Taurin, eine schwefelhaltige Aminosäure, spielt eine essentielle Rolle im menschlichen Körper und rückt zunehmend in den Fokus der Forschung zur Prävention altersbedingter Krankheiten und der Förderung eines gesunden Lebensstils. Taurin kommt in ungebundener Form im Körper vor und ist in verschiedenen Geweben wie den Augen, dem Gehirn und dem Herzen konzentriert. Es ist in viele biologische Prozesse involviert - von der Stabilisierung von Zellmembranen bis hin zur Entgiftung des Körpers. Eine im renommierten Fachmagazin „Science“ erschienene Studie zeigt, dass Taurinmangel eine der treibenden Kräfte hinter dem Altern von Menschen und Tieren sein könnte.
Taurin: Eine essentielle Aminosäure und ihre vielfältigen Funktionen
Taurin ist eine semi-essentielle Aminosäure, die in menschlichen Leberzellen aus Cystein gebildet und durch die Nahrung aufgenommen wird. Ungeborene und neugeborene Kinder können Taurin noch unzureichend bilden, weshalb sie auf eine Taurinzufuhr über die Mutter und Nahrung angewiesen sind. Taurin spielt bei diversen physiologischen Prozessen im Körper eine Rolle, unter anderem bei der Entwicklung, der Energieproduktion, der Osmoregulation, bei Entzündungen, der Bildung von Gallensäure oder der Bildung von Antioxidantien. Da der Körper Taurin in geringen Mengen aus den Aminosäuren Cystein und Methionin synthetisieren kann, nehmen wir Taurin hauptsächlich durch tierische Lebensmittel wie Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte auf. Pflanzenkost liefert uns kein Taurin. Die Eigenproduktion des Körpers reicht mit zunehmendem Alter, bei chronischen Krankheiten oder in Stressphasen nicht aus. Deshalb sollten Sie mit der Nahrung täglich mindestens 200 mg Taurin zu sich nehmen.
Taurin und seine Rolle im Alterungsprozess
Der Alterungsprozess ist durch eine Vielzahl von Faktoren geprägt, darunter oxidativer Stress, Entzündungen und die Ansammlung von Zellschäden. Ein zentrales Ziel in der Prävention von Alterskrankheiten ist es, diese Faktoren zu kontrollieren und die Zellen vor weiteren Schäden zu schützen. Taurin kann dabei eine zentrale Rolle spielen. Denn mit zunehmendem Alter nimmt die Menge an Taurin im Körper ab, was verschiedene gesundheitliche Probleme begünstigen kann. Bei einem 60-Jährigen beispielsweise ist der Taurin-Blutwert nur noch halb so hoch wie bei jungen Erwachsenen.
Aktuelle Forschungsergebnisse zu Taurin und Alterung
In den letzten Jahren hat Taurin zunehmend Aufmerksamkeit als Anti-Aging-Wirkstoff erlangt. Experten sind inzwischen überzeugt, dass Taurin das Potenzial hat, die Lebensdauer signifikant zu verlängern. Im Juni 2023 wurde in der renommierten Fachzeitschrift Science eine bahnbrechende Studie veröffentlicht, die die entscheidende Rolle von Taurin im Alterungsprozess thematisiert. Die Forscher konnten nachweisen, dass ein Taurinmangel direkt zum Beschleunigen des Alterungsprozesses beiträgt und nicht nur eine harmlose Begleiterscheinung des Alters ist.
Tierversuche zeigen positive Effekte von Taurin
Tatsächlich zeigten die Untersuchungen, dass Mäuse und Affen länger gesund blieben, wenn sie Taurin einnahmen. Auch lebten Mäuse und Würmer, die es bekamen, länger als Artgenossen, die nicht damit gefüttert wurde. Die Forschenden schreiben, dass Taurin „alle bekannten Merkmale des Alters“ zu beeinflussen scheine, und sie nehmen an, dass „die Beseitigung des Taurinmangels während des Alterns „eine vielversprechende Anti-Aging-Strategie“ sein könne.
Lesen Sie auch: Aktuelle Forschung zu Taurin und Epilepsie
In Experimenten an Mäusen führte die Gabe von Taurin zu einer signifikanten Verlängerung der Lebensspanne von bis zu 25 %. Die Lebenserwartung von Mäusen erhöhte sich bei einer täglichen Tauringabe um zehn bis zwölf Prozent und auch bei Fadenwürmern (C elegans) verlängerte Taurin die Lebenserwartung. Sowohl bei Mäusen als auch bei Rhesusaffen steigerte sich durch eine Behandlung mit Taurin die sogenannte Gesundheitsspanne, englisch: Healthspan. Mit diesem Begriff wird in der Altersforschung die Zeitspanne des Lebens beschrieben, in der Individuen gesund sind.
Um mehr über die Wirkung von Taurin beim Menschen herauszufinden, analysierten die Forschenden die Daten der EPIC-Norfolk-Kohorte mit 11.966 Personen. Sie stellten fest, dass niedrige Taurinkonzentrationen mit Übergewicht, Typ-2-Diabetes und hohen Glukosewerten einhergehen sowie mit Entzündungsmarkern, hohen Cholesterolwerten und weiteren Blutzellparametern. Eine weitere Untersuchung mit unterschiedlich trainierten Personen ergab, dass durch einen Belastungstest die Taurinlevel in allen Testpersonen anstiegen. Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass die gesundheitlichen Vorteile von Sport durch den Anstieg von Taurin vermittelt werden könnten.
Kritische Einordnung der Studienergebnisse
Expertinnen und Experten, die nicht an der Studie beteiligt waren, loben die wissenschaftliche Qualität der Arbeit, betonen aber auch die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, um zu prüfen, ob ein vorbeugender Einsatz von Taurin bei Menschen sinnvoll ist. So regt Sebastian Grönke vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln an, zu klären, welche Rolle Taurin bei altersbedingten Erkrankungen spiele, etwa auch bei Demenz und Krebs.
Clara Correia-Melo vom Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena betont, es sei zudem wichtig zu prüfen, wann eine Einnahme von Taurin sinnvoll sei, ob vorbeugend oder erst nach dem Ausbruch einer Krankheit. Auch sei bislang wenig über Wechselwirkungen mit Medikamenten bekannt. Kristina Norman vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke geht nicht davon aus, dass sich das Altern als „multifaktorieller Prozess“ durch „eine einzige Substanz verhindern“ lässt. Sie ist auch skeptisch bei der Annahme, dass die positiven Effekte von Sport auf eine Erhöhung des Taurinspiegels zurückzuführen seien. „Körperliches Training hat vielfältige Auswirkungen auf verschiedensten Ebenen.“
Die TauAge-Kontrollstudie an der TU München
Hierauf basierend führen wir jetzt an der TU München die randomisierte TauAge-Kontrollstudie (NCT06612542, DRKS00035066) durch, um herauszufinden, ob eine Taurinsupplementation von vier Gramm pro Tag über ein halbes Jahr im Vergleich zu Placebo das Altern beim Menschen verlangsamt. Des Weiteren untersuchen wir, wie sich Taurinsupplementation auf die Gesundheit und die körperliche Fitness unserer Probandinnen und Probanden auswirkt. Alle Probandinnen und Probanden sind jetzt eingeschlossen und wir erwarten, dass wir 2026 die ersten Ergebnisse haben.
Lesen Sie auch: Gehirnfunktion und Taurin: Ein Überblick
Die Probandinnen und Probanden werden nach dem Zufallsprinzip der Tauringruppe (täglich 2 g Taurin morgens und 2 g Taurin abends über 6 Monate) oder Placebogruppe zugeteilt.
Im Rahmen der Studie werden folgende Aspekte untersucht:
- Das biologische Alter wird mit einer Plasmaproteom-Analyse und etablierten „machine learning“-Modellen aus Plasma- und Urinproben bestimmt. Dabei ist auch eine Analyse der organ-spezifischen Alterung vorgesehen.
- Das biologische Alter wird durch die Erfassung des DNA-Methylierungsmusters („epigenetische Uhr“) aus Plasma-, Urin und Mundschleimhautproben abgeschätzt.
Zudem wird untersucht, ob eine 6-monatige Supplementierung mit 4 g Taurin pro Tag das Homeostasis Model Assessment (HOMA-IR) reduziert.
Taurin als Nahrungsergänzungsmittel: Was ist zu beachten?
Taurin ist als Nahrungsergänzungsmittel frei verfügbar. Darüber hinaus ist die Substanz in diversen Energydrinks enthalten, da sie eine positive Wirkung auf die geistige und sportliche Leistungsfähigkeit haben soll. Der Gehalt von vier Gramm Taurin pro Liter Getränk dürfen dabei nicht überschritten werden. Die von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) empfohlene Tageshöchstdosis beträgt sechs Gramm (bei im Schnitt 60 Kilogramm Körpergewicht) beziehungsweise 100 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Da Taurin frei verfügbar ist, könnte die Studie leicht dazu verführen, es auf eigene Faust in hohen Dosen einzunehmen. Das sollte man lieber nicht tun, sagt Sebastian Grönke, auch wenn er die positiven Effekte durchaus als auf den Menschen übertragbar ansieht. Aber obwohl die Einnahme von Taurin als relativ sicher gelte, gebe es noch keine Studie zur Einnahme hoher Dosen über einen längeren Zeitraum. Auch die Aufnahme über Energiedrinks, die häufig Taurin enthalten, ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da die enthaltenen Mengen viel zu gering sind und häufig andere Wirkstoffe wie zum Beispiel Koffein enthalten sind, die die Aufnahmemenge beschränken.
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
Mögliche Risiken und Nebenwirkungen von Taurin
Eine weitere Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass Taurin für einige Menschen sogar gesundheitsschädlich sein könnte. Forscher der Universität Rochester fanden heraus, dass Taurin das Fortschreiten von Leukämie fördern könnte. Ihre Studie ergab, dass der Stoff im menschlichen Körper in der Umgebung des Knochenmarks gebildet wird, wo auch viele Blutkrebsarten ihren Ausgangspunkt nehmen. Krebszellen nehmen Taurin auf, da es ihnen über bestimmte chemische Prozesse zur Energiegewinnung dient und damit das Krebswachstum fördert. Wurde der Taurin-Transport blockiert, wuchs der Tumor deutlich langsamer. Umgekehrt zeigte sich bei Mäusen: Wurde ihnen Taurin zugeführt, beschleunigte sich das Tumorwachstum.
Die Forscher weisen deutlich darauf hin, dass der Konsum von taurinhaltigen Produkten wie Energydrinks oder Nahrungsergänzungsmitteln für Leukämiepatienten problematisch sein kann. Weitere Forschungen sollen die Taurin-Aufnahme als möglichen Ausgangspunkt für neue Therapiemöglichkeiten klären. Zukünftige Studien sollten den Taurin-Spiegel bei Leukämiepatienten untersuchen, empfiehlt die Studienautorin Jeevisha Bajaj.
Taurin als Biomarker für Alterung: Neue Erkenntnisse widerlegen frühere Annahmen
Taurin galt lange als eine Art Wundermittel, das die Gesundheit verbessern und das Leben verlängern sollte. Vor einigen Jahren hieß es in mehreren Studien: Der Stoff könne das Leben verlängern. Der Grund: Bei älteren Menschen wurden im Blut wesentlich niedrigere Dosen gemessen als etwa bei Kindern und Jugendlichen.
Diese Annahmen widerlegt jetzt eine neue Studie. Forscher aus Baltimore analysierten die Taurin-Werte von rund 1.000 menschlichen Probanden, sowie von Rhesusaffen und Mäusen. Es handelt sich um eine Langzeitbeobachtung, die ergab: Tatsächlich verändern sich die Taurin-Werte häufig, aber mit dem Alter scheint dies nicht zusammenzuhängen. Denn: Langfristig sank der Wert in den Gruppen nicht, er blieb relativ konstant, nahm sogar bei einigen zu. Statt des Alters spielten eher das Geschlecht oder die Ernährung eine Rolle. Daraus schlossen die Forscher, dass die Konzentration des Stoffs kein verlässlicher Biomarker für das Altern ist.
Unterschiede im Studiendesign und ihre Auswirkungen
Die Ergebnisse der aktuellen Studie beruhen im Vergleich zu Singh et al. (2023) auf einer anderen Methodik. Die Forschenden haben die Taurinwerte bei Tieren und Menschen wiederholt im Laufe der Zeit gemessen: Sie haben nachverfolgt, wie sich das Taurin bei denselben Tieren oder Menschen in verschiedenen Altersstufen verändert - von jungen bis zu alten Lebensjahren. Dies ist ein wichtiger Vorteil gegenüber der früheren Studie von Singh et al. (2023), die auf einer einzigen Messung zu einem einzigen Zeitpunkt beruhte. Diese einzelne Messung schließt die Möglichkeit aus, die zeitliche und dynamische Veränderung des Biomarkers im Laufe der Zeit zu bewerten.
Die genaue Ursache für die Diskrepanz zwischen den beiden Studien ist nicht klar. Auch frühere Studien haben bereits widersprüchliche Ergebnisse im Bezug auf die altersbedingten Veränderungen von Taurin im Blut geliefert. Der Tauringehalt im Blut ist stark abhängig von Umwelteinflüssen, wie etwa der Ernährung, dem Geschlecht und dem Gesundheitsstatus - dies kann zu den unterschiedlichen Ergebnissen zwischen den Studien beitragen. Die neuen Messungen waren allerdings mit mehr Teilnehmern umfangreicher. Sie beinhalteten im Gegensatz zur vorangegangenen Studie auch longitudinale Untersuchungen, also mehrere Messungen am selben Individum über einen längeren Zeitraum. Dies ist die bessere Methode, auch in Anbetracht der starken Abweichungen von Mensch zu Mensch. Auf dieser Grundlage scheinen die Ergebnisse der neuen Studie überzeugender - allerdings müssen auch diese in Zukunft mit noch mehr Teilnehmern in weiteren Studien bestätigt werden.