Der Umgang mit Trauer ist eine Herausforderung, die jeden Menschen auf unterschiedliche Weise betrifft. Besonders komplex wird die Situation, wenn ein demenzkranker Angehöriger betroffen ist. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Trauer bei Demenz, sowohl für die Erkrankten selbst als auch für ihre Angehörigen, und bietet praktische Ratschläge für den Umgang mit dieser schwierigen Situation.
Die Fähigkeit zur Trauer bei Demenz
Grundsätzlich sind Menschen mit Demenz fähig zu trauern. In einem frühen Stadium der Erkrankung zeigen sie oft normale Trauerreaktionen. Mit fortschreitender Demenz lassen jedoch die kognitiven Fähigkeiten nach, was die Reaktionen auf ein Verlusterlebnis verändert.
Veränderungen im Trauerverhalten
- Frühes Stadium: Normale Trauerreaktionen sind möglich.
- Fortgeschrittenes Stadium: Kognitive Fähigkeiten nehmen ab, was zu Verhaltensauffälligkeiten wie Unruhe oder innerer Erregung führen kann. Reaktionen wie Weinen oder verbaler Austausch sind seltener.
- Verwechslung von Ereignissen: Es kann vorkommen, dass aktuelle mit vergangenen Todesfällen verwechselt werden oder wiederholt nach dem Verbleib der verstorbenen Person gefragt wird.
Einflussfaktoren auf das Trauererleben
Verschiedene Faktoren beeinflussen das Erleben und die Reaktion auf ein Verlusterlebnis bei Demenzkranken:
- Fortschritt der Erkrankung: Wie weit ist die Demenz bereits fortgeschritten?
- Bewusste Wahrnehmung: Nimmt die Person den Verlust noch bewusst wahr?
- Erinnerung: Kann sie sich noch an die Beziehung zu der verstorbenen Person erinnern?
Wie man Demenzkranken eine Todesnachricht überbringt
Es gibt keine allgemeingültigen Regeln dafür, wie man einem Demenzkranken eine Todesnachricht überbringt. Angehörige sollten verschiedene Strategien ausprobieren und aufmerksam beobachten, was hilfreich ist. Wichtig ist jedoch, dass der Erkrankte das Recht hat zu erfahren, dass jemand verstorben ist.
Strategien und Techniken
- Fotos und Musik: Das Zeigen von Fotos oder das Vorspielen von Musik kann helfen, Erinnerungen an die verstorbene Person wachzurufen, besonders wenn der Erkrankte Schwierigkeiten hat, sich zu erinnern.
- Spaced Retrieval Technik: Diese Lerntechnik kann helfen, sich an die Information zu erinnern, dass jemand verstorben ist. Dabei wird die Information in immer größeren Intervallen abgefragt, bis sie gut abrufbar ist.
- Teilnahme an Trauerfeiern: Solange es die Erkrankung zulässt, sollten Demenzkranke an Trauerfeiern teilnehmen und am familiären Trauerprozess teilhaben.
Der Abschied von Lebzeiten: Eine besondere Herausforderung
Angehörige von Menschen mit Demenz sind einer besonderen Form des Abschieds ausgesetzt, da der Betroffene nicht nur körperlich, sondern auch geistig und emotional abbaut. Dies führt zu einer zwiespältigen Situation: Die Person ist physisch anwesend, entfernt sich aber geistig immer mehr.
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Die "weiße Trauer" oder "unsichtbare Trauer"
Diese Begriffe beschreiben die Trauer um jemanden, der noch lebt, aber durch die Demenz nicht mehr derselbe ist. Viele Angehörige erkennen diese Trauer nicht an oder gestehen sie sich nicht ein, da der Betroffene ja noch da ist.
Gefühle und Reaktionen der Angehörigen
- Schwierigkeiten, Trauer zuzulassen: "Der andere ist ja noch da."
- Verletzung und Verunsicherung: Aggressives Verhalten des Erkrankten kann sehr belastend sein.
- Erleichterung: Nach der Diagnose kann Erleichterung eintreten, da endlich Klarheit herrscht und man sich besser auf die kommenden Jahre vorbereiten kann.
- Schuldgefühle: Können entstehen, wenn man sich wünscht, geduldiger und behutsamer mit dem Erkrankten umgegangen zu sein.
Bewältigungsstrategien für Angehörige
- Austausch mit anderen Betroffenen: Angehörigengruppen können sehr hilfreich sein.
- Gespräche mit Freunden und Familie: Unterstützung durch das soziale Umfeld suchen.
- Eigene Bedürfnisse nicht vergessen: Ruhige Zeiten für sich selbst einplanen, um Kraft zu schöpfen.
- Entlastung suchen: Hilfe von außen annehmen, um nicht allein mit der Pflege belastet zu sein.
- Professionelle Hilfe: Trauerbegleiter oder Coaches können helfen, die eigenen Gefühle zu verstehen und zu verarbeiten.
Emotionale Verbundenheit und Trauer
Eine Forschungsgruppe aus Israel untersuchte den Einfluss der emotionalen Verbundenheit unter Eheleuten auf das Trauergefühl, wenn der Ehepartner an Demenz erkrankt ist.
Das Modell der Trauer auf zwei Ebenen
- Traumatische und chronische Erfahrungen: Der Pflegeprozess kann physische, psychologische und soziale Folgen haben.
- Emotionale Verbundenheit: Das Ausmaß der emotionalen Verbundenheit zwischen den Ehepartnern ist ein wichtiger Einflussfaktor auf den Trauerprozess.
Ergebnisse der Studie
- Sichere Bindung: Ehepartner in "sicheren" Beziehungen berichteten von weniger Depressionen, weniger Konflikten und weniger Leid nach dem Tod des Partners.
- Unsichere Beziehung: Ehepartner in "unsicheren" Beziehungen berichteten von häufigeren Depressionen, mehr Konflikten und größerem Leid.
Praktischer Tipp
Pflegen Sie insbesondere die Beziehung zu Ihrem Ehepartner bzw. Ihrer Ehepartnerin.
Der lange Abschied im Pflegeheim
Häufig kommt es im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz zum Umzug in ein Pflegeheim, wenn die Betreuung zu Hause nicht mehr möglich ist. Das Heim wird zum neuen Zuhause für den Demenzkranken.
Bedeutung einer guten Kommunikation
Ein gutes Miteinander von Pflegekräften und Angehörigen ist während der ganzen Zeit des Heimaufenthalts wichtig. Besondere Bedeutung gewinnt eine gute Kommunikation im letzten Lebensabschnitt und besonders in der Sterbephase.
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Begleitung am Lebensende
- Wünsche der Angehörigen: Im vertrauten Umfeld sterben können, nicht leiden müssen, nicht allein sein.
- Schmerzbehandlung: Sorgfältige Beobachtung der Mimik, Gestik und des Verhaltens, um Schmerzen zu erkennen und zu behandeln.
- Mundpflege: Wird als lindernd und wohltuend erlebt.
- Anwesenheit und Berührung: Das Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit bleibt bis zum Schluss erhalten.
Unterstützung für Angehörige
- Ermutigung und Anleitung: Angehörige brauchen Ermutigung, Anleitung und Unterstützung.
- Hospizhelfer: Bieten Begleitung an.
- SAPV-Teams: Begleiten und betreuen die Erkrankten zu Hause, beraten die Angehörigen, unterstützen bei der Symptomkontrolle und vermitteln Sicherheit.
Abschiedskultur im Pflegeheim
Sterben gehört zum Alltag für die Pflegekräfte - für den Sterbenden und dessen Angehörige ist es ein einmaliger Vorgang, der sich in das Gedächtnis einbrennt. Eine Abschiedskultur, die gemeinsam entwickelt wurde, gibt den Sterbenden, den Angehörigen, aber auch den Pflegekräften Sicherheit und Halt.
Elemente einer guten Abschiedskultur
- Rechtzeitige Information der Angehörigen: In den Akten ist vermerkt, welche Angehörigen angerufen werden sollen.
- Gute Kooperation: Zwischen behandelndem Arzt, Pflegekräften und Angehörigen.
- Patientenverfügung: Alle im Team kennen die Patientenverfügung - sofern eine existiert.
- Palliatives Wissen: Das Team verfügt über palliatives Wissen und / oder arbeitet eng mit einem Palliativmediziner oder einem SAPV-Team zusammen.
- Einbeziehung Ehrenamtlicher: Ehrenamtliche Begleiter/innen werden rechtzeitig einbezogen, um - wenn gewünscht - zu unterstützen.
- Bedürfnisse der Sterbenden: Stehen im Vordergrund.
- Religiöse Rituale: Die Pflegekräfte wissen um den vorhandenen oder nicht vorhandenen Wunsch der Sterbenden nach religiösen Ritualen.
- Mithilfe beim Waschen und Betten: Nach dem Eintritt des Todes haben die Angehörigen die Möglichkeit, beim Waschen und Betten des Toten mitzuhelfen.
- Zeit zum Abschiednehmen: Angehörige, Pflegekräfte und alle weiteren Begleiter haben genügend Zeit zum Abschiednehmen.
- Gesprächsangebot: Es besteht für Angehörige das Angebot eines Gesprächs, einer Beratung, um das Leben und die gemeinsame Zeit, die miteinander verbracht wurde, zu würdigen.
- Trauerfeier und Nachruf: Eine Trauerfeier, ein Trauerbuch oder ein Nachruf kann dem Abschied und der Erinnerung eine gute Form geben.
Die Rolle der Pflegekräfte
Stirbt der Erkrankte in einer Pflegeeinrichtung, können auch die Pflegekräfte von dem Verlust betroffen sein und Trauerreaktionen zeigen. Denn hat die Person länger dort gelebt, haben sich Beziehungen zwischen den Pflegekräften, dem Erkrankten und seinem Umfeld aufbauen können. Die Teilnahme an der Beerdigung sowie Rituale und die Anerkennung des Verlustes sind für sie ebenso wichtig wie für die Angehörigen und Freunde.
Weiße Trauer oder unsichtbare Trauer
"Weiße Trauer oder unsichtbare Trauer", so wird das genannt, wenn man um jemanden trauert, der lebt, also so noch da ist, aber doch irgendwie nicht, so wie das im Lauf eine Demenzerkrankung oft der Fall ist. Es geht dabei nicht darum, immerzu zu weinen.
Das besondere Merkmal von dieser weißen Trauer
Weiße Trauer ist ja etwas, oder die Trauer um jemanden, der an Demenz erkrankt ist, ist ja so ein bisschen hin und her springt. Die Person lebt noch. Das heißt, manchmal habe ich vielleicht auch das Gefühl, ich darf gar nicht trauern, dann gibt es natürlich auch schöne Momente, vielleicht Sachen, die wichtig sind und ganz häufig und das ist etwas, was zur Trauer gehört, was aber vielen Trauern denn egal, ob sie um jemanden Trauern, der noch lebt oder um jemanden, der verstorben ist, gar nicht bewusst ist. Das Erste, was wir oder was wir sehr häufig machen bei einer Trauer ist, dass wir sehr stark ins Funktionieren gehen.
Trauer ist mehr als nur Traurigkeit
Wir denken immer, Trauer ist Traurigsein. Und dass Trauer ja auch ganz viele andere Gefühle im Spektrum hat und angefangen von der Wut, von der Schuld, von der Angst, aber vielleicht auch Dankbarkeit, vielleicht auch freudige Erinnerung, vielleicht auch Erleichterung und daran kommt sofort die Schuld wieder, weil ich mich ja eigentlich nicht erleichtert fühlen darf.
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Trauer im Alltag von Pflegenden
In der Regel haben wir ein großes Gefühlsspektrum, wo ganz viel Wut, ganz viel Schuldgefühl, vielleicht auch Scham drin sind, Unsicherheit, Angst, sicherlich auch Freude und Dankbarkeit und so ein ganz großes Mischmasch von sehr, sehr vielen, sehr, sehr intensiven Gefühlen, die gar nicht alle Traurigkeit sind oder die sich auch gar nicht alle so identifizieren lassen.
Je mehr wir die Gefühle unterdrücken, umso mehr preschen sie irgendwann an anderer Stelle wieder nach oben. Einer der Gründe, glaube ich, weshalb es wichtig ist, wieso meinen wir Trauerbegleiter und Trauercoaches jedenfalls, sich der Trauer zu stellen, ist das, wenn man das nicht tut, dann ist das so ein bisschen so wie wenn man eine Badeente unter Wasser drückt oder irgendetwas ein Tischtennisball unter Wasser drücken. Das geht sehr lange sehr gut.
Trauermodelle
Es gibt verschiedene Trauermodelle. Ich arbeite sehr gerne mit einem, was ich relativ einfach erklären kann und wo ich das Gefühl habe schon, wenn man's einmal verstanden hat, ist es häufig ein Gefühl der Erleichterung. Denn zu mir kommen ja ganz viele Leute, die das Gefühl haben, Sie trauern vielleicht nicht richtig, vielleicht weil Sie sich abgeschnitten fühlen, von Ihren Gefühlen wie in Watte gepackt oder gar nicht richtig weinen können. Und das erste, was ich versuche zu erzählen, ist, dass wir sehen unser Leben immer so linear, es geht so gradlinig von links nach rechts und wenn wir irgendwie durch etwas durch sind, also zum Beispiel die Demenzdiagnose und der Schrecken da drüber und jetzt sind schon ein paar Monate vergangen, dann Und wir sind plötzlich so zurückgeworfen in ein Gefühl der Wut auf die Krankheit oder der massiven Verunsicherung oder so der Schrecken des Anfangs, dann haben wir ganz oft das Gefühl, dass wir irgendwie was falsch machen, dass wir unsere Gefühle nicht richtig im Griff haben oder uns nicht richtig im Griff. Und in der Trauer ist das so, dass die Leute sagen, ich kann auch nicht mehr richtig trauern. Ich war doch schon so viel weiter, weil wir wir eben so gradlinig denken. Und in Wirklichkeit ist es mit der Trauer oder überhaupt mit Veränderungsprozessen und das ist ja bei der Demenz auch so. Ich muss mir das so vorstellen wie ein Labyrinth, was in einem Kreis ist. Also wo ich sozusagen im Kreis laufe und hinter diesem Labyrinth oder darunter gelegt sind, wie so Kuchenstücke mit verschiedenen Farben. Und je nachdem, wo ich diesen Weg entlang gehe, komme ich immer wieder in Stellen vorbei, wo ich denke, da war ich doch schon mal oder das fühlt sich so ähnlich an. Und das ist ganz normal, das ist ein ganz normaler Prozess, dass ich eben auch auf bestimmte Gefühlsebenen oder bestimmte Themen, bestimmte Sachen wieder zurückgerufen werde. Übrigens dann vielleicht auch mein Leben lang.
Trauer überwinden?
Ich finde, das Wort überwinden, sehr schwierig in diesem Kontext. Das ist ja so, als wäre die Trauer etwas, was ganz furchtbar ist und was weg soll. Gleichzeitig ist ja, das ist ja eigentlich so, also wenn man sich ganz doll über etwas freut, dann sagt ja auch keine, jetzt aber mal gut mit der Freude, dein Kind ist doch schon ein halbes Jahr alt, oder jetzt aber mal gut, dass ihr hier so verliebt tut, ihr habt doch schon vor einem Dreiviertel Jahr geheiratet. Wie kannst du dich immer noch darüber freuen? Der Freude gestehen wir zu, dass sie da ist und dass sie Raum hat und die Trauer soll weg, weil sie unangenehm ist und eigentlich aber ist er die Trauer, wenn man genau darauf hinschaut, ist die Trauer ja nicht per se schlechtes, sondern sie ist ein Ausdruck von Liebe, sie ist ein Ausdruck von Verbundenheit, von guten Gedanken, guten Wünschen, von Sehnsucht vielleicht, aber hinter all dem steht Liebe Liebe. Und indem wir die Trauer nicht zulassen und wegdrücken und sagen, die soll weggehen, weil die macht mir keine gute Laune und die macht mir keine guten Gefühle und dieser Weg drücken wir natürlich auch ein Stück unsere Liebe weg. Und sich dem zu stellen oder da bewusst durchzugehen und das zuzulassen. Und ich sage auch ganz klar, wir müssen diesen Weg auch gehen. Das ist nicht etwas, was einfach so mit einem passiert, das ist dann natürlich schon viel wertvoller. Denn dann bleibe ich ja auch im Idealfall mit mir und mit demjenigen, um den ich traure in einem guten Kontakt. Und das ist eigentlich ja das Ziel. Also das heißt, wir wollen nicht überwinden, sondern wir wollen in einen Zustand kommen, wo wir gut mit der Trauer leben können.
Das besondere an Demenz
Es ist sowieso ja ein ganz langes Abschiednehmen irgendwie. Und dieser Glaube, wenn die Person dann stirbt, hätte man quasi dien Prozess schon durchgemacht. Mit dem Tod der Abschied noch mal ganz, ganz intensiv wurde. Und dann auch dieses wirkliche Trauen, ehrlich gesagt, erst Monate später angefangen hat.
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