Roboter mit Gehirn: Funktionsweise und Zukunftsperspektiven

Die Entwicklung von Robotern, die in der Lage sind, komplexe Aufgaben zu bewältigen und sich an veränderliche Umgebungen anzupassen, ist ein zentrales Ziel der modernen Robotik und Künstlichen Intelligenz (KI). Ein vielversprechender Ansatz hierbei ist die Nachahmung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns, um so intelligentere und flexiblere Roboter zu entwickeln. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte von Robotern mit Gehirn, von den grundlegenden Konzepten bis hin zu den neuesten Fortschritten und Zukunftsperspektiven.

Die Notwendigkeit neuer Ansätze in der Mikroelektronik

Die stetige Miniaturisierung von Transistoren auf Computerchips, die bisher die Leistungsfähigkeit der Mikroelektronik erhöhte, stößt zunehmend an physikalische Grenzen. Larysa Baraban vom HZDR betont, dass neue Ansätze notwendig sind. Die Forschungsgruppe von Baraban nutzt ihre Expertise im Bereich biologischer und chemischer elektronischer Sensoren, um die Eigenschaften von Neuronen zu simulieren und einen klassischen Feldeffekttransistor in einen künstlichen Neurotransistor zu verwandeln. Diese Architektur ermöglicht die gleichzeitige Speicherung und Verarbeitung von Informationen in einem einzigen Bauelement.

Neuromorphe Computer: Lernen nach dem Vorbild des Gehirns

Die Idee, Computer nach dem Vorbild des Gehirns zu entwerfen, ist nicht neu. Frühere Versuche, Nervenzellen in der Petrischale mit Elektronik zu verbinden, erwiesen sich jedoch als unpraktikabel. Gianaurelio Cuniberti von der TU Dresden, ein Vordenker des Neurotransistors, schlägt eine andere Lösung vor: Ein zähflüssiges Solgel wird auf einen herkömmlichen Siliziumwafer mit Schaltungen aufgebracht und härtet zu einer porösen Keramik aus. Die Ionen, die sich zwischen den Löchern bewegen, sind schwerer als Elektronen und kehren nach einer Anregung langsamer in ihre Position zurück. Diese Verzögerung, bekannt als Hysterese, ist für den Speichereffekt verantwortlich.

Cuniberti erklärt, dass die Stärke der Anregung eines einzelnen Transistors bestimmt, wie schnell er sich öffnet und Strom fließen lässt, wodurch die entsprechende Verbindung verstärkt wird. Computer, die auf solchen Chips basieren, wären weniger präzise in mathematischen Berechnungen, aber intelligenter. Ein Roboter mit diesen Prozessoren könnte beispielsweise laufen oder greifen lernen und Zusammenhänge erkennen, ohne dass eine Software entwickelt werden muss.

Vorteile Neuromorpher Computer

Neuromorphe Computer bieten eine Reihe von Vorteilen gegenüber herkömmlichen Computern:

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  • Energieeffizienz: Das Gehirn benötigt für komplexe Informationsübertragungen und -verarbeitungen weniger Energie als eine 30-Watt-Glühbirne, was im Vergleich zu einem Supercomputer nur ein Millionstel an Energie entspricht.
  • Lernen und Anpassungsfähigkeit: Neuromorphe Computer sind in der Lage, schnell zu lernen und sich an veränderte Bedingungen anzupassen, ähnlich wie das menschliche Gehirn.
  • Robustheit: Sie sind weniger anfällig für Fehler und Störungen als herkömmliche Computer.

Das "Gehirn" im Roboter: Einblick in die Forschung

Ben Whalley von der Universität Reading betont, dass das Ziel der Forschung nicht darin besteht, Roboter mit menschlichen Nervenzellen zu erschaffen, sondern die grundlegende Funktionsweise des Gehirns durch ein einfaches Modell zu erforschen. Das Gehirn des Roboters "Gordon" besteht aus 50.000 bis 100.000 Neuronen, die auf ein Feld mit 60 Elektroden übertragen wurden. Elektrische Impulse aus dem Gehirn treiben die Räder des Roboters an, während Sensoren elektrische Rückmeldungen an die Neuronen senden, beispielsweise wenn der Roboter auf ein Hindernis trifft.

Kevin Warwick erklärt, dass sich die Neuronen nach der Übertragung erst organisieren müssen, um ein funktionierendes Netzwerk zu bilden. Die Forscher verwendeten verschiedene "Gehirne", die in "Gordon" ausgetauscht werden konnten, um die Unterschiede zwischen ihnen zu untersuchen und herauszufinden, wie Erinnerungen im biologischen Gehirn gespeichert werden.

Das Human Brain Project: Hirnforschung und Technologieentwicklung im Zusammenspiel

Das europäische Human Brain Project (HBP) ist eine Kooperation von über 122 Forschungseinrichtungen aus 17 Ländern, die Hirnforschung und Informationstechnologien miteinander vernetzt. Ziel des Projekts ist es, das menschliche Gehirn in seiner Komplexität zu verstehen und dieses Wissen in Medizin, Informatik und Technik einzusetzen. Supercomputer und KI helfen den Neurowissenschaftlern, riesige Datenmengen zu analysieren und anatomische Modelle des Gehirns zu erstellen.

Erkenntnisse aus der Hirnforschung für KI und Computertechnologien

Neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung tragen maßgeblich zur Entwicklung leistungsstarker und energieeffizienter KI- und Computertechnologien bei. Das Gehirn ist im Vergleich zu Computern extrem platz- und energiesparend, was für mobile Anwendungen von großer Bedeutung ist. Forscher der Technischen Universität Graz haben sich von Erkenntnissen aus der Hirnforschung inspirieren lassen, um einen neuen Lernalgorithmus für KI zu entwickeln, bei dem einzelne Zellen des künstlichen neuronalen Netzwerks nur dann aktiviert werden, wenn ihre Impulse für die Verarbeitung von Informationen benötigt werden.

SpiNNaker: Ein neuromorphes Computersystem

SpiNNaker, entwickelt von Wissenschaftlern der Universität Manchester, ist ein Computersystem, das in seiner Struktur an ein biologisches Nervensystem angelehnt ist und eine Million Prozessorkerne umfasst. Es kann die neuronalen Aktivitäten eines Mäusegehirns simulieren und steht Forschern weltweit über die digitale Infrastruktur EBRAINS zur Verfügung. Im Rahmen des Human Brain Project wurde ein KI-Chip namens SpiNNaker2 entwickelt, der eine hohe Effizienz und eine geringe Latenzzeit für ereignisbasierte Systeme aufweist. Er soll in einem Computersystem mit 10 Millionen Prozessorkernen an der TU Dresden für Anwendungen im autonomen Fahren, im Datenverkehr intelligenter Städte, in taktilen Internetapplikationen und in der Biomedizin getestet werden.

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"The Virtual Brain": Eine Gehirnsimulationsplattform

Die Gehirnsimulationsplattform "The Virtual Brain" ermöglicht es, Messdaten einer Person in individuellen, patientenspezifischen Modellen zu vereinigen und Hirnaktivitäten zu simulieren. Mit dieser Methode können Wissenschaftler Rückschlüsse auf die Interaktion der neuronalen Schaltkreise des Gehirns ziehen, die den beobachteten Gehirnsignalen zugrunde liegen. In einer klinischen Studie in Frankreich wird getestet, wie die Technologie bei chirurgischen Eingriffen die Heilung von Epilepsie unterstützen kann. Die BrainModes-App für Smartphones und Tablets ermöglicht es, mit kommerziell erhältlichen Neuroheadsets das eigene Gehirn besser kennenzulernen.

Neuralink: Gehirn-Computer-Schnittstellen für medizinische und futuristische Anwendungen

Neuralink hat seinen ersten "Brain-Computer-Interface"-Chip (BCI) in ein menschliches Gehirn implantiert. Das Unternehmen will Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Lähmungen helfen oder auch neurologisch bedingte Blindheit behandeln. Elon Musk verbindet den Gehirnchip jedoch auch mit futuristischen Ambitionen, wie der Verbindung des Gehirns mit Computern, um an Informationen und Erinnerungen aus den Tiefen des Gehirns zu gelangen, Menschen mit "Supervision" auszustatten und menschliche Telepathie zu ermöglichen.

Juan Alvaro Gallego, BCI-Forscher am Imperial College London, betont, dass die Gedanken der Menschen nicht gelesen werden können und dass das grundlegende Problem darin besteht, dass wir nicht wirklich wissen, wo oder wie Gedanken im Gehirn gespeichert werden. Die Technologie wurde zunächst entwickelt, um die Kommunikation bei Menschen mit Wirbelsäulenverletzungen oder Erkrankungen wie dem Locked-in-Syndrom zu helfen. Wissenschaftler können die Absicht des motorischen Kortex lesen, einen Buchstaben zu formen. Ein weiterer Durchbruch war die Roboterhand, die Nathan Copeland mit seinen Gedanken steuerte.

Mathematische Modelle menschlicher Bewegungs- und Entscheidungsabläufe

Professor Dr. Gregor Schöner von der Ruhr-Universität Bochum entwickelt mathematische Modelle menschlicher Bewegungs- und Entscheidungsabläufe, um Roboter in die Lage zu versetzen, bestimmte Bewegungen für uns auszuführen oder Entscheidungen für uns zu treffen. Um diese Modelle zu entwickeln, müssen die Wissenschaftler die zugrunde liegenden neuronalen Prozesse im menschlichen Körper verstehen. Jede Bewegung hat ihren Ursprung in Nervenzellen, die in Gruppen und Netzwerken zusammenarbeiten. Diese komplexen Netzwerke können Neuroinformatiker mithilfe von mathematischen Differenzialgleichungen beschreiben.

Schöner und sein Team arbeiten an einem Roboterarm, der über eine Kamera seine Umgebung erfasst. Die Software, mit der der Roboterarm programmiert wurde, basiert auf Modellen menschlichen Bewegungsverhaltens. Das System kann Objekte erkennen, eine zielgerichtete Bewegung zum Objekt planen, auslösen und es schließlich ergreifen. Der Roboter wird kontinuierlich mit visuellen Informationen der Kamera und Sensordaten aus dem Arm versorgt, so dass er auf Änderungen in der Situation reagieren kann. Die mathematischen Modelle können auch zur Entwicklung intelligenter Fahrassistenzsysteme beitragen. Schöner betont jedoch, dass menschliches Handeln viel reichhaltiger, flexibler und subtiler ist, als die Modelle es wiedergeben können.

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Computational Neuroscience: Die Verbindung von Gehirn und Computer

Computational Neuroscience vereint die Kompetenz aus den Bereichen Mathematik, Physik, Biologie, Medizin, Psychologie, Informatik und Ingenieurwissenschaften, um Hypothesen in Formeln zu fassen, die man im Computer simulieren und überprüfen kann. Ein Ratten-Roboter namens WhiskEye nutzt KI-Algorithmen, die von echten Ratten inspiriert wurden, um sich in sich ständig ändernden Umgebungen zu orientieren. WhiskEye nutzt eine RGB-Kamera und künstliche Schnurrhaare, um seine Umgebung zu erkunden und die eingehenden sensorischen Informationen vorherzusagen.

Neurokybernetik: Die Integration von künstlicher und biologischer Intelligenz

In der Neurokybernetik entwickeln Neurowissenschaftler Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCIs), um künstliche Systeme ins Gehirn zu integrieren. Es wird auch damit experimentiert, Smartphone-Apps, Smart-Home-Geräte und Drohnen alleine über BCIs, also Gedankensteuerung, steuern zu können. In Deutschland arbeiten Expertinnen und Experten aus verschiedenen Gebieten daran, bionische Systeme zu entwickeln, die eine Brücke zwischen biologischen Strukturen und technischen Anwendungen schlagen. Die BITS-Projekte reichen von robotischen Orthesen über tragbare Sensoren bis zu neuen Formen der Hirnstimulation.

Die Zukunft der Neurokybernetik könnte Gehirn-Implantate bringen, die das menschliche Lernen und Erinnerungsvermögen verbessern. Die Verzahnung von Robotik mit den Neurowissenschaften hat bereits zu beeindruckenden Ergebnissen in der Behandlung von gelähmten Patientinnen und Patienten geführt.

Die Zukunft der Roboter mit Gehirn: Herausforderungen und Chancen

Die Entwicklung von Robotern mit Gehirn steht noch am Anfang, aber die Fortschritte in den Bereichen Mikroelektronik, Neurowissenschaften, KI und Robotik eröffnen vielversprechende Perspektiven. Um das volle Potenzial dieser Technologie auszuschöpfen, müssen jedoch noch einige Herausforderungen bewältigt werden:

  • Energieeffizienz: Die Entwicklung energieeffizienter Hardware und Algorithmen ist entscheidend, um die Leistungsfähigkeit von Robotern mit Gehirn zu verbessern.
  • Lernfähigkeit: Roboter müssen in der Lage sein, schnell und effizient zu lernen und sich an neue Situationen anzupassen.
  • Integration: Die Integration von biologischen und künstlichen Systemen stellt eine große technische Herausforderung dar.
  • Ethische Fragen: Die Entwicklung von Robotern mit Gehirn wirft ethische Fragen auf, die sorgfältig geprüft werden müssen.

Trotz dieser Herausforderungen bieten Roboter mit Gehirn ein enormes Potenzial für die Zukunft. Sie könnten in einer Vielzahl von Bereichen eingesetzt werden, darunter:

  • Medizin: Unterstützung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen, Entwicklung von Prothesen und Exoskeletten.
  • Industrie: Automatisierung von Produktionsprozessen, Entwicklung von intelligenten Robotern für gefährliche oder repetitive Aufgaben.
  • Dienstleistungen: Entwicklung von Servicerobotern für den Einsatz in Haushalten, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen.
  • Forschung: Unterstützung von Wissenschaftlern bei der Erforschung des Gehirns und der Entwicklung neuer Therapien.

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