Tinnitus: Wenn das Klingeln im Ohr dem Gehirn schadet

Tinnitus ist mehr als nur ein lästiges Geräusch. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Tinnitus das Gehirn schädigen kann, indem es die Art und Weise verändert, wie Emotionen verarbeitet werden.

Was ist Tinnitus?

Tinnitus ist ein Ohrengeräusch, das permanent oder zeitweise auftreten kann, ohne dass eine äußere Schallquelle vorhanden ist. Betroffene nehmen Geräusche wie Pfeifen, Brummen, Knacken, Klopfen, Zischen oder Rauschen wahr. Rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an Tinnitus.

Subjektiver vs. objektiver Tinnitus

Man unterscheidet zwischen subjektivem und objektivem Tinnitus. Den subjektiven Tinnitus kann nur der Betroffene selbst wahrnehmen. Er entsteht vermutlich durch eine Fehlverarbeitung im Gehirn. Beim objektiven Tinnitus hingegen liegt eine konkrete Erkrankung zugrunde, sodass das Geräusch beispielsweise vom Arzt beim Abhören mit einem Stethoskop erkannt werden kann.

Akuter vs. chronischer Tinnitus

Nistet sich das Ohrgeräusch länger als drei Monate ein, spricht man nicht mehr vom akuten, sondern vom chronischen Tinnitus.

Ursachen von Tinnitus

Die Ursachen für Tinnitus sind vielfältig. Die Geräusche im Ohr oder im Gehirn entstehen, ohne dass von außen ein Reiz auf das Ohr einwirkt. In vielen Fällen entsteht Tinnitus durch eine krankhafte Veränderung der Schallverarbeitung im Innenohr. Aber auch krankhafte Prozesse im Hörsystem insgesamt, also überall im Ohr und auch in den zugehörigen Hirnarealen, können einen Tinnitus verursachen. Auslöser können verschiedenste organische Erkrankungen, Entzündungen oder Unfälle, aber auch andere Hörbeeinträchtigungen, Stress oder Medikamente sein.

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Häufige Auslöser

  • Lärmbelastung (z.B. lautes Konzert, Knall)
  • Hörsturz
  • Verstopfung des Gehörgangs mit Ohrenschmalz
  • Mittelohrentzündung
  • Geplatztes Trommelfell
  • Otosklerose (eine Knochenerkrankung im Mittel- und Innenohr)
  • Menière-Krankheit (eine Erkrankung des Innenohrs, die sich durch Tinnitus, Schwindel und Hörverlust äußert)
  • Probleme mit den Kiefermuskeln oder dem Kiefergelenk
  • Hoher Blutdruck
  • Nebenwirkung von Medikamenten

Tinnitus und das Gehirn

Zwar beginnt Tinnitus meist mit einer Störung an der Peripherie, dennoch sehen viele Forscher immer mehr das zentrale Nervensystem als den eigentlichen Verursacher. Der weit verbreiteten Remapping-Theorie zufolge könnten Umbauvorgänge in der Hörrinde für Tinnitus verantwortlich sein. Zerstört etwa übermäßiger Lärm Haarzellen im Innenohr, die einer bestimmten Frequenz zugeordnet sind, bekommen die entsprechenden Neuronen der Hörrinde schlicht keinen oder wesentlich geringeren auditiven Input. Dadurch sinkt ihre hemmende Wirkung auf die Nachbarn, die angrenzende Frequenzen repräsentieren. Diese Frequenzen werden daraufhin in der Hörrinde überrepräsentiert und bilden nun das lästige Ohrgeräusch ohne eine externe Schallquelle.

Auswirkungen von Tinnitus auf das Gehirn

Tinnitus kann massive Auswirkungen auf Körper und Geist haben.

Psychische Auswirkungen

Bei vielen Betroffenen hat das Ohrgeräusch massive Auswirkungen auf Körper und Geist. Es kann zu Depressionen, Schlafstörungen, verminderter Konzentration oder psychischem Stress führen.

Veränderte Emotionsverarbeitung

Forscher haben festgestellt, dass Tinnitus-Patienten Emotionen anders verarbeiten. Eine Studie zeigte, dass bei Tinnitus-Patienten die Amygdala, die als Sitz grundlegender Emotionen gilt, weniger stark auf emotionale Geräusche reagierte als bei gesunden Probanden. Stattdessen wurden bei ihnen der Parahippocampus und die Insula aktiv. Dies deutet darauf hin, dass sich das Gehirn durch Umstrukturierung an das ständige Geräusch angepasst hat und emotionale Reize in andere Hirnareale umleitet.

Formen von Tinnitus

Tinnitus kann in unterschiedlichen Formen auftreten:

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  • Kompensierter Tinnitus: Die betroffene Person hört das Ohrgeräusch ständig, doch es treten keine weiteren Symptome wie Schwindel oder Kopfschmerzen auf.
  • Dekompensierter Tinnitus: Die Ohrgeräusche haben Einfluss auf alle Lebensbereiche der betroffenen Person und führen zu weiteren Erkrankungen.

Zusätzliche Beschwerden

Die ständigen Töne oder Geräusche belasten Körper und Psyche dauerhaft, was den Stress erhöhen und den Allgemeinzustand verschlechtern kann. Es gibt eine lange Liste von Krankheiten und Beschwerden, die durch Tinnitus ausgelöst oder verstärkt werden können:

  • Psychische, psychosomatische oder psychiatrische Zusatzerkrankungen
  • Beeinträchtigte kognitiv-emotionale Reaktionen
  • Beeinträchtigte verhaltensbezogene Reaktionen
  • Störungen des Hörvermögens und der Geräuschwahrnehmung

Tinnitus und Hörsturz

Ein Hörsturz ist ein teilweiser bis kompletter Verlust des Hörvermögens, der häufig von Tinnitus, manchmal auch von Schwindel und Druckgefühl begleitet wird. Häufigste Ursachen sind Durchblutungsstörungen des Innenohrs.

Tinnitus und Hyperakusis

Hyperakusis und Tinnitus treten gehäuft gemeinsam auf, können sich gegenseitig beeinflussen oder verursachen. Vermutet werden ähnliche Ursachen im Hörsystem. Es gibt sehr verschiedene Formen, z.B. eine generelle Überempfindlichkeit gegen Umgebungsgeräusche, ein Nicht-ertragen-können bestimmter Geräusche, Schmerzen und Ängste bei bestimmten Geräuschen oder Überempfindlichkeit bei Schwerhörigkeit.

Diagnose von Tinnitus

Die Ärztin oder der Arzt fragt zunächst nach den Beschwerden: wie sich die Ohrgeräusche genau anhören, wann sie auftreten und ob es andere Symptome wie Ohrenschmerzen oder ein Druckgefühl im Ohr gibt. Sie oder er fragt auch danach, welche Medikamente in welcher Dosis eingenommen werden, da einige von ihnen Ohrgeräusche auslösen können. Beim idiopathischen Tinnitus sind meist beide Ohren betroffen. Wenn der Tinnitus nur einseitig gehört wird und mit anderen Beschwerden wie Ohrenschmerzen einhergeht, weist dies auf eine bestimmte, meist behandelbare Ursache hin. Meist schließen sich eine Untersuchung des Gehörgangs und Hörtests an. Außerdem horcht die Ärztin oder der Arzt die Gefäße am Hals ab und veranlasst wenn nötig noch weitere Untersuchungen. Um Probleme im Kieferbereich auszuschließen, kann eine zahnärztliche Untersuchung sinnvoll sein. Anhand der Ergebnisse bestimmt die Ärztin oder der Arzt, um welche Art Tinnitus es sich handelt.

Behandlung von Tinnitus

Die Behandlung eines Tinnitus hängt von der Ursache ab. Eine zugrundeliegende Erkrankung wird behandelt - zum Beispiel mit Medikamenten gegen Bluthochdruck. Ist eine Therapie möglich, verschwindet meist auch der Tinnitus. Bei unbekannter Ursache ist die Behandlung allerdings schwieriger. Ziel ist dann vor allem, die Beschwerden zu lindern und Wege zu finden, um trotz Tinnitus gut im Alltag zurechtzukommen. Wenn der Tinnitus mit einem Hörverlust einhergeht, kommt außerdem ein Hörgerät infrage.

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Therapieverfahren

  • Tinnitus-Retraining: Hierbei handelt es sich um eine Behandlung, die auf mehreren Bausteinen aufbaut und die neben Hörtherapie auch Aufklärung und Beratung über die Erkrankung und psychologische Betreuung beinhaltet. Ziel ist, dass sich die Betroffenen an den Tinnitus gewöhnen und ihn in ihrem Alltag beherrschen.
  • Biofeedback: Bei Tinnitus-Patienten wird häufig das so genannte Muskel-Biofeedback angewandt. Der Betroffene bekommt optisch oder akustisch den Spannungszustand seiner Muskeln oder Muskelgruppen rückgemeldet und soll versuchen, die Muskeln anhand dieses Feedbacks zu entspannen. Gelingt dies, lässt sich bei einigen Tinnitus-Patienten auch das Ohrgeräusch vermindern.
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Bei der KVT lernt man, mit einem chronischen Tinnitus besser zurechtzukommen. Dadurch verschwinden zwar nicht die Ohrgeräusche, aber die Lebensqualität kann sich verbessern.

Medikamentöse Behandlung

Gegen Ohrgeräusche werden zahlreiche Mittel angeboten - zum Beispiel pflanzliche Präparate, Nahrungsergänzungsmittel und verschiedene Medikamente wie Kortison oder Carbamazepin. Für keine dieser Behandlungen ist nachgewiesen, dass sie hilft. Einige sind aber mit Nebenwirkungen verbunden.

Prävention von Tinnitus

Für jeden Menschen ist es wichtig, sich vor zu lauten Geräuschen zu schützen. Ein einfaches Mittel ist, Orte mit hohem Lärmpegel zu meiden oder sich zum Beispiel mit Gehörschutzstöpseln zu schützen.

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