Rheuma und Nervenschmerzen: Ein komplexer Zusammenhang

Rheumatische Erkrankungen können sich auf vielfältige Weise äußern und nicht nur die Gelenke betreffen. Häufig leiden Patienten unter starken Schmerzen, die ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Dabei ist das Nervensystem oft stärker involviert, als man zunächst annimmt. Dieser Artikel beleuchtet den Zusammenhang zwischen Rheuma und Nervenschmerzen und zeigt auf, wie die Nervensysteme das Immunsystem beeinflussen können.

Die Rolle des Nervensystems bei rheumatischen Erkrankungen

Die neuroendokrine Immunologie beschäftigt sich mit dem Einfluss des Hormon- und Nervensystems auf Entzündungen und Immunfunktionen, wie sie bei rheumatologischen Erkrankungen vorkommen. Im Fokus stehen dabei die Nervensysteme mit ihren spezifischen Nervenbahnen und Neurotransmittern/Neuropeptiden. Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Neuroimmunologie auf die Auswirkungen des Immunsystems auf neuronale Strukturen, wie beispielsweise bei Multipler Sklerose.

Vier wichtige Nervensysteme steuern das Immunsystem bei Rheuma:

  1. Das sensible Nervensystem: Es ist für die neurogene Entzündung verantwortlich, kann aber auch antientzündliche Funktionen ausüben.
  2. Das sympathische Nervensystem: Es wirkt sowohl pro- als auch antientzündlich.
  3. Das parasympathische Nervensystem: Es hat vorrangig antientzündliche Eigenschaften.
  4. Das enterische Nervensystem: Seine Rolle bei rheumatologischen Erkrankungen bedarf weiterer Forschung.

Diese Nervensysteme kommunizieren über spezifische Nervenbahnen und Neurotransmitter/Neuropeptide. Die Vielfalt der Wirkungen auf das Immunsystem erklärt sich durch eine Vielzahl von Rezeptoren mit teilweise gegensätzlich wirkenden Signalkaskaden.

Neurogene Entzündung - Das sensible Nervensystem

Die ersten Erkenntnisse über den Einfluss eines Nervensystems auf Entzündungen wurden im Zusammenhang mit der "neurogenen Entzündung" gewonnen. Diese ist für die Kardinalsymptome der Entzündung verantwortlich: Rötung, Wärme, Schwellung/Extravasation, Schmerz und Funktionseinschränkung. Im Wesentlichen geht es dabei um den Einfluss des nozizeptiven, sensiblen Nervensystems mit den Neuropeptiden Substanz P und Calcitonin-Gen-reguliertes-Peptid (CGRP).

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Bei Aktivierung dieser Nervenbahnen unterscheidet man zwischen der afferenten Funktion der Schmerzübermittlung zum Rückenmark und Gehirn und der efferenten Funktion der peripheren Neuropeptid-Ausscheidung rund um das Endköpfchen der peripheren Nervenzelle. Substanz P und CGRP induzieren Vasodilatation und Plasmaextravasation, was zu Rötung, Schwellung und Überwärmung führt. Substanz P stimuliert zudem zahlreiche immunologische und entzündliche Prozesse, wie die Chemotaxis von Immunzellen. CGRP hingegen kann oft entzündliche Pfade hemmen. Das Verhältnis dieser beiden Neuropeptide zueinander ist daher entscheidend für die Art des Einflusses.

Die neurogene Entzündung ist ein Sofortphänomen, das innerhalb von Sekunden, Minuten oder Stunden abläuft, aber auch bei chronischen Entzündungen relevant ist. Sie dient der sofortigen Aktivierung des Immunsystems in der schmerzhaften Region und führt zur Akkumulation von zirkulierenden Immunzellen am Ort des Geschehens. Capsaicin, ein Antagonist am TRPV1-Rezeptor auf der Nervenendigung, löst diese Substanz-P-vermittelte Reaktion aus. Die Nervenendigung der nozizeptiven Faser ist eine multimodale Empfangsantenne für verschiedene Entzündungsfaktoren. Bei Arthritis kann die nozizeptive Nervenfaser durch Zytokine wie TNF, IL-1β, IL-6 und IL-17A stimuliert werden.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Stimulation des sensiblen Nervensystems nicht immer eine proinflammatorische Wirkung haben muss. Wenn beispielsweise der antiinflammatorische Neurotransmitter CGRP gegenüber Substanz P überwiegt, kann dies entzündungshemmend wirken. So konnte gezeigt werden, dass die durch Streptococcus pyogenes ausgelöste Aktivierung sensibler Nervenfasern zu einer entzündungshemmenden Freisetzung von CGRP führt, wodurch die Immunfunktion gegenüber diesem Erreger stark eingeschränkt wird. Die Antagonisierung von CGRP war in diesen Experimenten von Vorteil, da auf diese Weise die Bakterien eliminiert werden konnten. Substanz P und CGRP, und somit das sensible Nervensystem, spielen also eine duale Rolle gegenüber dem Immunsystem, wobei die proinflammatorische Rolle von Substanz P überwiegen dürfte.

Das Phänomen der Entzündungshemmung durch eine halbseitige Lähmung (Hemiplegie), wie sie bei rheumatoider Arthritis (RA), Gichtarthritis, Psoriasisarthritis, RA-Vaskulitis, Sklerodermie u. a. beobachtet wurde, dürfte zum Teil auf die Hemmung des sensiblen Nervensystems durch die Hemiplegie zurückzuführen sein.

Schmerz als zentrales Problem bei Rheuma

Für viele Rheumapatienten stehen Schmerzen im Mittelpunkt ihrer Erkrankung. Obwohl Schmerz ein Warnsignal für Entzündungen ist, kann er sich verselbstständigen und nicht mehr auf Rheuma-Medikamente ansprechen. Daher ist es wichtig, die Schmerzursache zu ermitteln, bevor eine Therapie begonnen wird. Neben Schmerzen können bei Patienten auch Lähmungen, epileptische Anfälle, Taubheitsgefühle, Schlaganfälle, Sehstörungen bis hin zur Erblindung oder Gehörverlust im Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen auftreten. Auch Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit sind häufig. Werden Botenstoffe des Gehirns beeinträchtigt, können in seltenen Fällen auch psychische Erkrankungen auftreten. Um diese Störungen gezielt behandeln zu können, sollten Durchblutungsstörungen von Entzündungen abgegrenzt werden, um dauerhafte Schädigungen von Nervenzellen zu vermeiden.

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Die Betreuung von Rheuma-Patienten, bei denen das Nervensystem betroffen ist, erfordert eine enge Zusammenarbeit von Rheumatologen, Neurologen, Schmerztherapeuten, Psychosomatikern, Orthopäden, Neurochirurgen und Psychiatern, da sowohl Diagnostik als auch Therapie komplex sein können.

Die Verbindung zwischen Psyche, Immunsystem und Entzündungen

Das Entzündungsgeschehen und die Psyche sind bei Rheuma eng miteinander verbunden. Hierbei spielt auch das Immunsystem eine wichtige Rolle. Psychische Belastungen oder Stress sind nicht die alleinigen Ursachen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung. Vielmehr kommen eine genetische Veranlagung und sogenannte Trigger (Auslöser) zusammen. Forscher gehen davon aus, dass Betroffene eine angeborene Bereitschaft für Rheuma haben, die im Körper ruht, bis Trigger sie aktivieren. Als Trigger kommen Infektionen, Hormonstörungen, Bewegungsmangel, Alkohol, aber auch Stress infrage. Auf der anderen Seite beeinflusst Rheuma auch die Psyche: Die Diagnose ist oft ein einschneidendes Lebensereignis, das vieles verändert. Bei einigen Rheumaformen leiden Betroffene zudem unter einem Fatigue-Syndrom, einer starken Erschöpfung und Abgeschlagenheit.

Wissenschaftler zweifeln mittlerweile daran, dass die psychische Belastung durch die Krankheit gleichzeitig die Ursache für begleitende Depressionen und Angsterkrankungen ist. Die chronische Entzündung bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist Ausdruck einer Autoimmunreaktion. Das Immunsystem hat nicht nur eine enge Verbindung zum Körper, sondern auch zur Psyche: Anhaltender Stress schwächt das Immunsystem und kann das Entzündungsgeschehen bei Rheuma befeuern. Wissenschaftler der Psychoneuroimmunologie untersuchen genau dieses Zusammenspiel von Körper, Geist und Immunsystem.

Wie gut Menschen mit Stress und Krisen umgehen können, hängt von ihrer seelischen Widerstandskraft ab, die als Resilienz bezeichnet wird. Wer über eine hohe Resilienz verfügt, wird von belastenden Ereignissen im Leben nicht so stark aus der Bahn geworfen. Resilienz ist nur zu einem geringen Anteil angeboren und kann durch soziale Kontakte, den Blick auf das eigene Leben und die persönlichen Fähigkeiten gestärkt werden.

Da nicht jede Form von Stress vermeidbar ist, ist es wichtig, einen Ausgleich zu finden, der zu einem passt. Denkbar sind Entspannungsverfahren wie autogenes Training, Qigong oder progressive Muskelentspannung. Neben Entspannungsverfahren hilft auch moderate Bewegung, um den persönlichen Stresslevel zu senken. Wenn der Alltag sich nur noch grau anfühlt und eine positive Perspektive fehlt, sollten Betroffene sich Hilfe suchen. Die erste Anlaufstelle kann eine Vertrauensperson sein oder der behandelnde Rheumatologe.

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Antikörperdiagnostik bei rheumatischen Erkrankungen mit neurologischer Beteiligung

Krankheiten des rheumatischen Formenkreises, wie der Systemische Lupus Erythematodes (SLE), sind Autoimmunerkrankungen, die auf eine Fehlsteuerung des Immunsystems zurückzuführen sind. Antikörper gegen körpereigene Strukturen sind ein charakteristischer Hinweis auf eine solche Autoimmunerkrankung. In den meisten Fällen von SLE lassen sich Antikörper gegen Zellkerne (ANA), insbesondere gegen Desoxyribonukleinsäure (Anti-doppelsträngige DNA-Antikörper), nachweisen. Typische Symptome sind eine schmetterlingsförmige Hautrötung über Nasenrücken und Wangen sowie starke Muskel- und Gelenkschmerzen. In seltenen Fällen kann der SLE sogar mit schweren neurologischen Beschwerden einhergehen, wie beispielsweise einer Paraplegie und einer transversalen Myelitis.

Die Behandlung wird schwieriger, wenn sich Autoimmunkrankheiten wie SLE oder andere rheumatische Erkrankungen bei Patienten mit ausschließlich neurologischen oder psychiatrischen Beschwerden äußern. Diese Patienten werden häufig zunächst neurologisch/psychiatrisch therapiert, obwohl stattdessen möglicherweise eine Immunsuppression angezeigt wäre. Es stellt sich die Frage, wie viele Patienten mit Psychosen, Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen in die Psychiatrie überwiesen werden, die tatsächlich an einer nicht-diagnostizierten autoimmunologischen Erkrankung leiden. Studien zeigen, dass ein bis zwei Prozent der Patienten, die pro Jahr in eine psychiatrische Abteilung aufgenommen werden, an einer rheumatischen Autoimmunerkrankung unter Beteiligung des Nervensystems leiden.

Chronische Schmerzen trotz kontrollierter Entzündung

Viele Rheumapatienten leiden unter chronischen Schmerzen, obwohl die Entzündungsreaktion objektiv gut kontrolliert ist. Schätzungen zufolge leiden bis zu 30 Prozent der Patienten mit rheumatoider Arthritis weiterhin an lebensqualitätseinschränkenden Schmerzen, obwohl sie keine aktiven Entzündungen mehr an den Gelenken haben. Die Ursache dieser Beschwerden ist komplex und kann viele Gründe haben. Für ihre Behandlung empfiehlt sich ein multimodaler Therapieansatz.

Mögliche Ursachen für chronische Schmerzen trotz kontrollierter Entzündung sind:

  • Strukturelle Schäden: Durch die Entzündung entstehen sogenannte Sekundärarthrosen, die ganz ohne entzündlichen Anteil auftreten können.
  • Sensibilisierung: Nerven selbst oder die zentrale Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerz sind so verändert, dass bei gleicher Erregung Signale und damit Schmerzen einfacher ausgelöst werden können. Die Schmerzen können sich sogar verselbstständigen und ganz ohne Reize auftreten.
  • Psychische Faktoren: Die Psyche und der soziale Kontext spielen eine Rolle bei der Schmerzwahrnehmung. Bestimmte Neurotransmitter können bei psychischen Erkrankungen oder in belastenden Situationen verändert sein, was die Schmerzwahrnehmung beeinflussen kann.
  • Neuropathien: Schädigungen von Nerven selbst können zu neuropathischen Schmerzen führen, die als stechend, bohrend, einschießend oder unangenehm kribbelnd beschrieben werden.

Therapieansätze bei chronischen Schmerzen

Die Therapie chronischer Schmerzen bei rheumatischen Erkrankungen muss sehr individuell gestaltet werden. Es gibt verschiedene Medikamente, die speziell auf neuropathische Schmerzkomponenten wirken, wie Neuroleptika oder Schmerzmodulatoren aus der Gruppe der Psychopharmaka. Bei einer klar definierten Nervenreizung kann auch eine gezielte, lokale Therapie helfen.

Sollten Standardtherapien nicht ansprechen, kann als Versuch auch medizinisches Cannabis beziehungsweise Cannabinoide zum Einsatz kommen, insbesondere bei neuropathischen Schmerzen. Allerdings ist die Datenlage hierzu noch spärlich.

Generell gilt in der rheumatologischen Schmerztherapie das Stufenschema der WHO, das symptomorientiert arbeitet. Bei unzureichender Schmerzkontrolle wird die Intensität der Schmerztherapie stufenweise gesteigert - von Nichtopioiden über schwache Opioide bis hin zu starken Opioiden. Bei rheumatologischen Erkrankungen sollte man zunächst den mechanistischen Ansatz verfolgen und bei unzureichender Wirkung das WHO-Schema berücksichtigen.

Weitere rheumatische Erkrankungen und ihre Auswirkungen

Neben der rheumatoiden Arthritis gibt es weitere rheumatische Erkrankungen, die mit Nervenschmerzen in Verbindung stehen können:

  • Schuppenflechten-Arthritis (Arthritis psoriatica): Eine chronisch entzündliche Gelenkerkrankung, die zusammen mit einer Schuppenflechte (Psoriasis) auftritt.
  • Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew): Eine chronische entzündlich-rheumatische Erkrankung, die vorwiegend die Wirbelsäule befällt.
  • Polymyalgia rheumatica (entzündliches Muskelrheuma): Eine schmerzhafte Erkrankung der Muskulatur im Alter über 50 Jahre, die sich durch akute Muskelschmerzen und Steifigkeit auszeichnet.
  • Vaskulitis: Eine Entzündung von Blutgefäßen, die prinzipiell Blutgefäße in allen Organen betreffen kann.
  • Sjöqren-Syndrom: Eine systemische Bindegewebserkrankung, die vor allem durch einen entzündlichen Befall der Tränen- und Speicheldrüsen gekennzeichnet ist.
  • Systemischer Lupus Erythematodes (SLE): Eine Autoimmunerkrankung, die vielfältige Krankheitserscheinungen hervorrufen kann, darunter Hautveränderungen, Gelenkschmerzen und Organbeteiligung.
  • Reaktive Arthritis: Eine Gelenkentzündung, die als Reaktion nach einer gelenkfernen Infektion auftritt.
  • Lyme-Borreliose: Eine durch Zecken übertragene Krankheit, die neben Hautveränderungen auch das Nervensystem, das Herz-Kreislaufsystem und die Gelenke betreffen kann.
  • Systemische Sklerose: Eine seltene Erkrankung, die zu einer Verhärtung der Haut und des Bindegewebes führt und auch innere Organe betreffen kann.
  • Arthrose: Eine Gelenkerkrankung, die durch eine großflächige Knorpelschädigung gekennzeichnet ist.
  • Weichteilrheuma: Beschwerden, die Muskeln, Sehnen, Sehnenscheiden, Schleimbeutel, Bänder, Binde- und Fettgewebe betreffen.

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