Vitamin-E-Mangel: Neurologische Symptome, Ursachen und Behandlung

Vitamin E ist ein essentielles fettlösliches Antioxidans, das eine entscheidende Rolle beim Schutz der Zellmembranen vor oxidativen Schäden spielt. Es besteht aus acht strukturell ähnlichen Verbindungen, die als Vitamin-E-Komplex bezeichnet werden: vier Tocopherole (alpha-, beta-, gamma- und delta-Tocopherol) und vier Tocotrienole (alpha-, beta-, gamma- und delta-Tocotrienol). Neben seiner antioxidativen Wirkung beeinflusst Vitamin E die zelluläre Signaltransduktion und Genexpression. Diese Funktionen sind für die Gesundheit und die Hemmung von Krankheit und Krankheitsprogression möglicherweise noch wichtiger als die direkte antioxidative Aktivität.

Ein Mangel an Vitamin E tritt primär nicht als Folge einer unzureichenden Zufuhr über die Nahrung auf, da eine gemischte Kost ausreichende Mengen an Vitamin E enthält. Ein durch die Ernährung verursachter, isolierter Vitamin-E-Mangel ist bei gesunden Menschen nicht bekannt. Ernährt man sich ausgewogen und vielseitig, kommt ein Defizit praktisch nicht vor. Bei sehr fettreduzierter Diät oder einer gestörten Fettverdauung kann es zwar zu einer Unterversorgung kommen. Bis sich diese aber in Symptomen bemerkbar macht, können Jahre vergehen.

Seltenheit und Ursachen des Vitamin-E-Mangels

Ein Vitamin-E-Mangel ist bei normaler Ernährung in der Regel nicht zu befürchten. Wann er dennoch vorkommen kann und welche Symptome dann typisch sind. Ein Mangel an Vitamin E kommt insgesamt sehr selten vor. Bei Erwachsenen ist in der Regel ausreichend Vitamin E im Fettgewebe gespeichert. Da sich diese Speicher erst nach Jahren leeren, ruft eine Unterversorgung mit Vitamin E bei ihnen nicht so schnell Symptome hervor. Bei Säuglingen und Kindern hingegen drohen bei einem Mangel eher Symptome.

Die häufigsten Ursachen für einen Mangel an Vitamin E sind Verdauungsstörungen, die die Aufnahme von Vitamin E aus der Nahrung verhindern oder beeinträchtigen. Mediziner sprechen von Malabsorption. Vitamin-E-Malabsorption geht oft mit chronischer Bauchspeicheldrüsenentzündung (chronische Pankreatitis), Gallenwegsstörungen (Cholepathien), entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder mit Glutenunverträglichkeit (Zöliakie, Sprue) sowie Kurzdarmsyndrom einher.

Weitere Ursachen können sein:

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  • Bestimmte genetische Erkrankungen, wie Mukoviszidose oder Abetalipoproteinämie.
  • Störungen der Fettverdauung, z. B. nach (teilweiser) Entfernung des Dünndarms.
  • Schwerwiegende Lebererkrankungen.
  • Die seltene Erbkrankheit "Familial Isolated Vitamin E deficiency" (FIVE), bei der der Leberstoffwechsel gestört ist und Vitamin E nicht ins Blut gelangen kann.
  • Bei Frühgeborenen, da diese einen stark erhöhten Bedarf an Vitamin E, aber nur sehr kleine Vitamin-E-Speicher haben.

Neurologische Symptome eines Vitamin-E-Mangels

Ein schwerer Vitamin-E-Mangel führt vor allem zu neurologischen Symptomen, einschließlich einer Beeinträchtigung der Balance und Koordination (Ataxie), Verletzungen der sensorischen Nerven (periphere Neuropathie), Muskelschwäche (Myopathie), und Schäden an der Netzhaut des Auges (pigmentierte Retinopathie). Aus diesem Grund sollten Menschen, die eines dieser Symptome entwickeln, auf einen möglichen Vitamin-E-Mangel hin untersucht werden.

Die auftretenden Symptome sind eher unspezifisch, wie Störungen des Nervensystems, der Muskulatur und Krankheiten des Herzmuskels (Kardiomyopathie). Zudem kann es bedingt durch einen Vitamin-E-Mangel zu Verlust der Zellmembranstabilität kommen, welcher zu einer hämolytischen Anämie führen kann. Dies kommt gelegentlich bei Frühgeborenen beobachtet vor. Ataxie (eine neurologische Störung) ist eine typische Mangelerscheinung, die bei einem isolierten Vitamin-E-Mangel durch einen genetischen Defekt auftritt.

Zu den neurologischen Symptomen gehören:

  • Ataxie: Eine neurologische Störung, die sich durch eine Beeinträchtigung der Balance und Koordination bemerkbar macht.
  • Periphere Neuropathie: Schäden an den Sinnesnerven, die zu Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Brennen und Taubheitsgefühl führen können, vor allem in den Füßen. Neuropathische Schmerzen sind ebenfalls möglich.
  • Muskelschwäche (Myopathie): Ein Abbau von Muskulatur und Nerven, der sich mit unwillkürlichem Zittern (Tremor) äußern kann.
  • Retinopathie: Schäden an der Netzhaut des Auges, die zu Sehstörungen führen können.
  • Beeinträchtigte Reflexe: Die Reflexe lassen mitunter nach.
  • Geistige Verlangsamung (Retardierung): Die körperlichen Symptome sind zuweilen von einer deutlichen Verlangsamung der kognitiven Fähigkeiten begleitet.

Es ist wichtig zu beachten, dass das sich entwickelnde Nervensystem besonders anfällig für einen Vitamin-E-Mangel zu sein scheint. So entwickeln zum Beispiel Kinder mit schwerem Vitamin-E-Mangel von Geburt an, die nicht umgehend behandelt werden, neurologische Symptome. Dagegen können bei Personen, die eine Malabsorption von Vitamin E im Erwachsenenalter entwickeln, neurologische Symptome erst nach 10 bis 20 Jahren auftreten.

Weitere Symptome eines Vitamin-E-Mangels

Neben den neurologischen Symptomen kann ein Vitamin-E-Mangel auch andere gesundheitliche Probleme verursachen:

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  • Abwehrschwäche: Vitamin E spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Immunsystems.
  • Durchblutungsstörungen: Insbesondere in Armen und Beinen, später auch in Herz und Gehirn.
  • Hämolytische Anämie: Verlust der Zellmembranstabilität, welcher zu einer hämolytischen Anämie führen kann.
  • Müdigkeit und Konzentrationsstörungen: Wie bei den meisten Vitaminmangelzuständen beginnt Vitamin-E-Mangel mit schleichenden unspezifischen Symptomen, die viele Erklärungen haben können.
  • Trockene oder rissige Haut sowie Wundheilungsstörungen: Anhaltender Vitamin-E-Mangel zeigt sich häufig auch durch trockene oder rissige Haut sowie durch Wundheilungsstörungen.

Diagnose und Behandlung des Vitamin-E-Mangels

Diagnostiziert wird ein Mangel anhand eines individuellen Risikoprofils, einer Erhebung der Ernährungsgewohnheiten (Ernährungsanamnese) und Laboruntersuchungen. Bei einem Vitamin-E-Mangel finden sich weniger als 5 Milligramm α-Tocopherol pro Liter Blut.

Ein Vitamin-E-Mangel wird mithilfe von Vitaminpräparaten behandelt. Die Dosierung richtet sich nach der Schwere der Symptome, der Ursache des Mangels und den individuellen Risikofaktoren. Für die Therapie von Vitamin-E-Mangel gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung den Tagesbedarf für Vitamin E mit den folgenden Mengen in Milligramm Tocopherol an:

  • Bis 12 Monate: 3 bis 4 mg
  • Bis 4 Jahre: 5 bis 6 mg
  • Bis 7 Jahre: 8 mg
  • Bis 10 Jahre: 9 bis 10 mg
  • Bis 13 Jahre: 13 mg (Jungen), 11 mg (Mädchen)
  • Bis 15 Jahre: 14 mg (Jungen), 11 mg (Mädchen)
  • Bis 25 Jahre: 15 mg (Männer), 12 mg (Frauen)
  • Bis 51 Jahre: 14 mg (Männer), 12 mg (Frauen)
  • Bis 65 Jahre: 13 mg (Männer), 12 mg (Frauen)
  • Über 65: 13 mg (Männer), 11 mg (Frauen)
  • Schwangere: 13 mg
  • Stillende: 17 mg

Vorbeugung eines Vitamin-E-Mangels

Bei einer einigermaßen abwechslungsreichen Ernährung mit frischen, selbst zubereiteten Lebensmitteln sollten die meisten gesunden Menschen den Vitamin-E-Tagesbedarf ohne Probleme decken. Besonders reich an Vitamin E sind Pflanzenöle wie Sonneblumenöl, Maiskeimöl oder Olivenöl. Auch Nüsse und Mandeln enthalten überdurchschnittlich viel Vitamin E. Gute Vitamin-E-Lieferanten sind Leinöl oder Kokosfett sowie Avocados oder Pistazien und Butter. Auch Eier und Getreidekeime enthalten Vitamin E.

Ein Esslöffel Weizenkeimöl oder eine Handvoll Haselnüsse decken den Bedarf eines erwachsenen Menschen. Wer seinen Vitamin-E-Bedarf mit Margarine decken möchte, müsste hingegen schon ungefähr 70 Gramm davon zu sich nehmen.

Es gibt eine ganze Reihe von Lebensmitteln, die mit Vitamin E angereichert werden. Das gilt beispielsweise für Margarine. Am bekanntesten sind die ACE-Lebensmittel und -Getränke, die die Vitamine A, C und E enthalten.

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Wichtige Hinweise zur Vitamin-E-Supplementierung

Für eine Supplementierung mit Vitamin E sollte man besser ein Nahrungsergänzungsmittel mit allen 8 Vitamin-E-Verbindungen wählen. Jede Vitamin-E-Verbindung hat ihre eigenen besonderen Eigenschaften und wirkt synergetisch mit den anderen zusammen. Die einseitige Supplementierung mit alpha-Tocopherol verringert die Konzentrationen anderer Vitamin-E-Verbindungen (darunter gamma-Tocopherol und alpha-Tocotrienol), wodurch der Körper weniger von den gesundheitsfördernden Wirkungen des vollständigen Vitamin-E-Komplexes profitiert. Wichtig ist auch, das natürliche Vitamin E (in Form der RRR-Stereoisomere) zu wählen und nicht die synthetische Variante.

Die Anwendung hoher Dosen Vitamin E sollte vorzugsweise nur in einem beschränkten Zeitraum erfolgen. Die Unbedenklichkeit der dauerhaften Vitamin-E-Einnahme in Dosen über 400 mg-TE pro Tag steht in den letzten Jahren zur Diskussion. Die Dosen sollten am besten langsam erhöht bzw. verringert werden. Achten Sie auf die ausreichende Einnahme von Antioxidantien wie z. B. Tocotrienole können die Blutungs- und Gerinnungszeit verlängern. Hierzu sind weitere Untersuchungen erforderlich. Eine hohe Dosis alpha-Tocopherol (1000 IE natürliches alpha-Tocopherol) antagonisiert Vitamin K und erhöht PIVKA II (das nicht von Vitamin K carboxylierte Prothrombin) bei Erwachsenen, die keine Antikoagulantien anwenden (leichte Gerinnungshemmung). Achten Sie bei einer Vitamin-E-Supplementierung auf die ausreichende Einnahme von Vitamin K2.

Oxidiertes Vitamin E (das eine prooxidative Aktivität besitzt) wird durch andere Antioxidantien, darunter Vitamin C und Coenzym Q10, in den antioxidativen Zustand zurückgeführt (recycelt). Eine hohe Dosis alpha-Tocopherol kann die Aktivität von CYP3A4 (und möglicherweise anderer Cytochrom P450-Enzyme) erhöhen, wodurch sich die Wirkung von Arzneimitteln, die beschleunigt durch dieses Enzym abgebaut werden, vermindert (Tierversuch). Lipidsenkende Arzneimittel wie zum Beispiel Statine senken die Vitamin-E-Konzentration in Blut und Geweben.

Risiken einer Überdosierung von Vitamin E

Vitamin E weist eine niedrige Toxizität auf. Dies ist auf eine geringere Speicherung in den Organen und einem vermehrten Abbau durch die Leber bei hoher Zufuhr von Vitamin E zurückzuführen. Im Rahmen einer gesundheitsfördernden und ökologisch nachhaltigen Ernährung mit üblichen Lebensmitteln ist eine Überversorgung mit Vitamin E nicht möglich. Durch die Einnahme über Präparate kann es zu einer Überversorgung mit Vitamin E kommen. Hierbei wird eine erhöhte Blutungsneigung, sowie ein erhöhtes Risiko für Prostatakarzinom beobachtet. Aus diesem Grund gibt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für Erwachsene eine tägliche tolerierbare Gesamtzufuhr in Höhe von 300 mg Vitamin E (α-Tocopherol) an. Dieser Wert gilt nicht für Personen, die Medikamente zur Blutgerinnung (z. B. Aspirin) erhalten, mit Vitamin-K-Malabsorptionssyndromen oder zur Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen. Auch für Personen mit spezifischen Erkrankungen, die einen Vitamin-E-Mangel verursachen, gelten keine Höchstmengen. Diese Bevölkerungsgruppen befinden sich in ärztlicher Behandlung, und daher sollte jede Supplementation von Vitamin E (α‑Tocopherol) unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Verschiedenen Metaanalysen ist zu entnehmen, dass eine Vitamin-E-Einnahme über 400 IE/Tag das Sterberisiko um 3% erhöht. Es ist möglich, dass dies vor allem für Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt.

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