Soziale Phobie: Ursachen im Gehirn und multifaktorielle Entstehung

Die soziale Phobie, auch bekannt als soziale Angststörung, ist durch eine ausgeprägte Furcht vor Situationen gekennzeichnet, in denen man von anderen Menschen bewertet oder beobachtet wird. Diese Angst kann sich auf spezifische Situationen beziehen, wie beispielsweise das Sprechen in der Öffentlichkeit oder das Essen in Gesellschaft, oder aber generalisiert in fast allen sozialen Interaktionen auftreten. Betroffene leiden unter erheblichen Einschränkungen im Alltag, was sich in der Schule, im Beruf, bei sozialen Aktivitäten und in Beziehungen äußern kann. Um die Entstehung und Aufrechterhaltung dieser komplexen Störung zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den verschiedenen Ursachen und deren Wechselwirkungen auseinanderzusetzen.

Symptome der sozialen Phobie

Die soziale Phobie manifestiert sich durch eine Vielzahl von Symptomen, die sowohl körperlicher als auch psychischer Natur sein können. Körperliche Reaktionen wie Zittern, Schwitzen, Erröten, Anspannung, Herzklopfen, ein flaues Magengefühl, Mundtrockenheit und Hitzewallungen sind typisch. Die Angst vor der Bewertung durch andere führt oft zu einem Vermeidungsverhalten, bei dem soziale Situationen gemieden werden, um die Entstehung von Angst zu verhindern. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Symptome sich bis zu einer Panikattacke steigern können. Zudem verstärkt die Selbstwahrnehmung der körperlichen Symptome die Angst, was zu einem Teufelskreis führt.

Multifaktorielle Ursachen der sozialen Phobie

Die Entstehung einer sozialen Phobie ist in der Regel auf das Zusammenspiel verschiedener Faktoren zurückzuführen, die wie einzelne "Mosaiksteine" wirken. Heutige Modelle betrachten die soziale Phobie als ein multifaktorielles Geschehen, bei dem genetische Faktoren, eine gestörte Balance von Hirnbotenstoffen, ungünstige Lernerfahrungen und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle spielen.

Genetische Faktoren

Es wird davon ausgegangen, dass eine gewisse genetische Vorbelastung für Angststörungen besteht. Studien haben gezeigt, dass Kinder von Eltern mit Angststörungen ein 3,5-fach erhöhtes Risiko haben, ebenfalls eine Angststörung zu entwickeln. Die Erblichkeit wird auf 30-50% geschätzt. Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) im Erbgut, insbesondere am Serotonin-Transporter-Gen SLC6A4, könnten ebenfalls eine Rolle spielen. Dieses Gen kodiert einen Mechanismus, der am Transport des Botenstoffs Serotonin beteiligt ist, welcher Angstgefühle und depressive Verstimmungen dämpft.

Neurobiologische Faktoren

Neben genetischen Faktoren spielen auch neurobiologische Aspekte eine wichtige Rolle. Es wird angenommen, dass die Balance bestimmter Botenstoffe (Neurotransmitter) im Gehirn gestört ist, insbesondere die Balance der Botenstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Dies erklärt, warum in schweren Fällen eine medikamentöse Behandlung mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) hilfreich sein kann. Auch scheinen Hirnbereiche, die für die Verarbeitung und Speicherung emotionaler Inhalte verantwortlich sind, eine Rolle zu spielen.

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Ungünstige Lernerfahrungen

Ungünstige Lernerfahrungen, insbesondere im Kindes- und Jugendalter, können ebenfalls zur Entstehung einer sozialen Phobie beitragen. Ein überbehütend-beschützender Erziehungsstil der Eltern, bei dem Betroffene als Kind übermäßig stark kontrolliert und eingeschränkt wurden, kann dazu führen, dass Betroffene nicht in ausreichendem Maße selbständiges und autonomes Handeln lernen. Aber auch das gegenteilige Elternverhalten, ein gleichgültig-instabiles Verhalten, kann sich ungünstig auswirken und beim Kind die Überzeugung ausbilden, dass Kontakte zu anderen unvorhersehbar und gefährlich sind. Die Eltern von Menschen mit sozialer Phobie hatten häufig nur wenig soziale Kontakte, wodurch Kinder bestimmte soziale Fähigkeiten nur begrenzt lernen konnten und soziale Kontakte eher als etwas Besonderes, möglicherweise Bedrohliches gesehen wurden. Oft haben die Eltern auch übermäßig viel Wert auf die Meinungen Dritter gelegt, was zu einer hohen Bewertungs- und Kritikangst der Betroffenen führen konnte.

Belastungserlebnisse und soziale Traumatisierungen

Konkret ausgelöst wird eine soziale Phobie dann meistens dadurch, dass auf diesen "bereiteten Boden" ein spezielles Belastungserlebnis trifft. Dieses kann ein kritisches Lebensereignis oder eine Überforderungssituation sein (z.B. der Eintritt ins Berufsleben mit neuen sozialen Anforderungen). Auch soziale Traumatisierungen (z.B. das Erleben von Ausgrenzung und Mobbing, schamhafte Erlebnisse in der Öffentlichkeit) können eine soziale Phobie auslösen.

Persönlichkeitsmerkmale

Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus, übermäßige Vorsicht und ein geringer Selbstwert können ebenfalls zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer sozialen Phobie beitragen. Diese Faktoren können dazu führen, dass Betroffene soziale Situationen als bedrohlich wahrnehmen und Vermeidungsstrategien entwickeln.

Der Teufelskreis der sozialen Phobie

Die soziale Phobie wird meist über einen sich-selbst-verstärkenden Teufelskreis aufrechterhalten. Betroffene richten in Angstsituationen ihre Aufmerksamkeit übermäßig stark auf sich selber, versuchen körperliche Angstsignale vor anderen zu verdecken und bewerten die Situation nachträglich übermäßig kritisch.

Selbstaufmerksamkeit und Körperreaktionen

In sozialen Situationen richten Betroffene ihre Aufmerksamkeit stark auf sich selbst und ihre vermeintlichen Fehler. Sie beobachten sich genau und achten auf Anzeichen von Angst, wie z.B. Erröten, Zittern oder Schwitzen. Diese verstärkte Selbstaufmerksamkeit führt dazu, dass die Betroffenen ihre Körperreaktionen noch stärker wahrnehmen, was wiederum die Angst verstärkt.

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Absicherungsverhalten und Vermeidungsstrategien

Um die Angst zu bewältigen, entwickeln Betroffene oft ein ausgeklügeltes System von Absicherungsstrategien. Sie wählen beispielsweise Speisen aus, welche nicht überschwappen können, oder sie verstecken ihre zitternden Hände unter den Ärmeln ihres Pullovers. Zunächst scheint diese Absicherung tatsächlich eine hilfreiche Strategie zu sein, verringert sie doch in diesem Moment die auftretende Angst. Längerfristig verstärkt die Absicherung jedoch den Teufelskreis. Denn durch diese Absicherung verhindert der Betroffene, sich mit seiner Angst und mit den tatsächlichen Reaktionen der Mitmenschen auseinander zu setzten.

Übermäßige Selbstkritik und hohe Standards

Nach einer sozialen Situation neigen Menschen mit sozialer Phobie dazu, eigene Fehler und Misserfolge überzubewerten und lassen an ihrem eigenen Verhalten zumeist "kein gutes Haar". Diese "Kritikbrille" bestätigt scheinbar das negative Selbstbild als sozial unzulänglich und steigert die Angst vor neuen Situationen. Auch haben Menschen mit sozialer Phobie meist hohe Standards und eine idealisierte Vorstellungen von kompetentem Sozialverhalten. Übermäßige Selbstkritik und hohe Standards halten die Angst langfristig aufrecht.

Diagnose und Behandlung

Die Diagnose einer sozialen Phobie erfolgt in der Regel durch ein ausführliches Gespräch mit einem Arzt oder Psychotherapeuten. Dabei werden die Symptome, die Häufigkeit und Intensität der Angst sowie die Auswirkungen auf den Alltag erfasst. Zusätzlich können Fragebögen eingesetzt werden, um die Diagnose zu unterstützen.

Psychotherapie

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gilt als die wirksamste psychotherapeutische Methode zur Behandlung der sozialen Phobie. Sie zielt darauf ab, angstauslösende Gedanken und Verhaltensweisen zu erkennen und zu verändern. Durch Expositionsübungen, bei denen sich die Betroffenen schrittweise angstbesetzten Situationen stellen, lernen sie, ihre Angst zu bewältigen und neue, positive Erfahrungen zu sammeln.

Medikamentöse Therapie

In einigen Fällen kann eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein, insbesondere bei schweren Formen der sozialen Phobie. Antidepressiva, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), werden häufig eingesetzt, um die Symptome zu lindern.

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Selbsthilfe und unterstützende Maßnahmen

Ergänzend zur Psychotherapie und/oder medikamentösen Therapie können verschiedene Selbsthilfetechniken und unterstützende Maßnahmen dazu beitragen, die soziale Angst abzubauen. Dazu gehören Entspannungsübungen, soziale Kompetenztrainings und der Aufbau eines unterstützenden sozialen Netzwerks.

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