Pflegegrad bei Polyneuropathie: Voraussetzungen, Leistungen und Unterstützung

Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die periphere Nerven betreffen und sich durch vielfältige Symptome äußern können. Diese Nerven sind für die Wahrnehmung von Temperatur und Schmerzen, die Beweglichkeit der Muskulatur und die automatische Steuerung von Organen verantwortlich. Die Erkrankung kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und zu Bewegungseinschränkungen, Schmerzen und Arbeitsunfähigkeit führen. Falls Sie feststellen, dass Sie oder Ihr Angehöriger im Alltag zunehmend Unterstützung benötigen, haben Sie möglicherweise Anspruch auf einen Pflegegrad. Damit stehen Ihnen verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zu.

Was ist Polyneuropathie?

Bei Polyneuropathien kommt es zu einer Schädigung der peripheren Nerven oder ihrer Hülle. Der Begriff Neuropathie bezeichnet allgemein eine Schädigung oder Erkrankung peripherer Nerven. Es gibt nicht „die eine“ Polyneuropathie. Vielmehr umfasst der Begriff eine große und vielfältige Gruppe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Die Medizin spricht deshalb auch von „Large Fiber Neuropathien“.

Arten von Polyneuropathie

Abhängig von der Ausprägung der Nervenschäden und der Körperstelle unterscheiden Fachleute vier Formen:

  • Symmetrische Polyneuropathie: Die Schäden an den Nervenbahnen betreffen beide Körperhälften.
  • Asymmetrische Polyneuropathie: Die Erkrankung beeinträchtigt eine Seite des Körpers.
  • Distale Polyneuropathie: Die Nervenschädigung zeigt sich in Körperteilen, die von der Körpermitte entfernt sind. Dazu gehören unter anderem die Hände, die Beine und die Füße. Da die Symptome Körperbereiche betreffen, die am weitesten vom Rumpf entfernt (distal) sind und an beiden Füßen auftreten, sprechen Ärzte von einer distal-symmetrischen Polyneuropathie.
  • Proximale Polyneuropathie: Bei dieser seltenen Form der Polyneuropathie konzentrieren sich die Nervenschäden auf rumpfnahe Körperbereiche.

Neben der Einteilung nach Ausfallerscheinungen gibt es noch weitere Möglichkeiten, Polyneuropathien einzuteilen, z. B. nach Nervenfasertyp oder Innervationsgebiet. Ist eine Neuropathie nicht klassifizierbar, so handelt es sich um eine idiopathische Polyneuropathie.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Wissenschaft kennt mittlerweile rund 600 Ursachen, die einer Polyneuropathie zugrunde liegen können. In den meisten Fällen stellt die Polyneuropathie keine eigenständige Krankheit dar, sondern tritt als Folge oder Begleiterscheinung einer Grunderkrankung auf.

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Zu den häufigsten Ursachen und Risikofaktoren gehören:

  • Diabetes mellitus: Bei etwa jedem zweiten Patient mit Diabetes mellitus treten im Laufe des Lebens Nervenschäden auf. Die diabetische Polyneuropathie kann mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen.
  • Alkoholmissbrauch: Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum regelmäßig und in übermäßigen Mengen Alkohol konsumieren, sodass körperliche, psychische und soziale Schäden entstehen, ist die Rede von chronischem Alkoholismus. Übermäßiger Alkoholkonsum ist oft auch mit einem Mangel an Vitamin B12, Folsäure sowie Vitamin B2 und Vitamin B6 verbunden.
  • Metabolische Störungen: Metabolische Polyneuropathien werden durch Stoffwechselstörungen hervorgerufen. Ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen.
  • Entzündungen: Entzündliche Polyneuropathien werden überwiegend durch Autoimmun-Erkrankungen verursacht. Dazu zählen unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom oder die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie, kurz CIDP.
  • Infektionen: Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten.
  • Toxine: Giftstoffe können ebenfalls eine Schädigung peripherer Nerven hervorrufen.
  • Medikamente: Manche chemotherapeutischen Medikamente können abhängig von der Dosis und der Behandlungsdauer Nebenwirkungen auf das Nervensystem haben. Ähnliches gilt unter anderem für verschiedene Medikamente gegen Infektionen, Rheuma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
  • Genetische Veranlagung: Bei den seltenen erblich bedingten Neuropathien wie der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) führt ein Gendefekt zur Entstehung einer PNP.

Trotz ausführlicher Diagnostik lässt sich bei rund einem Viertel der Betroffenen keine Ursache für die Polyneuropathie feststellen.

Symptome

Eine PNP macht sich häufig zuerst an Händen, Füßen und Beinen bemerkbar, kann sich in ihrem Verlauf aber auch weiter ausdehnen oder innere Organe betreffen. Abhängig von der Art der betroffenen Nervenfasern entstehen unterschiedliche Symptome:

  • Sensible Beschwerden: Sensible Nerven leiten Informationen aus dem Körper zum Gehirn, sodass beispielsweise Druck, Wärme, Kälte oder Schmerz empfunden werden kann. Kommt es durch eine PNP zu Schäden an diesen sensiblen Nerven, entstehen Fehlempfindungen: Die Haut fühlt sich ohne erkennbaren Auslöser pelzig oder taub an, sie kribbelt, juckt, brennt oder sticht. Manche Menschen haben Empfindungsstörungen. Sie spüren kaum noch Temperaturunterschiede, Berührungen und Schmerzreize. Werden deshalb Druckstellen oder Verletzungen an den Füßen nicht mehr wahrgenommen, können sich schwere Wunden entwickeln. Viele PNP-Patienten berichten außerdem von schmerzlosen Wunden und dem Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Darüber hinaus nehmen Betroffene Temperaturen häufig verfälscht wahr oder empfinden schon bei leichtesten Berührungen extreme Schmerzen.
  • Motorische Beschwerden: Motorische Nerven leiten Befehle des Gehirns an die einzelnen Muskelfasern des Körpers weiter: So kann etwa der Arm willentlich gebeugt oder das Bein abgewinkelt werden. PNP-Schäden an diesen motorischen Bahnen können Muskelzuckungen und -krämpfe verursachen und Schmerzen auslösen. Häufig erlahmen die betroffenen Muskeln im Verlauf der Erkrankung und die körperliche Ausdauer lässt allmählich nach. Häufig kommt es zu einem Schwund der Fuß- und Wadenmuskulatur und infolgedessen zu einer Gangstörung.
  • Autonome Beschwerden: Das Gehirn steuert die Organe unbewusst über sogenannte autonome Nerven. Werden diese durch eine PNP in Mitleidenschaft gezogen, kann es zu unterschiedlichsten Symptomen kommen: Übermäßiges oder vermindertes Schwitzen, Ohnmachts- und Schwindelanfälle vor allem nach dem Aufstehen, Herzrasen in Ruhe oder zu langsamer Herzschlag bei Anstrengung, Schluckbeschwerden, Völlegefühl, Verstopfung und Durchfall, Erschwertes oder ungewolltes Wasserlassen, Wassereinlagerungen und Hautveränderungen an den Füßen, Fortschreitende Schädigungen von Fußknochen und -gelenken, Erektionsstörungen, Fehlende Pupillenbewegungen. Bei Diabetes mellitus kann es auch zu einer Schädigung der autonomen Nerven kommen.

Diagnose

Bei Missempfindungen oder anderen Beschwerden, die im Zusammenhang mit einer Neuropathie stehen könnten, ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie überweist der Hausarzt an einen Neurologen.

Die Diagnose Polyneuropathie wird aus der Kombination der Befunde aus dem Anamnesegespräch, einer ausführlichen körperlichen und neurologischen Untersuchung sowie einer neurophysiologischen Diagnostik gestellt.

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  • Anamnese: Bei der Erfassung der Krankengeschichte fragt der Neurologe nach den aktuellen Symptomen und ihrem ersten Auftreten, Grunderkrankungen und Medikation.
  • Klinische Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung werden Reflexe, Temperatur-, Schmerz- und Vibrationsempfinden an betroffenen Gliedmaßen überprüft sowie Gleichgewicht, Stand, Gang und Muskelkraft getestet. Zunächst prüft Ihr Neurologe, inwiefern die Funktion Ihrer Nerven eingeschränkt ist. Er ermittelt beispielsweise, ob Empfindungsstörungen auf beiden Körperseiten symmetrisch vorliegen oder ob Ihr Schmerz- und Temperaturempfinden beeinträchtigt ist. Darüber hinaus testet er Ihr sogenanntes Lageempfinden für einzelne Gliedmaßen und prüft mit einer Stimmgabel, ob Sie Vibrationen wahrnehmen können. Abschließend sind einige Koordinations- und Gleichgewichtsübungen Teil der Untersuchung - ebenso wie mehrere Reflextests.
  • Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Gemessen wird, wie schnell elektrische Signale durch die Nerven geleitet werden. Im Rahmen einer elektroneurografischen Untersuchung reizt Ihr Neurologe einen Nerv gezielt über eine auf der Haut angebrachte Elektrode - gleichzeitig misst er, ob und wie schnell dieser Reiz im Nerv weitergeleitet wurde. Diese Untersuchung erlaubt ihm Rückschlüsse auf die genaue Art der Nervenschädigung. Mit Ersterer kann die Nervenleitgeschwindigkeit der peripheren Nerven gemessen werden.
  • Elektromyografie (EMG): Bei einer Elektromyografie führt Ihr Arzt entweder eine feine Nadel in den Muskel selbst ein oder bringt eine Elektrode auf der Haut darüber an. So kann er messen, ob ein bestimmter Muskelabschnitt ausreichend starke Signale von den jeweiligen Nerven erhält - oder ob diese geschädigt sind. Die Elektromyographie gibt hingegen die elektrische Aktivität von Muskeln an.
  • Spezielle Laboruntersuchungen: Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet. Eine Blutprobe kann zum Beispiel Aufschluss über Ihren Langzeit-Blutzuckerspiegel sowie Ihre Vitamin-B12- und Folsäurewerte geben. Die Laboruntersuchung kann Hinweise auf die Ursache einer möglichen PNP geben.
  • Bildgebung: Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden. Bei Bedarf kann Ihr Arzt weitere Untersuchungsmethoden wie eine Nerven-Muskel-Biopsie, molekulargenetische Tests oder eine Hirnwasseruntersuchung veranlassen. Darüber hinaus kann eine Magnetresonanztomografie (MRT) oder eine Ultraschalluntersuchung sinnvoll sein.

Oftmals genügen die Basisuntersuchungen, um die Ursache der Polyneuropathie zu klären und die Diagnose Neuropathie zu sichern.

Therapie

Ist die Ursache der Neuropathie eine Erkrankung, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an. So ist zum Beispiel bei Diabetes mellitus eine optimale Blutzuckereinstellung unerlässlich. Bei Alkoholismus als Ursache ist eine sofortige, lebenslange Abstinenz angezeigt.

Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich danach, welche Beschwerden im Vordergrund stehen.

  • Schmerztherapie:Klassische Schmerzmittel sind bei Polyneuropathie nur schlecht wirksam. Wichtig ist zudem, dass die verordnete Dosierung exakt eingehalten wird. In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden. Gerade bei komplexen Schmerztherapien ist es besonders wichtig, die richtige Medikation zur richtigen Zeit einzunehmen. Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen. Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit dazu beitragen, die Beweglichkeit und Stabilität zu verbessern. In der Regel empfiehlt Ihr Arzt Ihnen zusätzlich eine physiotherapeutische Behandlung, um geschwächte Muskelgruppen gezielt zu stärken. Sind die Hände von der PNP betroffen, kann außerdem eine Ergotherapie helfen, um alltägliche Handgriffe oder neue Techniken intensiv zu trainieren.
  • Transkutane Elektrostimulation (TENS): Bei der transkutanen Elektrostimulation, kurz TENS, werden kleine Elektroden auf die Haut geklebt, die sanfte elektrische Impulse abgeben. TENS ist eine nicht-medikamentöse Therapie, die oft bei starken neuropathischen Schmerzen in Kombination mit anderen Behandlungen eingesetzt wird. Sollten Medikamente zur Linderung der neuropathischen Schmerzen nicht ausreichen, kann in Absprache mit dem Arzt ein Therapieversuch erwogen werden.
  • Weitere Maßnahmen: Zu beachten ist, dass bei einer Polyneuropathie oftmals das Temperaturempfinden herabgesetzt ist. Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen. Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Wechseln Sie täglich die Socken.

Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen. Je nach Art und Schweregrad der Symptome kann die Lebensqualität betroffener Personen beeinträchtigt sein. Ebenso wie sich eine chronische Polyneuropathie schleichend über einen längeren Zeitraum entwickelt, dauert es eine Weile, bis sich der Körper an die verordneten Therapien gewöhnt hat. Ob Schmerzmittel oder nicht-medikamentöse Maßnahmen - oft braucht es einige Wochen, bis eine wesentliche Linderung der Beschwerden spürbar wird.

Pflegegrad bei Polyneuropathie

Um einen Pflegegrad zu erhalten, müssen pflegebedürftige Patienten gewisse Voraussetzungen erfüllen. Die Umstellung der Pflegeversicherung im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze aus dem Jahr 2017 bringt für viele Pflegebedürftige Vorteile: Ganz gleich, ob Sie aufgrund einer körperlichen Erkrankung, einer kognitiven Störung oder psychischen Beeinträchtigung auf Hilfe angewiesen sind, sollten Sie einen Pflegegrad von der Pflegeversicherung erhalten. Vor allem Menschen, die unter kognitiven Defiziten leiden und bislang durch das Raster des Pflegestufensystems fielen, profitieren von dem neuen Gesetz. Grundsätzlich soll es mit der neuen Regelung für die Betroffenen einfacher werden, einen Pflegegrad zu erhalten, denn mehr Kriterien als zuvor spielen eine Rolle. Selbst Pflegebedürftige, die nach dem alten System über keine Pflegestufe verfügten, weil sie noch weitgehend selbstständig sind, können mit dem neuen Pflegegrad 1 auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hoffen.

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Voraussetzungen für einen Pflegegrad

Entsprechend den Regelungen des „Neuen Begutachtungsassessments“ (NBA) müssen hilfebedürftige Personen in sechs zuvor definierten Bereichen des täglichen Lebens Defizite aufweisen, um eine Einstufung in einen Pflegegrad zu erhalten:

  • Mobilität: Wie selbstständig kann sich der Betroffene fortbewegen?
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Kann er eigenständig Entscheidungen treffen?
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Zeigt er motorische oder kognitive Verhaltensauffälligkeiten?
  • Selbstversorgung: Kann der Begutachtete selbstständig die Körperpflege vornehmen? Kann er sich an- und auskleiden?
  • Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Wird Unterstützung bei der Medikamentengabe benötigt?
  • Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Beschäftigt er sich selbstständig? Pflegt er seine sozialen Kontakte?

Je weniger selbstständig die pflegebedürftige Person in einer Kategorie ist, desto mehr Punkte werden vergeben. Hat der Gutachter des MDK sein Gutachten erstellt und eine Gesamtsumme von Punkten vergeben, legt die Pflegeversicherung anhand seiner Einschätzung fest, welchen Pflegegrad der Patient erhält.

Es gibt keine Vorgaben, bei welcher Krankheit welcher Pflegegrad gewährt wird, sondern es kommt immer auf den aktuellen Zustand des einzelnen Patienten an. Verschlechtert sich die gesundheitliche Verfassung, können der Patient oder die Angehörigen einen Antrag auf Erhöhung des Pflegegrades stellen. Das ist vor allem bei chronischen, sich tendenziell verschlechternden Krankheiten der Fall, gilt aber auch, wenn weitere Erkrankungen dazu kommen.

Antragstellung und Begutachtung

Der erste Schritt zur Erlangung eines Pflegegrads bei Polyneuropathie ist die Antragstellung bei der Pflegekasse. Dieser Antrag auf einen Pflegegrad kann formlos erfolgen. Daraufhin wird eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) veranlasst.

Ausschlaggebend für die Einstufung in einen Pflegegrad ist der Eindruck, den der Gutachter bei seinem Besuch erhält. Wir raten Ihnen dazu, sich intensiv auf den Begutachtungstermin vorzubereiten. Es ist wichtig, dass Betroffene und Angehörige während der Begutachtung offen und ehrlich über die Einschränkungen durch die Polyneuropathie sprechen. Oft neigen Erkrankte dazu, sich stärker zu geben, als sie im Alltag tatsächlich sind.

Es ist ratsam, sich gut auf die Begutachtung vorzubereiten, indem man ein Pflegetagebuch führt und alle relevanten medizinischen Unterlagen bereitstellt. In einem Pflegetagebuch können Sie die Beeinträchtigungen im Alltag genauer beobachten und dokumentieren. Ein Pflegetagebuch unterstützt Sie gegebenenfalls beim Antrag auf Pflegegrad.

Besonderheiten bei Polyneuropathie

Bei der Begutachtung von Patienten mit Polyneuropathie sollten folgende Aspekte besonders berücksichtigt werden:

  • Schwankende Symptome: Die Symptome der Polyneuropathie können im Tagesverlauf oder von Tag zu Tag schwanken.
  • Unsichtbare Symptome: Viele Symptome der Polyneuropathie, wie Schmerzen oder Taubheitsgefühle, sind von außen nicht sichtbar.
  • Sturzgefahr: Die durch Polyneuropathie verursachte Gangunsicherheit erhöht das Sturzrisiko.
  • Progression der Erkrankung: Bei fortschreitender Polyneuropathie kann sich der Pflegebedarf im Laufe der Zeit erhöhen.

Leistungen der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung bietet verschiedene Leistungen an, um Menschen mit Polyneuropathie und anderen Pflegebedürftigen zu unterstützen. Diese Leistungen sollen dazu beitragen, den Alltag zu erleichtern und die Lebensqualität zu verbessern.

  • Pflegegeld: Pflegegeld ist eine finanzielle Unterstützung für Pflegebedürftige, die zu Hause von Angehörigen oder anderen Personen gepflegt werden. Es steht Menschen mit Pflegegrad 2 bis 5 zur Verfügung. Die Höhe des Pflegegeldes hängt vom zugewiesenen Pflegegrad ab und reicht von 332 Euro bis 947 Euro monatlich.
  • Pflegesachleistungen: Pflegesachleistungen sind für die häusliche Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst vorgesehen. Diese Leistungen stehen ebenfalls Personen mit Pflegegrad 2 bis 5 zur Verfügung. Je nach Pflegegrad können Beträge zwischen 761 und 2.200 Euro pro Monat in Anspruch genommen werden. Der Pflegedienst rechnet die tatsächlich entstandenen Kosten direkt mit der Pflegekasse ab.
  • Kombinationsleistung: Die Kombinationsleistung ermöglicht es Pflegebedürftigen, Pflegegeld und Pflegesachleistungen flexibel zu kombinieren. Wenn der Anspruch auf Pflegesachleistungen nur teilweise ausgeschöpft wird, kann der restliche Betrag als anteiliges Pflegegeld ausgezahlt werden. Dies erlaubt eine individuelle Anpassung der Pflege an die persönlichen Bedürfnisse.
  • Entlastungsbetrag: Der Entlastungsbetrag ist eine zusätzliche Leistung der Pflegeversicherung, die allen Pflegebedürftigen ab Pflegegrad 1 zusteht. Er beträgt 125 Euro monatlich und dient zur Unterstützung im Alltag. Der Entlastungsbetrag kann auch für die Kosten der Tages- und Nachtpflege oder der Kurzzeitpflege verwendet werden. Er wird zusätzlich zu anderen Leistungen der Pflegeversicherung gewährt und muss nicht monatlich aufgebraucht werden. Es ist wichtig zu beachten, dass der Entlastungsbetrag nach dem Kostenerstattungsprinzip funktioniert. Das bedeutet, dass die pflegebedürftige Person zunächst in Vorleistung tritt und die Rechnungen bei der Pflegekasse einreicht. Zusätzlich zum Entlastungsbetrag können Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2 oder höher bis zu 40 Prozent ihrer Pflegesachleistungen für Angebote zur Unterstützung im Alltag umwandeln.

Unterstützung und Beratung

Unsere Pflegeexperten von Dr. Weigl & Partner helfen Ihnen gerne beim Antrag auf Pflegeleistungen, wenn Sie oder Ihr Angehöriger finanzielle Unterstützung durch die Pflegeleistungen benötigen. Wir helfen Ihnen bei den bürokratischen Angelegenheiten und allen weiteren Fragen zur Pflege. Auch für den Fall, dass der erste Antrag abgelehnt wurde und Sie den Widerspruch beim Pflegegrad anstreben oder sich die bisherige Pflegesituation seit der letzten Begutachtung durch den MDK verschlechtert hat und Sie den Pflegegrad erhöhen wollen, helfen wir Ihnen gerne. Unsere erste telefonische Beratung ist kostenfrei.

Auf der Internetseite „Das Rehaportal“ können Sie kostenlos nach Rehakliniken für Polyneuropathie in Ihrer Nähe suchen. Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen. In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Informationen über regionale Selbsthilfegruppen finden Sie beim Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V..

Leben mit Polyneuropathie

Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen und Ihre Lebensqualität zu verbessern:

  • Ernährung: Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig - mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht. Achten Sie auf kleine, dafür häufigere Mahlzeiten, um Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen vorzubeugen. Nehmen Sie viel Flüssigkeit und ballaststoffreiche Lebensmittel zu sich, um Verstopfungen entgegenzuwirken.
  • Bewegung: Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen.
  • Fußpflege: Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen.
  • Schuhwerk: Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Wechseln Sie täglich die Socken.
  • Hilfsmittel: Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern.
  • Schlafposition: Wählen Sie eine Schlafposition mit erhobenem Oberkörper und tragen Sie auch nachts Stützstrümpfe, um Schwindelgefühle beim Aufstehen zu reduzieren.
  • Weitere Tipps: Testen Sie warme, kalte oder Wechselbäder, um Schmerzen und Fehlempfindungen zu lindern. Auch warme oder kalte Umschläge können eine wohltuende Wirkung haben. Gewöhnen Sie sich einen routinemäßigen Gang zur Toilette alle drei Stunden an, um einem veränderten Harndrang zu begegnen und Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Lassen Sie sich bei Erektionsstörungen oder trockener Vaginalhaut ärztlich beraten. Eine Vakuumpumpe oder Gleitmittel können hier sehr hilfreich sein. Entfernen Sie Stolperfallen und schaffen Sie eine barrierefreie Umgebung, um die Sturzgefahr zu mindern.

Schwerbehindertenausweis

Bei erheblichen Beeinträchtigungen durch eine Polyneuropathie kann Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis bestehen, mit dem Sie bestimmte Nachteilsausgleiche wie zum Beispiel Steuerermäßigungen erhalten. Der Ausweis steht Ihnen ab einem Grad der Behinderung, kurz GdB, von mindestens 50 zu.

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