunde Ernährung weniger oder gar nicht leisten. „Für Bildungsmaßnahmen bezüglich eines gesunden Lebensstils und die Umsetzbarkeit dessen für die ganze Bevölkerung sollte die Politik klare Rahmenbedingungen setzen“, fordert Berg.

tags: #parkinson #pestizide #zusammenhang