Die Betreuung von Menschen mit Demenz stellt eine der größten Herausforderungen in der modernen Pflege dar. In einer Gesellschaft, die Wert auf aktives Altern legt, fällt es oft schwer, den Verlust von Fähigkeiten und die damit einhergehenden Veränderungen zu akzeptieren. Die Integrative Validation (IVA) nach Nicole Richard bietet hier einen ressourcenorientierten Ansatz, der darauf abzielt, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern, indem ihre Gefühle, Antriebe und Lebensthemen in den Mittelpunkt gestellt werden.
Einführung in die Integrative Validation (IVA)
Die Integrative Validation (IVA) nach Richard® ist eine Methode, die sich auf die Gefühlsebene des Menschen konzentriert und eine Weiterentwicklung der Validation nach Naomi Feil darstellt. Sie versteht sich nicht als Therapie zur Bewältigung ungelöster Lebensaufgaben, sondern als eine Methode im Umgang mit Demenzkranken, mit der Überforderung und Isolation vermieden werden soll.
Hintergrund und Entstehung
Nicole Richard, geboren am 22. April 1957 in Bollendorf und verstorben am 11. November 2011, wuchs auf einem Bauernhof in der Südeifel auf. 1989 lernte sie Naomi Feil kennen, die Begründerin der Validations-Methode. In den 1990er Jahren entstanden die ersten Ansätze der Integrativen Validation nach Richard® (IVA) in einer bundesweiten Arbeitsgemeinschaft von Praktikerinnen sowie Lehr- und Leitungskräften der Altenpflege, an der Nicole Richard selbst beteiligt war. Diese Ansätze wurden von ihr kontinuierlich weiterentwickelt und konkretisiert. Seit der Gründung des Instituts für Integrative Validation (IVA) im Jahr 1993 gelang es Nicole Richard mit ihren Autorisierten Trainerinnen, die Lebensqualität unzähliger an Demenz erkrankter Menschen zu verbessern. Ihr Lebensmittelpunkt war Kassel.
Grundprinzipien der IVA
Die IVA basiert auf der Annahme, dass Menschen mit Demenz in ihrer eigenen Realität leben und dass es wichtig ist, diese Realität anzuerkennen und zu wertschätzen. Im Kern ist die IVA eine Kommunikationstechnik, die aus einem Bündel von verbalen und non-verbalen Konzepten besteht. Validation bedeutet soviel wie „Gültigkeitserklärung“ oder „Das Wertvolle finden“.
Die Methode basiert auf Empathie, Akzeptanz und Authentizität. Sie umfasst eine verbale und eine nonverbale Kommunikationsform, die sich auf die Beziehungsebene konzentriert. Die Einstellung gegenüber dementen Menschen ist für die Anwendung von Validation wichtiger als die konkreten Techniken. Der Rückzug in die Vergangenheit muss akzeptiert werden.
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Ziele der IVA
- Stärkung des Selbstwertgefühls und Vermittlung von Sicherheit
- Orientierungshilfe durch Erkennen, Benennen und Bestätigen von Gefühlen durch vertraute Sprichwörter oder biografische Bezüge
- Stress und Anspannung reduzieren
Unterschiede zwischen der IVA nach Richard und der Validation nach Feil
Obwohl die Integrative Validation nach Richard® sich in verschiedener Hinsicht auf die gleichen Grundsätze (personzentrierter Ansatz, Anerkennung und Wertschätzung) wie die Validation nach Feil bezieht, gibt es wesentliche Unterschiede.
Fokus und Ansatz
Während Naomi Feil sich auf ungelöste Lebenskonflikte konzentriert, sieht Nicole Richard vor allem hirnorganische Veränderungen. Richard glaubt nicht, dass Demenzkranke noch in der Lage sind, Lebenskrisen zu bewältigen. Demenzkranke nehmen die Welt nur noch „zerhackt“ wahr und sie verfügen nur noch über „Puzzlestücke“ ihrer Vergangenheit. Daher sieht Richard - im Gegensatz zu Naomi Feil - die Aufgabe der Validation nicht darin, Demenzkranke bei der Bewältigung unerledigter Lebensaufgaben zu helfen, sondern ihnen ihr aktuelles Schicksal zu erleichtern, welches oft mit hirnorganischen Veränderungen zusammenhängt.
Ausgangspunkt der Integrativen Validation (IVA) nach Richard® sind nicht - wie in der Validation nach Feil - unerledigte Angelegenheiten des Menschen mit Demenz, die es nachträglich zu bearbeiten gilt oder die der Mensch mit Demenz zu lösen versucht. Ohne die zugrundeliegenden hirnorganischen Krankheitsprozesse zu verleugnen, orientiert sich die Integrative Validation nach Richard® wesentlich an den Ressourcen des erkrankten Menschen.
Fragetechniken
Anders als bei der Validation nach Feil wird bei der Integrativen Validation weitestgehend auf Fragetechniken und Symbolinterpretationen verzichtet. Bei der Validation nach Richard wird außerdem empfohlen keine Fragen zu stellen, da kognitiv beeinträchtigte Menschen auf Fragen nur schwer antworten können und dadurch zusätzlichem Stress ausgesetzt sind. Während die Validation nach Feil gerne mit Fragen arbeitet, um dem Patienten zu helfen, seine ungelösten Lebensaufgaben zu bewältigen, verzichtet Richard vollständig auf das Stellen von Fragen.
Anwendungsbereich
Im Gegensatz zur Methode nach Feil gehört die Bearbeitung unerledigter Lebensaufgaben nicht zum Ziel der IVA und die IVA wird außerdem hauptsächlich im Einzelgespräch angewendet. Obwohl die Methode in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen praktiziert wird, existiert bislang nur eine explorative Studie, in der die Praxis der Methode in einem Pflegeheim beschrieben wird.
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Die vier Validationstechniken nach Richard
Bei der IVA werden vier Validationstechniken angewendet:
- Die Gefühle und Antriebe der Person wahrnehmen
- Die Gefühle und Antriebe der Person mit Wörtern, Stimme und Bewegungen spiegeln und damit bestätigen
- Mit Sprichwörtern oder Liedern Gefühle und Antriebe verallgemeinern
- Mit Schlüsselwörtern die Lebensthemen der Person validieren
Praktische Anwendung der IVA im Pflegealltag
Die praktische Umsetzung der Validation bei Demenz im Alltag erfordert von den Betreuenden Geduld, Empathie und die Bereitschaft, in die Welt des Menschen mit Demenz einzutauchen.
Schritte zur praktischen Anwendung
- Gefühle des Demenzkranken analysieren: Was sind die Gefühle des demenziell Erkrankten? Welche Gefühle bewirken seine Handlungen und Handlungsimpulse? Beispiele: Der Erkrankte ist aufgeregt, hilflos, fühlt sich einsam, traurig, sorgenvoll, ist pflichtbewusst.
- Gefühle des Demenzkranken ausformulieren: Die wahrgenommenen Gefühle und Antriebe werden von Ihnen mit kleinen Sätzen, die dem Sprachgebrauch des Erkrankten angepasst sind, formuliert, angenommen, akzeptiert, wertgeschätzt und zugelassen. Beispiel: Sie sind gerade ganz aufgeregt; Sie fühlen sich hilflos; das macht Sie traurig; Sie fühlen sich sehr einsam; Sie sorgen sich; Sie wollen schließlich Ihre Pflicht erfüllen.
- Gefühle als allgemein akzeptiert bestätigen: Dem Demenzkranken zeigen, dass sein Innenleben „in Ordnung“ ist, dass das, was er sagt, tut und fühlt, völlig normal und akzeptiert ist. Da bei alten Menschen Sprichwörter, Volksweisheiten, Redewendungen, Lieder, etc. tief im Gedächtnis eingegraben sind, ist es am einfachsten, ihre Erinnerung daran wachzurufen: Hier findet der demente Patient die Bestätigung, Bekräftigung seiner Gefühle und Gedanken.
Beispiele für die Anwendung im Alltag
- Ein früherer Handwerker klopft unaufhörlich mit dem Löffel auf den Tisch. Anstatt ihn zu ermahnen, lobt man ihn für seinen Fleiß und spricht ihn mit vertrauten Sprüchen aus dem Handwerk an. Dadurch fühlt er sich verstanden und beruhigt sich.
- Ein älterer Herr räumt persönliche Utensilien immer von A nach B und wieder zurück. Eine Art der Verbalisierung kann hier sein: „Ordnung ist das halbe Leben!" oder „Sie haben alles genau im Blick."
- Eine ältere Dame möchte im Winter in den Garten und Beeren pflücken gehen. Sie ist sehr unruhig. In dieser Situation lässt sich die Pflegekraft auf die Gedankenwelt und die Antriebe der Bewohnerin ein, hilft ihr in den Wintermantel und geht danach mit ihr in den Garten. Dort bemerkt die Frau, dass es zu kalt sei, es sicherlich keine Beeren gibt und es besser wär, wieder in den Wohnbereich nach drinnen zu gehen.
Prinzipien für die Kommunikation
- Nicht widersprechen, stattdessen in die Welt des anderen eintauchen
- Gefühle und Bedürfnisse statt Aussagen in den Vordergrund stellen
- Klare, einfache und wertschätzende Sprache verwenden
- W-Fragen stellen, auf „Warum“-Fragen verzichten
- Augenkontakt und ruhige Ansprache auf Augenhöhe
- Zeit zum Verstehen lassen, einfache Sätze benutzen
- Mimik, Gestik und Tonfall als Ergänzung einsetzen
- Authentisch bleiben: Menschen mit Demenz spüren, wenn etwas nicht ehrlich gemeint ist
Vorteile und Nutzen der IVA
Die Anwendung von Validation kann dazu beitragen, das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Demenzkranken zu verbessern. Sie stärkt das Selbstwertgefühl, vermittelt Sicherheit und reduziert Stress und Anspannung. Durch die validierende Haltung können Angehörige ihre an Demenz erkrankten Angehörigen nun besser verstehen. Außerdem beschreibt er weiter, dass die dementen Bewohner sich mehr beistehen, sei es, dass man sich bei einem Sterbenden mit ans Bett setzt oder, dass man sich gegenseitig beim Gehen stützt[26], da die dementen Menschen extrem feinfühlig geworden sind. Seit Einführung der IVA wurde außerdem auch beobachtet, dass es zu weniger freiheitsentziehenden Maßnahmen und/oder der Ausgabe beruhigender Medikamente kam.
Schulungen und Weiterbildung
Ja, es gibt Schulungen und Workshops, die Pflegekräften und Betreuungspersonen helfen, die Prinzipien und Techniken der Validation zu erlernen und anzuwenden. Nach Abschluss des IVA - Grundkurses (profunde Kenntnisse in Demenz-Theorie werden vorausgesetzt bzw. ein Kurs in Demenz - Theorie wird empfohlen) kann am IVA - Aufbaukurs teilgenommen werden. Das Zertifikat „Grundkurs Integrative Validation nach Richard®“ ist kostenpflichtig (15 € pro Teilnehmer*in). Mit dieser Fortbildung können 16 Fortbildungspunkte (gemäß §125 Abs. *Gemäß §4 Nr.
Kritik und Forschung
In der Literatur finden sich kaum stichhaltige Studien zur Effektivität der IVA. Es sind nur theoretische Annäherungen und Beschreibungen zu finden. Eine qualitative Studie von Brinker-Meyendriesch und Erdmann (2011) beschreibt zum ersten Mal, wie die IVA in einem Pflegeheim in Verbindung mit Musiktherapie angewendet wird. Bei weiterer Recherche wurde aber festgestellt, dass eine qualitative Evaluationsstudie von Erdmann und Schepp (2013) an gestrebt ist.
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