Demenzkranken sagen, dass sie Demenz haben: Vor- und Nachteile

Die Diagnose Demenz ist für Betroffene und Angehörige ein einschneidendes Ereignis. Der Artikel beleuchtet die Vor- und Nachteile der Offenlegung der Diagnose gegenüber den Betroffenen selbst, unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte wie Lebensqualität, Selbstbestimmung und sozialer Integration.

Die Diagnose Demenz: Ein Wendepunkt

"Meine Mutter ist nicht mehr der Mensch, den ich mal gekannt habe", so beginnt oft die Erzählung von Angehörigen. Demenz verändert das Wesen eines Menschen, und der Weg zur Diagnose ist oft von Unsicherheit und dem Beschönigen erster Anzeichen geprägt. Anfangs werden Verhaltensweisen als Marotten abgetan, bis die Auffälligkeiten gravierender werden. Zettel mit falsch geschriebenen Namen tauchen auf, Ängste vor Dingen, die früher Freude bereiteten, entstehen, und das Interesse an sozialen Kontakten schwindet.

Der Weg zur Diagnose

Der Weg zur Diagnose ist oft ein langer Prozess. Angehörige bemerken Veränderungen, die sie zunächst auf das Alter schieben. Doch wenn die Auffälligkeiten zunehmen, suchen sie Rat. Eine Freundin im medizinischen Bereich oder der Hausarzt können erste Hinweise geben. Der Neurologe stellt dann mithilfe von Tests und Gesprächen die Diagnose. Doch was diese Diagnose wirklich bedeutet, wird oft erst im Laufe der Zeit bewusst.

Der Umgang mit der Diagnose

In den Anfangszeiten der Erkrankung spüren viele Betroffene, dass etwas nicht stimmt. "Ich glaub, ich werde verrückt", sagen sie dann. Wenn auch langsam, aber stetig verändert die Krankheit das Wesen. Auch die Angehörigen leiden unter diesem Prozess, der sich leider nicht aufhalten lässt.

Die Frage der Offenlegung: Vor- und Nachteile

Soll man einem Demenzkranken sagen, dass er Demenz hat? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Stadium der Erkrankung, der Persönlichkeit des Betroffenen und den individuellen Umständen.

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Vorteile der Offenlegung

  • Selbstbestimmung und Teilhabe: Die Offenlegung der Diagnose ermöglicht es dem Betroffenen, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, solange er dazu noch in der Lage ist. Dies betrifft beispielsweise Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen und die Gestaltung des weiteren Lebens.
  • Verständnis und Akzeptanz: Wenn der Betroffene weiß, dass er an Demenz erkrankt ist, kann er sein Verhalten besser verstehen und akzeptieren. Dies kann zu weniger Frustration und Angst führen.
  • Offene Kommunikation: Eine offene Kommunikation über die Krankheit kann die Beziehung zwischen dem Betroffenen und seinen Angehörigen stärken und Missverständnisse vermeiden.
  • Soziale Unterstützung: Durch die Offenlegung der Diagnose können Betroffene und Angehörige leichter soziale Unterstützung suchen und finden.

Nachteile der Offenlegung

  • Angst und Depression: Die Diagnose Demenz kann Angst, Depressionen und Verzweiflung auslösen. Nicht jeder Betroffene ist in der Lage, mit diesen Gefühlen umzugehen.
  • Verlust der Hoffnung: Die Diagnose kann den Betroffenen die Hoffnung auf ein normales Leben nehmen.
  • Stigmatisierung: Demenz ist in der Gesellschaft immer noch mit einem Stigma behaftet. Die Offenlegung der Diagnose kann zu sozialer Ausgrenzung führen.
  • Überforderung: Nicht jeder Betroffene ist in der Lage, die Komplexität der Erkrankung zu verstehen und die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

Alternativen zur direkten Offenlegung

Es gibt auch alternative Wege, um mit der Diagnose umzugehen, ohne sie dem Betroffenen direkt mitzuteilen.

  • Indirekte Kommunikation: Man kann dem Betroffenen Informationen über die Krankheit geben, ohne sie direkt mit seinem Zustand in Verbindung zu bringen.
  • Beschönigende Erklärungen: Man kann das Verhalten des Betroffenen mit altersbedingten Veränderungen oder anderen Ursachen erklären.
  • Anpassung der Kommunikation: Man kann die Kommunikation an die kognitiven Fähigkeiten des Betroffenen anpassen und einfache, klare Sätze verwenden.

Die Rolle der Angehörigen

Angehörige spielen eine entscheidende Rolle im Umgang mit der Diagnose Demenz. Sie sind oft die ersten, die Veränderungen bemerken, und sie begleiten den Betroffenen auf seinem Weg.

Unterstützung und Entlastung

Angehörige benötigen Unterstützung und Entlastung, um die Pflege eines Demenzkranken zu bewältigen. Dies kann durch professionelle Pflegedienste, Tagesstätten oder Selbsthilfegruppen erfolgen.

Kommunikation und Verständnis

Eine offene und wertschätzende Kommunikation ist wichtig, um die Beziehung zum Betroffenen aufrechtzuerhalten. Angehörige sollten versuchen, die Welt aus der Sicht des Betroffenen zu sehen und seine Bedürfnisse zu verstehen.

Selbstfürsorge

Angehörige sollten auch auf ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden achten. Regelmäßige Pausen, soziale Kontakte und Entspannungsübungen sind wichtig, um nicht selbst auszubrennen.

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Leben mit Demenz: Möglichkeiten der Therapie und Unterstützung

Auch wenn Demenz nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Medikamentöse Therapie

Sogenannte Antidementiva können das Gedächtnis stabilisieren und die Symptome der Demenz lindern. Allerdings ist ihre Wirksamkeit beschränkt, und es ist wichtig, die Wirkung und die Nebenwirkungen abzuwägen.

Nicht-medikamentöse Therapie

Physio- und Ergotherapie können motorische Fähigkeiten erhalten und fördern. Tagesstätten bieten Beschäftigung und Anregung. Wichtig ist, dass der Alltag nicht zu eintönig wird. Spaziergänge und ähnliche Tätigkeiten helfen bei der Rhythmisierung des Alltags.

Geriatrische Reha

Die Geriatrie ist spezialisiert auf ältere Patienten und bietet einen ganzheitlichen Behandlungsansatz. Patienten mit einer leichten bis mittleren Demenz können ähnlich gut profitieren wie Menschen ohne Demenz.

Die Bedeutung sozialer Kontakte und Teilhabe

Demenzerkranke und ihre Angehörigen profitieren davon, bei möglichst vielen Gelegenheiten soziale Kontakte zu pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Es ist wichtig, Demenzkranke so lange als möglich in die Entscheidungen einzubeziehen, die sie betreffen, um ihre Würde zu erhalten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

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Demenzdörfer: Ein umstrittenes Konzept

In Deutschland gibt es erste "Demenzdörfer". In diesen Einrichtungen soll den Erkrankten in einem Maße Sicherheit und Bewegungsfreiheit ermöglicht werden, was sie in konventionellen Heimen nicht finden. "Demenzdörfer" liegen meist abseits, dort, wo bauen preiswert ist. Die Betreiber werden hart kritisiert: Inklusion sei da nicht möglich, die Kranken würden einfach abgeschoben. Obwohl gerade die dort alles finden, was sie brauchen.

Kritik an Demenzdörfern

Kritiker stören sich am Zaun, der verhindert, dass die Bewohner das Gelände verlassen. Sie argumentieren, dass Demenzdörfer gegen die Forderung nach Inklusion verstoßen - der Verpflichtung, alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen.

Befürworter von Demenzdörfern

Befürworter argumentieren, dass Demenzdörfer die Möglichkeit bieten, dass auch Menschen mit Demenz ihre Verhaltensänderung ausleben können, beispielsweise, dass sie eben die Möglichkeit haben, noch rumzugehen, ohne dass man sie auf engem Raum begrenzen muss, dass sie vielleicht noch einkaufen können, auch ohne, dass sie noch mit Geld umgehen können, weil das anders geregelt ist.

Was wir von Menschen mit Demenz lernen können

Demente Menschen vergessen oft wichtige Dinge, die erledigt werden sollten. Sie leben im Augenblick, sind absolut ehrlich und verlassen sich viel mehr auf ihr Bauchgefühl. Wir können von ihnen lernen, entspannter durch den Tag zu gehen, ehrlicher zu sein und mehr auf unser Bauchgefühl zu hören.

Die Bedeutung nonverbaler Kommunikation

Menschen mit Demenz sind sehr feinfühlig und achten sehr stark auf nonverbale Signale. Sie spüren, ob wir ihnen mit Wohlwollen und Respekt begegnen oder ob wir Hektik und Ärger transportieren.

Häusliche Pflege vs. Pflegeeinrichtung

Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, ihre an Demenz erkrankten Angehörigen zuhause zu pflegen. Doch wie sind die Vor- und Nachteile bei dieser Entscheidung zu bewerten?

Vorteile der häuslichen Pflege

  • Die Betroffenen können in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.
  • Sie fühlen sich sicherer und geborgener, da sie ihre Umgebung und ihre Angehörigen kennen.
  • Es kann ein genau auf sie zugeschnittener Tagesablauf erstellt werden, wodurch sie sich auch in ihrer Erkrankung noch ein Stück weit selbstständig fühlen können.

Nachteile der häuslichen Pflege

  • Die Pflege erfolgt häufig rund um die Uhr, was zu einer enormen Belastung für die pflegende Person führen kann.
  • Eine häusliche Pflege macht nur dann Sinn, wenn sich die Erkrankung noch in einem frühen Stadium befindet. Ansonsten stößt die pflegende Person oft auf ihre Grenzen, da die Pflegebedürfnisse des Demenzkranken sich schnell erhöhen können.

Vorteile der Pflegeeinrichtung

  • Auch in Pflegeeinrichtungen kann eine vertraute und geborgene Umgebung geschaffen sowie die Selbstständigkeit der Erkrankten bewahrt und auf individuelle Tagesabläufe eingegangen werden.
  • Die Häuser sind spezialisiert auf Demenzerkrankungen.
  • Dementiell erkrankte Bewohner leben dort beispielsweise in Wohngruppen entsprechend dem Grad ihrer Erkrankung, ihrer Fähigkeiten und Ressourcen.
  • Es gibt zentrale Treffpunkte mit festen Bezugspersonen, da an unter Demenz leidende Senioren eine Beziehungskontinuität und Sicherheit benötigen.

Kommunikation mit Angehörigen in der Pflege

Die Zusammenarbeit und Kommunikation mit Angehörigen nimmt im Pflegealltag ebenfalls eine zentrale Rolle ein. Angehörige kennen die Gewohnheiten und Vorlieben ihrer pflegebedürftigen Familienmitglieder. Die Ansprüche und Erwartungen von Angehörigen gehen häufig nicht mit den medizinisch-pflegerischen Möglichkeiten und Erfordernissen einher. Hieraus ergeben sich im Pflegealltag Konfliktsituationen, die einer konstruktiven und wertschätzenden Zusammenarbeit im Wege stehen.

Ursachen für Konflikte

  • Anspruchshaltung
  • Unwissenheit im Hinblick auf medizinisch-pflegerische Maßnahmen
  • Nicht erfüllbare und unausgesprochene Erwartungen
  • Wille zur „Pflichterfüllung“
  • Trauer
  • Unsicherheit
  • Persönliche Unzufriedenheit

Tipps für eine gelingende Kommunikation

  • Berücksichtigen Sie die Emotionalität der Angehörigen.
  • Führen Sie Teamgespräche, um die Situation aufzulösen.
  • Nehmen Sie die Kritik und die Bedürfnisse der Angehörigen ernst.
  • Bieten Sie die Teilhabe an Planungen, Vorbereitungen und Durchführungen bei Festen und individuellen Aktivierungsangeboten an.
  • Klären Sie die Erwartungen und Bedürfnisse der Angehörigen ab.
  • Fokussieren Sie sich nicht ausschließlich auf das Anstrengende im Miteinander.
  • Hören Sie den Angehörigen zu und vermitteln Sie Ihren Blickwinkel als professionelle Betreuungskraft.

Gesellschaftliche Herausforderungen und Perspektiven

Die steigende Zahl von Menschen mit Demenz stellt eine zunehmende Herausforderung an die Betreuung aller Beteiligten dar, sowohl in medizinischer als auch in pflegerischer sowie ethischer und sozialmedizinischer Sicht. Es ist wichtig, dass wir uns dieser Herausforderung stellen und die Menschen mit Demenz in unserer Mitte sehen.

Integration und Teilhabe

Demente Personen sollten als selbstverständlicher Teil unserer Gemeinschaft angenommen werden. Auch Demenz ist Leben. Es ist wichtig, dass sie nicht aus vertrauten sozialen Kontexten ausgeschlossen werden, sondern dass sie - im Gegenteil - weiterhin eine offene, sensible, konzentrierte Zuwendung erfahren, und dies auch dann, wenn sie zur verbalen Kommunikation nicht mehr in der Lage sind.

Ethische Aspekte

Im Hinblick auf Demenz sind Freiheit und Autonomie von zentraler Bedeutung. Es ist wichtig, die Autonomiechancen von Betroffenen über wirksame Möglichkeiten des Vorausverfügens zu stärken und auf auch bei Demenz erhalten gebliebene Freiheitsmöglichkeiten aufmerksam zu machen und sie zur Entfaltung zu bringen.

Die Zukunft der Demenzforschung

Es wäre ein Glücksfall, wenn die Forschung eine wirksame Therapie entwickeln könnte. Aber in den nächsten zehn Jahren ist das eher unwahrscheinlich. Deshalb ist es nötig, dass sich die gesellschaftliche Haltung zur Demenz ändert.

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