Die Pflegediagnose ist ein wesentliches Element im Pflegeprozess, das eine Grundlage für eine optimale und erfolgreiche Pflegeplanung darstellt. Sie hilft, die pflegerischen Probleme, Risiken und Ressourcen von Menschen mit Demenz zu erkennen und darauf aufbauend eine individuelle und bedarfsgerechte Pflege zu gewährleisten.
Definition und Zweck von Pflegediagnosen
Der Begriff "Diagnose" stammt aus dem Altgriechischen (diágnosis) und bedeutet so viel wie "Durchblick gewinnen" oder ein Problem analysieren. Im Kontext der Pflege erfassen Pflegediagnosen pflegerelevante Aspekte entlang der Lebensprozesse.
Eine Pflegediagnose ist die klinische Beurteilung der individuellen, familiären oder gemeinschaftlichen Erfahrungen und Reaktionen auf gegenwärtige oder potenzielle Gesundheitsprobleme oder Lebensprozesse. Sie dient dazu, die Pflegeplanung individuell und bedarfsgerecht zu gestalten. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die Pflegediagnose die ärztliche Diagnose weder ersetzen noch konkurrieren soll.
Formen und Klassifikationssysteme von Pflegediagnosen
Pflegediagnosen werden in verschiedene Formen unterteilt, darunter:
- Aktuelle Pflegediagnosen: Beschreiben einen Zustand, der vom "normalen" Zustand des Patienten abweicht, beispielsweise eine erhöhte Körpertemperatur. Die Symptome sind nachweisbar und überprüfbar.
- Risiko-Pflegediagnosen: Identifizieren mögliche Gefährdungssituationen oder Pflegeprobleme für den Patienten. Ein Beispiel wäre ein erhöhtes Infektionsrisiko auf einer chirurgischen Station.
- Syndrom-Pflegediagnosen: Fassen eine charakteristische Ansammlung von Pflegediagnosen zusammen, die meistens gemeinsam auftreten und ein bestimmtes klinisches Bild (Syndrom) ergeben. Ein Beispiel ist die Immobilität, die mit Risiken wie Infektionen, Obstipation und Dekubitus verbunden ist.
- Gesundheits-Pflegediagnosen (Wellness-Pflegediagnosen): Untersuchen, wie Gesundheit gefördert werden kann. Typische Maßnahmen sind Beratungen zu Ernährungsverhalten oder Familienleben.
- Verdachts-Pflegediagnosen: Beschreiben möglicherweise vorliegende Gesundheitsprobleme des Patienten ("Verdacht auf…").
Diese Pflegediagnosen stützen sich auf standardisierte Klassifikationssysteme. Maßgebend ist nach wie vor die Klassifikation nach NANDA-International. Eine internationalere Klassifikation ist jene nach ICNP (International Classification for Nursing Practice).
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NANDA-Diagnosen
NANDA-Diagnosen beschreiben Kennzeichen bzw. Symptome, deren mögliche Ursachen und darauf bezogene Anlässe für pflegerische Maßnahmen.
ICNP-Klassifikation
Die Klassifikation nach ICNP versteht Pflegediagnosen als eine Bezeichnung für handlungsbezogene, fokussierte Entscheidungen von Pflegenden. Sie wurde aus einer Sammlung von Begriffen entwickelt und hat das Ziel, als übergeordnetes, vereinheitlichendes System verschiedener Klassifikationen zu dienen, das zudem über Sprachgrenzen hinweg funktionieren kann. ICNP ist in zwei Hauptkatalogen organisiert, wobei jede Achse eine Sammlung von Begriffen enthält. Durch die Kombination der Begriffe auf den einzelnen Achsen ergibt sich die Pflegediagnose.
Vorteile und Schwachpunkte von Pflegediagnosen
Pflegediagnosen tragen zur Professionalisierung der Pflege bei, indem sie einheitliche Fachbegriffe entwickeln und diejenigen Bereiche beschreiben, welche für das Pflegepersonal relevant sind. Sie bieten eine Menge Vorteile, haben aber auch Schwachpunkte:
- Subjektivität: Zuordnungen von Symptomen zu einer Kategorie sind bei einer Pflegediagnose nicht immer klar. Die Bewertung des Zustands eines Patienten kann von verschiedenen Pflegekräften subjektiv bewertet werden, was in differierenden Diagnosen oder geplanten Pflegeprozessen resultieren kann.
- Kulturelle Unterschiede: In der heutigen multikulturellen Gesellschaft existieren unterschiedliche soziale und kulturelle Normen nebeneinander. Die Erfassung kann subjektiv sein und von kulturellen Einflüssen geprägt.
Pflegediagnosen bei Demenz: Besonderheiten und Beispiele
Bei der Pflege von Menschen mit Demenz spielen Pflegediagnosen eine besonders wichtige Rolle. Demenz führt zu einer Vielzahl von Problemen und Bedürfnissen, die eine individuelle und angepasste Pflege erfordern.
Herausforderungen bei Demenz
Demenz ist durch eine Vielzahl von Symptomen gekennzeichnet, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können:
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- Gedächtnisstörungen (Amnesie): Neue Informationen werden nicht mehr erlernt, während alte Erinnerungen verblassen.
- Desorientiertheit: Betroffene können sich in Zeit und Raum nicht mehr zurechtfinden.
- Beeinträchtigtes Urteilsvermögen: Das Urteilsvermögen ist deutlich beeinträchtigt.
- Persönlichkeitsveränderungen: Es kann zu Niedergeschlagenheit, Rückzug, Scham und Wut kommen.
- Sprachstörungen: Es treten Wortfindungsstörungen auf.
- Motorische Unruhe: Häufig tritt eine motorische Unruhe auf.
- Verlust der Selbstständigkeit: Das Unvermögen, das Leben selbstständig zu führen, nimmt zu.
- Probleme bei der Körperpflege: Die persönliche Hygiene kann nicht mehr selbstständig durchgeführt werden.
- Schluckstörungen: Es können Schluckstörungen auftreten.
Diese Symptome erfordern eine umfassende pflegerische Betreuung, die auf die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen abgestimmt ist.
Beispiele für Pflegediagnosen bei Demenz
- Ernährungsdefizit: Viele Menschen mit Demenz trinken zu wenig oder vergessen das Essen. Hier ist es wichtig, regelmäßige Trinkpausen einzuführen und ggf. einen Ernährungsplan zu erstellen.
- Beispiel: "Herr S. trinkt ca. 500 ml am Tag und vergisst aufgrund seiner Demenz das Trinken."
- Erhöhtes Sturzrisiko: Aufgrund von Desorientiertheit und motorischer Unruhe besteht ein erhöhtes Sturzrisiko. Maßnahmen zur Sturzprophylaxe sind daher unerlässlich.
- Beispiel: "Herr/Frau X. zeigt aufgrund von Desorientiertheit und motorischer Unruhe ein erhöhtes Sturzrisiko."
- Beeinträchtigte Kommunikation: Sprachstörungen und Gedächtnisprobleme erschweren die Kommunikation. Es ist wichtig, einfache Sprache zu verwenden und nonverbale Signale zu beachten.
- Beispiel: "Herr/Frau Y. hat aufgrund von Wortfindungsstörungen Schwierigkeiten, sich verbal auszudrücken."
- Unruhe und Agitiertheit: Viele Menschen mit Demenz zeigen unruhiges oder agitiertes Verhalten, insbesondere nachts. Hier können beruhigende Maßnahmen und eine angepasste Tagesstruktur helfen.
- Beispiel: "Herr/Frau Z. zeigt insbesondere nachts unruhiges und agitiertes Verhalten."
- Inkontinenz: Harn- und Stuhlinkontinenz sind häufige Probleme bei Demenz. Regelmäßige Toilettengänge und eine angepasste Kleidung können helfen.
- Beispiel: "Herr/Frau A. leidet unter Harninkontinenz und findet aufgrund von Desorientiertheit die Toilette nicht."
- Selbstpflegedefizit: Die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, nimmt ab. Hier ist Unterstützung bei der Körperpflege, beim An- und Ausziehen und bei anderen Aktivitäten des täglichen Lebens erforderlich.
- Beispiel: "Herr/Frau B. benötigt Unterstützung bei der Körperpflege und beim An- und Ausziehen aufgrund von kognitiven Einschränkungen."
- Soziale Isolation: Menschen mit Demenz ziehen sich oft zurück und isolieren sich sozial. Es ist wichtig, soziale Kontakte zu fördern und Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten.
- Beispiel: "Herr/Frau C. zieht sich zurück und vermeidet soziale Kontakte aufgrund von Scham und Angst."
Praktische Anwendung der Pflegediagnosen
Die praktische Anwendung der Pflegediagnosen unterscheidet sich je nach Klassifikationssystem und Organisation der Pflegeeinrichtung. Systematische Diagnostik ist wichtig, um die Interventionen und den Pflegeprozess zu definieren.
Kommunikationsstrategien
- Einfache Sprache: Verwenden Sie einfache und klare Sätze.
- Langsame Sprechweise: Sprechen Sie langsam und deutlich.
- Wiederholungen: Wiederholen Sie Informationen bei Bedarf.
- Nonverbale Kommunikation: Achten Sie auf Gestik und Mimik.
- Vermeidung von Pronomen: Vermeiden Sie Pronomen wie "sie", "wir" oder "ihr".
- Direkte Fragen: Stellen Sie direkte Fragen, die mit "ja" oder "nein" beantwortet werden können.
- Anleitung: Leiten Sie den Bewohner verbal an.
- Ablenkung vermeiden: Schalten Sie Störquellen wie Fernseher oder Radio aus.
- Einfühlsamkeit: Führen Sie den Bewohner einfühlsam zum Thema zurück, wenn er abdriftet.
- Bestätigung: Stellen Sie sicher, dass der Bewohner Sie richtig verstanden hat.
Maßnahmen zur Sturzprophylaxe
- Bewegungsförderung: Fördern Sie die Bewegung und Aktivität des Bewohners.
- Sichere Umgebung: Gestalten Sie die Umgebung sicher und sturzfrei.
- Geeignetes Schuhwerk: Achten Sie darauf, dass der Bewohner stabiles Schuhwerk trägt.
- Hüftprotektoren: Erwägen Sie den Einsatz von Hüftprotektoren.
- Medikamentenüberprüfung: Überprüfen Sie die Medikamente auf sturzfördernde Wirkung.
- Regelmäßige Toilettengänge: Führen Sie den Bewohner regelmäßig zur Toilette.
Maßnahmen zur Förderung der Ernährung
- Regelmäßige Trinkpausen: Führen Sie regelmäßige Trinkpausen ein.
- Ernährungsplan: Erstellen Sie ggf. einen Ernährungsplan.
- Kleine Mahlzeiten: Bieten Sie sechs kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt an.
- Vorlieben berücksichtigen: Berücksichtigen Sie die Vorlieben des Bewohners beim Essen.
- Beteiligung: Beziehen Sie den Bewohner in die Zubereitung der Mahlzeiten ein.
- Angenehme Atmosphäre: Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre während der Mahlzeiten.
- Unterstützung: Bieten Sie Unterstützung beim Essen an, z.B. durch das Anreichen des Essens.
- Fingerfood: Bieten Sie Fingerfood an, wenn der Bewohner Schwierigkeiten mit Besteck hat.
Maßnahmen zur Förderung der Körperpflege
- Klare Struktur: Halten Sie die Reihenfolge des Waschens ein.
- Rituale: Führen Sie die Körperpflege als Ritual durch.
- Biografische Bezüge: Nutzen Sie biografisch verankerte Gegenstände.
- Unterstützung: Bieten Sie Unterstützung bei der Körperpflege an, aber lassen Sie den Bewohner so viel wie möglich selbstständig tun.
- Wohlfühlatmosphäre: Schaffen Sie eine Wohlfühlatmosphäre während der Körperpflege.
- Anpassung: Passen Sie die Körperpflege an die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Bewohners an.
- Respekt: Achten Sie auf die Intimsphäre des Bewohners.
Maßnahmen zur Förderung des Schlafs
- Tagesstruktur: Sorgen Sie für eine regelmäßige Tagesstruktur mit ausreichend Bewegung am Tag.
- Einschlafrituale: Setzen Sie ggf. Einschlafrituale fort.
- Beruhigende Maßnahmen: Bieten Sie beruhigende Maßnahmen vor dem Schlafengehen an.
- Nächtliche Angebote: Kanalsieren Sie nächtlichen Bewegungsdrang in nächtlichen Angeboten.
- Sicherheit: Sorgen Sie für Sicherheit im Schlafzimmer, z.B. durch ein Bettgitter.
- Komfort: Sorgen Sie für eine angenehme Temperatur im Schlafzimmer.
Maßnahmen zur Förderung der Aktivierung
- Biografische Tätigkeiten: Bieten Sie Tätigkeiten an, die biografisch verankert sind.
- Einfache Aufgaben: Bieten Sie einfache Aufgaben an, die der Bewohner noch bewältigen kann.
- Sinnesanregung: Bieten Sie Sinnesanregung durch Musik, Bilder oder Gegenstände.
- Erinnerungsarbeit: Nutzen Sie Fotoalben und andere Erinnerungsstücke, um Erinnerungen zu wecken.
- Anpassung: Passen Sie die Aktivitäten an die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Bewohners an.
- Keine Kritik: Kritisieren Sie den Bewohner nicht, wenn er eine Aufgabe nicht bewältigen kann.
Umgang mit enthemmtem Verhalten
- Freiräume: Schaffen Sie Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten.
- Ablenkung: Lenken Sie von sexuellen Wünschen ab.
- Distanz: Achten Sie auf die richtige Distanz.
- Männerabende: Bieten Sie wohnbereichsübergreifende Männerabende an.
Strukturierung der Pflegediagnose (PÄS/PESR)
Die Pflegediagnosen unterliegen einer gewissen einheitlichen Struktur, die als PÄS- bzw. PESR-Struktur bekannt ist:
- P (Problem): Beschreibung des Problems oder der Beeinträchtigung
- Ä (Ätiologie): Beschreibung der Ursache oder des Risikofaktors
- S (Symptome): Beschreibung der beobachteten Symptome oder Anzeichen
Alternativ kann die PESR-Struktur verwendet werden:
- P (Problem): Beschreibung des Problems oder der Beeinträchtigung
- E (Einflussfaktoren): Beschreibung der Einflussfaktoren, die das Problem verursachen oder verstärken
- S (Signale/Symptome): Beschreibung der beobachteten Signale oder Symptome
- R (Ressourcen): Beschreibung der vorhandenen Ressourcen, die zur Bewältigung des Problems beitragen können
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