Die altersbedingte Abnahme der kognitiven Fähigkeiten, insbesondere das Risiko an Demenz zu erkranken, stellt eine wachsende Herausforderung für alternde Gesellschaften dar. In diesem Zusammenhang rückt die Forschung nach präventiven und therapeutischen Ansätzen zur Unterstützung der Gehirnfunktion immer stärker in den Fokus. Eine Substanz, die in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erregt hat, ist Spermidin. Es wird diskutiert, ob Spermidin Alterungsprozesse stoppen, vor Demenz schützen und sogar gegen Krebs und das Coronavirus wirken kann.
Was ist Spermidin?
Spermidin ist ein biogenes Polyamin, das natürlicherweise in allen Zellen des Körpers vorkommt und eine wichtige Rolle im Zellstoffwechsel spielt. Es wird sowohl vom Körper selbst produziert als auch durch die Nahrung aufgenommen. Eine wesentliche Funktion von Spermidin ist die Anregung der Autophagie, einem zellulären Reinigungsprozess, bei dem beschädigte oder nicht mehr benötigte Zellbestandteile abgebaut und recycelt werden. Die Autophagie dient dazu, Zellschrott zu reduzieren, was besonders wichtig ist, da die Ansammlung von Eiweißablagerungen in Verbindung mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson gebracht wird.
Spermidin ist in verschiedenen Lebensmitteln enthalten, wobei Weizenkeime, reifer Käse, Pilze, Sojabohnen und andere Hülsenfrüchte besonders reichhaltige Quellen darstellen.
Spermidin und die Forschung zur Demenzprävention
In der Forschung wird Spermidin als ein vielversprechender Ansatz zur Vorbeugung von Demenzerkrankungen angesehen. Studien haben gezeigt, dass die Verabreichung von Spermidin bei Fruchtfliegen altersbedingte Vergesslichkeit verhindern kann. Die Forscher Stephan Sigrist (Freie Universität Berlin) und Frank Madeo (Karl-Franzens-Universität Graz) konnten nachweisen, dass Spermidin die Erinnerungsleistung älterer Gehirne von Fruchtfliegen wieder auf ein jugendliches Niveau steigern kann, indem es die Autophagie in Gang setzt und die Menge an Proteinaggregaten in den Gehirnen reduziert. Da Erinnerungsprozesse bei Tieren und Menschen auf molekularer Ebene ähnlich sind, könnten diese Erkenntnisse dazu beitragen, Mittel zur Verzögerung von Demenzerkrankungen zu entwickeln.
Eine Studie an der Charité in Berlin unter der Leitung von Professor Agnes Flöel untersucht den Einfluss von Spermidin aus Weizenkeimen auf Lernfähigkeit und Gedächtnis. In einer kleineren Vorstudie konnte bereits gezeigt werden, dass sich Gedächtnisleistungen nach dreimonatiger Einnahme von Spermidin tendenziell verbessern, bei sehr guter Verträglichkeit der Kapseln.
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Neue Erkenntnisse: Erhöhte Spermidin-Blutspiegel als Indikator für Hirnalterung
Eine aktuelle Studie der Universitätsmedizin Greifswald unter der Leitung von Professorin Agnes Flöel hat jedoch neue Erkenntnisse über die Rolle von Spermidin für die Hirnalterung gewonnen. Die Forscher fanden heraus, dass erhöhte Spermidin-Blutspiegel mit einer fortgeschrittenen Hirnalterung verbunden sind. Mithilfe von Magnetresonanztomographie (MRT) konnten sie zeigen, dass erhöhte Spermidin-Blutspiegel mit Veränderungen in vier verschiedenen MRT-basierten Hirnmarkern einhergehen, die typisch für die Hirnalterung und Alzheimer-Demenz sind.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Spermidin möglicherweise nicht nur positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat, wie in früheren Studien gezeigt wurde, sondern auch als potenzieller Biomarker für präklinische Alzheimer-Demenz dienen könnte. Dies ist wichtig, da blutbasierte Biomarker weniger kostspielig und für die Patienten körperlich weniger belastend sind als die Liquordiagnostik.
Die Rolle der Autophagie
Spermidin induziert die Autophagie, einen zellulären Reinigungsprozess, bei dem Zellen ihren "Schrott" abbauen und verwerten. Dieser Prozess ist wichtig, um die Ansammlung von schädlichen Substanzen wie fehlgefalteten Proteinen zu verhindern, die für die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen verantwortlich gemacht werden. Durch die Anregung der Autophagie kann Spermidin die Zellen vor schädlichen Ansammlungen schützen.
Spermidin als Kalorienreduktions-Mimetikum
Spermidin wird auch zu den sogenannten Kalorienreduktions-Mimetika gezählt. Diese Substanzen ahmen die Effekte des Fastens nach, wodurch der Körper beim Abnehmen bestimmte Stoffe produziert. Spermidin kann mit der Nahrung aufgenommen werden und so die Vorteile des Fastens auf den Stoffwechsel und die zellulären Selbstreinigungsmechanismen nutzen.
Spermidin in Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln
Spermidin ist in verschiedenen Lebensmitteln enthalten, besonders gute Quellen sind Weizenkeimlinge, Pilze (Kräuterseitlinge, Champignons), gereifter Käse, Erbsen, Broccoli und Blumenkohl. Eine ausgewogene Ernährung mit diesen Lebensmitteln kann dazu beitragen, den Spermidingehalt im Körper zu erhöhen.
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Spermidinhaltige Nahrungsergänzungsmittel werden ebenfalls angeboten, meist in Form von Kapseln mit Weizenkeimextrakten. Die erlaubte Höchstmenge an Spermidin in Nahrungsergänzungsmitteln liegt bei 6 Milligramm pro Tag. Es ist jedoch wichtig, vor dem Kauf die Zutatenliste genau zu lesen, da nicht alle Produkte die angegebene Menge an Spermidin enthalten.
Was ist bei der Einnahme von Spermidinprodukten zu beachten?
Gesundheitsbezogene Werbeaussagen für Spermidin sind derzeit nicht zugelassen, und es gibt bisher keine Studien am Menschen, die einen Nutzen durch die Einnahme spermidinhaltiger Nahrungsergänzungsmittel für gesunde Personen belegen. Ob die regelmäßige Einnahme von Spermidin-Kapseln tatsächlich die Gesundheit und Lebenserwartung verbessert, ist noch nicht ausreichend erforscht.
Als körpereigene Substanz ist Spermidin in Lebensmitteln sehr gut verträglich. Die Einnahme von 1,2 Milligramm Spermidin am Tag über drei Monate führte bei Probanden zu keinen Beschwerden. Es ist jedoch noch unklar, ob die langfristige Einnahme hochdosierter Nahrungsergänzungsmittel mit Spermidin Risiken birgt. Es gibt widersprüchliche Daten darüber, inwieweit gesteigerte Autophagie die Entstehung von Tumoren beeinflussen kann.
Weitere Maßnahmen zur Vorbeugung von Demenz
Neben der potenziellen Rolle von Spermidin gibt es weitere Maßnahmen, die zur Vorbeugung von Demenz beitragen können. Dazu gehören:
- Geistige Aktivität: Fordern Sie Ihr Gehirn regelmäßig durch Lesen, Sprachen lernen, Musizieren oder Memo-Spiele heraus.
- Körperliche Aktivität: Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die Durchblutung des Gehirns und kann das Demenzrisiko senken.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und ungesättigten Fettsäuren ist wichtig für die Gesundheit des Gehirns. Vermeiden Sie übermäßigen Zuckerkonsum.
- Risikofaktoren kontrollieren: Achten Sie auf die Kontrolle von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht.
- Soziale Kontakte pflegen: Soziale Kontakte sind wichtig für die Gehirnfunktion und können das Risiko von Demenzerkrankungen verringern.
- Vermeidung von schädlichen Substanzen: Reduzieren Sie den Alkoholkonsum und verzichten Sie auf das Rauchen.
- Schwerhörigkeit behandeln: Bereits leichte Hörminderungen können das Demenzrisiko erhöhen. Lassen Sie Ihre Ohren regelmäßig überprüfen und behandeln Sie Schwerhörigkeit frühzeitig.
- Psychische Belastungen reduzieren: Achten Sie auf den Umgang mit Stress und Depressionen, da psychische Belastungen das Gehirn schädigen können.
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