Pflegeverweigerung bei Demenz ist ein vielschichtiges Problem, das sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen und das Pflegepersonal eine große Herausforderung darstellt. Es ist wichtig, die Ursachen für dieses Verhalten zu verstehen und angemessene Strategien zu entwickeln, um eine würdevolle und effektive Pflege zu gewährleisten.
Definition und Formen der Pflegeverweigerung
Pflegeverweigerung bezeichnet die Ablehnung oder das Unterlassen notwendiger pflegerischer Maßnahmen durch eine pflegebedürftige Person. Dies kann sich auf verschiedene Bereiche beziehen, wie z.B. Hilfe beim Waschen, Essen, Ankleiden oder bei medizinischen Behandlungen. Im professionellen Kontext muss zwischen selbstbestimmter Verweigerung und tatsächlicher Gefährdung abgewogen werden, um das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Fürsorgepflicht zu berücksichtigen.
Ursachen der Pflegeverweigerung bei Demenz
Die Gründe für Pflegeverweigerung bei Demenz sind vielfältig und können körperlicher, psychischer, emotionaler oder kultureller Natur sein. Es ist wichtig, die individuellen Ursachen zu erkennen, um passende Lösungsansätze zu finden.
Emotionale und psychische Faktoren
- Furcht und Angst: Pflegebedürftigkeit kann einen neuen Lebensabschnitt bedeuten, der die Einsicht in die Hilfsbedürftigkeit mit sich bringt. Besonders bei Intimpflege oder Hilfe beim Toilettengang empfinden viele Menschen Scham. Die Angst, sich bloßzustellen oder die Würde zu verlieren, kann zur Ablehnung führen. Einige Pflegeschritte können auch Schmerzen verursachen, vor denen sich die Betroffenen fürchten oder sich an vergangene, schmerzhafte Pflegeerfahrungen erinnern. Die Angst vor Kontrollverlust spielt ebenfalls eine große Rolle.
- Fehlende Einsicht: Pflegeverweigerung kann auch auf fehlender Einsicht in die eigene Pflegebedürftigkeit beruhen, wenn Betroffene ihre gesundheitliche Situation verkennen oder die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen nicht nachvollziehen können.
- Sprachliche und kulturelle Barrieren: Sprachliche Barrieren, insbesondere in Kliniken oder gegenüber Fremden, können ein Grund für Pflegeverweigerung sein. Missverständnisse können zu Frustration führen oder Ängste schüren, da einzelne Pflegeschritte nicht einfach genug erklärt werden können. Kulturelle oder religiöse Gründe können ebenfalls zur Pflegeverweigerung führen, wenn pflegerische Maßnahmen im Widerspruch zu den Wertvorstellungen, Traditionen oder Glaubensregeln der betroffenen Person stehen.
- Überforderung und Realitätsverkindlichung: Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz kann es zu einer "Realitätsverkindlichung" kommen, bei der die Betroffenen die äußeren und inneren Reize wie ein Kleinkind erleben. Sie fühlen sich unsicher, wenn sie mit neuen Situationen konfrontiert werden, und reagieren mit Stress und Unruhe. Auch die Furcht vor fremden Personen kann eine Rolle spielen.
- Wahrnehmungsstörungen: Wahrnehmungsstörungen aufgrund des neurodegenerativen Abbauprozesses können zu Fehlwahrnehmungen führen. So kann es zu biografischen Verwechslungen kommen, bei denen die pflegende Person für eine vertraute Person aus dem Leben des Demenzkranken gehalten wird. Bei einer "negativen Verwechslung" wird die pflegende Person aufgrund einer Ähnlichkeit mit einer Person aus der Vergangenheit mit negativen Erinnerungen in Verbindung gebracht, was zu Ablehnung und Stress führen kann.
Körperliche Faktoren
- Schmerzen: Schmerzen können ein wichtiger Auslöser für Pflegeverweigerung sein. Es ist wichtig, Schmerzen zu erkennen und zu behandeln, um die Kooperationsbereitschaft des Patienten zu erhöhen.
- Unwohlsein: Auch andere körperliche Beschwerden wie Übelkeit, Schwindel oder Müdigkeit können dazu führen, dass Menschen mit Demenz die Pflege verweigern.
Umgebungsfaktoren
- Fremdheit und Hektik: Eine ungewohnte Umgebung oder ein hektischer Pflegealltag können bei Menschen mit Demenz Angst und Verunsicherung auslösen und zur Pflegeverweigerung führen.
- Beziehung zur Pflegeperson: Die Beziehung zur Pflegeperson spielt eine entscheidende Rolle. Wenn keine Vertrautheit oder ein negatives Verhältnis besteht, kann dies die Pflegeverweigerung verstärken.
Spezifische Verhaltensweisen im fortgeschrittenen Stadium
Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz können spezifische Verhaltensweisen auftreten, die die Pflege erschweren:
- Egozentrisches Verhalten: Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium nehmen ihre Umwelt nur noch aus ihrer eigenen Sicht wahr und können sich nicht mehr in andere Menschen einfühlen.
- Tätlichkeiten: Es kann zu Tätlichkeiten wie Schlagen oder Schubsen kommen, teils ohne erkennbaren Anlass.
- Reflexartiges Nachahmungsverhalten: Betroffene können reflexartig Verhaltensweisen anderer Menschen nachahmen.
Umgang mit Pflegeverweigerung
Pflegeverweigerung ist nicht die Lösung. Pflege ist essenziell für die Behandlung von Krankheiten und häufig für ein würdevolles Leben im Alter und mit chronischer Krankheit oder Behinderung. Es gilt, eine Lösung für die Situation zu finden. Dabei gibt es keine Pauschallösung, sondern es gilt, geduldig mit der gepflegten Person sowie mit ihren Angehörigen zu sprechen. Grundsätzlich gilt in Deutschland: Pflegebedürftige dürfen nicht gegen ihren Willen zu pflegerischen Maßnahmen gezwungen werden, da jede Person ein Recht auf Selbstbestimmung hat (§ 630d BGB, § 1901 BGB). Ausnahmen sind nur in engen rechtlichen Grenzen möglich - etwa bei erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung und nur mit gerichtlicher Genehmigung im Rahmen einer Betreuung oder Unterbringung nach PsychKG oder BGB.
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Allgemeine Strategien
- Geduld und Empathie: Geduld und Empathie sind entscheidend im Umgang mit Pflegeverweigerung. Es ist wichtig, sich in die Situation des Betroffenen hineinzuversetzen und seine Ängste und Sorgen zu verstehen.
- Kommunikation: Das offene Ansprechen und Sichtbarmachen der Pflegeverweigerung ist ein wichtiger erster Schritt zur Lösung. Indem das Problem wertfrei angesprochen und dokumentiert wird, können Ursachen gemeinsam mit dem Pflegebedürftigen - sofern möglich - reflektiert und passende Maßnahmen entwickelt werden.
- Beziehungsaufbau: Eine vertrauensvolle Beziehung zur Pflegeperson ist essenziell. Es kann hilfreich sein, eine vertraute Person, z. B. einen nahen Angehörigen, in die Pflegemaßnahme einzubeziehen.
- Positive Verstärkung: Das Betonen positiver Aspekte kann helfen, Pflegeverweigerung zu überwinden, indem der Fokus auf Nutzen und Wohlbefinden gelenkt wird. Wird zum Beispiel vermittelt, dass die Maßnahme zur Schmerzlinderung, Erholung oder Selbstständigkeit beiträgt, kann dies Ängste abbauen und die Bereitschaft zur Mitarbeit fördern.
- Akzeptanz und Flexibilität: Es ist wichtig, die Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen zu respektieren und nicht zu versuchen, ihn zu etwas zu zwingen. Manchmal ist es notwendig, die Pflegeziele zu überdenken undPrioritäten neu zu setzen.
Spezifische Maßnahmen
- Anpassung der Umgebung: Stressfaktoren sollten minimiert werden, z. B. durch Ausschalten von Radiogeräten oder Fernsehern, Schließen von Fenstern und Türen und Sorgen für eine angemessene Raumtemperatur. Vermeiden Sie lautes und schnelles Sprechen.
- Ablenkungsstrategien: Bei eskalierenden Interaktionen können Ablenkungsstrategien hilfreich sein, z. B. ein fiktives Telefonat mit der Polizei.
- Personenzentrierte Pflege: Die "personenzentrierte Pflege" nach Kitwood betont die individuellen Bedürfnisse und Wünsche des Menschen mit Demenz. Ziel ist es, ihm ein Gefühl von Autonomie und Würde zu vermitteln.
- Low-Arousal-Ansatz: Der "Low-Arousal-Ansatz" zielt darauf ab, Stress und Erregung zu reduzieren. Dies kann durch eine ruhige Umgebung, eine entspannte Kommunikation und den Verzicht auf Konfrontation erreicht werden.
- Realitätsanpassung: Es kann hilfreich sein, sich an die Realität des Demenzkranken anzupassen und z. B. in eine fiktive Rolle zu schlüpfen, um die Pflege zu erleichtern.
- Einbeziehung Dritter: Manchmal ist es im Rahmen der Lösungssuche bei Pflegeverweigerung sinnvoll, Dritte mit ins Boot zu holen. Dann kann im Fall der Pflege durch Angehörige eine Person von extern sein, die vielleicht als wissende Bekannte oder professionelle Fremde mit Pflegebedürftigen Wünsche besprechen kann, die sie weniger gern mit ihren Nahestehenden bereden.
Umgang mit spezifischen Verhaltensweisen
- Egozentrisches Verhalten: Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass der Demenzkranke nicht absichtlich egoistisch handelt, sondern aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, sich in andere Menschen einzufühlen.
- Tätlichkeiten: Bei Tätlichkeiten ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und sich nicht provozieren zu lassen. Versuchen Sie, die Ursache für das Verhalten zu erkennen und die Situation zu deeskalieren.
- Reflexartiges Nachahmungsverhalten: Dieses Verhalten kann genutzt werden, um den Demenzkranken zu positiven Handlungen zu bewegen, z. B. durch Vormachen von Bewegungen bei der Körperpflege.
Mund- und Zahnpflege bei Pflegeverweigerung
Die Mundhygiene ist sehr wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden, wird aber oft bei Pflegeverweigerung vernachlässigt. Mit zunehmendem Alter steigt jedoch die Anfälligkeit für Erkrankungen des Mundraumes. Damit keine Entzündungen, Infekte, Karies und Reizungen entstehen, sollte der Mundraum auch bei Menschen mit Demenz gepflegt werden. Zusätzlich sind regelmäßige Kontrollen durch die Zahnärztin oder dem Zahnarzt anzuraten. Spätestens, wenn Auffälligkeiten zu erkennen sind, sollte umgehend eine Behandlung erfolgen.
Da Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz akute Probleme im Mund beziehungsweise an den Zähnen oft nicht mehr benennen können, ist es wichtig, die betroffene Person genau zu beobachten: Verweigert sie oder er bestimmte Speisen, weil diese häufig in Zähnen oder Prothesen hängen bleiben? Lehnt der Mensch mit Demenz aufgrund von Schmerzen vielleicht sogar jegliche Nahrung ab? Beginnt die oder der Betroffene, sich bei Tisch noch unruhiger als sonst zu verhalten? Auch blutendes Zahnfleisch und starker Mundgeruch sind Hinweise auf problematische Veränderungen.
Um die Mund- und Zahngesundheit zu verbessern sowie die Mundschleimhaut zu pflegen, helfen neben der regelmäßigen Reinigung auch eine Reihe vorbeugender Maßnahmen:
- Unterstützen Sie Menschen mit Demenz darin, regelmäßig und ausreichend zu trinken.
- Solange die Betroffenen noch kontrolliert schlucken können, können Sie ihnen zuckerfreie Lutschbonbons und Nahrungsmittel wie beispielsweise Eiswürfel oder kleine, gefrorene Obststücke anbieten.
- Wasserhaltige Lebensmittel wie Gurke, Melone, Kompott und Suppe regen den Speichelfluss an.
- Es kann auch eine Mundbefeuchtung durch Mulltupfer zum Einsatz kommen, die vorher in das entsprechende Lieblingsgetränk der Person getaucht wurden.
Grundsätzliches zur Mundpflege
Zähne, Zahnprothesen und Zunge sollten im Idealfall mindestens zweimal täglich mit der Zahnbürste beziehungsweise einem Zungenschaber gereinigt werden. Wählen Sie dafür einen Zeitpunkt, an dem der Mensch mit Demenz entspannt und kooperativ ist - die Reinigung muss also nicht zwingend morgens oder abends stattfinden. Betroffene mit Sinneseinschränkungen sollten dabei ihre Brille und Hörgeräte tragen. Lassen Sie Menschen mit Demenz grundsätzlich so viel wie möglich selber machen. Beziehen Sie die betroffene Person auch dann in die Prozedur ein, wenn Sie einen Teil der Handlung übernehmen müssen.
Unterstützung beim Zähneputzen
- Bei einer Demenz in einem frühen Stadium reicht es oft, die betroffene Person an das regelmäßige Putzen zu erinnern oder die bereits mit Zahncreme versehene Zahnbürste anzureichen. Im Hintergrund kann unauffällig die richtige Ausführung beobachtet werden.
- Bei einer fortgeschrittenen Demenz kann der betroffenen Person das korrekte Zähneputzen oder die Entnahme der Prothese vorgemacht werden. Das richtige motorische Bewegungsmuster kann unter Umständen auch "angebahnt" werden: Dazu können Sie sich hinter den Menschen mit Demenz stellen, nehmen seine Hand mit der Zahnbürste, führen sie zu dem Mund der betroffenen Person und starten die Putzbewegungen. Oftmals erinnert sich dann der Mensch mit Demenz an den Ablauf der Reinigung und fährt selbstständig fort.
- Hilfreich kann auch sein, wenn Sie das Zähneputzen zum gemeinsamen Ritual machen. Dabei stehen Sie sowie die oder der Betroffene gemeinsam vor dem Spiegel oder einander gegenüber, sodass sich der Mensch mit Demenz Ihre Ausführung „abschauen“ kann.
Alternative Methoden bei Verweigerung
Wird das Putzen mit einer Bürste unmöglich, können Sie die Mundpflege folgendermaßen durchführen:
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- Tränken Sie einen Mulltupfer mit einem abgekühlten Thymian-, Ringelblumen- oder Zinnkrauttee oder geben Sie eine entzündungshemmende Flüssigkeit aus der Apotheke darauf. Sie können auch Kamille- oder Salbeitee nutzen, hier gilt allerdings zu beachten, dass diese Teesorten den Mundraum austrocknen.
- Fahren Sie vorsichtig über Zähne, Zahnfleisch und Mundschleimhaut. Aus hygienischen Gründen sollten Sie für jede neue Wischbewegung einen neuen Tupfer einsetzen. Achtung: Um keinen Würgereiz auszulösen, sollten Sie es möglichst vermeiden, zu weit nach hinten in den Mund einzudringen!
Die Rolle der Pflegenden
Die Pflegenden spielen eine entscheidende Rolle im Umgang mit Pflegeverweigerung. Neben fachlicher Kompetenz sind persönliche Eigenschaften wie innere Ruhe, Empathie, Flexibilität, Stabilität und Belastbarkeit wichtig.
Einfluss der Pflegenden auf die Pflegeverweigerung
Pflegende können aus verschiedenen Gründen selbst zur Ursache von Pflegeverweigerung werden:
- Fehlende Vertrautheit: Wenn Pflegende keine rechte Vertrautheit zu den Bewohnern aufbauen können, spüren diese die Distanz, was zu Verunsicherung und Ablehnung führen kann.
- Unterschiedliche Wesensart: Unterschiedliche Umgangsformen und Distanzbedürfnisse können zu Irritationen und Rückzugsverhalten führen.
- Hohes Belastungsniveau: Ein hoher Arbeitsdruck und Personalmangel können dazu führen, dass die Pflege nicht immer zur allseitigen Zufriedenheit ausgeführt werden kann.
Maßnahmen zur Verbesserung der Situation
- Personalwechsel: In Fällen, in denen die Chemie zwischen Pflegendem und Pflegebedürftigem nicht stimmt, kann ein Personalwechsel sinnvoll sein, sowohl zum Wohle des Demenzkranken als auch zum Wohle des Pflegenden.
- Teamsitzungen: In Teamsitzungen können die persönlichen Voraussetzungen und Belastungen der Pflegenden besprochen werden. Es ist wichtig, ein offenes Klima zu schaffen, in dem Probleme angesprochen und gemeinsam Lösungen gefunden werden können.
Rechtliche Aspekte
In Deutschland haben Pflegebedürftige das Recht auf Selbstbestimmung. Sie dürfen nicht gegen ihren Willen zu pflegerischen Maßnahmen gezwungen werden (§ 630d BGB, § 1901 BGB). Ausnahmen sind nur in engen rechtlichen Grenzen möglich, etwa bei erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung und nur mit gerichtlicher Genehmigung im Rahmen einer Betreuung oder Unterbringung nach PsychKG oder BGB.
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