Die Alzheimer-Demenz stellt eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit dar. Mit mehr als 1,8 Millionen Betroffenen allein in Deutschland, von denen etwa zwei Drittel an Alzheimer leiden, ist der Bedarf an wirksamen Therapien enorm. Während die Forschung weiterhin intensiv nach Heilungsmöglichkeiten sucht, rücken innovative Behandlungsansätze wie die Ultraschalltherapie immer mehr in den Fokus. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Ultraschalltherapie bei Alzheimer-Demenz, von den zugrunde liegenden Mechanismen bis hin zu aktuellen Studien und potenziellen Zukunftsperspektiven.
Die Herausforderung der Blut-Hirn-Schranke
Ein wesentliches Hindernis bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer stellt die Blut-Hirn-Schranke (BHS) dar. Diese natürliche Schutzbarriere verhindert das Eindringen schädlicher Substanzen aus dem Blutkreislauf in das empfindliche Gehirngewebe. Obwohl die BHS eine wichtige Schutzfunktion erfüllt, erschwert sie gleichzeitig die Verabreichung von Medikamenten ins Gehirn. Viele potenzielle Wirkstoffe können die BHS aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften nicht überwinden. Vorwiegend kleine, fettlösliche Moleküle können die Schranke passieren, während größere oder wasserlösliche Moleküle oft ausgeschlossen werden. Darüber hinaus spielen spezifische Transportmechanismen eine Rolle, wobei einige Substanzen aktiv durch Transportproteine über die BHS transportiert oder durch Efflux-Pumpen herausgefiltert werden.
Ultraschall als Schlüssel zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
Neueste Studien haben gezeigt, dass Ultraschallwellen unter bestimmten Bedingungen die Blut-Hirn-Schranke sicher und reversibel öffnen können. Diese Technik bietet das Potenzial, die Wirksamkeit von Medikamenten zur Behandlung von neurologischen Erkrankungen zu verbessern, indem sie den Medikamenten ermöglicht, die normalerweise undurchlässige Schranke zu überwinden und direkt ins Gehirngewebe zu gelangen.
Pilotstudie zur Ultraschalltherapie mit Aducanumab
In einer Pilotstudie des WVU Rockefeller Neuroscience Institute (RNI) in West Virginia, USA, untersuchten Forschende um den Neurowissenschaftler Ali Rezai die Anwendung von Ultraschall in Kombination mit dem Medikament Aducanumab bei der Behandlung von Demenz-Patient:innen. Aducanumab ist ein monoklonaler Antikörper, der in den USA zur Reduktion von Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn zugelassen ist, welche als charakteristisch für Alzheimer gelten. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) Aducanumab nicht für die Behandlung von Alzheimer-Demenz freigegeben hat.
Das Forschungsteam führte die Behandlung bei drei Patient:innen durch, die im Laufe des Jahres 2023 mit Morbus Alzheimer diagnostiziert wurden. Diese Patient:innen erhielten monatliche Infusionen von Aducanumab, begleitet von einer Ultraschalltherapie an einer Seite des Gehirns. Mittels komplexer bildgebender Verfahren konnte die Öffnung der Blut-Hirn-Schranke für einen Zeitraum von 24 bis 48 Stunden nachgewiesen werden. Studienleiter Ali Rezai zeigte sich zuversichtlich hinsichtlich der Ergebnisse der Studie.
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Transkranielle Pulsstimulation (TPS): Eine weitere vielversprechende Ultraschalltherapie
Neben der oben genannten Studie gibt es weitere vielversprechende Ansätze in der Ultraschalltherapie bei Alzheimer-Demenz. Einer davon ist die Transkranielle Pulsstimulation (TPS), bei der niederenergetische Stoßwellen eingesetzt werden, um die Aktivität von Nervenzellen in ausgewählten Zielgebieten zu beeinflussen.
Wirkungsweise der TPS
Die TPS nutzt ein Gerät namens "Neurolith®", um gezielte Ultraschallimpulse in das Gehirn zu senden. Diese Impulse sollen die Blutzirkulation verbessern, die Neubildung von Blutgefäßen fördern und die Nervenregeneration anregen, ohne dabei Haut oder Schädelknochen zu beschädigen. Die Behandlung erfolgt ambulant und dauert etwa 60 Minuten pro Sitzung.
TPS in der Praxis: Ablauf und Anwendung
Eine TPS-Behandlung beginnt mit einem ausführlichen Gespräch, um die Therapie genau auf die Bedürfnisse des Patienten abzustimmen. Während der Sitzung lokalisiert das Neurolith-System präzise die zu behandelnden Gehirnregionen, wobei der Fortschritt durch Echtzeit-MRT-Bilder verfolgt werden kann. Nach der Sitzung kann der Patient seinen Alltag ohne Unterbrechung fortsetzen.
Das Neurolith-System verwendet Stoßwellentechnologie, um gezielt Gehirnareale zu stimulieren und deren Funktion zu verbessern. Die präzise Kamera-Navigation und Echtzeit-Visualisierung gewährleisten, dass jeder Stimulationsimpuls genau platziert wird, um die Blutzirkulation zu fördern und die Neuroplastizität durch die Anregung von Wachstumsfaktoren zu unterstützen.
Anwendungsgebiete der TPS
Die TPS-Methode bietet innovative Behandlungsoptionen für eine breite Palette von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Sie zeigt besonders vielversprechende Ergebnisse bei Alzheimer in frühen bis mittleren Stadien und wird auch erfolgreich in der Schmerztherapie sowie bei anderen neurodegenerativen Krankheiten wie Parkinson eingesetzt. Darüber hinaus verbessert sie die Behandlung von ADHS, schweren Migränen, Depressionen, entzündlichen Gehirnerkrankungen, chronischem Erschöpfungssyndrom und Long-COVID-Syndrom.
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Ziele der TPS-Behandlung
Die TPS-Behandlung zielt darauf ab, Gedächtnisverlust und den Abbau von Nervenzellen zu stoppen und die Gehirnleistung zu verbessern. Sie hilft, kognitive Funktionen und die Erinnerungsfähigkeit zu stärken und langfristig zu erhalten. Patienten erleben oft eine Steigerung ihrer täglichen Aktivitäten sowie eine verbesserte mentale und physische Verfassung, eine Reduktion von Ängsten und Depressionen und eine Zunahme ihrer Fähigkeiten in Planung, Organisation und Ausdruck.
Behandlungsdauer und Kosten
Eine TPS-Therapiesitzung dauert ca. 60 Minuten, wobei eine vollständige Behandlungsserie typischerweise aus sechs Terminen über zwei Wochen besteht. Die Anzahl der Sitzungen kann je nach individuellem Bedarf und spezifischer Erkrankung variieren, und für dauerhafte Erfolge sind zusätzliche Auffrischungssitzungen alle 1-2 Monate möglich. Eine einzelne Sitzung kostet etwa 250 Euro, mit einem Gesamtpreis von 1.500 Euro für sechs Sitzungen. Die Kosten werden in der Regel nicht von gesetzlichen Krankenkassen übernommen, jedoch besteht für Privatversicherte die Möglichkeit, eine Kostenerstattung zu beantragen.
Wie wirken Stoßwellen?
Die TPS-Technologie nutzt Stoßwellen, um spezifische Gehirnregionen zu stimulieren, die von degenerativen Zuständen betroffen sind. Dieser Ansatz aktiviert den Prozess der Mechanotransduktion, wodurch Wachstumsfaktoren wie VEGF und BDNF angeregt werden. Diese Förderung verbessert nicht nur die Blutzirkulation und unterstützt die Bildung neuer Blutgefäße, sondern regt auch die Regeneration von Nervengewebe an.
Mögliche Nebenwirkungen und Vorteile der TPS
Die TPS-Therapie ist für ihre geringe Nebenwirkungsrate bekannt und bietet eine sichere Alternative zu Pharmakotherapien, da sie Herz, Leber und Nieren nicht belastet. Dieses Verfahren führt nicht zu Sedierung oder anderen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit, sodass Patienten ihre normale Tagesaktivität fortsetzen können. Leichte Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Schwindel sind sehr selten und klingen in der Regel kurz nach der Therapie ab.
Weitere innovative Therapieansätze
Neben der Ultraschalltherapie und der TPS gibt es eine Reihe weiterer innovativer Therapieansätze, die aktuell zur Behandlung von Alzheimer erforscht werden:
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- Transkranielle Magnetstimulation (TMS): Nicht-invasive Stimulation einzelner Bereiche im Gehirn durch Magnetfelder.
- Transkranielle elektrische Stimulation (TES): Nicht-invasive Stimulation einzelner Hirnbereiche durch Gleichstrom.
- Temporale Interferenz-Stimulation (TIS): Nicht-invasive elektromagnetische Stimulation, die auch tiefere Hirnregionen erreicht.
- Magnetresonanz (MR)-gesteuerter fokussierter Ultraschall (MRgFUS): Nicht-invasive präzise Stimulation kleiner Strukturen des Gehirns.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Wirksamkeit dieser Methoden in Bezug auf die Alzheimer-Therapie zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht vollständig belegt ist und weitere Forschung erforderlich ist.
Lecanemab: Ein neuer Hoffnungsträger in der Alzheimer-Behandlung
Seit Anfang September 2025 steht am Universitätsklinikum Freiburg mit dem Medikament Lecanemab eine neue Therapie zur Verfügung, die den Krankheitsverlauf im Frühstadium verlangsamen kann. Lecanemab wurde Ende 2024 in Europa zugelassen und ist nach Abschluss der Preisverhandlungen mit den Krankenkassen nun auch deutschlandweit verfügbar. Es wird gezielt bei Patient*innen mit beginnender Alzheimer-Krankheit eingesetzt.
Lecanemab zielt auf bestimmte Eiweißablagerungen im Gehirn, die sogenannten Amyloidplaques, ab. Diese gelten als Auslöser des Krankheitsprozesses, der zu einer Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit führt. Das Medikament unterstützt die Auflösung der Ablagerungen und verlangsamt so den Krankheitsverlauf. In einer aktuellen Studie zeigte sich, dass das Fortschreiten der kognitiven Beeinträchtigungen durch die Behandlung im Durchschnitt um etwa 27 Prozent verzögert werden konnte.
Die Behandlung mit Lecanemab erfolgt im Rahmen einer Infusionstherapie - alle zwei Wochen über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren. Während der Therapie finden regelmäßige Kontrolluntersuchungen statt.
Kritische Betrachtung und aktuelle Einschätzungen
Trotz vielversprechender Ergebnisse ist es wichtig, die Ultraschalltherapie und andere innovative Ansätze kritisch zu betrachten. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) weist darauf hin, dass es zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht sei, die TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung anzusehen. Die DGKN betont, dass die Alzheimerkrankheit trotz intensiver Forschung bislang unheilbar ist und dass die aktuelle Datenlage keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der TPS liefert.
Eine 2025 durchgeführte Studie mit 60 Teilnehmenden, bei der TPS mit einer Scheinbehandlung verglichen wurde, konnte keinen signifikanten Nutzen der TPS-Behandlung nachweisen. In einer nachträglichen Auswertung zeigten sich zwar Hinweise auf mögliche Effekte bei jüngeren Patientinnen und Patienten unter 70 Jahren, jedoch nicht bei älteren.
Es ist daher ratsam, sich vor einer Entscheidung für eine solche Behandlungsmethode umfassend zu informieren und die potenziellen Vorteile und Risiken sorgfältig abzuwägen.
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