Psychopathologischer Befund bei Demenz: Diagnostik und Versorgung

Die Diagnostik von Demenzerkrankungen ist ein komplexer Prozess, der eine umfassende Beurteilung verschiedener Aspekte erfordert. Der psychopathologische Befund spielt dabei eine zentrale Rolle, da er die Grundlage für die Diagnosefindung bildet. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung des psychopathologischen Befundes im Rahmen der Demenzdiagnostik und gibt einen Überblick über die verschiedenen Untersuchungsmethoden und Behandlungsmöglichkeiten.

Einleitung

Demenzerkrankungen sind durch den Abbau und Verlust kognitiver Funktionen gekennzeichnet, der Gedächtnis, Sprache, Orientierung und Urteilsvermögen beeinträchtigt. Dieser fortschreitende Verlust der Alltagskompetenzen kann vielfältige Ursachen haben. Um reversible Demenzen frühzeitig zu erkennen und die Ursache der jeweiligen Demenz zu identifizieren, ist eine umfassende Diagnostik unerlässlich.

Grundlagen des psychopathologischen Befundes

Der psychopathologische Befund fasst die Ergebnisse einer psychologischen oder psychiatrischen Untersuchung zusammen. Er beschreibt die Symptome und ist Grundlage der Diagnosefindung. Für den psychopathologischen Befund gelten einige wesentliche Kriterien:

  • Bewusstseinszustand: Der Behandler stellt fest, ob ein Patient wach, schläfrig oder bewusstlos ist.
  • Orientierung: Der Behandler klärt die Fähigkeit zur Orientierung ab. Weiß der Patient, wer er ist? Weiß er, wo er ist? Weiß er, in welcher Situation er sich befindet? Weiß er, welcher Tag oder Monat gerade ist?
  • Merkfähigkeit: Sie kann bei depressiven Zuständen oder bei einer Demenz reduziert sein.
  • Antrieb: Der Behandler klärt ab, wie ausgeprägt der Antrieb eines Patienten ist. Wie tatkräftig ist er? Wie ausgeprägt sind seine Fähigkeit und sein Wille zu einer zielgerichteten Aktivität?
  • Affektivität: Die Gemütslage des Patienten wird erfasst. Der Behandler stellt also fest, ob die Stimmung beispielsweise ängstlich, gedrückt, gereizt oder ernst ist.
  • Kohärenz: Erscheint der Gedankengang des Patienten logisch und nachvollziehbar oder ist er verworren, sprunghaft und unverständlich?
  • Wahrnehmung: Der Behandler prüft, ob eine Wahrnehmungsstörung vorliegt, also ob beim Patient beispielsweise Halluzinationen vorhanden sind.
  • Ich-Störung: Bei manchen Krankheitsbildern hat der Patient den Eindruck, dass seine Gedanken von anderen gelesen oder beeinflusst werden. Oder dass er selbst die Gedanken anderer lesen kann. In diesen Fällen liegt eine Form der Ich-Störungen vor.
  • Paranoides Erleben: Kann vorliegen, wenn sich ein Patient grundlos beobachtet oder verfolgt fühlt.
  • Beurteilung der akuten Gefährdung: Hat sich beim Patient ein Gefühl der Ausweglosigkeit eingestellt? Erscheint er gar lebensmüde?

Der psychopathologische Befund ergänzt die Anamnese und klinische Untersuchung bei psychischen Begleitsymptomen, Syndromen oder Diagnosen. Die psychopathologische Befunderhebung sollte möglichst standardisiert erfolgen, um eine Untersucherabhängigkeit bestmöglich zu vermeiden.

Diagnostische Verfahren bei Demenz

Die Basisdiagnostik einer Demenzabklärung umfasst eine:

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  • Klinische und neuropsychologische Untersuchung
  • Laboruntersuchung
  • Liquordiagnostik mit Neurodegenerationsmarkern
  • Zerebrale strukturelle Bildgebung

Anamnese

Für eine ätiologische Zuordnung ist eine genaue Eigen-, Fremd-, Familien- und Sozialanamnese unter Einschluss der vegetativen und Medikamentenanamnese unabdingbar.

Klinische Untersuchung und psychopathologischer Befund

Aufgrund der Vielzahl an Erkrankungen, die zu einer Demenz führen können, sind folgende Untersuchungen erforderlich:

  • Körperlich internistisch: zum Beispiel kardiovaskuläre, metabolische und endokrinologische Erkrankungen.
  • Neurologisch: zum Beispiel extrapyramidale Symptomatik (Parkinson-Symptome), das Gangbild (Normaldruckhydrozephalus), Paresen, Atrophien sowie Okulo- und Pupillomotorikstörungen.Bei den psychischen Störungen ist vor allem auf Persönlichkeitsakzentuierungen und -änderungen, affektive Störungen, Wahn und Halluzinationen zu achten.

Kognitive Screening Instrumente

Der wohl bekannteste Test ist der Mini-Mental-Status-Test (Mini-Mental-State-Examination, MMSE), der eigentlich zur raschen Schweregradeinteilung kognitiver Defizite bei Demenzverdacht entwickelt wurde. Neuere Verfahren, zum Beispiel der DemTec und der Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA), zeigen eine höhere Sensitivität insbesondere zu Beginn der Erkrankung, decken mehrere kognitive Domänen ab und sind damit auch zur Differenzialdiagnose von Demenzen geeignet.

In der Regel sollte bei subjektiver Gedächtnisstörung und/oder Hinweisen auf eine kognitive Störung im kognitiven Screeningtest neben der Erhebung der Anamnese und der klinischen Untersuchung, eine erweiterte Diagnostik einschließlich neuropsychologischer Testung, zerebraler Bildgebung, Labor- und Liquordiagnostik erfolgen.

Spezielle testpsychologische Testbatterien

Im Vergleich zu den kognitiven Kurztestverfahren liefert eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung Kennwerte über ein breiteres Spektrum kognitiver Funktionsbereiche und erlaubt damit eine differenzierte Erfassung selbst geringgradig ausgeprägter Defizite mit erheblich höherem Nutzen für die Früherkennung und differenzialdiagnostische Entscheidungen.Für die Demenzdiagnostik eignet sich die Testbatterie Neuropsychological Assessment Battery des CERAD-Plus.

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Darüber hinaus stehen zahlreiche spezifische neuropsychologische Leistungsstests bei bestimmten Fragestellungen zur Verfügung.

Serologische und biochemische Diagnostik im Blut

Im Rahmen der Basisdiagnostik werden folgende Serum- beziehungsweise Plasmauntersuchungen empfohlen:

  • Blutbild
  • Elektrolyte (Na, K, Ca)
  • Nüchtern-Blutzucker
  • TSH
  • Blutsenkung oder CRP
  • GOT, Gamma-GT
  • Kreatinin, Harnstoff und
  • Vitamin B12

Im Falle klinisch unklarer Situationen oder bei spezifischen Verdachtsdiagnosen sollen gezielte weitergehende Laboruntersuchungen durchgeführt werden.

Liquordiagnostik

Regelhaft sollten bestimmt werden: die Zellzahl, das Gesamtprotein, die Laktatkonzentration, die Glukose, der Albuminquotient, die intrathekale IgG-Produktion und oligoklonale Banden. Die Liquordiagnostik dient zum einen dem Ausschluss einer entzündlichen Gehirnerkrankung, zum anderen erlaubt sie eine Differenzierung zwischen primär neurodegenerativen Demenzerkrankungen und anderen Ursachen demenzieller Syndrome.

Die kombinierte Bestimmung der Neurodegenerationsmarker einschließlich beta-Amyloid-1-42, beta-Amyloid-1-40, beta-Amyloid-Ratio, Gesamt-Tau und Phospho-Tau ist der Bestimmung nur eines einzelnen Parameters überlegen und zu empfehlen.

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Zerebrale Bildgebung

Die zerebrale strukturelle Bildgebung dient der Aufdeckung behandelbarer Ursachen einer Demenz (zum Beispiel Tumor, subdurales Hämatom, Normaldruckhydrozephalus) und der ätiologischen Differenzierung primärer Demenzerkrankungen. Bei Verfügbarkeit - und wenn keine Kontraindikationen vorliegen - sollte eine kraniale Kernspintomographie durchgeführt werden.

Bei Unsicherheiten in der Differenzialdiagnostik stehen weitere funktionelle Bildgebungsverfahren, die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), zur Verfügung (FDG-PET, Amyloid-PET und an manchen Zentren auch das Tau-PET).

AMDP-System

Die Arbeitsgemeinschaft für Dokumentation und Methodik in der Psychiatrie (AMDP) erarbeitet internationale Standards zur methodischen Dokumentation psychiatrischer Befunde. Das Manual zur Dokumentation des psychischen Befundes ist 2023 in der 11. Auflage erschienen.

Psychopathologische Befunderhebung und Dokumentation in Deutschland meist anhand des AMDP-Systems. Das Manual umfasst:

  • Anamnese
  • Psychopathologischer Befund (100 Merkmale)
  • Somatische Symptome (40 Symptome)

Die erhobenen Merkmale basieren auf verschiedenen Quellen:

  • S (= Selbst): Selbstaussage; Datenquelle Patient*in
  • F (= Fremd): Fremdbeobachtung; Datenquelle Untersucher*in, Pflegepersonal, Angehörige und andere
  • SF (= Selbst/Fremd): beide Datenquellen

Bereiche des psychopathologischen Befundes nach AMDP

Der psychopathologische Befund nach AMDP umfasst folgende Bereiche:

  • Bewusstsein: Bewusstseinsverminderung, Bewusstseinstrübung, Bewusstseinseinengung, Bewusstseinsverschiebung
  • Orientierung: Zeitliche, örtliche, situative und persönliche Orientierungsstörung
  • Aufmerksamkeit und Gedächtnis: Auffassungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Gedächtnisstörungen, Konfabulationen, Paramnesien
  • Formale Denkstörungen: Gehemmt, verlangsamt, umständlich, eingeengt, perseverierend, grübeln, Gedankendrängen, Ideenflüchtig, Vorbeireden, gesperrt/Gedankenabreißen, inkohärent/zerfahren, Neologismen
  • Befürchtungen und Zwänge: Misstrauen, Hypochondrie, Phobien, Zwangsdenken, Zwangsimpulse, Zwangshandlungen
  • Wahn: Wahnstimmung, Wahnwahrnehmung, Wahneinfall, Wahngedanken, systematisierter Wahn, Wahndynamik, Beziehungswahn, Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn, Eifersuchtswahn, Schuldwahn, Verarmungswahn, hypochondrischer Wahn, Größenwahn, andere Wahninhalte
  • Sinnestäuschungen: Illusionen, Stimmenhören, andere akustische Halluzinationen, optische Halluzinationen, Körperhalluzinationen, Störungen des Leibempfindens, Geruchs- und Geschmackshalluzinationen
  • Ich-Störungen: Derealisation, Depersonalisation, Gedankenausbreitung, Gedankenentzug, Gedankeneingebung, andere Fremdbeeinflussungserlebnisse
  • Störungen der Affektivität: Ratlos, Gefühl der Gefühllosigkeit, Affektarm, Störung der Vitalgefühle, deprimiert, hoffnungslos, ängstlich, euphorisch, dysphrorisch, gereizt, innerlich unruhig, klagsam/jammerig, Insuffizienzgefühle, gesteigertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Verarmungsgefühle, ambivalent, Parathymie, Affektlabil, Affektinkontinent, Affektstarr
  • Antriebs- und psychomotorische Störungen: Antriebsarm, Antriebsgehemmt, Antriebsgesteigert, motorisch unruhig, Parakinesen, Manieriert/bizarr, Theatralisch, Mutistisch, Logorrhoisch
  • Zirkadiane Besonderheiten: Morgens schlechter, abends schlechter, abends besser
  • Andere Störungen: Sozialer Rückzug, soziale Umtriebigkeit, Aggressivität, Suizidalität, Selbstbeschädigung, Mangel an Krankheitsgefühl, Mangel an Krankheitseinsicht

Schweregradeinteilung und Behandlung

Die der Alzheimererkrankung zugrunde liegenden neuropathologischen Veränderungen lassen sich anhand der heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten bereits im präklinischen/prodromalen Stadium diagnostizieren. Das Prodromalstadium der Alzheimererkrankung zeichnet sich durch das Vorhandensein dieser neuropathologischen Biomarker und eine leichte kognitive Störung (MCI), eine episodische Gedächtnisstörung, aus.

Leitlinien- und stadiengerechte Therapie

Die Leitlinien- und stadiengerechte pharmakologische Therapie der Alzheimer-Demenz und der gemischten Demenz setzt sich zusammen aus der Behandlung der Kernsymptomatik der Demenz und, falls notwendig, einer Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen.

Die Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sind wirksam in Hinsicht auf die Fähigkeit zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten, auf die Besserung kognitiver Funktionen und auf den ärztlichen Gesamteindruck bei der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz. Es soll hierbei die höchste verträgliche Dosis angestrebt werden.

Memantin ist wirksam auf die Kognition, Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Eine Add-on-Behandlung mit Memantin bei Patienten, die Donepezil erhalten, ist der Monotherapie mit Donepezil bei schwerer Alzheimer-Demenz überlegen.

Die Therapie der vaskulären Demenz orientiert sich an der Behandlung relevanter vaskulärer Risikofaktoren und Grunderkrankungen, die zu weiteren vaskulären Schädigungen führen können.

Für die Frontotemporale Demenz und die Lewy-Körperchen-Demenz steht keine evidenzbasierte Therapieempfehlung zur Verfügung.

Bei der Demenz für die Parkinsonkrankheit kann Rivastigmin empfohlen werden.

Psychosoziale Interventionen sind zentraler und notwendiger Bestandteil der Betreuung von Menschen mit Demenz und der Angehörigen. Sie umfassen unter anderem kognitives Training, kognitive Stimulation, Ergotherapie, Realitätsorientierung, körperliche Aktivierung, multisensorische Verfahren und angehörigenbezogene Interventionen.

Fallbeispiele

Fallbeispiel 1

Eine 84-Jährige kommt in Begleitung ihrer Schwiegertochter zum Erstgespräch in ein Memory-Zentrum und berichtet über eine langsam zunehmende Vergesslichkeit seit dem Tod ihres Ehemannes vor fünf Jahren. Jetzt, seit dem plötzlichen Tod ihres älteren Sohnes vor einigen Wochen, leide sie außerdem unter Ein- und Durchschlafstörungen, ihre Stimmung sei deutlich gedrückt und sie fühle sich schwach.

Im psychopathologischen Befund zeigen sich bei der allseits orientierten Patientin eine affektive Niedergestimmtheit mit psychomotorischer Unruhe und Agitiertheit. Im formalen Gedankengang fallen eine Sprunghaftigkeit sowie eine Weitschweifigkeit auf. Es imponieren zudem leichte Merkfähigkeitsstörungen.

In Zusammenschau der Befunde wird die Diagnose eines leichtgradig demenziellen Syndroms vom Alzheimer-Typ, gemischte Form sowie einer Anpassungsstörung nach Tod des Sohnes gestellt.

Fallbeispiel 2

Ein 75-jähriger Patient stellt sich in Begleitung seiner Ehefrau in einer psychiatrischen Institutsambulanz vor. Er berichtet, er leide unter motorischer, nächtlicher Unruhe mit permanent bestehenden Missempfindungen und konsekutiven Schlafstörungen. Die Ehefrau ergänzt, dass ihr Mann darüber hinaus nachts verwirrt, ängstlich und getrieben sei und in der Wohnung umherlaufe. Zudem fühle er sich beobachtet und bestohlen. Insgesamt sei er von der Stimmung niedergedrückt und habe wenig Antrieb und Motivation.

Psychopathologisch zeigt sich der Patient zu allen Qualitäten orientiert. Im interpersonellen Kontakt ist er hilfesuchend und klagsam. Seine mnestischen Funktionen sind intakt. Der formale Gedankengang ist verlangsamt. Es fallen wahnhafte Symptome in Form von Verfolgungs-, Bestehlungs- und Verarmungsideen bei ausgeprägter depressiver Affektivität auf. Die Schwingungsfähigkeit ist reduziert. Psychomotorik und Antrieb imponieren vermindert.

Versorgung der Demenzkranken

Dr. phil. Dipl.-Psychol. Stefan G. Schröder betont die Bedeutung der Versorgung von Demenzkranken. Realitäts-Orientierungs-Training (ROT) kann eine hilfreiche Methode sein. Die Versorgung von Demenzkranken stellt die Psychiatrie noch vor große Herausforderungen.

Psychotische Symptome bei Demenz

Psychotische Symptome können bei Demenz auftreten. In einer Studie wurden Alzheimer-Demenzkranke und Patienten mit vaskulären Demenzen untersucht. Bei den VD-Patienten zeigten 30 Prozent psychotische Symptome.

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