Angst ist ein natürlicher Schutzmechanismus, der uns vor Bedrohungen warnt. Doch wenn Angst häufig und ohne tatsächliche Bedrohung auftritt, kann sich eine Angststörung entwickeln. Dieser Artikel beleuchtet den Zusammenhang zwischen dem vegetativen Nervensystem und Angststörungen, um Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonal ein besseres Verständnis zu ermöglichen.
Einführung in Angst und Angststörungen
Viele Menschen erleben Ängste oder Panikattacken, ohne dass dies gleich eine Angsterkrankung bedeutet. Erst wenn weitere Faktoren hinzukommen, die die Ängste aufrechterhalten und eine Besserung behindern, entwickelt sich eine tatsächliche Belastung. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jede Angst behandlungsbedürftig ist und nicht jede Panikattacke zu einer Angsterkrankung führt.
Ursachen von Angststörungen
Die Entstehung von Angststörungen ist komplex und vielfältig. Es gibt nicht "die eine" Ursache, sondern ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Generell handelt es sich bei Angststörungen um eine Überwertigkeit des normalen Angstmechanismus.
Psychosoziale und psychologische Faktoren
Erlebte Angstreaktionen im Alltag können ursächlich sein. Typisches Vermeidungsverhalten führt zu einer dauerhaften Verfestigung der Angststörung. Auch Wesenszüge, Erziehungsstil und Veranlagungen spielen eine Rolle. Traumatisierende Erlebnisse oder psychosoziale Stressbelastungen können vor allem generalisierte Angststörungen und Panikattacken verursachen. Seelisch belastende Ereignisse und existenzielle Krisen können ebenfalls Faktoren sein.
Genetische Faktoren
Neben einer vorgelebten "Ängstlichkeit" können auch genetische Faktoren eine Rolle spielen. Es wird angenommen, dass nicht ein einzelnes, sondern mehrere Gene für Angsterkrankungen verantwortlich sein können. Verwandte ersten Grades von Angstpatienten leiden häufiger selbst unter Ängsten, wobei auch die soziale Prägung in der Eltern-Kind-Beziehung eine Rolle spielt.
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Biologische Ursachen und das vegetative Nervensystem
Auch biologische Faktoren sind stark in Betracht zu ziehen. Das vegetative Nervensystem zeigt bei Angstpatienten oft eine erhöhte "Empfindlichkeit", was eine besondere Anfälligkeit bedingt. Experten gehen davon aus, dass sich verschiedene Botenstoffe (Neurotransmitter) wie Serotonin und Noradrenalin nicht mehr im Gleichgewicht befinden. Auch das limbische System, das als "Zentrum" unserer Emotionen gilt, kann betroffen sein. Fehlfunktionen in der Kommunikation zwischen Hypothalamus, Amygdala und Hippocampus können Angstreaktionen vorschnell auslösen.
Das vegetative Nervensystem und seine Rolle bei Angst
Das vegetative Nervensystem (auch autonomes Nervensystem genannt) reguliert lebenswichtige Körperfunktionen, die nicht bewusst steuerbar sind, wie Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Verdauung, Stoffwechsel, Körpertemperatur und sexuelle Reaktion. Es unterteilt sich in den Sympathikus und den Parasympathikus.
- Sympathikus: Aktiviert das Nervensystem in Stresssituationen und steigert die körperliche Leistungsfähigkeit.
- Parasympathikus: Setzt in Entspannungsphasen ein und reguliert allgemeine Körperfunktionen.
Gerät dieses Wechselspiel aus dem Gleichgewicht, kann dies den Ablauf lebenswichtiger Prozesse stören, was als vegetative Dystonie oder somatoforme Störung bezeichnet wird.
Symptome einer vegetativen Dystonie
Eine Störung des vegetativen Nervensystems kann sich vielfältig äußern:
- Herzbeschwerden (Herzstechen, Herzklopfen, Herzrasen)
- Schwindel oder Ohnmacht beim Aufstehen
- Übermäßiges oder mangelndes Schwitzen
- Sexuelle Funktionsstörungen
- Probleme beim Entleeren der Blase
- Verdauungsbeschwerden (Verstopfung, Durchfall, Magenlähmung)
- Schluckbeschwerden
Die Vielfalt der unspezifischen Symptome erschwert die Diagnose. Eine vegetative Dystonie wird oft erst nach Ausschluss anderer Erkrankungen festgestellt.
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Vegetative Dystonie und Angststörungen
Sporadisch auftretende Panikattacken ohne konkrete Ursachen können der vegetativen Dystonie zugeordnet werden. In diesem Fall sollte abgeklärt werden, ob eine Panikstörung vorliegt, die sich gut behandeln lässt.
Wie äußert sich eine Angstreaktion?
Am Anfang einer Angstreaktion stehen koordinierte Aktivitätsveränderungen in bestimmten Gehirnbereichen (dem "Angstnetzwerk"), die durch einen angstauslösenden Stimulus ausgelöst werden. Dies führt zu Veränderungen in biologischen Systemen, wie der Aktivierung des vegetativen Nervensystems und der vermehrten Ausschüttung von Kortisol. Dadurch werden Veränderungen im Organismus hervorgerufen (Fokussierung der Wahrnehmung, Umverteilung des Blutvolumens, Erhöhung des Blutdrucks, Veränderung der Atemfrequenz), die es ermöglichen, sich der Gefahr zu stellen oder zu fliehen ("fight or flight").
Die Symptomatik einer Angstreaktion umfasst eine psychische Komponente (z.B. "Tunnelblick", Kontrollverlust, Todesangst) und körperliche Symptome (Herzrasen, Zittern, Schwindel, Luftnot, Übelkeit).
Pathologische Angstreaktionen
Tritt eine Angstreaktion in objektiv ungefährlichen Situationen auf oder übertrifft ihr Ausmaß die reale Bedrohung, spricht man von einer inadäquaten Angst. Während dies im Kindes- und Jugendalter häufig vorkommt und sich oft spontan bessert, deutet ein Überdauern oder Neuauftreten im Erwachsenenalter auf eine krankhafte Angst hin, die sich unbehandelt meist verschlechtert und zu einer psychischen Belastung und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten führt.
Arten von Angststörungen
Die Diagnosesysteme ICD-10 und DSM-5 unterscheiden verschiedene kategoriale Angststörungen:
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- Panikstörung
- Generalisierte Angststörung (GAS)
- Agoraphobie
- Soziale Phobie
- Spezifische Phobien
- Trennungsangst im Erwachsenenalter (DSM-5)
- Selektiver Mutismus (DSM-5)
Unabhängig von der jeweiligen Symptomatik wurden bei allen Angststörungen oft ähnliche (neuro)biologische Veränderungen gefunden, wie eine Dysfunktion des Angstnetzwerks und Veränderungen des vegetativen Nerven- bzw. Stresshormonsystems.
Die Panikattacke im Detail
Eine Panikattacke äußert sich in plötzlich auftretender, starker Angst, begleitet von körperlichen und psychischen Symptomen:
- Körperliche Symptome: Herzrasen, rasche Atmung, Atemnot, Brustschmerzen, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Zittern, Schwindelgefühle.
- Psychische Symptome: Angst, die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden oder zu sterben, Gefühl der Fremdheit.
Panikattacken treten plötzlich auf und klingen in der Regel nach 10 bis 30 Minuten wieder ab.
Was tun bei einer Panikattacke?
Im Moment der Panikattacke ist rationales Denken kaum möglich. Daher ist es wichtig, Strategien zu trainieren, um sich selbst zu beruhigen:
- Bewusste Kontrolle der Atmung (langsamer und ruhiger atmen)
- Anwendung von Entspannungstechniken
- Sich bewusst machen, dass die Angstattacke keinen Herzinfarkt oder Schlaganfall auslöst und wieder verschwindet
- Aushalten der Angst, bis sie nachlässt
- "Notfallkoffer" mit Gegenständen, die positive Gefühle vermitteln (Bilder, Düfte, Lieder) oder zur Ablenkung dienen (Gummiband schnalzen lassen, in eine Zitrone beißen).
Behandlung von Angststörungen
Angststörungen können gut behandelt werden. Es gibt verschiedene Therapieoptionen:
Psychotherapie
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die Psychotherapieform mit den meisten Wirksamkeitsnachweisen. Hier werden krankheitsbegünstigende Lernprozesse korrigiert. Durch eine Veränderung von Wahrnehmungen und Bewertungen der Angstsymptome sowie der Reaktion gegenüber angstauslösenden Situationen kann eine Verbesserung bzw. ein Rückgang der Symptomatik erreicht werden.
Medikamentöse Behandlung
Zur medikamentösen Behandlung können Antidepressiva (z.B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI) eingesetzt werden. Beruhigungsmittel (Benzodiazepine) sind für eine längerfristige Behandlung nicht geeignet, da sie abhängig machen können. Pflanzliche Beruhigungsmittel haben keine ausreichenden wissenschaftlichen Nachweise für ihre Wirksamkeit bei Panikstörungen.
Behandlung der vegetativen Dystonie
Die Behandlung der vegetativen Dystonie hängt von der Ursache und Ausprägung ab. Wenn keine körperliche Ursache gefunden wird, kann eine Psychotherapie helfen. Es ist hilfreich, die Gründe und Gefühle hinter den Symptomen aufzuarbeiten. Auch körperliche Bewegung, Sport oder Spaziergänge können positiv wirken. Entspannungsübungen wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Tai-Chi oder Yoga können ebenfalls helfen.
Vorsorge und Stärkung des vegetativen Nervensystems
Bei einer vegetativen Störung ist es wichtig, die Balance zwischen Körper und Psyche wiederherzustellen. Folgende Maßnahmen können helfen:
- Entspannungsmethoden: Yoga, Meditation, Achtsamkeitsübungen zur Senkung des Stresslevels.
- Ausgewogene Ernährung: Vitaminmangel vermeiden, viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und gesunde Fette. Verzicht auf Alkohol und Koffein.
- Ausreichend Schlaf: Gesunde Schlafroutine mit einer kühlen, dunklen und ruhigen Schlafumgebung. Regelmäßige Zubettgehzeiten und Aufstehzeiten.
Stress und seine Auswirkungen auf den Körper
Stress führt auf körperlicher Ebene zu Veränderungen im Hormonsystem, dem vegetativen Nervensystem und dem Immunsystem. Auf psychischer Ebene führt Stress zu typischen Symptomen und Verhaltensänderungen. Unbehandelter Stress kann auf Dauer zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen.
Das vegetative Nervensystem unter Stress
Stress führt zu Anspannung und kann das vegetative Nervensystem in einen Modus der Überaktivierung des Sympathikus "kippen". Dies führt zu Herzrasen, Blutdruckanstieg, beschleunigter Atmung, gereiztem Magen oder Durchfall.
Das Hormonsystem unter Stress
Stress führt zu einer Ausschüttung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Bei längerer Erhöhung von Cortisol kann es zu einer eingeschränkten Empfindlichkeit der Cortisol-Rezeptoren kommen.
Das Immunsystem unter Stress
Stress unterdrückt üblicherweise die Immunantwort auf Krankheitserreger. Auf Dauer kann Stress aber auch zu einer übermäßigen oder fehlerhaften Immunantwort führen, was zu Autoimmunkrankheiten, Allergien und Krebserkrankungen führen kann.
Diagnose der vegetativen Dystonie
Die Diagnose der vegetativen Dystonie erfolgt in der Regel nach Ausschluss anderer körperlicher Ursachen. Der Arzt erkundigt sich nach der Krankengeschichte, führt eine körperliche Untersuchung durch und veranlasst gegebenenfalls weitere Untersuchungen wie Blutuntersuchungen, EKG oder bildgebende Verfahren.
Verlauf und Prognose
In der Regel ist die Prognose der vegetativen Dystonie gut. Eine vegetative Dystonie schränkt die Lebenserwartung nicht ein. In 50 bis 75 Prozent der Fälle bessern sich die Symptome mit der Zeit wieder.
Digitale Gesundheitsinformationen: Vorsicht vor unseriösen Quellen
Digitale Plattformen bieten zwar schnellen Zugang zu Informationen, aber es ist wichtig, vertrauenswürdige Quellen zu nutzen. Das YouTube-Format „Charité-Hörsaal“ bietet beispielsweise kompaktes Basiswissen zu verschiedenen Krankheitsbildern von Charité-Expert:innen.
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