Demenz ist eine der am meisten gefürchteten Krankheiten des Alters, von der in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen betroffen sind. Angesichts der begrenzten Möglichkeiten, die Krankheit zu stoppen oder den geistigen Abbau zu verlangsamen, wächst das Interesse an Faktoren, die das Risiko senken oder den Verlauf abmildern können. Eine neue Studie im Fachjournal „Nature Medicine“ liefert bemerkenswerte Hinweise auf die Relevanz von Lebensstilfaktoren, insbesondere körperlicher Aktivität, für die Demenzprävention.
Die Rolle des Lebensstils bei der Senkung des Alzheimer-Risikos
Es ist in der Alzheimerforschung seit Jahren gut belegt, dass bestimmte Verhaltens- und Gesundheitsfaktoren das Erkrankungsrisiko beeinflussen können. Dazu zählen Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Hörverlust, Rauchen, Depressionen und Schlafstörungen. Die Lancet-Kommission führt inzwischen 14 solcher modifizierbaren Risikofaktoren auf. Eine entscheidende Frage war jedoch bislang offen: Wie viel Bewegung ist tatsächlich nötig und zu welchem Zeitpunkt im Leben ist sie am wirksamsten?
Die nun veröffentlichte Untersuchung der Harvard Aging Brain Study (HABS) setzte genau hier an. Das Forschungsteam begleitete 296 ältere Erwachsene, die bereits frühe, aber noch symptomfreie Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung im Gehirn aufwiesen, über einen Zeitraum von bis zu 14 Jahren.
Die präklinische Phase der Alzheimer-Erkrankung
Fachleute sprechen von der „präklinischen Phase“, wenn die typischen Alzheimer-Veränderungen im Gehirn bereits nachweisbar sind, Betroffene aber noch keinerlei Symptome bemerken. Für die Forschung ist dieses Stadium von besonderer Bedeutung, weil Prävention hier vermutlich am wirksamsten greifen kann. Die Teilnehmenden der Harvard Aging Brain Study befanden sich genau in dieser frühen Phase. Zu Beginn der Untersuchung erfasste das Forschungsteam sieben Tage lang mithilfe eines Schrittzählers, wie viele Schritte jede Person im Alltag durchschnittlich ging, und ordnete sie anschließend vier Aktivitätsgruppen zu.
Über einen Zeitraum von bis zu 14 Jahren wurden die Teilnehmenden dann regelmäßig zu Gedächtnis, Aufmerksamkeit und anderen kognitiven Fähigkeiten getestet. Zusätzlich ließen die Forschenden mithilfe einer speziellen Gehirnscan-Methode überprüfen, wie sich die Veränderungen im Hirn entwickelten.
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Bereits 3.000 Schritte täglich zeigen Wirkung
Die Ergebnisse der Untersuchung fallen deutlich aus. Auffällig ist, wie niedrig die Schwelle für einen messbaren Effekt liegt. Bereits rund 3000 Schritte am Tag machten einen Unterschied. Wer zwischen 5000 und 7500 Schritten täglich erreichte, profitierte noch stärker. Ab etwa 7500 Schritten zeigte sich jedoch ein Plateau - zusätzliche Schritte führten nicht zu weiteren Vorteilen in Bezug auf die Erkrankung.
Damit fügen sich die Erkenntnisse in ein größeres Bild ein. Eine Metaanalyse von 57 epidemiologischen Studien mit über 160.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Anfang des Jahres im Fachjournal „Lancet Public Health“ erschien, zeigt ebenfalls: Menschen, die täglich 7000 Schritte zurücklegen, haben im Vergleich zu Personen mit nur 2000 Schritten ein deutlich geringeres Risiko für zahlreiche Erkrankungen und eine niedrigere Sterblichkeit.
Der Einfluss von Bewegung auf das Gehirn
Warum Bewegung das Alzheimer-Risiko senkt oder den Verlauf verlangsamen könnte, wurde in der aktuellen Studie nicht untersucht und ist auch wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt. Fest steht jedoch: Körperliche Aktivität setzt im Körper Prozesse in Gang, die dem Gehirn guttun können.
Verbesserte Durchblutung und neuronale Integrität
Eine wichtige Wirkung betrifft die Durchblutung. Eine erhöhte Hirndurchblutung verbessert die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung und unterstützt den Abtransport von Abbauprodukten des Zellstoffwechsels. Langfristig führt regelmäßige Aktivität zu einer Abnahme entzündungsfördernder Botenstoffe und trägt so zur Erhaltung der neuronalen Integrität bei.
Kognitive Stimulation durch Bewegung
Bewegung könnte das Gehirn aber auch auf andere Weise stärken. Wer regelmäßig gehe, rege nicht nur den Kreislauf an, sondern fordere auch den Kopf: „Die Personen müssen navigieren, sich orientieren und mit Ihrer Umgebung interagieren.“ Zudem schütte der Körper bei körperlicher Aktivität Schutz- und Wachstumsfaktoren aus.
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Einschränkungen der Studienergebnisse
Die Autoren der Studie betonen jedoch, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. Die körperliche Aktivität wurde nur zu Beginn der Untersuchung über eine Woche erfasst. Ob die Teilnehmenden im Verlauf der bis zu 14 Jahre aktiver oder weniger aktiv wurden, blieb unberücksichtigt. Zudem floss ausschließlich die Schrittzahl in die Analyse ein. Bewegungsformen wie Schwimmen, Radfahren oder Krafttraining, die sich nicht in Schritten messen lassen, wurden nicht erfasst. Auch über die Intensität des Gehens lassen reine Schrittzahlen nur eingeschränkt Aussagen zu.
Empfehlungen zur Steigerung der körperlichen Aktivität
Trotz dieser Einschränkungen verweisen die Forschenden auf den hohen Nutzen von Bewegung - und empfehlen, die körperliche Aktivität im Alltag möglichst zu steigern. Eine Orientierung bieten die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Erwachsene sollten pro Woche mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität - etwa zügiges Gehen - oder 75 Minuten intensivere Bewegung einplanen. In Deutschland erfüllt laut Daten der „Diabetes Surveillance“ jedoch nur etwa die Hälfte der Erwachsenen diese Mindestempfehlungen.
Weitere Forschungsansätze und Präventionsstrategien
Neben körperlicher Aktivität gibt es weitere vielversprechende Forschungsansätze und Präventionsstrategien im Bereich der Demenz.
Brain Health Services
In Anbetracht der steigenden Zahl an Demenzerkrankungen und der damit wachsenden Notwendigkeit für frühzeitige Präventions- und Interventionsmöglichkeiten sieht ein europäisches Expertengremium den Bedarf an spezialisierten Hirngesundheitszentren (sogenannte Brain Health Services (BHS)), die sich an Personen richten, die ein ungünstiges Risikoprofil aufweisen oder sich über ihre Hirngesundheit und Gedächtnisfähigkeiten sorgen, ohne jedoch bereits erkrankt zu sein. Die Brain Health Services sollen sich auf vier Säulen stützen: Erfassung des Demenzrisikos, Risikokommunikation, personalisierte Präventionsangebote und kognitives Training. Die Angebote der BHS sollen evidenzbasiert, an aktueller Forschung orientiert, personalisiert und an ethischen und kommunikativen Richtlinien ausgerichtet sein. Erste Zentren dieser Art sind als Pilotprojekte in Schottland eingerichtet worden. Sie sollen der Evaluation der Effektivität der Angebote und der Kosten und Nutzen dienen.
Die INSPIRATION-Studie
Erste Schritte in Richtung personalisierter Demenzprävention wurden seit dem Studienbeginn der INSPIRATION-Studie getätigt. Ziel war es, die Häufigkeit und Verteilung von Risikofaktoren für die Entwicklung von Demenzerkrankungen systematisch zu erfassen. Anhand ausgewählter Fragebogen, einer neuropsychologischen Testung und Blutanalysen erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie ein persönliches Risikoprofil und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Empfehlungen zur Risikominimierung.
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Nationale Demenzstrategie
Ein wichtiges Ziel der Nationalen Demenzstrategie betrifft den Bereich der Demenzprävention. Zahlreiche Studien konnten schützende Faktoren nachweisen, die den Erhalt geistiger Fähigkeiten fördern und das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, verringern. Nachdem die WHO bereits Empfehlungen zur Reduktion von Risiken für eine kognitive Verschlechterung und Demenz im Alter veröffentlicht und auf das große Potenzial der Prävention hingewiesen hat, sieht nun auch die Nationale Demenzstrategie weitere Fördermaßnahmen vor. Dazu gehört vor allem eine verständliche Aufbereitung und die Erstellung von barrierefreiem Informationsmaterial, welches für alle Menschen leicht zugänglich sein soll. Ein weiterer Fokus liegt außerdem auf der Förderung von Forschungsvorhaben zu Ursachen der Demenz und Faktoren, die das Risiko einer Demenzerkrankung verringern können.
Achtsamkeitstraining und Lebensstilberatung
In einer großen EU-geförderten Studie wurde untersucht, inwiefern Mindfulness Based Stressreduction (MBSR), eine Achtsamkeitsübung, die zu den Entspannungsverfahren zählt, oder auch eine intensive Lebensstilberatung die Sorgen und Ängste von Patientinnen und Patienten mit subjektiven kognitiven Störungen reduzieren kann. In der Analyse von Teilnehmenden wurden in beiden Behandlungsgruppen eine signifikante Reduktion der Ängstlichkeit nachgewiesen.
Think Brain Health-Initiative
Die Think Brain Health-Initiative wird von internationalen Expertinnen und Experten für die Alzheimer- und Parkinson-Krankheit geleitet und hat das Ziel, die Politik und die Allgemeinbevölkerung über die Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen zu informieren und Prävention zu fördern, um die Hirngesundheit zu schützen.
Weitere Faktoren zur Demenzprävention
Neben Bewegung gibt es weitere Faktoren, die zur Demenzprävention beitragen können.
Ernährung
Eine mediterrane Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Fisch und Olivenöl scheint vor Alzheimer und anderen Formen der Demenz zu schützen. Schweinefleisch und Milchprodukte sollten dagegen nur in Maßen konsumiert werden. Eine ausgewogene, gesunde Ernährung in Kombination mit ausreichender Bewegung trägt dazu bei, das Risiko von Übergewicht zu reduzieren, welches insbesondere in der mittleren Lebensphase das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz im späteren Lebensalter erhöht.
Geistige Fitness
Wer in Beruf und Freizeit geistig rege ist, hat ein geringeres Risiko, später mit einer Demenz zu leben. Kulturelle Aktivitäten, mathematische Knobeleien oder kreative Hobbys tragen dazu bei, ein gutes Gedächtnis zu bewahren.
Soziale Aktivitäten
Soziale Aktivitäten tragen nachweislich dazu bei, das Demenz-Risiko zu senken. Wer sich regelmäßig mit anderen Menschen austauscht, der fordert das Gehirn auf besonders vielfältige Weise und hält es in Schwung.
Musizieren
Studien belegen, dass Musik positive Auswirkungen auf den Menschen hat, indem sie kognitive Funktionen stärkt und das Risiko für Demenz senkt. Das Spielen eines Musikinstruments war mit einem besseren Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis und Exekutivfunktionen verbunden. Auch Gesang war signifikant positiv mit exekutiven Funktionen sowie allgemeine musikalische Fähigkeiten mit dem Arbeitsgedächtnis assoziiert. Die Deutsche Hirnstiftung empfiehlt allen Menschen zum Erhalt der kognitiven Gesundheit, ein Musikinstrument zu erlernen oder in einem Chor mitzusingen.
Behandlung von Risikofaktoren
Die wichtigste Ursache von Demenz sind Durchblutungsstörungen des Gehirns. Daher müssen die Risikofaktoren Bluthochdruck, Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Abweichungen des Fettstoffwechsels, Übergewicht und hohes LDL-Cholesterin behandelt werden. Rauchen sowie übermäßigen Alkoholkonsum sollte man entsprechend vermeiden. Zu den vermeidbaren Ursachen einer Demenz gehören auch Vitamin- und Hormonmangelzustände. Hier sind regelmäßige Kontrollen sinnvoll. Das Risiko für eine Demenz wird auch durch Schwerhörigkeit und den Verlust der Sehkraft erhöht. Dem kann man durch das frühzeitige Tragen von Hörgeräten und Sehhilfen entgegenwirken. Auch Schädel-Hirn-Verletzungen erhöhen das Demenzrisiko.
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