Tetris: Mehr als nur ein Spiel – Wie Tetris unser Gehirn beeinflusst

Tetris, der Klassiker unter den Videospielen, ist weit mehr als nur ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Studien zeigen, dass das Spiel positive Auswirkungen auf unser Gehirn haben kann, von der Reduzierung von Flashbacks bei PTBS-Patienten bis hin zur Steigerung der kognitiven Fähigkeiten und der Effizienz des Gehirns. Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um die positiven Effekte von Tetris auf unser Gehirn und zeigt, wie das Spiel in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden kann.

Tetris als Therapie bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)

Eines der gravierendsten Symptome der PTBS sind unwillkürlich wiederkehrende bildliche Erinnerungen an traumatische Erlebnisse. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit dem Karolinska Institutet in Schweden hat gezeigt, dass Tetris helfen kann, diese belastenden Flashbacks abzuschwächen.

Die Studie

An der Studie nahmen 20 Patientinnen und Patienten mit komplexer PTBS teil, die sich für sechs bis acht Wochen stationär in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie befanden. Neben den üblichen Einzel- und Gruppentherapien absolvierten sie eine spezielle Intervention. Die Patienten schrieben eine ihrer belastenden Erinnerungen auf ein Blatt. Sie gaben stets mehrere verschiedene Flashbacks an, zum Beispiel Gewalterfahrungen in unterschiedlichen Situationen, deren Auftreten sie über die Wochen in ein Tagebuch notierten. Dann spielten sie Tetris.

Die Ergebnisse

Die Ergebnisse der Studie waren vielversprechend: Nur die Häufigkeit des Flashbacks, dessen Inhalt in der Woche fokussiert wurde, ging spezifisch in den Tagen und Wochen nach der Intervention zurück. Für die noch nicht fokussierten Flashbackinhalte blieb die Anzahl der Flashbacks relativ konstant. Über die Wochen wurden so nacheinander verschiedene Flashbackinhalte fokussiert, deren Häufigkeit zeitgenau jeweils in der Folge sank. Insgesamt ging die Anzahl der Flashbacks für die jeweils fokussierte Situation um durchschnittlich 64 Prozent zurück. Flashbacks, deren Inhalt nie fokussiert wurde, gingen nur um elf Prozent zurück.

Der Mechanismus hinter dem Erfolg

Die Forscher nehmen an, dass der Erfolg der Methode auf folgendem Mechanismus beruht: Wenn Patienten sich detailliert ein Bild der belastenden Erinnerung machen, aktiviert das vermutlich Gebiete für räumlich-bildliche Verarbeitung im Gehirn; vergleichbare Areale könnten auch für das Spielen von Tetris bedeutsam sein. Immer wenn ein Patient den Inhalt eines Flashbacks bewusst wiedererinnert, wird die damit verbundene Gedächtnisspur kurzzeitig labil. Das Spielen von Tetris lenkt das Gehirn ab und erschwert die Festigung der traumatischen Erinnerung.

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Die Hoffnung für die Zukunft

„Unsere Hoffnung ist, dass wir eine Behandlung ableiten können, die Menschen auch allein durchführen könnten, wenn kein Therapieplatz verfügbar ist“, erklärt Henrik Kessler, Oberarzt und Traumatherapeut. Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass weitere Untersuchungen mit Kontrollbedingungen und an einer deutlich größeren Anzahl Patienten notwendig sind, um die Wirksamkeit der Methode zu bestätigen.

Tetris fördert die Gehirnstruktur und -funktion

Eine Studie am Mind Research Network in Albuquerque hat gezeigt, dass Tetris nicht nur bei PTBS helfen kann, sondern auch die Gehirnstruktur und -funktion bei gesunden Menschen verbessert.

Die Studie

Die Forscher ließen 26 junge Frauen über drei Monate jeden Tag 30 Minuten Tetris spielen. Davor und danach wurde das Gehirn mit Kernspinaufnahmen untersucht, außerdem gab es Vergleiche mit einer Kontrollgruppe, die nicht Tetris spielte.

Die Ergebnisse

Wie sich herausstellte, hatten die Spielerinnen im Bereich des rechten Stirnlappens und des linken Schläfenlappens eine etwas dickere Hirnrinde. Diese Hirnareale sind mit komplexen koordinierten Bewegungen und dem Zusammenfügen verschiedener Informationen (Sehen, Tasten, Hören) befasst. Zudem wurde anhand der Hirndurchblutung die Effizienz gemessen. Sie war im rechten Stirn- und Seitenlappen verbessert.

Die Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Tetris die kognitiven Fähigkeiten verbessern kann, insbesondere in den Bereichen räumliches Denken, Problemlösung und Aufmerksamkeit. Das Spiel fordert das Gehirn heraus, schnell Muster zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, was zu einer Steigerung der neuronalen Aktivität und einer Verbesserung der Gehirnstruktur führt.

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Tetris im Vergleich zu anderen Videospielen

Dr. Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im UKE Hamburg, setzt für seine psychiatrischen und neurologischen Studien schon seit vielen Jahren Videospiele ein. Er hat herausgefunden, dass verschiedene Arten von Videospielen unterschiedliche Auswirkungen auf das Gehirn haben können.

Super Mario

In einer Studie ließ er gesunde Probanden acht Wochen lang täglich 30 Minuten das Videospiel „Super Mario“ spielen. Mit seiner Spielfigur muss man hier durch einen Parcours navigieren, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Eine andere Gruppe las zur gleichen Zeit ein Buch auf einem digitalen Lesegerät. Vor und nach einer achtwöchigen Trainingsphase à 30 Minuten täglich haben wir ein MRT vom Kopf jedes Probanden angefertigt, um zu schauen, ob es eine Veränderung der Hirnstruktur geben könnte.

Die Ergebnisse zeigten, dass sich nach acht Wochen Videospielen mehrere Areale des Gehirns vergrößert hatten, besonders der Hippocampus, eine Hirnregion, die vor allem für Gedächtnisbildung, aber auch für räumliche Navigation bedeutsam ist. Auch der präfrontale Cortex hat sich vergrößert. Eine Region, die zum Beispiel mit strategischen Überlegungen, Entscheidungsfindungen, aber auch mit Reaktionszeit und Aufmerksamkeit zu tun hat. Selbst Teile des Kleinhirns, die für die Feinmotorik der Finger an der Hand zuständig sind, vergrößerten sich. Für die lesenden Probanden traf dies nicht zu.

Die Bedeutung des Spaßfaktors

Was die Forscher aber sehr erstaunt hat, war folgende Erkenntnis: Je mehr Spaß die Leute an dem Spiel hatten, desto größer wurden auch die entsprechenden Hirnregionen. Spaß ist also nicht nur eine nette Beigabe für Videospiele, sondern wichtig für die Plastizität des Gehirns. Das bedeutet auch, dass wir Spielziele oder das nächste Level eher erreichen, wenn wir Spaß daran haben. Einfach gesagt, wer Spaß an etwas hat, lernt auch schneller.

Die richtige Dosis macht das Gift

Auch wenn Logik- oder Jump-and-Run-Spiele besser für den Hippocampus geeignet sind als actionbasierte Rollenspiele, sollte man einen Punkt nicht außer Betracht lassen: Alles, was man übertreibt oder überdosiert, neigt zu unerwünschten Effekten. Unsere Studien sagen also nicht aus, dass ein Kind sechs bis acht Stunden am Tag Videospiele spielen sollte. Denn im Umkehrschluss geht alles, was man in dieser Zeit nicht trainiert und nicht gelernt hat, eben auch verloren. Und dann nützt es wenig, wenn man zwar seinen Hippocampus in räumlicher Navigation trainiert hat, aber keine sozialen Fertigkeiten erworben hat.

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Bei Videospielen ist tatsächlich die Dosis entscheidend. Denn dann sind sie nicht nur „des Teufels“, sondern können auch gute Effekte erzielen. Der Gesamtkontext ist hier ebenfalls entscheidend. Ist Videospielen bei Kindern und Teenagern in den familiären Kontext eingebettet, geregelt und Thema der familiären Diskussionen, ist es möglich, eventuelle Fehlentwicklungen zu vermeiden oder frühzeitig zu erkennen.

Aggressivität durch Videospiele?

Eine weitere Studie untersuchte, ob Videospiele aggressiv machen. Eine Gruppe spielte „Grand Theft Auto“ („GTA“), ein Videospiel, in dem man aggressives Agieren benötigt, um das Spielziel zu erreichen. Eine andere Gruppe spielte in der gleichen Zeit ein „Siedler“-Spiel, bei dem man ein Dorf oder eine Stadt aufbauen und entwickeln muss und keinerlei Aggressionen notwendig sind. Wir haben dann, wieder nach acht Wochen Training, verschiedene Messungen vorgenommen, um aggressive Gedanken oder Impulse abbilden zu können.

Die Forscher konnten aber keine Unterschiede in der Aggressivität zwischen beiden Gruppen feststellen, weder nach Trainingsende noch einige Wochen später. Man muss allerdings erwähnen, dass es sich hier um Erwachsene handelte und wir nicht sagen können, dass dies bei Jugendlichen genauso wäre. Aber: Es ist nicht klar beantwortbar, ob Videospiele aggressiv machen. Unsere Daten deuten nicht darauf hin.

Der Tetris-Effekt: Wenn das Spiel zur Realität wird

Der "Tetris-Effekt" beschreibt das Phänomen, bei dem Tetris-Spieler auch nach dem Ausschalten des Spiels noch von fallenden Blöcken träumen oder im Alltag Muster erkennen, die an das Spiel erinnern. Dieser Effekt mag im Allgemeinen ein bedenkliches Phänomen sein, doch für Menschen, die gerade einen Unfall oder ein anderes schweres Trauma erlebt haben, kann Tetris möglicherweise helfen. Das Spiel könnte verhindern, dass die Bilder des Unfalls immer wieder als „Flashbacks“ vor dem inneren Auge erscheinen und sich dadurch im Gedächtnis festsetzen, was zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen kann.

Tetris als "therapeutische Impfung" nach traumatischen Erlebnissen

Das Forscherteam aus Oxford spricht von einer "kurzen psychologischen Intervention", quasi einer therapeutische Impfung, die man kurz nach einem schlimmen Erlebnis gezielt einsetzen kann. Da es aber vorallem um den räumlich-visuellen Reiz geht, kann also theoretisch auch ein anders Spiel in der Trauma-Behandlung eingesetzt werden: Candy Crush oder Jenga wären also auch als Ablenkungsmanöver denkbar.

Einschränkungen und Kritik

Tetris ist aber leider kein Wundermittelchen. Vergleicht man die beiden Probandengruppen (Unfall ohne Tetris, Unfall mit Tetris) nochmal nach vier Wochen, dann stellt man fest, dass es keine Unterschiede mehr gibt: beide haben posttraumatische Verhaltenssymptome. In der Praxis wird die Tetris-Therapie also vorerst keine Anwendung finden. Dafür sind die klinischen Ergebnisse nicht eindeutig genug, so Röpke. Das Studienergebnis gibt aber trotzdem erste wichtige Erkenntnisse für die Arbeit mit Trauma-Patienten. Und wir wissen: Ablenkung hilft! Wenn auch nicht lang. Im Notfall also besser Tetris her und das Gehirn beschäftigen, dann tut's zumindest am Anfang nicht so weh.

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