Schluckstörungen nach Schlaganfall: Training und Therapie für eine sichere Nahrungsaufnahme

Schluckstörungen, auch Dysphagien genannt, sind eine häufige Komplikation nach einem Schlaganfall. Sie können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen. Eine frühzeitige Erkennung und angemessene Behandlung sind daher entscheidend, um Komplikationen wie Mangelernährung, Austrocknung und Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Verschlucken) zu vermeiden.

Was sind Schluckstörungen?

Schlucken ist ein komplexer, halbreflektorischer Prozess, der etwa 1500 Mal täglich abläuft und den Transport von Speichel und Nahrung von der Mundhöhle in den Magen ermöglicht. Dieser Vorgang besteht aus mehreren Phasen, die das koordinierte Zusammenspiel von Zunge, Kehlkopf, Gaumen und Speiseröhren-Schließmuskel erfordern.

Ein Schlaganfall kann Hirnareale oder Hirnnerven schädigen, die für die Steuerung des Schluckvorgangs verantwortlich sind. Dies führt zu Störungen in einer oder mehreren Schluckphasen, was Aspirationen (Eindringen von Speichel oder Bolusteilen in die Luftröhre) zur Folge haben kann.

Ursachen und Risikofaktoren

Schlaganfälle sind die häufigste Ursache für Schluckstörungen. Etwa 50 % der Schlaganfallpatienten entwickeln eine akute Dysphagie. Weitere Ursachen können neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson, Tumore im Kopf- und Halsbereich oder altersbedingte Abbauprozesse sein.

Symptome und Diagnose

Symptome einer Schluckstörung können vielfältig sein und umfassen:

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  • Häufiges Verschlucken oder Husten beim Essen und Trinken
  • Gurgelnde oder belegte Stimme nach dem Essen
  • Probleme beim Kauen oder Schlucken bestimmter Konsistenzen
  • Nahrungsreste im Mund nach dem Schlucken
  • Wiederholte Lungenentzündungen
  • Ungewollter Gewichtsverlust
  • Verlängerte Essenszeiten

Eine Dysphagie sollte frühzeitig nach Auftreten eines Schlaganfalls diagnostiziert werden. Die Diagnostik umfasst ein ausführliches Erstgespräch (Anamnese) mit dem Patienten und den Angehörigen, um Symptome, Essgewohnheiten, Vorerkrankungen und den aktuellen Krankheitsverlauf zu erfragen.

Die Befunderhebung beinhaltet die Überprüfung von Atmung, Husten, Haltung, Kauen, Abbeißen und Schlucken verschiedener Nahrungsmittelkonsistenzen. Zu einer genauen Befunderhebung ist ein interdisziplinärer Austausch erforderlich, insbesondere phoniatrische/HNO-ärztliche und radiologische Untersuchungen.

Logopäden spielen eine zentrale Rolle bei der Diagnostik und Beurteilung der motorischen und sensorischen Funktionen in den Schluckphasen. Sie führen Schluckversuche mit verschiedenen Nahrungskonsistenzen durch und geben eine vorläufige Ernährungsempfehlung. Ergänzend können bildgebende Verfahren eingesetzt werden, um die Aspirationsgefahr und -menge zu beurteilen. Eine schluckendoskopische Untersuchung, bei der ein dünnes Videoendoskop über die Nase in den Rachenraum geschoben wird, ermöglicht die genaue Beobachtung der Bewegungsabläufe der Muskulatur beim Schlucken von angefärbten Flüssigkeiten und Speisen.

Therapie und Behandlung

Das Hauptziel der Therapie bei Dysphagien ist die Wiedererlangung der Fähigkeit zur oralen Nahrungsaufnahme und die Reduzierung des Aspirationsrisikos. Die Behandlung umfasst sowohl die medizinische Therapie der Grunderkrankung als auch verschiedene Ansätze der Sprech- und Schlucktherapie (Logopädie).

Logopädische Therapie

Die logopädische Therapie zielt darauf ab, ein sicheres Schlucken wiederherzustellen, um eine ausreichende Nahrungsaufnahme zu ermöglichen und die Atemwege zu schützen. Dazu gehören:

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  • Restituierende Verfahren: Verfahren zur vollständigen oder partiellen Wiederherstellung des Schluckablaufs.
  • Kompensatorische Maßnahmen: Strategien und Kompensationsmöglichkeiten, um Störungen auszugleichen, wie z. B. spezielle Kopfhaltungen, die die Gefahr reduzieren, dass Nahrung in die Luftröhre gelangt.
  • Adaptierende Verfahren: Externe Hilfen wie geeignete Ess- und Trinkhilfen oder Einschränkungen der Nahrungsmittel und Nahrungskonsistenzen.

Die neuen Schluckmechanismen werden schrittweise in den Alltag übertragen. Die Bereiche Atmung und Haltung sind ebenfalls wichtige Bestandteile der Therapie.

Spezielle Kostformen und Ernährung

Spezielle Kostformen können die Nahrungsaufnahme erleichtern und das Risiko des Verschluckens reduzieren. Bei Schluckstörungen sollten trockene, körnige, faserige oder klebrige Produkte vermieden werden. Logopäden können bei der Auswahl der geeigneten Kostform helfen.

Hochkalorische Trinknahrung kann bei Bedarf die normale Ernährung ergänzen, um einer Mangelernährung vorzubeugen. In manchen Fällen kann eine Sondenernährung erforderlich sein, um die notwendige Nahrungs- und/oder Flüssigkeitsmenge sicherzustellen.

Haltung und Atmung

Die richtige Haltung verbessert die Schluckfähigkeit. Die Nahrungsaufnahme sollte in aufrechter, leicht nach vorne gebeugter Haltung erfolgen. Eine verbesserte Atmung erleichtert den Schluckakt. Es wird eine kombinierte Brust- und Bauchatmung erarbeitet und die Nasenatmung gefördert.

Husten als Schutzmechanismus

Husten ist ein wichtiger Schutzmechanismus und kann das Verschlucken (Aspiration) verhindern. Ein ausreichender Hustenstoß muss vorhanden sein, bevor die eigentliche Schlucktherapie durchgeführt werden kann. Betroffene und ihre Helfer sollten das kräftige Husten immer wieder „trocken“ üben.

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Ess- und Trinktraining

Der Patient wird schrittweise an die Nahrungsaufnahme herangeführt. Auch die Aufnahme verschiedener Nahrungsmittelkonsistenzen wird langsam verändert - meist wird mit breiiger Nahrung begonnen. Flüssigkeiten sind oft am schwierigsten zu schlucken. Das Schlucken wird kleinschrittig angeleitet. Die Nahrungsmenge wird schrittweise gesteigert.

Mundhygiene

Eine konsequente Mundhygiene und gute Mundgesundheit sind ebenfalls wichtig.

Komplikationen und Risiken

Das gefährlichste Symptom ist die Aspiration - das Verschlucken. Bei einem vorhandenen Hustenreflex wird dieser durch das Verschlucken ausgelöst. Bei fehlendem oder vermindertem Schluckreflex kommt es zu einer stillen Aspiration, die zunächst nicht bemerkt wird. Die Aspiration kann vor, nach oder während dem eigentlichen Schlucken erfolgen.

Durch die Aspiration kann es zu Lungenentzündung (= Aspirationspneumonie) oder auch zum Ersticken kommen. 6 % der Patienten mit erlittenen Hirnläsionen versterben innerhalb eines Jahres an einer Aspirationspneumonie.

Patienten müssen nach Nahrungsaufnahme mindestens 20 Minuten aufrecht sitzen.

Tipps für den Alltag

  • Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für die Mahlzeiten und vermeiden Sie Ablenkungen.
  • Essen Sie langsam, nehmen Sie nur kleine Bissen oder Schlucke und kauen Sie gründlich.
  • Achten Sie auf eine aufrechte Sitzposition.
  • Sprechen Sie während des Essens nicht übermäßig.
  • Lassen Sie den Patienten nach dem eigentlichen Schlucken noch mehrmals „leer“ nachschlucken.
  • Husten Sie nach dem Essen mehrmals und schlucken Sie mehrmals leer nach.
  • Mundpflege ist nach jedem Essen wichtig!
  • Hören Sie nach dem Essen auf Ihre Stimme - wenn sie sich gurgelnd und belegt anhört, husten Sie kräftig und schlucken Sie noch mehrmals kräftig nach.

Was Sie vermeiden sollten:

  • Klopfen Sie beim Verschlucken/Husten nicht auf den Rücken.
  • Lassen Sie auch nicht die Arme hoch nehmen.

Emotionale und soziale Aspekte

Eine Schluckstörung ist nicht nur eine schwere gesundheitliche Störung, sondern auch eine deutliche Minderung der Lebensqualität. Die Nahrungsaufnahme dient nicht nur der Sättigung, sondern ist auch Teil des sozialen Lebens. Bei einer Dysphagie muss der Betroffene und seine Angehörigen viele Gewohnheiten umstellen. Es muss auf die Art der Nahrung geachtet werden und der Patient muss sich stark auf das Schlucken konzentrieren.

Die Angst vor dem Verschlucken kann zu erheblicher psychischer Belastung führen. Angehörige können diese Ängste durch eine ruhige, entspannte Atmosphäre bei den Mahlzeiten reduzieren. Wichtig ist dabei, Verständnis zu zeigen und keine Vorwürfe zu machen.

Die Rehabilitation von Schluckbeschwerden ist oft ein längerer Prozess, der viel Durchhaltevermögen erfordert. Die emotionale Unterstützung durch Familie und Freunde ist dabei von unschätzbarem Wert. Professionelle Hilfe durch Psychologen oder Selbsthilfegruppen kann zusätzlich entlastend wirken.

Angehörige sollten auch auf ihre eigenen Bedürfnisse achten, da die Betreuung eines Menschen mit Schluckbeschwerden emotional sehr belastend sein kann.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die therapeutische Behandlung von Schluckstörungen basiert auf einem interdisziplinären Ansatz. Die Zusammenarbeit und der fachliche Austausch mit Ärzten, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Psychologen ist ein notwendiger und wichtiger Bestandteil der Therapie. Die exakte Diagnose und Verlaufskontrolle sind nur im phoniatrisch-radiologisch-logopädischen Team möglich.

Langzeitperspektiven und Lebensqualität

Nicht jeder Dysphagiepatient wird nach einer Therapie wieder vollständig normale Kost essen können. Die Veränderung der Kostform bei der oralen Ernährung oder auch die teilweise oder vollständige Ernährung mittels einer Magensonde (PEG) kann bei mittelgradigen bis schweren Dysphagien auch langfristig notwendig sein.

Ebenso kann es bei schwersten Dysphagien, die zu einer dauerhaften Aspiration von Speichel führen, notwendig sein, ein Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) durchzuführen und den Patienten mit einer geblockten Trachealkanüle zu versorgen, um die tieferen Atemwege vor dem aspirierten Speichel und Sekret zu schützen. In diesem Fall ist das Ziel der Dysphagietherapie zunächst nicht im Erreichen der oralen Nahrungsaufnahme zu sehen, sondern in der Anbahnung und Sicherung der Schluckfunktion und dem Entwöhnen von der Trachealkanüle.

Forschung und Evidenz

Obwohl in den letzten Jahren viele Untersuchungen zu physiologischen Zusammenhängen der Dysphagien veröffentlicht wurden, steht der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit von Therapieverfahren leider noch weitgehend aus. Gegenwärtig wird ein Ansatz zur Trachealkanülenentwöhnung an der Universität Potsdam evaluiert.

Wo finden Sie Hilfe?

Die logopädische Therapie sollte nach einer plötzlichen Hirnschädigung (wie Schlaganfall) begonnen werden, sobald es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt. Häufig erfolgt sie zunächst intensiv im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Danach erfolgt sie in einer logopädischen Praxis oder zu Hause.

Spezialisierte Schluckzentren an Kliniken bieten eine besonders intensive Betreuung. Für die häusliche Versorgung ist eine enge Abstimmung zwischen allen Beteiligten wichtig.

Die europäische Patientenorganisation SAFE hat in Zusammenarbeit mit der ESO einen Online-Kurs entwickelt, der sowohl für Betroffene als auch für Angehörige wichtige Informationen bereithält.

Selbsthilfegruppen bieten eine wertvolle Ergänzung zur professionellen Therapie. Sie vermitteln nicht nur praktische Informationen, sondern auch neue Lebensfreude durch den Austausch mit anderen Betroffenen.

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