Antipsychotika wie Quetiapin werden häufig zur Behandlung von Verhaltens- und psychologischen Symptomen der Demenz (BPSD) eingesetzt. Es gibt jedoch Bedenken hinsichtlich der Nebenwirkungen dieser Medikamente, insbesondere bei älteren Menschen mit Demenz. Dieser Artikel beleuchtet die Erfahrungen mit Quetiapin bei Demenz, die damit verbundenen Risiken und mögliche alternative Behandlungsansätze.
Hintergrund: Antipsychotika-Einsatz bei Demenz
Rund 40 Prozent aller Pflegeheimbewohner in Deutschland, die an Demenz leiden, werden mit Beruhigungsmitteln behandelt, wobei hauptsächlich sedierende Antipsychotika eingesetzt werden. Vor allem Risperidon, Quetiapin und Pipamperon werden häufig und "recht großzügig" bei Demenz-Patienten verschrieben und oft auch längerfristig als notwendig eingesetzt. In Großbritannien ist die Situation ähnlich, wobei dort nur Risperidon und Haloperidol zur Behandlung Demenz-Kranker eingesetzt werden dürfen.
Eine große Kohorten-Studie der Universität Manchester untersuchte Nutzen und Nebenwirkungen der Antipsychotika nun umfangreicher: Die Studie nutzte Daten von über 173.000 Demenz-Patienten, von denen 35.339 Antipsychotika verschrieben wurden, über einen Zeitraum von 10 Jahren. Alle relevanten Daten wurden aus den elektronischen Gesundheitsakten des Clinical Practice Research Datalink (CPRD) gewonnen, das mehr als 2.000 Allgemeinarztpraxen in Großbritannien umfasst. Der CPRD besteht aus den Datenbanken Aurum und GOLD, die als weitgehend repräsentativ für die britische Bevölkerung gelten. In die Studie einbezogen wurden Personen über 50 Jahre, bei denen eine Demenz-Diagnose gestellt worden war. Die Forscher verwendeten ein abgestimmtes Kohorten-Design, bei dem jeder Patient, der nach seiner ersten Demenzdiagnose Antipsychotika erhielt, einer Gruppe zugeordnet wurde. Die durchschnittliche Zeitspanne zwischen der ersten Demenzdiagnose und dem Datum der ersten Verschreibung eines Antipsychotikums betrug 693,8 Tage für Aurum und 576,6 Tage für GOLD.
Risiken und Nebenwirkungen von Antipsychotika bei Demenz
Ein besonders erhöhtes Risiko für unerwünschte Ereignisse wurde vor allem zu Beginn der Behandlung bei den Konsumenten von Antipsychotika festgestellt. Nach einer 90-tägigen Einnahme von Antipsychotika war das Risiko für venöse Thromboembolien, Lungenentzündung, akute Nierenschäden und Schlaganfälle deutlich höher als bei Personen, die keine Antipsychotika einnahmen. Im Vergleich zur Nichtanwendung war etwa das Risiko für venöse Thromboembolien um das 1,5-fache, für Lungenentzündungen bis zum 2-fachen erhöht. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Einsatz von Antipsychotika in den ersten sechs Monaten der Behandlung zu einem zusätzlichen Fall von Lungenentzündung pro neun behandelten Patienten und einem zusätzlichen Herzinfarkt pro 167 behandelten Patienten führen könnte.
Zusammenfassend stellen die Studienautoren fest, dass der Einsatz von Antipsychotika bei Menschen mit Demenz ein erheblich größeres Spektrum an Schäden mit sich bringt als bisher untersucht. „Der Einsatz von Antipsychotika ist bei Menschen mit Demenz mit einer Vielzahl schwerwiegender unerwünschter Folgen verbunden, wobei bei einigen Folgen ein relativ großes absolutes Schadensrisiko besteht. Diese Risiken sollten bei zukünftigen regulatorischen Entscheidungen neben zerebrovaskulären Ereignissen und Mortalität berücksichtigt werden. Jeder potenzielle Nutzen einer antipsychotischen Behandlung muss gegen das Risiko schwerwiegender Schäden abgewogen werden, und die Behandlungspläne sollten regelmäßig überprüft werden. Die Wirkung von Antipsychotika auf Verhaltens- und psychologische Symptome einer Demenz ist bestenfalls bescheiden, aber der Anteil der Menschen mit Demenz, denen Antipsychotika verschrieben werden, ist in den letzten Jahren gestiegen.
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Spezifische Erfahrungen mit Quetiapin
Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Quetiapin, das aber für Demenzkranke nicht zugelassen ist. Unter Quetiapin verschlechterten sich aber die kognitiven Fähigkeiten der Patienten, so die Ergebnisse einer aktuellen Studie. Acetylcholinesterasehemmer Rivastigmin und das atypische Antipsychotika Quetiapin hatten keinen Effekt auf die Agitation bei Demenz-Patienten. In der Regel werden dann - häufig über einen längeren Zeitraum - Antipsychotika gegeben. Der erwünschte dämpfende Effekt ist bei diesen Patienten allenfalls in moderater Ausprägung vorhanden, wird aber häufig von relevanten Nebenwirkungen begleitet.
In einer Beobachtungsstudie beispielsweise verschlechterten sich die kognitiven Fähigkeiten von Demenz-Patienten unter der Einnahme von klassischen Antipsychotika. Außerdem stehen die Atypika Risperidon (Risperdal®) und Olanzapin (Zyprexa®) im Verdacht, Schlaganfälle auszulösen. Klinische Studien mit anderen Atypika bei Demenz-Kranken fehlen bisher, ein publizierter Abstract weist auf einen therapeutischen Effekt von Quetiapin (Seroquel®) bei agitierten Demenz-Patienten hin. Auch Acetylcholinesterasehemmer können möglicherweise Agitationen bei den verwirrten Patienten verhindern.
Kritik an Studiendesigns
Die Ergebnisse der Studie sind sehr kritisch zu hinterfragen. Zum einen ist das Studiendesign diskussionswürdig, da Patienten von der Studienteilnahme ausgeschlossen wurden, die in der Vorgeschichte auf die Gabe von Rivastigmin oder Antipsychotika angesprochen hatten. Es ist deshalb mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass hier eine Negativselektion stattfand, das heißt, es wurden bewusst Patienten in die Studie aufgenommen, von denen schon im Vorfeld bekannt war, dass sie nicht oder nur unzureichend auf Cholinesterasehemmer oder Antipsychotika respondierten. Zum anderen ist die Interpretation der Ergebnisse auf Grund der geringen Fallzahl schwierig. Nur für 14 Patienten des Quetiapin-Studienarms lagen Testergebnisse zur Kognition vor. Diese Testergebnisse wiesen zudem eine weite Streuung auf. Ferner stehen die Ergebnisse dieser Studie im Gegensatz zu denen, die beispielsweise von Zhong et al.
Quetiapin bei Parkinson-Demenz und Demenz mit Lewy-Körperchen
Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Quetiapin, das aber für Demenzkranke nicht zugelassen ist. Bei der DLB kam es unter Quetiapin in offenen Studien zu einer Besserung psychotischer Symptome, wobei Quetiapin in der Regel als Augmentierung zusätzlich zu einem Cholinesterasehemmer gegeben wurde [24, 62]. Deshalb wird Quetiapin für die Behandlung psychotischer Symptome bei DLB empfohlen, obwohl ein Fall von malignem neuroleptischen Syndrom bei DLB unter Quetiapin beschrieben wurde [32]. Nach den Herstellerangaben ist Quetiapin jedoch bei „älteren Patienten mit demenzbedingter Psychose“ kontraindiziert.
Fallbeispiel: Positive Erfahrungen nach Absetzen von Psychopharmaka
Da staunte das Team im Johanniter-Haus in Waibstadt nicht schlecht. Seit Jahren hatte Gerhard K. (Name geändert) sein Zimmer in dem Pflegeheim im Rhein-Neckar-Kreis nicht mehr verlassen, lebte zurückgezogen von den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern, nahm an Aktivitäten nicht teil. Auch das Essen ließ sich der demenzkranke 84-Jährige aufs Zimmer bringen, anstatt mit den anderen zu essen. Doch Gerhard K. hatte sich verändert - zum Positiven. Er kam nun bereitwillig aus seinem Raum, gesellte sich zu den anderen. Die Pflegerinnen und Pfleger beschrieben ihn als hellwach und gut gelaunt. Auf Fragen gab er sofort und klar Antwort. Gerhard K. ging auch wieder selbstständig zur Toilette, stuhlte kaum noch ein. „Er unterhielt sich auf einmal über Dinge, die ihn schon länger nicht mehr interessiert hatten beziehungsweise an die er sich nicht mehr erinnern konnte“, beschreibt Pflegerin Christina Biancorosso die Wandlung des Mannes.
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Die Problematik der Psychopharmaka-Verordnung in Deutschland
Experten weisen seit langem darauf hin, dass Antipsychotika bei alten Menschen zu oft, zu lange und in zu großer Menge eingesetzt werden. Auch Schramm und seine Kollegen hatten davon gehört. Die Initialzündung, etwas grundlegend ändern zu wollen, war für sie eine Fachtagung zu dem Thema im Herbst 2018 in Heidelberg. Schramm erinnert sich noch gut an die Rückreise von dem Symposium. „Wir waren uns als Kollegen einig, dass wir jetzt nicht so weitermachen wie bisher. Für uns war die Veranstaltung wie ein Kick-off.“ Das Team arbeitete sich verstärkt in die Materie ein und bereitete eine eigene Tagung vor.
Alternativen zu Antipsychotika
Es gibt eine ganze Reihe von Alternativen zum Einsatz solcher Medikamente. Das Spektrum reiche von beruhigenden Massagen, basaler Stimulation, Klangschalen, dem Einsatz ätherischer Öle, biografiebasierten Angeboten etwa mit bestimmten Erinnerungsgegenständen bis hin zu Musik- und Beschäftigungstherapie. „Das alles sind Möglichkeiten, um das verwirrte Gehirn zu sortieren und zu beruhigen.“ Oft seien es kleine Dinge, die Menschen mit Demenz dazu brächten, unruhig oder gar aggressiv zu sein, die aber leicht beseitigt werden könnten.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen
Für psychosoziale Maßnahmen gibt es gute Belege aus Studien, zum Beispiel für Beschäftigungstherapie oder Bewegungsangebote. Das ist natürlich immer sehr individuell und hängt von den Vorlieben und dem Krankheitsstadium des Patienten ab. Was alle psychosozialen Maßnahmen gemeinsam haben, ist, dass da jemand ist, der sich auf den Menschen mit Demenz einlässt, der sich Zeit nimmt. Das ist schon die halbe Miete. Ob man dann gemeinsam ein Puzzle legt, aus der Zeitung vorliest, Fotoalben ansieht oder eine Runde spazierengeht, ist am Ende nicht so relevant. Und man sollte als Angehöriger Hilfen von außen nutzen.
Ursachenforschung und individuelle Betreuung
Das Johanniter-Haus in Waibstadt hat sich die Forschung nach den Gründen für ein auffälliges Verhalten auf die Fahnen geschrieben. „Ursachensuche ist das Allerwichtigste“, so der Heimleiter. Dazu gehört die Analyse: Wann tritt das Verhalten auf und unter welchen Bedingungen nicht? Was hilft und was verschärft die Situation? Wichtig ist es Schramm, die Pflegekräfte bei dem Vorhaben mitzunehmen und ihnen nicht nur Vorgaben zu machen. „Es gab vereinzelt Mitarbeiter, die von dem Weg überzeugt werden mussten.“
Ein häufiger Grund für Unruhe bei Demenzkranken sind Schmerzen, die sie aber nicht benennen können. „Oft wird erst spät oder gar nicht festgestellt, dass eine Bewohnerin vielleicht randaliert, weil sie große Schmerzen hat“, weiß Professorin Thürmann.
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Die Rolle des Pflegepersonals
Eine Studie zeigt, dass das Pflegepersonal beim Psychopharmaka-Einsatz eine Schlüsselrolle einnimmt. Das WIdO hatte im Jahr 2017 2.300 Pflegekräfte befragt. Hierbei zeigte sich, dass mehr als vier von fünf Pflegekräften (84 Prozent) darauf hinwirken, dass Ärzte solche Mittel verordnen, mehr als ein Viertel (27 Prozent) sogar regelmäßig. Andererseits halten aber auch die meisten Befragten nicht-medikamentöse Ansätze für wirksam. Doch nach Angaben von 56 Prozent führt Zeitdruck dazu, dass diese Alternativen teilweise zu wenig zum Einsatz kommen.
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