In der komplexen Welt der Medizin spielt der Vagusnerv eine zentrale und oft unterschätzte Rolle für unsere Gesundheit. Als längster Hirnnerv verbindet er Gehirn und Bauchraum und beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen. Eine Beeinträchtigung des Vagusnervs kann sich auf vielfältige Weise äußern, einschließlich Schwindelgefühlen.
Was ist der Vagusnerv?
Der Vagusnerv, auch bekannt als zehnter Hirnnerv (Nervus vagus), ist ein wesentlicher Bestandteil des parasympathischen Nervensystems. Er erstreckt sich vom Hirnstamm bis in den Bauchraum und beeinflusst eine Vielzahl von Organen. Sein Name „Vagus“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „umherschweifend“, was gut zu seinen zahlreichen Verzweigungen und Verbindungen zu verschiedenen Organen und Systemen passt: er ist mit fast allen inneren Organen verbunden. Außerdem ist er ein zentraler Bestandteil des parasympathischen Nervensystems, das für die Funktionen Ruhe und Verdauung verantwortlich ist. Der Parasympathikus ist ein Teil des vegetativen Nervensystems und steuert unbewusst die meisten inneren Organe und den Blutkreislauf. Man nennt ihn auch „Ruhenerv“ oder „Erholungsnerv“, weil er dafür sorgt, dass sich der Körper erholt und Energie speichert. Die vegetativen Zentren des Parasympathikus befinden sich im Hirnstamm und im sakralen Teil des Rückenmarks (Kreuzmark). Die Nerven aus dem Hirnstamm steuern die inneren Augenmuskeln, die Tränen- und Speicheldrüsen sowie die meisten inneren Organe über den Vagusnerv. Die Nerven aus dem Kreuzmark beeinflussen den unteren Teil des Dickdarms, die Harnblase und die Genitalien. Wegen der Lage der Nervenzellen wird der Parasympathikus auch als kraniosakrales System bezeichnet.
Die Rolle des Vagusnervs im Körper
Der Vagusnerv ist der größte Nerv des Parasympathikus. Er bündelt viszeromotorische Nervenfasern, die für die Steuerung der unwillkürlichen Muskulatur, beispielsweise im Herzen oder Kehlkopf, zuständig sind. Der Parasympathikus wird immer dann aktiv, wenn es den Körper zu regenerieren gilt - primär also in Phasen der Entspannung. Er ist der Gegenspieler zum Sympathikus, der den Organismus unter Stress und in Gefahrensituationen zu Höchstleistungen anregt.
Darüber hinaus umfasst der Nervus vagus aber auch somatosensible (für die Wahrnehmung bewusster, allgemeiner Körperempfindungen wie von Schmerzen) und viszerosensible Nervenfasern (für die Wahrnehmung unbewusster Körperempfindungen, unter anderem der Spannung der Lungen oder des Geschmacks am Zungengrund), die stetig Informationen zwischen dem Gehirn und ihren Endpunkten austauschen.
Der Vagusnerv entspringt aus dem Abschnitt des Gehirns, in dem auch die Medulla oblongata liegt (das verlängerte Mark im Hirnstamm). Er durchläuft Kopf, Hals und Rumpf und verzweigt sich dabei in feinste Verästelungen. Dieser großflächigen Zuständigkeit verdankt der zehnte Hirnnerv seinen Namen: "Vagus" leitet sich vom lateinischen vagari für "umherschweifen" ab.
Lesen Sie auch: Den Vagusnerv aktivieren
Ursachen für Vagusnerv-bedingten Schwindel
Eine Fehlfunktion oder Reizung des Nervus Vagus kann das Gleichgewicht deines Nervensystems aus dem Gleichgewicht bringen. Die häufigste Ursache eines gestörten Vagusnervs ist, wenn dieser eingeklemmt wird. Das geschieht besonders leicht, wenn sich der obere Halswirbel verschiebt. Wie auf der Seite zum autonomen Nervensystem erläutert, zählt die Kompression verschiedener Nervenstränge, darunter des Vagusnervs, zu den tückischen Auswirkungen einer Atlasfehlstellung. Diese „Einengung“ beeinträchtigt den normalen Fluss der elektrischen Impulse entlang der Nerven, indem sie deren Intensität verändert oder in schwerwiegenden Fällen die Übertragung vollständig blockiert. Stellen Sie sich vor, welche Auswirkungen es auf die Organe hat, die von diesen Nerven gesteuert werden, wenn die Weiterleitung der Signale gestört ist. Es ist, als würde das Antennenkabel Ihres Fernsehers herausgezogen - das Bild bricht zusammen.
Neben dem Atlas können auch andere mechanische Probleme der Halswirbelsäule denselben komprimierenden Effekt auf den Vagusnerv haben. Eine Kompression des Vagusnervs durch den Atlas hat eine vergleichbare Wirkung wie ein Wackelkontakt in einem elektrischen Stromkreis: Wenn sich die Kabel bewegen, erzeugt der instabile Kontakt zwischen den Stromleitern Funken. Wenn der Hals wieder in die neutrale Position zurückkehrt und der Druck auf den Nerv nachlässt, beginnt der Nerv plötzlich wieder Signale zu senden, was zu einer Überreaktion führt.
Weitere Ursachen für Vagusnerv-Störungen sind:
- Chronischer Stress: Eigentlich hilft der Vagusnerv dir dabei, dass du dich nach einer Stresssituation wieder erholst. Chronischer Stress stört die Aktivität des Vagusnervs jedoch. Bei Stress arbeitet der Sympathikus auf Hochtouren, dein Parasympathikus ist gehemmt.
- Entzündungen: In einigen Fällen steckt eine Entzündung des Nervus vagus hinter den Beschwerden. Diese Ursache ist jedoch eher selten.
Symptome einer Vagusnerv-Beeinträchtigung
Die Tatsache, dass der Vagusnerv ein so ausgedehntes Gebiet im Körper durchzieht, macht ihn zu einem der bedeutendsten Nerven überhaupt. Gleichzeitig heißt das aber auch: Störungen, Einklemmungen und Reizungen können vielfältige und weitreichende Folgen haben.
So wird im Zusammenhang mit dem Vagusnerv unter anderem von diesen Symptomen berichtet:
Lesen Sie auch: Zukunftsperspektiven der Vagusnervstimulation
- Häufiges Verschlucken und sonstige Schluckstörungen
- Schlaff herabhängendes Gaumensegel
- Heiserkeit
- Reizhusten
- Sodbrennen
- Übelkeit
- Atemnot
- Tachykardie (beschleunigter Herzschlag)
- Herzrhythmusstörungen
- Verdauungsbeschwerden (bis hin zu Durchfall oder Verstopfung)
- Schwindel
Ob und welche Beschwerden genau auftreten, hängt maßgeblich davon ab, an welcher Stelle die Arbeit des zehnten Hirnnervs eingeschränkt wird. Je näher am Gehirn die Ursache für die Reizung liegt, desto mehr Symptome zeigt der*die Betroffene.
Es kann auch passieren, dass der Vagusnerv überstimuliert ist. Dadurch ist der Sympathikus nicht mehr so aktiv. Das zeigt sich typischerweise in Antriebslosigkeit und Müdigkeit. Dein Blutdruck ist niedrig und dir ist ständig kalt. Zudem funktionieren bestimmte Körperfunktionen nicht mehr optimal. Dein Magen-Darm-System ist träge und vielleicht leidest du auch unter Schwindel.
Die Symptome, die ein eingeklemmter Vagusnerv verursachen kann, sind sehr vielfältig. Stimulierst du den Vagusnerv zu wenig, ist er geschwächt. Dann ist der Sympathikus aktiver als der Parasympathikus. Das versetzt dich in einen dauerhaften Aktionsmodus und Alarmzustand. Du kommst schwer zur Ruhe, hast Herzrasen oder Herzstolpern und leidest unter Schlafstörungen. Auch Verdauungsbeschwerden sind typische Begleiterscheinungen.
Diagnose von Vagusnerv-bedingtem Schwindel
Derdie HausarztHausärztin ist häufig derdie erste Ansprechpartnerin, wenn sich durch den Vagusnerv Beschwerden entwickeln. Dort steht im Vordergrund, ein möglichst vollständiges Beschwerdebild zu erfassen - nur so lassen sich die oft eher unspezifischen Symptome zum Vagusnerv zurückverfolgen.
Erhärtet sich im Gespräch und während erster Untersuchungen der Verdacht auf eine Störung des zehnten Hirnnervs, erfolgt meist eine Überweisung an die Neurologie.
Lesen Sie auch: Symptome einer Vagusnerv Entzündung
Behandlungsmöglichkeiten
In den meisten Fällen legen sich Störungen des Vagusnervs, wenn die Ursache für seine Reizung behandelt werden kann. Stellt derdie Medizinerin also eine Grunderkrankung oder verschobene Wirbel aus Auslöser für die Beschwerden fest, liegt der Fokus zunächst auf deren Behandlung. Den Vagusnerv selbst direkt zu beruhigen, ist dagegen ein eher schwieriges Unterfangen. Seine feinen Verästelungen verlaufen tief im Körper. Sie lassen sich über Medikamente oder Operationen nur schwer gezielt beruhigen - und irrtümlich auf die falschen Zweige einzuwirken, bremst schnell auch Vorgänge, die besser unangetastet bleiben. Ärzte*Ärztinnen raten daher meist davon ab.
Umgekehrt kann eine Stimulation (zum Beispiel nach einem Schlaganfall) aber durchaus positive Effekte erzielen: Dabei werden Impulsgeber im Hals implantiert, von wo aus sie den Vagusnerv in der Regel am besten erreichen. Kleine Elektroden geben daraufhin elektrische Impulse ab, die den zehnten Hirnnerv anregen. Diese Behandlungsmethode ermöglicht insbesondere bei motorischen Einschränkungen Fortschritte. Erste Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass so die Verdauungstätigkeit reguliert werden kann. Die wichtige Rolle des Vagusnervs im Parasympathikus (also des für Regeneration und Ruhe zuständigen Teils des vegetativen Nervensystems) nutzen Ärzte*Ärztinnen auch bei der Behandlung von Depression, Angststörungen und Epilepsie.
Vagusnerv-Übungen
Die Verknüpfung zum regenerierenden Parasympathikus lässt sich bis zu einem gewissen Grad auch ohne implantierten Impulsgeber nutzen. So können beispielsweise Menschen, die stark unter Stress stehen oder unter Ängsten leiden, ihren Vagusnerv mit bestimmten Übungen zu seiner beruhigenden Wirkung motivieren. Insbesondere eine tiefe Atmung in den Bauchraum (Bauchatmung) mit einer verlängerten Ausatmung erweist sich hier als Vagus-aktivierender Faktor. Interessierte können unter anderem diese Vagusnerv-Übungen ausprobieren:
- Meditation, am besten unter Anleitung in einer Gruppe oder per App
- Atemübungen, beispielsweise nach der 4711-Regel (für 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden lang ausatmen und dieses Schema 11 Minuten lang fortführen)
- Kehlkopfvibrationen, bei denen stimmhafte S-Laute die Ausatmung ausdehnen
- Summen von A, O oder U, nach ganz ähnlichem Prinzip wie die Kehlkopfvibrationen
- Gurgeln, beispielsweise mit Wasser oder lauwarmem Kamillentee
- Singen
- Drehe den Kopf langsam nach links und fixiere dabei mit den Augen einen nahen Gegenstand. Drehe dann den Kopf langsam nach rechts und stelle ebenfalls einen Gegenstand scharf. Wiederhole diese Bewegung mehrmals. Diese Übung stimuliert nicht nur den Vagusnerv, sondern auch die Ziliarmuskulatur der Augen, die mit dem Vagusnerv verbunden ist. Eine weitere Übung: Hebe die Augenbrauen und versuche gleichzeitig, die Ohren zu bewegen. So wird der Schläfenmuskel und der siebte Hirnnerv (Nervus facialis) aktiviert, der wiederum den Vagusnerv beeinflusst.
Diese Formen der sogenannten Vagus-Meditation können Blutdruck und Herzfrequenz herunterregulieren, die Verdauung fördern und Anspannung lindern.
Weitere Maßnahmen zur Vagusnerv-Stimulation
- Tiefe Atmung: Deine Atmung ist das wichtigste und effektivste Instrument, um den Vagusnerv zu aktivieren. belegen, dass die tiefe Atmung, die beim Yoga angewendet wird, den Vagusnerv aktiviert und Entspannung hervorruft. Eine schnelle Atmung bewirkt hingegen genau das Gegenteil. Setze dich bequem hin oder lege dich auf den Rücken. Schließe deine Augen und atme tief durch die Nase ein und durch den Mund aus. Atme dabei deine Atmung in den Bauchraum. Beim Einatmen hebt sich dein Bauch, beim Ausatmen senkt er sich.
- Massage: Durch leichtes Streicheln und Massieren der linken Halsseite kannst du deinen Vagusnerv aktivieren. Er verläuft in der Nähe der Halsschlagader. Beginne damit, deine Haut zwischen den Ohren und dem Schulterübergang mit sanftem Druck zu streicheln. Sanftes Streichen mit den Fingern entlang der Seiten des Halses kann entspannend wirken. Leichte, kreisende Fingerbewegungen am Kiefergelenk können dabei helfen, Verspannungen im Nacken zu lösen. Auch Ohrmassagen können helfen, insbesondere eine Massage der sogenannten Ohrtasche, das Hautareal an der Innenseite der Ohrmuschel unterhalb der charakteristischen Knorpelfalte.
- Singen und Summen: Der Vagusnerv ist mit deiner Kehlkopf- und Rachenmuskulatur verbunden. Durch Stimulation der Muskeln aktivierst du deinen Nervus vagus. Singe tiefere Töne oder summ ein langgezogenes „Om“ oder „Ah“ für etwa 5-10 Minuten. Konzentriere dich auf tiefe Atemzüge aus dem Zwerchfell und spüre die Vibrationen im Brust- und Halsbereich.
- Gurgeln: Gurgle für 30 Sekunden bis 1 Minute mehrmals täglich mit Wasser. Verwende lauwarmes Wasser und versuche, laut zu gurgeln, um die Rachenmuskulatur intensiver zu aktivieren.
- Bewegung: Egal ob zügiges Spazieren gehen, eine Radtour oder eine Joggingrunde: Jede Form von Bewegung aktiviert deinen Vagusnerv. Zudem bietet Sport einen wohltuenden Ausgleich zum stressigen Alltag. Achte dabei auf eine moderate Bewegung. belegt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Fahrrad fuhren, wiesen eine erhöhte Vagusnervaktivität auf.
- Gesunde Ernährung: Je gesünder deine Darmflora, desto besser ist deine Darmschleimhaut in der Lage, Serotonin und Dopamin zu bilden. Probiotische Lebensmittel wie Kefir und Sauerkraut helfen dir, deine Darmflora auf natürliche Weise zu stärken. Achte darauf, dass du ausreichend stilles Wasser über den Tag verteilt trinkst. Außerdem bieten sich (histaminarme) Kräutertees an. Nicht nur das Ritual des Tee Trinkens kann eine beruhigende Wirkung haben, auch ausgewählte Teezutaten wie beispielsweise Passionsblume wirken entspannend auf das Nervensystem. Wenn du dich gestresst fühlst, empfehlen wir dir außerdem unsere Stress-Lass-Nach Kapseln.
- Kältereiz: Kälteanwendungen können beruhigend wirken. Hier kannst du zum Beispiel einen kalten Umschlag auf deine Stirn legen. Eine weitere Option sind Wechselduschen. Passt sich unser Körper an Kälte an, übernimmt der Parasympathikus, wir entspannen also. Hier solltest du dich allerdings vorsichtig herantasten. Gerade, wenn deine Histaminintoleranz sehr ausgeprägt ist oder du Probleme mit deinen Mastzellen hast (z. B. Mastzellaktivierungssyndrom) kann dies deine Zellen durch zu starke Reize triggern und zur Histaminausschüttung führen.
- B-Vitamine: Für eine normale Funktion des Nervensystems sind vor allem die Vitamine B1, B6, B12 und Folsäure von Bedeutung. Du kannst die B-Vitamine selbst nicht bilden und mit Ausnahme von Vitamin B12 auch nicht speichern. Eine ausgewogene und gesunde Ernährung ist die Basis für eine gute Versorgung mit B-Vitaminen.
Die Polyvagal-Theorie
Die Polyvagal-Theorie ist ein Konzept, das von Dr. Stephen Porges in den 1990er Jahren entwickelt wurde. Sie bietet einen neuen Blickwinkel auf das autonome Nervensystem, insbesondere auf den Vagusnerv, und dessen Rolle in der Verhaltensregulation, emotionalen Kontrolle und sozialen Interaktion.
Porges' Theorie schlägt vor, dass das autonome Nervensystem drei verschiedene Zweige hat - den ventralen Vaguskomplex, den dorsalen Vaguskomplex und das sympathische Nervensystem.
- Ventraler Vaguskomplex: Dieser Teil des Vagusnervs ist mit sozialen Kommunikationsfähigkeiten, beruhigenden Verhaltensweisen, Gesichtsausdrücken und der Fähigkeit zuzuhören verbunden.
- Dorsaler Vaguskomplex: Im Gegensatz zum ventralen Vaguskomplex ist der dorsale Vaguskomplex an Reaktionen auf extremen Stress beteiligt, wie z.B. „Totstellreflex“ oder Zustände der Dissoziation.
Die Polyvagal-Theorie hat besondere Bedeutung in der Psychologie und Psychotherapie, insbesondere in der Behandlung von Traumata und Stressstörungen. Sie bietet einen Rahmen für das Verständnis, wie traumatische Erfahrungen das Nervensystem beeinflussen und wie eine Heilung durch die Wiederherstellung der nervösen Regulation erreicht werden kann.
Schwindel und Gleichgewicht
Balance zu halten und sich in einer Welt zu orientieren, die aus oben und unten, vorne und hinten, rechts oder links besteht, ist für den menschlichen Körper keine einfache Aufgabe. Deshalb bedient er sich für diesen Balanceakt unterschiedlicher Informationen, welche ihm verschiedene Sinne liefern. Die übergeordnete Instanz, das Gleichgewichtszentrum, sitzt im Hirnstamm. Hier wird mithilfe der eingehenden Informationen die aktuelle Position im Raum errechnet und mit Bewegungsabläufen abgeglichen, die wir im Laufe unseres Lebens erlernt und abgespeichert haben.
Die Informationen, die unser Gleichgewichtssinn aus optischem, propriozeptivem und vestibulärem System im zentralen Nervensystem (ZNS) aufnimmt und verarbeitet, werden ihm unter anderem von den Gleichgewichtsorganen (Vestibularorgan) geliefert, die, je eines rechts und links, im Innenohr im Felsenbein sitzen. Es handelt sich dabei um einen kleinen „Apparat“ mit einem großen und einem kleinen Vorhoffsäckchen sowie drei bogenförmigen Gängen. Diese sind zum Teil mit Lymphflüssigkeit gefüllt und stehen jeweils im rechten Winkel zueinander - etwa so wie die drei Seiten eines Würfels, die in einer seiner Ecken aufeinandertreffen. An den inneren Wänden befinden sich hochempfindliche Tast- bzw. Sinneshaare, von denen jedes Einzelne mit einem Nerv verbunden ist. Bei jedem noch so kleinen Positionswechsel des Kopfes bewegt sich die Flüssigkeit in den Bogengängen. Das reizt die Sinneshärchen, welche diese Reize an das Gleichgewichtszentrum und Kleinhirn weiterleiten. Diese Bogengänge sind für die Wahrnehmung von Drehbewegungen des Kopfes (oder des Körpers mitsamt dem Kopf) im Raum verantwortlich.
Die Informationen, die das vestibuläre System liefert, werden von den Reizen, welche die Augen aufnehmen und an das Gehirn senden, ergänzt bzw. Zusätzlich leiten die Rezeptoren der Gelenke und Muskeln ständig Informationen über die Stellung der Arme und Beine, aber auch sämtlicher anderer Körperpartien weiter, und helfen damit, die Statik unseres Körpers zu regulieren.
Probleme wie Schwindelgefühle entstehen, wenn die Informationen, die im ZNS eintreffen, widersprüchlich sind bzw. erscheinen und deshalb nicht richtig zueinander passen. Sie entstehen natürlich aber auch, wenn zwar richtige Informationen ankommen, die zentrale Schaltstelle im Gehirn diese aufgrund von Funktionsstörungen nicht richtig verarbeiten kann. Ersteres kann zum Beispiel dann passieren, wenn jemand bei Windstärke sieben unter dem Deck eines Schiffes sitzt und ein Buch liest, das er in den Händen hält. Dabei melden Gleichgewichtsorgane und Tastsinn ständig, dass der Körper im Takt der Wellen schwankt. Die Augen aber haben die Seiten des Buches fixiert, welches, weil es sich synchron zum Körper bewegt, unbewegt erscheint, und melden infolgedessen an das Gehirn: alles ruhig.
Dass gestörte Sinneswahrnehmungen und körperliche Beschwerden so eng verknüpft und mitunter auch schwer zu unterscheiden sind, ist kein Zufall. Denn die Kerne des Gleichgewichtsnervs liegen im Hirnstamm neben den Kernen des Nervus vagus. Letzterer versorgt unter anderem Magen, Herz und Lunge. Wie eng die Verbindungen zwischen dem Nervus vagus und dem Gleichgewichtsnerv sind, zeigt die Tatsache, dass Übelkeit eine regelmäßige Folge von Drehschwindel ist, dass umgekehrt aber auch Übelkeit, die vom Magen ausgeht, Schwindel erzeugen kann.
Wann ist Schwindel gefährlich?
Wenn sich alles dreht, ein Mensch die Orientierung und die Kontrolle über den eigenen Körper verliert, können selbst kurze Schwindelanfälle gefährlich sein. Durch einen unsicheren Tritt können Betroffene fallen und sich dabei verletzen. Bei Schwindel neigen insbesondere ältere Menschen zu Stürzen, die häufig zu Verletzungen wie Prellungen und Knochenbrüchen führen.
Eine gestörte Wahrnehmung und Körperkontrolle durch Schwindel können zudem im Straßenverkehr lebensgefährliche Situationen auslösen. Patienten und Patientinnen mit Schwindel sind nicht fahrtauglich. Grundsätzlich muss ein kurzer Aussetzer aber nicht bedeuten, dass es auch ein medizinisches Problem gibt. Das gilt vor allem, wenn der Schwindel eine eindeutige Ursache hat, zum Beispiel eine lange Schiffsreise oder eine Fahrt im Karussell. Ansonsten sollte Schwindel aber hausärztlich abgeklärt werden.
Schwindel: Welche Krankheiten können dahinterstecken?
Meist verbirgt sich hinter einer Schwindelsymptomatik eine harmlose Erkrankung, die erfolgreich therapiert werden kann. Der Hausarzt oder die Hausärztin kann abklären, ob etwas Ernstes die Schwindelanfälle verursacht und gegebenenfalls an einen Facharzt oder eine Fachärztin zur weiteren Diagnostik überweisen. Folgende Schwindelformen sind am weitesten verbreitet.
Gutartiger Lagerungsschwindel: Vor allem bei älteren Menschen bilden sich häufig kleine Steinchen in der Flüssigkeit des Gleichgewichtsorgans im Innenohr. Dadurch kann es zu Störungen des Gleichgewichtssinns kommen. Die Betroffenen verspüren dann einen Drehschwindel, insbesondere nach schnellen Kopfbewegungen. Diese Schwindelform ist harmlos und wird mit bestimmten Lagerungsmanövern behandelt, durch die die Ablagerungen gelöst werden.
Bewegungsschwindel: Bewegungsschwindel, medizinisch Kinetose genannt, entsteht, wenn das Schwindelgefühl durch einen optischen Reiz ausgelöst wird, der nicht zur Bewegungsempfindung passt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn sich Menschen see-, flug- oder reisekrank fühlen, ihnen also während der Fahrt schwindelig wird. Auch diese Schwindelform ist medizinisch harmlos, kann jedoch die Betroffenen durchaus belasten.
Menière-Krankheit: Bei der Menière-Krankheit tritt urplötzlich eine Schwindelattacke auf, die üblicherweise 30 Minuten, aber auch bis zu mehreren Stunden andauern kann. Die Betroffenen fühlen sich, als würden sie sich drehen und drohen zu fallen. Ursache hierfür ist eine gestörte Produktion der Innenohr-Flüssigkeit. Es kommt zu Flüssigkeitsverschiebungen im Innenohr, die Messfehler erzeugen, die als vermeintlich echte Informationen an zentrale Verarbeitungsstellen weitergeleitet werden. Typisch für die Menière-Krankheit ist, dass gleichzeitig mit den Schwindelanfällen auch eine akute Schwerhörigkeit auftritt. Auch ein einseitiges, meist tiefklingendes Ohrgeräusch (Tinnitus) und ein Druckgefühl auf dem Ohr gehören zum Vollbild der Erkrankung. Für Betroffene, die unter Angst vor Schwindelattacken oder einem andauernden Ohrgeräusch leiden, kann psychologische Hilfe ratsam sein.
Vestibuläre Migräne: Schwindelattacken mit Übelkeit, Erbrechen und starken Kopfschmerzen, die minuten- oder sogar stundenlang anhalten können, sind typisch für die sogenannte vestibuläre Migräne. Auch die klassischen Symptome der Migräne - wie Licht- und Lärmempfindlichkeit, Rückzugstendenz, Müdigkeit und Verschlechterung bei körperlicher Belastung können auftreten. Jedoch sind die Symptome sehr unterschiedlich und reichen von Drehschwindel vor dem Kopfschmerz bis hin zu lediglich den Begleitsymptomen, ohne Schmerzen. Deswegen ist die Diagnose oft schwierig. Die Behandlung gleicht der der Migräne.
Neuritis vestibularis: Bei anhaltendem Drehschwindel, medizinisch Neuritis vestibularis genannt, leiden die Patienten und Patientinnen aufgrund der Störung oder des Ausfalls des Gleichgewichtsorgans auf einer Seite unter Schwindelanfällen. Ausgelöst wird diese Form des Schwindels in der Regel durch eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs, vermutlich durch Viren, aufgrund dessen das Gleichgewichtsorgan ausfällt. Die Patienten und Patientinnen erleben ein schweres Krankheitsgefühl durch Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Fallneigung zur betroffenen Seite. In der Regel dauert es ein bis zwei Wochen, bis die Symptome wieder abklingen.
Zentrale Schwindelformen: Von zentralen Schwindelformen sprechen Medizinerinnen und Mediziner, wenn eine Schädigung des Gehirns die Schwindelattacken auslöst. Sie können Hinweis auf sehr ernste Erkrankungen sein, wie zum Beispiel einen Hirnstamminfarkt, einen Schlaganfall, eine Multiple Sklerose oder einen Gehirntumor. Deshalb sollte schon beim geringsten Verdacht sofort ein Arzt oder eine Ärztin aufgesucht werden. Folgende Beschwerden treten oft in Verbindung mit zentralen Schwindelformen auf:
- Seh-, Schluck- oder Sprechstörungen
- Missempfindungen des Tastsinns
- Lähmungserscheinungen im Gesicht oder an den Armen
tags: #vagusnerv #schwindelgefuhl #ursachen