In Deutschland leiden schätzungsweise fünf Millionen Menschen an neuropathischen Schmerzen, besser bekannt als Nervenschmerzen. Neben Rücken- und Kopfschmerzen gehören Neuralgien damit zu den häufigsten Ursachen chronischer Schmerzen. Die Intensität und Häufigkeit chronischer Nervenschmerzen können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel soll Ihnen helfen, Spezialisten für Nervenschmerzen zu finden und die bestmögliche Behandlung zu erhalten.
Was sind Nervenschmerzen?
Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen oder Neuralgien genannt, entstehen durch eine Schädigung oder Funktionsstörung des Nervensystems. Im Gegensatz zu anderen Schmerzarten, bei denen Schmerzreize durch Verletzungen oder Entzündungen entstehen, werden neuropathische Schmerzen durch eine direkte Schädigung der Nervenbahnen oder des Gehirns und Rückenmarks verursacht.
Dr. Rudolf van Schayck, Leiter der Kliniken Schmieder Stuttgart, erklärt, dass neuropathische Schmerzen entstehen, wenn die Nervenbahnen und Schaltstationen im Gehirn, die der Schmerzverarbeitung und Schmerzweiterleitung dienen, verletzt werden. Sind die Nervenbahnen an Armen und Beinen betroffen, spricht man von peripheren neuropathischen Schmerzen. Bei Schädigung von Rückenmark oder Gehirn können zentrale neuropathische Schmerzen entstehen.
Wie fühlen sich Nervenschmerzen an?
Die Symptome von Nervenschmerzen können vielfältig sein und von Person zu Person unterschiedlich wahrgenommen werden. Typische Beschreibungen sind:
- Brennendes Gefühl (wie Brennnesseln)
- Kribbeln oder Prickeln (wie Ameisenlaufen oder Stromkribbeln)
- Schmerzhafte Berührungsempfindlichkeit
- Blitzartige, elektrisierende Schmerzattacken
- Gelegentlich schmerzhafte Kälte oder Wärme
- Schmerzhafte Druckempfindlichkeit im Schmerzbereich
- Oft begleitet von einem Taubheitsgefühl im Schmerzbereich
Ursachen von Nervenschmerzen
Es gibt viele Auslöser für neuropathische Schmerzen. Verantwortlich sind meist verletzte, geschädigte oder entzündete Nerven. In der Regel liegt der Schädigung eine körperliche Ursache zugrunde, wie z. B. Veränderungen des Nervensystems. Zusätzlich spielen auch psychische Faktoren eine entscheidende Rolle.
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Dr. van Schayck nennt folgende Ursachen für periphere neuropathische Schmerzen:
- Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) mit Nervenschädigung
- Durchblutungsstörungen der Beine
- Gürtelrose (Herpes zoster-Infektion mit postzosterischer Neuralgie)
- Verschiedene Giftstoffe wie Alkohol und manche Medikamente
- Tumorerkrankung
- Erbliche Krankheit
- Verletzung im Bereich der Arme oder Beine mit Nervenverletzung, Nervendurchtrennung bis hin zur Amputation
- Sudeck-Krankheit, sympathische Reflexdystrophie oder komplexes regionales Schmerzsyndrom
- Phantomschmerzen und Stumpfschmerzen nach Amputationen
- Schmerzhafte Nervenschädigung bei Bandscheibenvorfall
- Einengung des Medianusnerven am Handgelenk (Karpaltunnelsyndrom)
- Trigeminusneuralgie
Zentrale neuropathische Schmerzen können entstehen nach:
- Hirninfarkt
- Hirnblutungen
- Hirnentzündungen
- Multipler Sklerose (MS)
- Unfallbedingten Schädigungen des Gehirns (Schädel-Hirn-Trauma) und des Rückenmarks (Querschnittslähmung)
- Hirn- und Rückenmarktumoren
- Syringomyelie
Diagnose von Nervenschmerzen
Bei chronischen Nervenschmerzen hat der Schmerz seine spontane Signalfunktion verloren. In den meisten Fällen entwickelt sich als Folge einer Erkrankung ein eigenständiges Krankheitsbild. Chronische Schmerzen können aber auch entstehen, wenn sich akute Beschwerden regelmäßig wiederholen.
Zur Diagnose der Nervenschmerzen wird nach der detaillierten Schilderung der Krankheitsgeschichte (Anamnese) im Rahmen einer neurologischen Untersuchung die charakteristisch veränderte Hautsensibilität beurteilt. Patienten, die an chronischen Nervenschmerzen leiden, weisen charakteristisch eine veränderte Hautsensibilität auf. Sie reagieren überempfindlich auf bestimmte Reize, wie Wärme, Kälte oder Druck (fachsprachlich als Allodynie bekannt).
Quantitativ Sensorische Testung (QST)
Dies gelingt mithilfe der Quantitativ Sensorischen Testung (QST), bei der die betroffenen Areale des Patienten auf Wärme, Kälte, Druck, Vibration, Berührung und stumpfe Nadelreize getestet werden. Die Ergebnisse geben schließlich Rückschlüsse auf vorhandene Nervenschädigungen. Anschließend können Verletzungen bzw.
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Weitere diagnostische Verfahren
- Schmerzzeichnung: Der Patient markiert auf einer Körperkarte die schmerzenden Bereiche.
- Schmerzfragebögen: Standardisierte Fragebögen helfen, die Schmerzintensität und -qualität zu erfassen.
- Neurographie: Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit.
- SEP (somatosensibel evozierte Potenziale): Prüfung der gesamten Gefühlsbahn von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn.
- Bildgebende Verfahren (CT, MRT): Sie können eine Nervenschädigung direkt sichtbar machen.
Behandlung von Nervenschmerzen
Die Behandlung von Nervenschmerzen gestaltet sich oft schwierig, sofern keine Operation zur Entlastung des betroffenen Nervs möglich ist. Schmerzfreiheit kann nur in den seltensten Fällen erreicht werden. Daher sollen realistische Behandlungsziele vor Therapiebeginn gemeinsam mit dem Patienten besprochen werden. Zunächst muss die dem Schmerz zugrunde liegende Krankheit untersucht und gut eingestellt werden. Die Schmerzkrankheit selbst kann mittels Schmerztagebüchern gut aufgezeichnet werden und dient dem Behandlungsteam als Grundlage.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft (DGS) nennt als realistische Ziele gemäß Leitlinie zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eine Schmerzreduktion um > 30-50 %, eine Verbesserung der Schlafqualität und Lebensqualität, den Erhalt der sozialen Aktivitäten sowie den Erhalt der Arbeitsfähigkeit.
Medikamentöse Therapie
Die Therapie neuropathischer Schmerzen gründet sich vor allem auf eine für jeden einzelnen Menschen individuell abgestimmte Behandlung mit Medikamenten. Sie soll die Beschwerden lindern, bis sich die geschädigten Nerven zumindest weitgehend erholt und neu aufgebaut haben. Es werden unterschiedliche Wirkprinzipien angewendet, darunter häufig die Kombinationsbehandlung mit verschiedenen Medikamenten, die den Nervenschmerz über unterschiedliche Wirkmechanismen lindern.
Nicht-medikamentöse Therapie
Nicht-medikamentöse Verfahren können ergänzend oder in der Akuttherapie zur Überbrückung der Zeit bis zum Anschlagen der sonstigen Medikamente eingesetzt werden. Darüber hinaus können im Einzelfall, je nach Ausprägung der Beschwerden, physikalische Maßnahmen, Ergotherapie und Psychotherapie sinnvoll sein.
Multimodale Schmerztherapie
Eine multimodale Schmerztherapie, die verschiedene Behandlungsansätze kombiniert, kann helfen, Beschwerden wirksam zu lindern. Medikamentöse Therapie in Verbindung mit in Schmerzbehandlung geschulten Psycholog:innen sind eine häufig angewandte Kombination. Motorische Therapien wie Physiotherapie und Ergotherapie ergänzen das Spektrum.
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Neurochirurgische Schmerztherapie
Verfahren der neurochirurgischen, neuromodulativen Schmerztherapie - beispielsweise bei chronischen Rückenschmerzen - können dabei eine wichtige Rolle spielen.
Zu den neurochirurgischen Verfahren gehören:
- Rückenmarksstimulation (Spinal Cord Stimulation, SCS): Hierbei wird in der Wirbelsäule eine Elektrode platziert, die elektrische Impulse an das Rückenmark abgibt, um die Schmerzleitung zu unterbrechen.
- Dorsalganglienstimulation (DGS): Ähnlich wie bei der Rückenmarksstimulation wird eine Elektrode gezielt im Bereich der Hinterwurzelganglien am Rücken platziert, um die Weiterleitung von Schmerzsignalen zum Gehirn zu modulieren.
- Periphere Nervenstimulation (PNS) und Periphere Nervenfeldstimulation (PNFS): Hierbei werden feine Elektroden direkt an einem betroffenen Nerv oder oberhalb dessen im subkutanen Fettgewebe platziert, um Schmerzsignale abzuschwächen.
- Occipitalnerv-Stimulation (ONS): Eine Behandlungsmethode für therapieresistente Kopfschmerzsyndrome wie chronische Migräne und Cluster-Kopfschmerz. Dabei werden feine Elektroden in der Nähe der Occipitalnerven am Hinterkopf platziert, die durch elektrische Impulse die Schmerzsignale beeinflussen.
- DREZ (Dorsal Root Entry Zone)-Eingriff: Bei schweren, therapieresistenten Schmerzen, insbesondere nach Plexusverletzungen und -ausrissen, kann ein Eingriff an der Hinterwurzeleintrittszone eine wirksame Behandlungsoption sein.
- Schmerzpumpe: Bei Patienten mit schwerer Spastik oder chronischen Schmerzen, die nicht ausreichend auf herkömmliche medikamentöse Therapien ansprechen, kann die Implantation einer Schmerzpumpe eine effektive Lösung darstellen. Diese Pumpe ermöglicht die direkte Abgabe von Schmerzmitteln oder muskelentspannenden Medikamenten in den Nervenwasserraum (intrathekal).
- Mikrovaskuläre Dekompression: Liegt bei einer Trigeminusneuralgie eine Gefäßschlinge vor, welche den Trigeminusnerv berührt, kann bei unzureichender Linderung durch eine medikamentöse Therapie ggf. durch eine operative Lösung von Nerv und Gefäß eine Schmerzreduktion erreicht werden.
- Verödung des Ganglion Gasseri: Sollte bei einer Trigeminusneuralgie eine mikrovaskuläre Dekompression nicht infrage kommen, so kann als minimalinvasives Verfahren eine „Verödung“ des Ganglion Gasseri zu einer Schmerzlinderung führen.
- Motorcortexstimulation: Hierbei wird eine Elektrode auf den sog. motorischen Cortex des Gehirns aufgelegt und elektrische Impulse an den motorischen Kortex des Gehirns abgegeben, um die Schmerzwahrnehmung zu beeinflussen.
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Die Tiefe Hirnstimulation, welche meist für Patienten mit Bewegungsstörungen wie Parkinson oder einer Dystonie eingesetzt wird, kann auch bei Patienten mit chronischen Gesichtsschmerzen oder einem sog. zentralen Schmerz zur Anwendung kommen.
- Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Ein nicht-invasives Verfahren zur Behandlung von chronischen Schmerzen, die auf herkömmliche Therapien nicht ausreichend ansprechen. Hierbei werden magnetische Impulse auf bestimmte Areale des Gehirns abgegeben, um die Schmerzverarbeitung zu modulieren.
- Röntgen-gestützte Infiltrationen: Stellen eine präzise und schonende Methode zur Behandlung von Rücken- und Gelenkschmerzen dar. Durch den Einsatz von Röntgenbildwandlern wird die genaue Position der Nadel während des Eingriffs sichtbar gemacht, wodurch eine präzise und zielgerichtete Behandlung möglich ist.
Wo finde ich einen Spezialisten für Nervenschmerzen?
Zunächst sollte man als Betroffener mit dem Hausarzt sprechen. Für einige neuropathische Schmerzkrankheiten wie die Trigeminusneuralgie ist der Neurologe zuständig. Fachleute für Schmerzbehandlung kann man auch über die Homepage der Deutschen Schmerzgesellschaft www.dgss.org oder der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie www.stk-ev.de finden. In schweren Fällen kann auch eine stationäre Behandlung in einer Schmerzklinik sinnvoll und notwendig sein.
Weitere Anlaufstellen:
- Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel: Bietet spezielle Therapie von Nervenschmerz (neuropathischer Schmerz) und anderen chronischen Schmerzerkrankungen.
- Kliniken Schmieder Stuttgart: Unter der Leitung von Dr. Rudolf van Schayck, einem Experten für chronische Nervenschmerzen.
- Algesiologikum - Zentrum für Schmerztherapie und psychische Gesundheit in München: Bietet eine umfassende, fachübergreifende Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen.
Was Sie bei der Suche nach einem Spezialisten beachten sollten:
- Erfahrung: Achten Sie auf die Erfahrung des Arztes im Bereich der Behandlung von Nervenschmerzen.
- Spezialisierung: Idealerweise sollte der Arzt auf die Behandlung Ihrer spezifischen Art von Nervenschmerzen spezialisiert sein.
- Zertifizierungen: Achten Sie auf Zertifizierungen, die die Qualifikation des Arztes im Bereich Schmerztherapie belegen.
- Kommunikation: Wählen Sie einen Arzt, der Ihnen zuhört, Ihre Fragen beantwortet und Sie in die Behandlungsplanung einbezieht.
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