Traumatische Ereignisse können tiefe Wunden in der Seele hinterlassen und das Gehirn nachhaltig beeinflussen. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Auswirkungen von Traumata auf das Gehirn, von den unmittelbaren Reaktionen bis hin zu langfristigen Veränderungen und möglichen Therapieansätzen.
Was ist ein Trauma?
Der Begriff "Trauma" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Verletzung". Im psychologischen Kontext bezieht er sich auf eine seelische Verletzung oder starke psychische Erschütterung, die durch ein extrem belastendes Ereignis hervorgerufen wird. Solche Ereignisse können schwere Unfälle, Naturkatastrophen, Kriegserlebnisse, Gewaltverbrechen oder der Tod nahestehender Menschen sein. Traumatisierte Menschen erleben oft ein Gefühl extremer Angst, Kontrollverlust und Ohnmacht.
Was passiert im Gehirn während eines Traumas?
In akuten Belastungssituationen ist das stressverarbeitende System im Gehirn überfordert. Die angeborenen psychischen Schutzmechanismen funktionieren nicht mehr, was die angemessene Verarbeitung des Erlebten behindert. Betroffene können die Erfahrung nicht wie gewohnt in ihren Erlebnisschatz integrieren und Abstand davon gewinnen.
Die Etappen der Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis
Der Prozess im Körper eines traumatisierten Menschen lässt sich in mehrere Etappen einteilen:
- Traumatisches Erlebnis: Nicht jedes schlechte Ereignis führt zwangsläufig zu einem Trauma. Es ist ein Zusammenwirken negativer Gefühle wie Angst, Furcht und tiefer seelischer oder körperlicher Verletzung. Betroffene finden keine Möglichkeit für die Verarbeitung dieser überwältigenden Situation.
- Traumatische Reaktion: Die Reaktion kann unterschiedlich ausfallen und hängt von der Art des Geschehens, dem Grund der Traumatisierung und den persönlichen Ressourcen ab. Es kommt zu einem Zusammenspiel dreier Reaktionen:
- Psychische Reaktion: Zittern, Schwitzen, erhöhte Herzfrequenz und Blutdruck, Atemnot, Schüttelfrost.
- Emotionale Reaktion: Orientierungslosigkeit, Hilflosigkeit, Schwierigkeiten im Alltag, aggressives Verhalten, soziale Isolation.
- Kognitive Reaktion: Sprachstörungen, kurzfristige Gedächtnisverluste, Konzentrationsschwierigkeiten.
- Traumatischer Prozess: Bei Überforderung, Hilflosigkeit, Todesangst oder emotionaler Ohnmacht kann sich ein Trauma entwickeln. Der Körper verfällt in eine Art "eingefrorenen Zustand" (Freeze-Reaktion), und das Erlebte wird im Gehirn in Einzelteile zerlegt, um die Erinnerungen zu verdrängen. Dies ist ein selbstschützender Mechanismus, der jedoch oft nur temporär begrenzt ist.
Die Rolle verschiedener Hirnregionen
Verschiedene Hirnregionen spielen eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Traumata:
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- Thalamus: Dient als Filter und entscheidet, welche Informationen wichtig sind.
- Amygdala: Ist wesentlich an der Konditionierung von Angst beteiligt und speichert Ereignisse mit Emotionen verknüpft.
- Hippocampus: Ordnet Ereignisse zeitlich und geografisch zu und bewertet die Reize.
- Großhirnrinde: Ist der Langzeitspeicher des Gehirns.
Bei traumatischen Erlebnissen wird das Gehirn mit Stresshormonen überflutet, was die Zusammenarbeit zwischen der Amygdala und dem Hippocampus stört. Gefühlszustände, Bilder und körperliche Reaktionen werden in der Amygdala gespeichert, während die vollständige Zuordnung des Erlebten im Hippocampus nicht stattfinden kann. Es entsteht eine "hippocampale Amnesie", bei der das emotionale Gedächtnis (Amygdala) überwiegt und Erinnerungslücken entstehen.
Veränderungen in der Gehirnstruktur
Studien haben gezeigt, dass anhaltender Stress und Trauma zu Veränderungen in der Struktur des Gehirns führen können. Besonders betroffen sind Bereiche wie der präfrontale Kortex, der Hippocampus und die Amygdala. Der präfrontale Kortex, der für die Ausführungsfunktionen verantwortlich ist, kann schrumpfen, was zu Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung und der emotionalen Regulation führen kann. Der Hippocampus, der eine Schlüsselrolle bei der Gedächtnisbildung spielt, kann ebenfalls schrumpfen, was zu Problemen mit dem Gedächtnis und dem Lernen führen kann.
Eine Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) zeigte, dass Misshandlung in der Kindheit die Struktur des Gehirns so beeinflussen kann, dass die Wahrscheinlichkeit von schweren, wiederkehrenden klinischen Depressionen im Erwachsenenalter steigt. Die MRT-Ergebnisse deuten darauf hin, dass sowohl Misshandlungen in der Kindheit als auch wiederkehrende Depressionen eine Verbindung haben zu ähnlichen Reduktionen in der Oberfläche der Inselrinde - dem Teil des Gehirns, der für die Regulierung von Emotionen und Selbstwahrnehmung mitverantwortlich zu sein scheint.
Akute Belastungsreaktion und Traumafolgestörungen
Unmittelbar nach dem Trauma können Symptome wie Betrübtheit, Desorientiertheit, starke Gefühlsschwankungen und starker körperlicher Stress auftreten (akute Belastungsreaktion). Diese klingen meist nach wenigen Stunden bis Tagen von alleine wieder ab oder halten nicht länger als einen Monat an.
Wenn die Symptome jedoch fortbestehen, spricht man von einer Traumafolgestörung. Dazu gehören:
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- Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Verzögerte oder verlängerte Reaktion auf eine schwere Belastung bzw. Bedrohung mit intensiven Erinnerungen an das Trauma, Albträumen, emotionaler Betäubung und Vermeidungsverhalten.
- Anpassungsstörung: Schwierigkeiten, sich an eine neue Lebenssituation nach einem lebensverändernden Ereignis zu gewöhnen.
Weitere Traumafolgestörungen können Depressionen, Angst- und Suchterkrankungen, somatoforme Störungen, dissoziative Störungen sowie Anpassungsstörungen sein.
Frühkindliche Traumatisierung
Ein frühkindliches Trauma entsteht, wenn ein Kind in den ersten Lebensjahren schwerwiegenden emotionalen, körperlichen oder psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Belastende Ereignisse sind beispielsweise körperlicher oder sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung, das Erleben häuslicher Gewalt sowie der Verlust einer wichtigen Bezugsperson. Diese traumatischen Erlebnisse überfordern die kindliche Psyche und können nicht adäquat verarbeitet werden, was zu tiefgreifenden Störungen in der weiteren Entwicklung führt.
Risikofaktoren für frühkindliche Traumata
- Familiäre Faktoren: Häusliche Gewalt, elterliche Sucht oder psychische Erkrankungen der Eltern.
- Soziale und Umweltfaktoren: Armut, soziale Isolation, belastende Lebensumstände, mangelnde soziale Unterstützung.
- Genetische und biologische Faktoren: Genetische Veranlagung zu hoher Sensibilität oder eine Dysregulation des Stresssystems.
Folgen von Traumata
Die Folgen eines Traumas können unmittelbar nach dem Erlebten auftreten, häufiger jedoch ziehen sich die Symptome durch das ganze Leben. Die Schwere der Folgen hängt von der psychischen, emotionalen und kognitiven Auswirkung ab.
Unbehandelte Traumata können zu folgenden Problemen führen:
- Wiedererleben der traumatischen Situation in Form von Bildern und Gefühlen
- Symptome treten in immer mehr Alltagssituationen auf
- Verlust an Lebensfreude und -qualität
- zunehmende Belastung für Partnerschaft/ Familie
- Albträume
- drohende Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderung mit finanziellen Einbußen
- zunehmende Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen
- soziale Isolation, Rückzug und Vereinsamung
Therapieansätze
Je eher eine Behandlung beginnt, desto schneller kann das seelische Trauma verarbeitet werden. Eine Traumatherapie kann das Erlebte zwar nicht rückgängig machen, aber Betroffene können ihre Lebensqualität steigern und die Ereignisse dank professioneller Begleitung verarbeiten und die Auswirkungen reduzieren.
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Die Therapie erfolgt in drei Stufen:
- Stabilisierung: Patienten lernen, mit überflutenden Traumabildern, Ängsten, Albträumen, Selbstverletzungen und suizidalen Impulsen umzugehen. Der Therapieverlauf beinhaltet sowohl Verhaltensübungen wie Entspannungstechniken als auch eine medikamentöse Behandlung.
- Konfrontation: Therapeuten versuchen, die traumatische Situation aufzuarbeiten, indem der Patient sich Bilder des Unglücks in einem geschützten Raum unter Aufsicht des Therapeuten bewusst in Erinnerung ruft.
- Integration: Das Erlebte wird in den Alltag integriert, neue Ziele werden gesteckt und das soziale Umfeld wird wieder stabilisiert.
Weitere Therapieansätze umfassen:
- Psychotherapie: Ambulante Gruppenpsychotherapie, spezielle Traumatherapien.
- Naturheilverfahren: Ergänzen die klassische Schulmedizin und helfen dem Körper, seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren.
- Neurofeedback-Therapie: Menschen lernen, ihre Gehirnwellenaktivität zu kontrollieren, um ihren emotionalen Zustand und ihr Verhalten zu verbessern.
Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und seine Folgen
Ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) entsteht durch eine äußere Gewalteinwirkung auf den Kopf, die zu einer Schädigung des Gehirns führt. Die Therapie hängt davon ab, wie schwer das SHT ist. Am Unfallort kommt es zunächst darauf an, bei schweren Kopfverletzungen die lebenswichtigen Funktionen zu erhalten.
Akutbehandlung
Bei Gehirnblutungen und Schädelbrüchen ist häufig eine Operation notwendig. Betroffene mit einem schweren SHT befinden sich in der akuten Phase im Koma, damit sich das Gehirn besser erholen kann. Im Krankenhaus werden sie intensiv überwacht. Manchmal wird auch eine Sonde gelegt, um zu verhindern, dass der Druck im Gehirn aufgrund einer Schwellung oder Blutung weiter steigt. Mit der Gabe von Antibiotika sollen Betroffene vor Infektionen geschützt werden.
Bei Anzeichen auf eine Gehirnerschütterung sollten sich Betroffene in einer Rettungsstelle vorstellen. Dort wird entschieden, ob weitere Untersuchungen und eine anschließende Behandlung notwendig sind.
Hämatome
Nach einem SHT kann es zeitversetzt zu einer Blutung zwischen der harten Hirnhaut und dem Schädelknochen (epidurales Hämatom) oder zwischen der harten Hirnhaut und dem Gehirn (subdurales Hämatom) kommen.
- Subdurales Hämatom: Eine Vene ist verletzt, und es kommt zu Einblutungen zwischen zwei Schichten der Hirnhäute.
- Epidurales Hämatom: Entsteht meist durch eine arterielle Einblutung zwischen Schädeldecke und Hirnhaut.
Bei Blutungen ist es wichtig, das Gehirn von dem erhöhten Druck zu entlasten, die Blutung schnell zu entfernen, da diese auf das empfindliche Gehirn drückt und die Situation schnell lebensbedrohlich wird. Die Druckentlastung erfolgt in der Regel über die chirurgische Öffnung des Schädelknochens, das oft schon geronnene Blut wird entfernt und bei epiduralen Hämatomen die blutende Arterie verschlossen. Gegebenenfalls muss das Blut über eine Drainage abgeleitet werden.
Bei älteren Menschen kann es zu einer chronischen Subduralblutung kommen. Dabei treten einige Tage nach dem Trauma neurologische Störungen auf, die sich in der Folge immer weiter verstärken. Die Therapie ist auch in diesem Fall eine Öffnung des Schädels und die Einlage einer Drainage in die Blutung.
Gehirnschwellung
Bei schweren SHT kommt es zudem zu einem Anschwellen des Gehirns. Um den Sauerstoffverbrauch des Gehirns zu reduzieren, werden die Betroffenen in Narkose versetzt und kontrolliert beatmet. Zur Drucksenkung wird der Oberkörper leicht hochgelagert und ein ausreichend hoher Blutdruck auf der Intensivstation sichergestellt. Bei einer schweren Schwellung erfolgt möglicherweise eine großflächige Entfernung des Schädelknochens, um dem geschwollenen Gehirn mehr Platz zu verschaffen.
Langzeitfolgen
Nach einem SHT können vielfältige Symptome auftreten, die von diffusen Kopfschmerzen und Schwindel bis hin zu schweren psychischen Veränderungen reichen.
- Leichtes SHT (Gehirnerschütterung): Diffuser Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, rasche Ermüdbarkeit, Reizbarkeit, Apathie, vermehrtes Schwitzen.
- Schweres SHT (Gehirnprellung): Koma, Wachkoma (apallisches Syndrom), psychische Veränderungen, Hirnleistungsschwäche, Sprachstörungen (Aphasie), Störungen beim Umsetzen von Bewegungsabläufen (Apraxie), Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisstörungen (Amnesie), Orientierungsstörungen, Stimmungsschwankungen, Störungen im Sozialverhalten, Persönlichkeitsveränderungen.
Spezifische Störungen nach SHT
- Aphasie: Sprachstörung aufgrund einer Schädigung der Sprachregionen im Gehirn.
- Apraxie: Störung beim Umsetzen von Handlungsabsichten in Bewegungen und Handlungen.
- Dyskalkulie: Rechenstörung.
- Hemianopsie: Halbseitiger Gesichtsfeldausfall.
- Neglect: Vernachlässigung einer Körper- oder Raumhälfte.
- Hemiplegie: Halbseitenlähmung.
- Dysarthrie: Sprechstörung aufgrund einer Störung der Sprechmotorik.
- Dysphagie: Schluckstörung.
- Epileptische Anfälle: Können durch Narbenbildung im Gehirn entstehen.
Neuroplastizität und Rehabilitation
Trotz der weitreichenden Auswirkungen von Trauma auf das Gehirn gibt es Hoffnung. Das Gehirn besitzt eine erstaunliche Fähigkeit zur Veränderung und Anpassung, die als Neuroplastizität bezeichnet wird. Diese Fähigkeit ermöglicht es dem Gehirn, sich nach Schäden zumindest teilweise zu heilen und neue Verbindungen zu knüpfen. Rehabilitationsmethoden und therapeutische Interventionen werden immer weiterentwickelt, um diese Neuroplastizität zu nutzen und die Erholung von traumabedingten Gehirnveränderungen zu fördern.
Resilienz und soziale Unterstützung
Die Fähigkeit, mit Stress umzugehen und sich von Traumata zu erholen - bekannt als Resilienz - spielt eine wichtige Rolle bei der Rehabilitation. Resilienz kann durch verschiedene Faktoren unterstützt werden, darunter positive zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstfürsorge und Bewältigungsstrategien. Soziale Unterstützung ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, da sie den Betroffenen hilft, sich weniger isoliert zu fühlen und ihre Erfahrungen zu verarbeiten.
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