Spezialisten für seltene neurologische Erkrankungen finden

In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass viele seltene neurologische und psychiatrische Erkrankungen genetische Ursachen haben. Seltene Erkrankungen stellen eine enorme Herausforderung für die Medizin dar und erfordern von Klinikern und Wissenschaftlern, Experten für Spezialfälle zu sein. Glücklicherweise gibt es spezialisierte Zentren und Fachleute, die sich der Diagnose, Behandlung und Erforschung dieser komplexen Krankheitsbilder widmen. Dieser Artikel soll Ihnen helfen, Spezialisten für seltene neurologische Erkrankungen zu finden und die verfügbaren Ressourcen optimal zu nutzen.

Was sind seltene neurologische Erkrankungen?

Eine Erkrankung gilt als selten, wenn sie weniger als 5 von 10.000 Personen betrifft. Obwohl jede einzelne seltene Erkrankung nur eine kleine Anzahl von Menschen betrifft, sind in der Summe schätzungsweise fünf Prozent der Bevölkerung von einer seltenen Erkrankung betroffen. Das bedeutet, dass allein in Deutschland etwa vier Millionen Menschen mit einer der rund 9.000 bekannten seltenen Erkrankungen leben.

Seltene neurologische Erkrankungen umfassen ein breites Spektrum von Störungen, die das Gehirn, das Rückenmark, die Nerven und die Muskeln betreffen. Einige Beispiele für seltene neurologische Erkrankungen sind:

  • Hereditäre Spastische Spinalparalysen (HSP)
  • Hereditäre Ataxien
  • Hereditäre Neuropathien
  • Moyamoya-Erkrankung
  • Usher-Syndrom und andere Formen der Taubblindheit
  • Cogan-Syndrom
  • Muckle-Wells-Syndrom
  • Auditorische Neuropathien
  • Seltene syndromale Schwerhörigkeiten
  • Monogene Schwerhörigkeiten
  • Spinale Muskelatrophie
  • Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung

Die Diagnose und Behandlung seltener neurologischer Erkrankungen kann eine Herausforderung darstellen. Dies liegt an mehreren Faktoren:

  • Geringe Prävalenz: Aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen haben viele Ärzte wenig bis gar keine Erfahrung mit diesen Krankheitsbildern. Die Symptome seltener Erkrankungen sind oft unspezifisch und können leicht mit häufigeren Erkrankungen verwechselt werden.
  • Komplexe Krankheitsbilder: Seltene neurologische Erkrankungen können sich sehr unterschiedlich äußern und verschiedene Organe und Systeme des Körpers betreffen.
  • Mangel an Informationen: Für viele seltene Erkrankungen gibt es nur begrenzte Informationen über Ursachen, Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten.
  • Lange Diagnosewege: Betroffene müssen oft lange auf die richtige Diagnose warten - im Durchschnitt etwa 4,8 Jahre. Dies liegt daran, dass Ärzte kaum Erfahrung mit den teils extrem seltenen Krankheitsbildern haben.

Spezialisierte Zentren für seltene Erkrankungen

Um die Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu verbessern, wurden in Deutschland und anderen Ländern Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSE) eingerichtet. Diese Zentren verfügen über spezielles Know-how zu bestimmten Krankheitsgruppen und bieten eine interdisziplinäreBetreuung durch Experten verschiedener Fachrichtungen.

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Ein zentrales Ziel der ZSE ist es, eine schnellere und gezieltere Diagnosestellung zu gewährleisten sowie eine professionelle Weiterbehandlung einzuleiten und - wo möglich - Therapieempfehlungen auszusprechen. Die Zentren arbeiten eng mit anderen Gesundheitseinrichtungen, Forschungseinrichtungen und Patientenorganisationen zusammen, um die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.

Das Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) Tübingen

Das Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) Tübingen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die medizinische Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen zu verbessern. Dem ZSE Tübingen sind 16 Fachzentren angegliedert, die eine breite multiprofessionelle Expertise für bestimmte seltene Erkrankungen anbieten. Eines dieser Fachzentren ist das Zentrum für Seltene Neurologische Erkrankungen (ZSNE).

Das Zentrum für Seltene Neurologische Erkrankungen (ZSNE) Tübingen

Das Zentrum für Seltene Neurologische Erkrankungen (ZSNE) ist eines der integrierten Fachzentren des Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZSE) am Universitätsklinikum Tübingen. Das ZSNE bietet Spezialambulanzen für familiär gehäuft vorkommende neurologische Erkrankungen und insbesondere für vererbte Bewegungsstörungen an. Das Zentrum ist darauf spezialisiert, die genetischen Ursachen der seltenen Erkrankung aufzudecken und Patienten und Patientinnen mit genetisch bedingten neurologischen Erkrankungen zu betreuen.

Im ZSNE arbeiten Spezialisten aus Neurologie, Neurochirurgie, Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Geriatrie, Neuroradiologie und Neuropathologie eng zusammen. Dieses interdisziplinäre Team bietet eine gezielte, fundierte Diagnostik, eine ausführliche Aufklärung der Patient*innen und deren Angehörige über wahrscheinliche Verläufe bzw. ein mögliches Erkrankungsrisiko für Verwandte und eine optimierte individuelle Therapie.

Das ZSNE engagiert sich auch in der Forschung, um den Zusammenhang zwischen Mutation und Erkrankung zu verstehen und bessere Therapieoptionen für Menschen mit seltenen Erkrankungen zu entwickeln. Die Forschungsergebnisse werden konsequent in neue Therapieoptionen umgesetzt.

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Wann sollten sich Patienten an das ZSNE wenden?

Bei neurologischen Erkrankungen mit ungeklärter Ursache und dem Verdacht auf eine seltene Erkrankung ist das ZSNE eine kompetente Anlaufstelle. Die Überweisung erfolgt in der Regel durch den Facharzt. Kinder werden am Fachzentrum betreut, Erwachsene in der Neurologie.

Weitere spezialisierte Zentren und Anlaufstellen

Neben dem ZSE Tübingen gibt es in Deutschland und anderen Ländern weitere spezialisierte Zentren und Anlaufstellen für seltene neurologische Erkrankungen. Einige Beispiele sind:

  • Universitätsklinikum Köln: Bietet ein spezialisiertes Angebot zur Diagnostik und Betreuung für Patienten mit seltenen neuromuskulären Erkrankungen. Die Kombination aus neurophysiologischer und neuropathologischer Diagnostik gepaart mit neuen Verfahren der Molekulargenetik und Hochdurchsatzsequenzierung können dabei helfen, neue Ursachen von neuromuskulären Erkrankungen zu entdecken und bestmögliche Behandlungskonzepte zu entwickeln.
  • Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) Heidelberg: Eine qualifizierte Anlaufstelle für Betroffene, ihre Angehörigen und zuweisenden Ärzte. Hier haben sich spezialisierte Mediziner und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen zusammengeschlossen, um Patienten zu einer präzisen Diagnose, maßgeschneiderten Therapie sowie umfassenden Betreuung zu verhelfen.
  • Autoinflammation Reference Center Tübingen Kinder und Jugendliche: Bietet mit seinem interdisziplinären Team den primärversorgenden Kolleginnen und Kollegen mit ihren betroffenen Patienten eine Anlaufstelle für autoinflammatorische Erkrankungen.
  • Zentrum für Chronisches Darmversagen und Intestinale Rehabilitation Kinder und Jugendliche (ZCDIR): Betreut Kinder und Jugendliche mit Störungen oder Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie z.B. Kurzdarmsyndrom (KDS) und/oder chronisches Darmversagen.
  • Zentrum für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Kraniofaziale Fehlbildungen: Spezialisiert auf die Diagnostik, Erforschung und Behandlung von kindlichen Fehlbildungen im Gesichtsbereich wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG) unterschiedlicher Ausprägung, Gesichtsveränderungen bei Kindern mit Down-Syndrom, die Pierre-Robin-Sequenz und andere Gesichtsspalten und Syndrome.
  • Moyamoya Center am Universitätskinderspital Zürich: Bietet das gesamte Spektrum der Behandlung von Patienten mit Moyamoya sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter an.
  • Zentrum für Seltene Hörerkrankungen: Spezialisiert auf die Diagnostik, Erforschung und Behandlung von seltenen Erkrankungen des Gehörs.
  • Spezialambulanz für Myasthenie und neuromuskuläre Erkrankungen: Zertifiziert als Integriertes Myastheniezentrum sowie als Muskelzentrum der DGM (Dt. Gesellschaft für Muskelkranke).

Internationale Vernetzung

Aufgrund der wenigen Fälle und des komplexen Charakters seltener Erkrankungen ist eine internationale Vernetzung besonders wichtig. Die EU will durch eine Reihe von Maßnahmen erreichen, dass Kräfte und Mittel zur Diagnose und Behandlung solcher Erkrankungen gebündelt werden und Fachwissen über Grenzen hinweg ausgetauscht wird. Unter anderem verfolgt sie das Ziel, Gesundheitsdienstleister in den EU-Mitgliedstaaten, die Erfahrungen und Kenntnisse auf diesem Gebiet haben, zu vernetzen.

Das ZSE Tübingen ist an verschiedenen Netzwerken für seltene Erkrankungen beteiligt und arbeitet eng mit internationalen Partnern zusammen.

Wie finde ich den richtigen Spezialisten?

Die Suche nach dem richtigen Spezialisten für eine seltene neurologische Erkrankung kann eine Herausforderung sein. Hier sind einige Tipps, die Ihnen helfen können:

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  1. Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt oder Neurologen: Ihr Arzt kann Ihnen möglicherweise einen Spezialisten empfehlen, der Erfahrung mit Ihrer spezifischen Erkrankung hat.
  2. Recherchieren Sie online: Nutzen Sie das Internet, um spezialisierte Zentren und Ärzte zu finden, die sich auf seltene neurologische Erkrankungen konzentrieren. Die Webseiten der Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSE) und der Patientenorganisationen sind gute Ausgangspunkte für Ihre Suche.
  3. Fragen Sie bei Patientenorganisationen nach: Patientenorganisationen können Ihnen oft bei der Suche nach geeigneten Spezialisten und Behandlungsmöglichkeiten helfen. Sie können Ihnen auch Informationen über die Erkrankung und Unterstützung für Betroffene und Angehörige bieten.
  4. Nutzen Sie Datenbanken und Register: Es gibt verschiedene Datenbanken und Register, in denen Spezialisten für seltene Erkrankungen aufgeführt sind. Diese können Ihnen helfen, einen Arzt in Ihrer Nähe zu finden, der Erfahrung mit Ihrer Erkrankung hat.
  5. Holen Sie sich eine Zweitmeinung ein: Wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie den richtigen Spezialisten gefunden haben, holen Sie sich eine Zweitmeinung ein. Dies kann Ihnen helfen, eine fundierte Entscheidung über Ihre Behandlung zu treffen.

Die Rolle der Genetik

Insbesondere in den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass vielen seltenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen eine genetische Ursache zugrunde liegt. Die genetische Diagnostik spielt daher eine wichtige Rolle bei der Identifizierung und Behandlung dieser Erkrankungen.

Spezialisierte Zentren wie das ZSNE Tübingen sind darauf spezialisiert, die genetischen Ursachen seltener neurologischer Erkrankungen aufzudecken. Durch die Analyse des Erbguts der Patienten können Mutationen identifiziert werden, die für die Erkrankung verantwortlich sind. Dies kann nicht nur die Diagnose bestätigen, sondern auch Informationen über den Krankheitsverlauf und mögliche Therapieoptionen liefern. Darüber hinaus kann die genetische Beratung Familien helfen, das Risiko einer Weitervererbung der Erkrankung einzuschätzen.

Forschung und Entwicklung

Die Forschung spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Versorgung von Patienten mit seltenen neurologischen Erkrankungen. Durch die Erforschung der Ursachen, Mechanismen und Verläufe dieser Erkrankungen können neue Diagnose- und Therapieansätze entwickelt werden.

Viele spezialisierte Zentren engagieren sich in der Forschung und arbeiten eng mit anderen Forschungseinrichtungen und Pharmaunternehmen zusammen. Ziel ist es, neue Medikamente und Therapien zu entwickeln, die die Symptome lindern, den Krankheitsverlauf verlangsamen oder sogar die Erkrankung heilen können.

Patienten mit seltenen neurologischen Erkrankungen haben oft die Möglichkeit, an klinischen Studien teilzunehmen. Diese Studien dienen dazu, die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Medikamente und Therapien zu testen. Die Teilnahme an einer klinischen Studie kann für Patienten eine Chance sein, von den neuestenFortschritten in der Forschung zu profitieren und zur Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten beizutragen.

Unterstützung für Betroffene und Angehörige

Seltene neurologische Erkrankungen können nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Angehörigen eine große Belastung darstellen. Es ist wichtig, dass Betroffene und Angehörige Zugang zu umfassender Unterstützung undInformationen haben.

Viele Patientenorganisationen bieten Unterstützung und Beratung für Betroffene und Angehörige an. Sie können Ihnen helfen, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, Informationen über die Erkrankung zu erhalten und Zugang zu spezialisierten Zentren und Ärzten zu finden. Darüber hinaus bieten einige Zentren für Seltene Erkrankungen psychologische Unterstützung und Beratung für Betroffene und Angehörige an.

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