Ein Schlaganfall kann das Leben von Betroffenen und ihren Familien von einem Moment auf den anderen verändern. Sprachstörungen, sogenannte Aphasien, sind häufige Folgen, die die Kommunikation und somit die Teilhabe am sozialen Leben erheblich beeinträchtigen können. Glücklicherweise gibt es vielfältige Therapieansätze und Übungen, die Betroffenen helfen können, ihre Sprachfähigkeiten wiederzuerlangen oder zu verbessern. Ziel ist es, Menschen zurück ins Leben zu begleiten und ein neues Gleichgewicht zu finden.
Was ist eine Aphasie?
Der Begriff "Aphasie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "keine Sprache". Es handelt sich jedoch nicht um einen vollständigen Sprachverlust, sondern um eine Sprachstörung, die die Sprachproduktion und das Sprachverständnis beeinträchtigt. Ursache ist meist eine Schädigung des Gehirns, in 80 Prozent der Fälle durch einen Schlaganfall. Betroffene haben Schwierigkeiten, Wörter und Sätze zu bilden oder zu verstehen, obwohl die Mundmuskulatur und Motorik intakt sind.
Formen der Aphasie
Je nach betroffenem Hirnareal und Schweregrad der Schädigung unterscheidet man verschiedene Formen der Aphasie:
- Globale Aphasie: Die schwerste Form, bei der sowohl Sprachverständnis als auch Sprachproduktion massiv gestört sind. Betroffene können oft nur einzelne Wörter sprechen und verstehen.
- Wernicke-Aphasie: Betroffene sprechen flüssig, aber oft unverständlich, da sie falsche Wörter oder Laute wählen und lange, verschachtelte Sätze bilden. Das Sprachverständnis ist stark eingeschränkt.
- Broca-Aphasie: Betroffene sprechen langsam und angestrengt in kurzen, einfachen Sätzen oder einzelnen Wörtern ("Telegrammstil"). Das Sprachverständnis ist jedoch relativ gut erhalten.
- Amnestische Aphasie: Die leichteste Form, bei der Betroffene Schwierigkeiten haben, die richtigen Wörter zu finden und daher Umschreibungen, Floskeln oder Ersatzwörter verwenden.
Neben der Aphasie können nach einem Schlaganfall auch andere Sprach- und Sprechstörungen auftreten:
- Dysarthrie (Dysarthrophonie): Eine motorische Sprechstörung, die die Artikulation, Stimmgebung und Sprechatmung beeinträchtigt. Betroffene sprechen beispielsweise verwaschen oder undeutlich.
- Sprechapraxie: Eine Störung der Planung und Programmierung von Sprechbewegungen, die zu unbeständigen und wechselhaften Fehlern führt.
- Schluckstörungen (Dysphagie): Häufige Folgen eines Schlaganfalls, die die Nahrungsaufnahme erschweren und die Lebensqualität beeinträchtigen können.
Neurologische Frührehabilitation: Der Wendepunkt
Nach der Akutbehandlung auf der Stroke Unit beginnt die neurologische Frührehabilitation (Phase B), ein entscheidender Schritt auf dem Weg zurück ins Leben. Hier treffen Akutmedizin und Rehabilitation aufeinander. Ziel ist es, die Selbstständigkeit der Patienten so weit wie möglich wiederzuerlangen.
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Teamarbeit für den Erfolg
Die Frührehabilitation ist Teamarbeit. Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Neuropsychologen und Sozialarbeiter arbeiten eng zusammen.
- Physiotherapie: Aktiviert Muskeln, fördert Gleichgewicht und Koordination.
- Ergotherapie: Hilft, Hände und Arme wieder gezielt einzusetzen, für alltägliche Aufgaben wie Zähneputzen oder Anziehen.
- Logopädie: Trainiert Stimme, Sprache und sicheres Schlucken.
- Neuropsychologie: Stärkt Gedächtnis, Konzentration, Denken und Wahrnehmung.
- Pflege und medizinische Begleitung: Überwacht Vitalzeichen, Ernährung und Schmerztherapie.
"Je früher wir mit der Rehabilitation beginnen, desto größer ist die Aussicht, dass das Gehirn neue Wege findet", erklärt Dr. Stache. Das Gehirn ist erstaunlich lernfähig und kann Umwege gehen und neue Verbindungen schaffen.
Logopädische Therapie: Sprachfunktionen wiederherstellen
Die Therapie einer Aphasie ist Aufgabe von Logopäden oder Patholinguisten. Sie beginnen mit dem Training oft schon in der Stroke-Unit. Ziel ist es, die Reorganisation und Kompensation der Hirnareale zu fördern, Fähigkeiten aufzubauen und zum Sprechen und sozialem Kontakt zu animieren.
Therapieansätze und Übungen
Die logopädische Therapie ist individuell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten. Je nach Art und Schweregrad der Aphasie kommen verschiedene Therapieansätze und Übungen zum Einsatz:
- Wortfindungsübungen: Aktivieren das Gedächtnis für Wörter, z.B. durch Benennen von Wortkategorien (Tiere, Hobbys, etc.) oder Beschreiben von Bildern und Objekten.
- Sprachverständnisübungen: Verbessern das Verständnis von Wörtern, Sätzen und Texten, z.B. durch Beantworten von Fragen zu gehörten Geschichten oder Ausführen von Anweisungen.
- Satzbauübungen: Fördern die korrekte Bildung von Sätzen, z.B. durch Ergänzen von Sätzen oder Umstellen von Wortgruppen.
- Artikulationsübungen: Verbessern die Aussprache von Lauten und Wörtern, z.B. durch Nachsprechen von Lauten, Silben und Wörtern.
- Kommunikationstraining: Übt die Teilnahme an Gesprächen, z.B. durch Rollenspiele oder Diskussionen über Alltagsthemen.
Kostenlose Übungen und Materialien
Im Internet gibt es zahlreiche kostenlose Übungen und Materialien für die Aphasie-Therapie:
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- Madoo.net: Bietet umfangreiches Übungsmaterial zu allen Störungsbildern der Logopädie im Tausch für eine Rückmeldung.
- Nachrichtenleicht.de: Eine sehr gute Seite zum Lesen üben und Diskutieren über verschiedene Themen.
- Webseiten für Kinder mit Buchstabensalat Arbeitsblätter: Können für Aphasie-Patienten genutzt werden, um die Identifikation von Buchstaben zu üben.
Auch der Einsatz von Spielen kann die Therapie unterstützen:
- Memory: Stärkt das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit.
- Wortspiele (Scrabble, Kreuzworträtsel): Schärfen die Fähigkeiten im Umgang mit Buchstaben und Wörtern.
- Teekesselchen (Homophone): Fördert das Erkennen von Wörtern mit gleicher Aussprache, aber unterschiedlicher Bedeutung.
Technische Hilfsmittel und Apps
Technische Entwicklungen erleichtern Therapeuten die Behandlung und Betroffenen ihren Alltag. Dazu gehören Sprachapps wie Neolexon, Constant Therapy, Tactus oder Lingraphica und spezielle Computerprogramme wie EvoCare, aphasiaware und Lingware.
Neolexon Aphasie-App
Die Neolexon Aphasie-App bietet eine digitale Sprachtherapie für Patienten mit Aphasie und/oder Sprechapraxie. Sie wurde von zwei Sprachtherapeutinnen entwickelt und ermöglicht es, zu Hause zusätzlich zur Logopädie zu trainieren. Die Übungsinhalte können gemeinsam mit dem Therapeuten ausgewählt werden. Die Wirksamkeit der App wurde in einer großen Therapiestudie nachgewiesen. Die meisten privaten Krankenversicherungen erstatten die Kosten.
DiaTrain-App
Zwei Wissenschaftlerinnen der Hochschule für Gesundheit (hsg) in Bochum haben die App „DiaTrain“ entwickelt, die ergänzend zur logopädischen Präsenztherapie eingesetzt werden kann. Sie enthält kurze strukturierte Videosequenzen von Dialogen in Alltagssituationen, die Patienten über verschiedene Hilfestufen üben können. Die Ergebnisse einer Studie legen nahe, dass ein hochfrequentes Training mit der App in Kombination mit einer professionellen Sprachtherapie nicht nur die Benenn- und Kommunikationsfähigkeit verbessern, sondern auch einen positiven Einfluss auf das Selbstvertrauen und die Freude am Sprechen haben könne. Die App ist kostenfrei für iOS verfügbar.
BCI-gestütztes Sprachtraining
Freiburger Forscher haben ein Training entwickelt, mit dem selbst schwer Betroffene wieder sprechen lernen können, ohne sprechen zu müssen. Das Training basiert auf dem Zuhören von Sätzen, bei denen ein Wort fehlt. Durch aufmerksames Zuhören müssen die Teilnehmer das richtige Wort identifizieren. Die Forscher messen die Gehirnsignale (EEG) der Patienten, während diese den abgespielten Worten zuhören, und geben ihnen eine Rückmeldung. Dieses intensive Sprachtraining hat in einer Pilotstudie vielversprechende Ergebnisse gezeigt: Viele sprachliche Kompetenzen wie Aussprechen, Benennen, Verstehen, Schreiben und Lesen haben sich verbessert.
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Tipps für Angehörige
Für Angehörige ist es oft schwierig, mit der Sprachstörung des Betroffenen umzugehen. Hier einige Tipps:
- Sorgen Sie für eine ruhige und entspannte Atmosphäre.
- Schalten Sie Radio und Fernseher aus und halten Sie die Gruppe der Gesprächspartner klein.
- Machen Sie dem Betroffenen Mut und signalisieren Sie ihm, dass er sich trauen kann, mit Ihnen zu sprechen - auch wenn es etwas länger dauert.
- Haben Sie Geduld!
- Verwenden Sie kurze Sätze und Ja/Nein-Fragen.
- Kündigen Sie das Thema des Gesprächs an.
- Achten Sie auf Gestik, Mimik und Körpersprache.
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