Translationale Neurologie: Definition, Forschung und klinische Bedeutung

Einführung

Die translationale Neurologie ist ein interdisziplinärer Forschungsbereich, der darauf abzielt, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in neue Strategien zur Prävention, Diagnose und Behandlung neurologischer Erkrankungen zu überführen. Im Fokus stehen Mechanismen, die neuropsychiatrischen und neurologischen Erkrankungen zugrunde liegen, um dieses Wissen in konkrete Behandlungsmethoden zu übertragen. Dies beinhaltet die Aufklärung der komplexen Wechselwirkungen zwischen Genen, Umweltfaktoren und Lebensstil, die zur Entstehung und zum Verlauf neurologischer Erkrankungen beitragen.

Definition der translationalen Neurologie

Translationale Neurologie überbrückt die Kluft zwischen Laborforschung und klinischer Anwendung. Sie umfasst einen bidirektionalen Ansatz:

  • "Bench to Bedside" (Von der Bank ans Krankenbett): Hierbei werden Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, beispielsweise aus der Genetik, Molekularbiologie oder Neurophysiologie, genutzt, um neue Therapieansätze zu entwickeln.
  • "Bedside to Bench" (Vom Krankenbett zur Bank): Klinische Beobachtungen und Daten von Patienten werden genutzt, um neue Forschungsfragen zu generieren und die Grundlagenforschung zu inspirieren.

Das Ziel ist die Entwicklung von personalisierten und effektiven Therapien, die auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten sind.

Bedeutung der translationalen Neurologie

Neurologische Erkrankungen stellen eine erhebliche Belastung für die Betroffenen und die Gesellschaft dar. Krankheiten, die die Funktion des zentralen und peripheren Nervensystems beeinträchtigen, sind die Hauptursache für eine eingeschränkte Lebensqualität und dauerhafte Behinderungen. Beispiele dafür sind Hirntumore, psychiatrische Erkrankungen, chronische Schmerzen, Schlaganfall sowie neurodegenerative und neuroinflammatorische Erkrankungen. Die demografische Entwicklung und Umweltfaktoren werden zu einer Zunahme der Inzidenz und Prävalenz dieser Krankheiten führen, insbesondere im Kontext von Städten und urbanen Lebensräumen. Die translationale Neurologie spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung neuer und wirksamerer Behandlungen, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und die gesellschaftlichen Kosten zu senken.

Forschungsschwerpunkte in der translationalen Neurologie

Die Forschung in der translationalen Neurologie ist vielfältig und umfasst verschiedene Schwerpunkte:

Lesen Sie auch: Neurologie vs. Psychiatrie

Neurogenetik

Die Neurogenetik untersucht die genetischen Grundlagen neurologischer Erkrankungen. Ziel ist es, genetische Risikofaktoren zu identifizieren und die molekularen Mechanismen zu verstehen, die zur Entstehung der Krankheiten beitragen. Ein Beispiel hierfür ist die Forschungsgruppe „Translationale Neurogenetik“ am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, die von Prof. Dr. Michael W. Sereda geleitet wird. Die Forschungsgruppe untersucht die molekularen Mechanismen von veränderten Axon-Glia-Zell-Interaktionen im peripheren Nervensystem (PNS) und fokussiert sich auf das Verständnis der Charcot-Marie-Tooth-Krankheit (CMT), einer Gruppe genetisch heterogener seltener Erkrankungen, die ein breites klinisches Spektrum verursachen. Die Forschungsgruppe wurde bzw. wird gefördert u.a. durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Neuroinflammation

Neuroinflammation ist ein wichtiger Faktor bei vielen neurologischen Erkrankungen, darunterMultiple Sklerose, Alzheimer-Krankheit und Parkinson-Krankheit. Die Forschung konzentriert sich auf die Identifizierung von Entzündungsmediatoren und die Entwicklung von Therapien, die die Entzündung im Gehirn reduzieren können.

Neurodegeneration

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen gekennzeichnet. Die Forschung zielt darauf ab, die Ursachen der Neurodegeneration zu verstehen und Strategien zu entwickeln, um den Zelltod zu verhindern oder zu verlangsamen.

Schlaganfallforschung

Die Schlaganfallforschung konzentriert sich auf die Entwicklung neuer Therapien zur Verbesserung der neurologischen Funktion nach einem Schlaganfall. Dies umfasst die Entwicklung von Thrombolytika, die das Blutgerinnsel auflösen, sowie von neuroprotektiven Substanzen, die die Nervenzellen vor Schäden schützen.

Schmerzforschung

Chronische Schmerzen sind ein häufiges und belastendes Problem. Die Schmerzforschung zielt darauf ab, die Mechanismen der Schmerzentstehung zu verstehen und neue Schmerzmittel zu entwickeln, die wirksamer und weniger nebenwirkungsreich sind.

Lesen Sie auch: Expertise in Neurologie: Universitätsklinik Heidelberg

Psychiatrische Erkrankungen

Psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie und bipolare Störung sind komplexe Erkrankungen, die durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht werden. Die Forschung konzentriert sich auf die Identifizierung von Biomarkern und die Entwicklung von personalisierten Therapien.

Translationale Netzwerke und Zentren

Um die translationale Forschung zu fördern, wurden zahlreiche Netzwerke und Zentren gegründet, die Forscher aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringen. Ein Beispiel hierfür ist der Mannheim Comprehensive Neuroscience Campus (MCNC), der sich aus dem Forschungsschwerpunkt Translationale Neurowissenschaften entwickelt hat. Er integriert die Forschungsaktivitäten des Mannheim Center for Translational Neuroscience (MCTN) mit den klinischen Aktivitäten der Neurologie, Neurochirurgie und Neuroradiologie innerhalb der Universitätsmedizin Mannheim sowie mit dem Zentrum für Innovative Psychiatrie- und Psychotherapieforschung (ZIPP) am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Von besonderer Bedeutung für das MCNC ist die Förderung junger Wissenschaftler und Kliniker, um ein Umfeld zu schaffen, das es ihnen ermöglicht, unabhängige Forschung zu betreiben und wissenschaftliche und klinische Spitzenleistungen zu erzielen. Prof. Dr. Michael Platten, Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg und Prof. Dr. Simon Wiegert sind hierbei federführend.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Die translationale Neurologie steht vor einer Reihe von Herausforderungen:

  • Komplexität neurologischer Erkrankungen: Neurologische Erkrankungen sind oft sehr komplex und werden durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht. Dies erschwert die Entwicklung von einfachen und wirksamen Therapien.
  • Mangel an Biomarkern: Für viele neurologische Erkrankungen gibt es keine zuverlässigen Biomarker, die zur Diagnose und zur Überwachung des Krankheitsverlaufs verwendet werden können.
  • Hohe Kosten der Forschung und Entwicklung: Die Entwicklung neuer Therapien ist teuer und zeitaufwendig.

Trotz dieser Herausforderungen bietet die translationale Neurologie große Chancen für die Verbesserung der Behandlung neurologischer Erkrankungen. Durch die enge Zusammenarbeit von Forschern und Klinikern können neue Erkenntnisse schnell in die klinische Praxis umgesetzt werden. Zukünftige Forschungsansätze umfassen:

  • Personalisierte Medizin: Entwicklung von Therapien, die auf die individuellen genetischen und umweltbedingten Faktoren der Patienten zugeschnitten sind.
  • Gentherapie: Einsatz von Gentherapie zur Korrektur genetischer Defekte, die neurologische Erkrankungen verursachen.
  • Immuntherapie: Einsatz von Immuntherapie zur Behandlung von neuroinflammatorischen Erkrankungen.
  • Künstliche Intelligenz (KI): Einsatz von KI zur Analyse großer Datenmengen und zur Identifizierung von Mustern, die zur Entwicklung neuer Therapien beitragen können.

Lesen Sie auch: Aktuelle Informationen zur Neurologie in Salzgitter

tags: #translationale #neurologie #definition