Reizweiterleitung zwischen Nervenzellen: Mechanismen und Bedeutung

Das Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk, das aus Milliarden von Nervenzellen (Neuronen) besteht, die miteinander kommunizieren. Diese Kommunikation ermöglicht es uns, Sinneseindrücke zu verarbeiten, Bewegungen auszuführen und zu denken. Die Reizweiterleitung zwischen Nervenzellen ist ein grundlegender Prozess, der auf elektrischen und chemischen Signalen basiert. Dieser Artikel beleuchtet die Mechanismen, die dieser Reizweiterleitung zugrunde liegen, und ihre Bedeutung für die Funktion des Nervensystems.

Aufbau und Funktion der Nervenzelle

Nervenzellen sind hochspezialisierte Zellen, die für die Aufnahme, Weiterleitung und Verarbeitung von Reizen zuständig sind. Eine typische Nervenzelle besteht aus drei Hauptteilen:

  • Zellkörper (Soma): Enthält den Zellkern und die grundlegenden Zellorganellen.
  • Dendriten: Antennenartige Fortsätze, die Signale von anderen Nervenzellen empfangen und zum Zellkörper weiterleiten.
  • Axon: Ein langer, kabelartiger Fortsatz, der Signale vom Zellkörper weg zu anderen Nervenzellen oder Zielzellen (z.B. Muskelzellen) transportiert.

Am Ende des Axons befinden sich die synaptischen Endknöpfchen, die Kontakt zu anderen Nervenzellen herstellen. Die Stelle, an der eine Nervenzelle mit einer anderen Zelle in Kontakt tritt, wird als Synapse bezeichnet.

Entstehung des Ruhepotenzials

Um elektrische Impulse weiterleiten zu können, muss eine Nervenzelle zunächst ein elektrisches Potenzial aufbauen und aufrechterhalten. Dieses Potenzial, das Ruhepotenzial, entsteht durch die unterschiedliche Verteilung von Ionen (geladene Teilchen) innerhalb und außerhalb der Zelle.

Ionenverteilung und Membranpermeabilität

Im Inneren der Zelle befinden sich hohe Konzentrationen an Kaliumionen (K+) und negativ geladenen organischen Anionen, die die Zellmembran nicht passieren können. Außerhalb der Zelle überwiegen Natriumionen (Na+) und Chloridionen (Cl-). Die Zellmembran ist selektiv permeabel, d.h. sie lässt bestimmte Ionen leichter passieren als andere. Kaliumionen können die Membran relativ leicht passieren, während Natriumionen nur schwer hindurchkommen.

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Der Kaliumausstrom

Aufgrund des Konzentrationsunterschieds zwischen Zellinnerem und -äußerem strömen Kaliumionen durch die Membran nach außen. Da Kaliumionen positiv geladen sind, führt der Ausstrom dazu, dass das Zellinnere negativ geladen wird. Gleichzeitig werden die Kaliumionen aufgrund der negativen Ladung im Zellinneren wieder angezogen.

Elektrochemisches Gleichgewicht

Es stellt sich ein Gleichgewicht ein, bei dem der Ausstrom von Kaliumionen aufgrund des Konzentrationsgradienten genauso groß ist wie der Einstrom aufgrund der elektrischen Anziehung. Dieses Gleichgewichtspotenzial für Kalium beträgt etwa -90 mV.

Die Rolle der Natrium-Kalium-Pumpe

Die Natrium-Kalium-Pumpe ist ein Protein in der Zellmembran, das aktiv Natriumionen aus der Zelle heraustransportiert und Kaliumionen in die Zelle hineintransportiert. Dieser Prozess verbraucht Energie in Form von ATP. Die Natrium-Kalium-Pumpe trägt dazu bei, die Konzentrationsunterschiede von Natrium und Kalium aufrechtzuerhalten und das Ruhepotenzial zu stabilisieren.

Das Ruhepotenzial

In der Summe ergibt sich eine negative Spannung des Zellinneren gegenüber dem Zelläußeren von etwa -70 mV bis -80 mV. Dieses negative Potenzial wird als Ruhepotenzial bezeichnet.

Das Aktionspotenzial: Die elektrische Erregung der Nervenzelle

Wenn eine Nervenzelle ausreichend stimuliert wird, kann ein Aktionspotenzial ausgelöst werden. Ein Aktionspotenzial ist eine kurzzeitige, schnelle Änderung des Membranpotenzials, die sich entlang des Axons ausbreitet und ein elektrisches Signal darstellt.

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Depolarisation

Ein Reiz führt dazu, dass sich Natriumkanäle in der Zellmembran öffnen. Natriumionen strömen in die Zelle ein, wodurch das Zellinnere positiver wird. Dieser Prozess wird als Depolarisation bezeichnet.

Overshoot

Wenn die Depolarisation einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, öffnen sich noch mehr Natriumkanäle. Das Zellinnere wird so lange positiver, bis das Membranpotenzial etwa +30 mV erreicht. Dieser Zustand wird als Overshoot bezeichnet.

Repolarisation

Nach dem Overshoot schließen sich die Natriumkanäle und Kaliumkanäle öffnen sich. Kaliumionen strömen aus der Zelle aus, wodurch das Zellinnere wieder negativer wird. Dieser Prozess wird als Repolarisation bezeichnet.

Hyperpolarisation

Während der Repolarisation kann das Membranpotenzial kurzzeitig negativer werden als das Ruhepotenzial. Dieser Zustand wird als Hyperpolarisation bezeichnet.

Wiederherstellung des Ruhepotenzials

Nach der Hyperpolarisation kehrt das Membranpotenzial wieder zum Ruhepotenzial zurück. Die Natrium-Kalium-Pumpe hilft dabei, die ursprünglichen Ionenkonzentrationen wiederherzustellen.

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Das Alles-oder-Nichts-Prinzip

Das Aktionspotenzial folgt dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Das bedeutet, dass ein Aktionspotenzial entweder vollständig abläuft oder gar nicht. Die Stärke des Reizes hat keinen Einfluss auf die Amplitude des Aktionspotenzials, sondern nur auf die Häufigkeit, mit der Aktionspotenziale ausgelöst werden.

Refraktärzeit

Nach einem Aktionspotenzial befindet sich die Nervenzelle in einer Refraktärzeit, in der sie nicht oder nur schwer erneut erregt werden kann. Die Refraktärzeit verhindert, dass sich Aktionspotenziale rückwärts ausbreiten und sorgt dafür, dass die Erregung in eine Richtung weitergeleitet wird. Es gibt eine absolute und eine relative Refraktärzeit. Während der absoluten Refraktärzeit können sich die Natriumkanäle nicht erneut öffnen, während während der relativen Refraktärzeit nur sehr starke Reize ein neues Aktionspotential auslösen können.

Erregungsleitung entlang des Axons

Das Aktionspotenzial breitet sich entlang des Axons aus, wodurch das elektrische Signal von einem Ende der Nervenzelle zum anderen transportiert wird. Es gibt zwei Arten der Erregungsleitung:

  • Kontinuierliche Erregungsleitung: Diese Art der Erregungsleitung findet in unmyelinisierten Axonen statt. Das Aktionspotenzial breitet sich kontinuierlich entlang des Axons aus, indem es benachbarte Membranbereiche depolarisiert. Die kontinuierliche Erregungsleitung ist relativ langsam.
  • Saltatorische Erregungsleitung: Diese Art der Erregungsleitung findet in myelinisierten Axonen statt. Myelin ist eine isolierende Schicht, die von Gliazellen (Schwann-Zellen im peripheren Nervensystem und Oligodendrozyten im zentralen Nervensystem) um das Axon gewickelt wird. Die Myelinscheide ist in regelmäßigen Abständen durch Ranviersche Schnürringe unterbrochen. An den Ranvierschen Schnürringen ist das Axon unbedeckt und es befinden sich viele Natriumkanäle. Das Aktionspotenzial "springt" von Schnürring zu Schnürring, wodurch die Erregungsleitung deutlich beschleunigt wird. Die saltatorische Erregungsleitung ist energieeffizienter als die kontinuierliche Erregungsleitung, da nicht die gesamte Membran depolarisiert werden muss.

Signalübertragung an der Synapse

Am Ende des Axons befindet sich die Synapse, die Kontaktstelle zu einer anderen Nervenzelle oder einer Zielzelle. Die Signalübertragung an der Synapse erfolgt in der Regel chemisch, d.h. durch die Freisetzung von Neurotransmittern.

Aufbau der Synapse

Eine Synapse besteht aus drei Hauptkomponenten:

  • Präsynaptische Zelle: Die Nervenzelle, die das Signal sendet.
  • Synaptischer Spalt: Der schmale Raum zwischen der präsynaptischen und der postsynaptischen Zelle.
  • Postsynaptische Zelle: Die Nervenzelle oder Zielzelle, die das Signal empfängt.

Freisetzung von Neurotransmittern

Wenn ein Aktionspotenzial die präsynaptische Zelle erreicht, öffnen sich Calciumkanäle in der Zellmembran. Calciumionen strömen in die Zelle ein und lösen die Freisetzung von Neurotransmittern aus synaptischen Vesikeln in den synaptischen Spalt aus.

Bindung von Neurotransmittern an Rezeptoren

Die Neurotransmitter diffundieren durch den synaptischen Spalt und binden an Rezeptoren auf der postsynaptischen Zelle. Die Bindung von Neurotransmittern an Rezeptoren führt zu einer Änderung des Membranpotenzials der postsynaptischen Zelle.

postsynaptische Potentiale

Es gibt zwei Arten von postsynaptischen Potenzialen:

  • Exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP): Ein EPSP depolarisiert die postsynaptische Zelle und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Aktionspotenzial ausgelöst wird.
  • Inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP): Ein IPSP hyperpolarisiert die postsynaptische Zelle und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Aktionspotenzial ausgelöst wird.

Summation von postsynaptischen Potenzialen

Die postsynaptische Zelle verrechnet die eingehenden EPSPs und IPSPs. Wenn die Summe der EPSPs einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, wird ein Aktionspotenzial ausgelöst.

Beendigung der Signalübertragung

Die Signalübertragung an der Synapse wird durch verschiedene Mechanismen beendet:

  • Abbau der Neurotransmitter: Neurotransmitter können durch Enzyme im synaptischen Spalt abgebaut werden.
  • Wiederaufnahme der Neurotransmitter: Neurotransmitter können von der präsynaptischen Zelle wieder aufgenommen werden.
  • Diffusion der Neurotransmitter: Neurotransmitter können aus dem synaptischen Spalt diffundieren.

Synaptische Plastizität

Synapsen sind nicht statisch, sondern können sich im Laufe der Zeit verändern. Diese Veränderung wird als synaptische Plastizität bezeichnet und spielt eine wichtige Rolle beim Lernen und Gedächtnis.

Arten von Synapsen

Es gibt verschiedene Arten von Synapsen, die sich in ihrer Struktur und Funktion unterscheiden:

  • Chemische Synapsen: Die häufigste Art von Synapse, die Neurotransmitter zur Signalübertragung verwendet.
  • Elektrische Synapsen: Synapsen, bei denen die Zellen direkt über Gap Junctions verbunden sind. Die Signalübertragung ist sehr schnell und bidirektional.

Bedeutung der Reizweiterleitung

Die Reizweiterleitung zwischen Nervenzellen ist ein grundlegender Prozess für die Funktion des Nervensystems. Sie ermöglicht es uns, Sinneseindrücke zu verarbeiten, Bewegungen auszuführen, zu denken und zu fühlen. Störungen der Reizweiterleitung können zu neurologischen Erkrankungen führen.

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