Polyneuropathie nach Corona-Impfung: Ursachen, Risiken und aktuelle Erkenntnisse

Die COVID-19-Impfung ist ein wichtiger Pfeiler im Kampf gegen die Pandemie. Wie bei jeder medizinischen Intervention können jedoch auch nach einer Corona-Impfung Nebenwirkungen auftreten. In seltenen Fällen wurde im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung über das Auftreten von Polyneuropathien, insbesondere des Guillain-Barré-Syndroms (GBS), berichtet. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen, Risiken und den aktuellen Stand der Erkenntnisse zu Polyneuropathien nach einer Corona-Impfung, insbesondere im Hinblick auf den Impfstoff von AstraZeneca (Vaxzevria®) und den Impfstoff von Janssen (Jcovden).

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Die peripheren Nerven verbinden das Gehirn und das Rückenmark mit den Muskeln, der Haut und den inneren Organen. Eine Schädigung dieser Nerven kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, darunter:

  • Taubheitsgefühl, Kribbeln oder brennende Schmerzen in den Händen und Füßen
  • Muskelschwäche oder Lähmungen
  • Koordinationsstörungen
  • Verdauungsprobleme
  • Herzrhythmusstörungen

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine spezielle Form der Polyneuropathie, die durch eine akute Entzündung der peripheren Nerven gekennzeichnet ist. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die eigenen Nerven angreift. GBS kann zu rasch fortschreitenden Lähmungen führen, die in schweren Fällen auch die Atemmuskulatur betreffen können.

Mögliche Ursachen für Polyneuropathie nach Corona-Impfung

Die genauen Ursachen für das Auftreten von Polyneuropathien nach einer Corona-Impfung sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch verschiedene Hypothesen und Forschungsergebnisse, die mögliche Mechanismen beleuchten:

  • Autoimmunreaktion: Sowohl GBS als auch andere Polyneuropathien sind oft durch Autoimmunprozesse bedingt. Es wird vermutet, dass die Impfung in seltenen Fällen eine überschießende Immunreaktion auslösen kann, bei der Autoantikörper gebildet werden, die sich gegen Bestandteile des peripheren Nervensystems richten. Dies könnte zu einer Schädigung der Nerven und den entsprechenden Symptomen führen.
  • Molekulare Mimikry: Eine weitere Hypothese ist die der molekularen Mimikry. Dabei ähneln bestimmte Strukturen des Impfstoffes (z.B. Bestandteile des Spike-Proteins) Strukturen des Körpers, insbesondere der Nervenzellen. Das Immunsystem könnte fälschlicherweise diese körpereigenen Strukturen angreifen, was zu einer Polyneuropathie führt.
  • Adenovirus-Vektor-Impfstoffe: Einige Studien deuten darauf hin, dass insbesondere Adenovirus-Vektor-Impfstoffe wie Vaxzevria® von AstraZeneca und Jcovden von Janssen mit einem erhöhten Risiko für GBS assoziiert sein könnten. Der Adenovirus-Vektor dient als Transportmittel, um genetische Informationen des Coronavirus in die Zellen zu bringen. Es ist möglich, dass der Vektor selbst oder die durch ihn ausgelöste Immunantwort in seltenen Fällen zu einer Schädigung der Nerven führen kann.
  • Persistenz des Spike-Proteins: Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus, das durch die Impfung im Körper produziert wird, in einigen Fällen länger im Körper verbleiben kann als bisher angenommen. Dies könnte zu chronischen Entzündungen und möglicherweise auch zu neurologischen Komplikationen führen. Eine Studie von Helmholtz Munich und der LMU fand heraus, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleiben kann.

Risiken und Häufigkeit

Es ist wichtig zu betonen, dass Polyneuropathien nach einer Corona-Impfung sehr selten sind. Die meisten Menschen vertragen die Impfung gut und entwickeln keine neurologischen Komplikationen. Dennoch ist es wichtig, die potenziellen Risiken zu kennen, um im Falle von Symptomen schnell reagieren zu können.

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  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) berichtete bis zum 31.07.2021 von 84 Fallberichten eines GBS bzw. Miller-Fisher-Syndroms im Zusammenhang mit Vaxzevria®. Für die mRNA-Impfstoffe Comirnaty® und Spikevax® wurden deutlich weniger Fälle gemeldet. Die EMA hat GBS als sehr seltene Nebenwirkung in die Fachinformationen von Vaxzevria® und COVID-19 Vaccine Janssen aufgenommen. Eine Studie in JAMA Network Open deutet auf ein erhöhtes Risiko für GBS innerhalb von 21 bzw. 42 Tagen nach einer Impfung mit dem Corona-Vakzin von Janssen hin. Das Risiko sei aber sehr gering, es seien nur einige Fälle pro einer Million Impfdosen registriert worden.
  • Andere Polyneuropathien: Neben GBS können auch andere Formen von Polyneuropathien im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Impfung auftreten. Die Datenlage hierzu ist jedoch noch begrenzt. Einige Studien deuten darauf hin, dass es sich um eine Small-Fiber-Neuropathie (SFN) handeln könnte, eine Erkrankung, die kleine Nervenfasern betrifft.

Symptome und Diagnose

Wenn nach einer Corona-Impfung neurologische Symptome auftreten, ist es wichtig, einen Arzt aufzusuchen, um die Ursache abzuklären. Typische Symptome, die auf eine Polyneuropathie hindeuten können, sind:

  • Taubheitsgefühl, Kribbeln oder Schmerzen in den Händen und Füßen
  • Muskelschwäche oder Lähmungen
  • Gesichtslähmung
  • Koordinationsstörungen

Zur Diagnose einer Polyneuropathie werden in der Regel verschiedene Untersuchungen durchgeführt, darunter:

  • Neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Reflexe, die Muskelkraft und die Sensibilität des Patienten.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen (NLG/EMG): Diese Untersuchungen messen die Nervenleitgeschwindigkeit und die elektrische Aktivität der Muskeln. Sie können helfen, die Art und das Ausmaß der Nervenschädigung zu bestimmen.
  • Liquoruntersuchung: Bei Verdacht auf GBS wird in der Regel eine Liquoruntersuchung durchgeführt. Dabei wird Nervenwasser entnommen und auf bestimmte Entzündungsmarker untersucht. Typisch für GBS ist die sogenannte zytoalbuminäre Dissoziation, bei der das Eiweiß im Liquor erhöht ist, während die Zellzahl normal ist.
  • Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen können helfen, andere Ursachen für die Polyneuropathie auszuschließen, wie z.B. Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder Stoffwechselstörungen.
  • MRT: In einigen Fällen kann eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns oder des Rückenmarks durchgeführt werden, um andere neurologische Erkrankungen auszuschließen.

Behandlung

Die Behandlung von Polyneuropathien nach einer Corona-Impfung richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung.

  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS): GBS wird in der Regel mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) oder Plasmaaustausch behandelt. Diese Behandlungen können helfen, die Autoimmunreaktion zu unterdrücken und die Nervenfunktion zu verbessern. In schweren Fällen kann eine Beatmung erforderlich sein.
  • Andere Polyneuropathien: Die Behandlung anderer Polyneuropathien zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Nervenfunktion zu verbessern. Dies kann durch Medikamente, Physiotherapie und Ergotherapie erreicht werden. Schmerzmittel können helfen, neuropathische Schmerzen zu lindern.

Aktuelle Forschung und Ausblick

Die Forschung zu Polyneuropathien nach Corona-Impfung ist noch im Gange. Es gibt jedoch bereits einige vielversprechende Ansätze, um die Ursachen und Mechanismen besser zu verstehen und die Behandlung zu verbessern.

  • Studien zu Autoantikörpern: Einige Forscher untersuchen, ob bestimmte Autoantikörper bei Patienten mit Polyneuropathien nach Corona-Impfung gefunden werden können. Dies könnte helfen, die Autoimmunreaktion besser zu verstehen und gezieltere Therapien zu entwickeln.
  • Untersuchungen zur Persistenz des Spike-Proteins: Weitere Studien untersuchen, wie lange das Spike-Protein nach der Impfung im Körper verbleibt und welche Auswirkungen dies auf das Nervensystem haben könnte.
  • Entwicklung von Biomarkern: Forscher arbeiten an der Entwicklung von Biomarkern, die helfen können, Polyneuropathien nach Corona-Impfung frühzeitig zu erkennen und den Verlauf der Erkrankung besser vorherzusagen.

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