Muskelkrämpfe, insbesondere in der Wade, sind ein weit verbreitetes Phänomen, das viele Menschen betrifft. Sie äußern sich als plötzliche, unwillkürliche und schmerzhafte Verhärtungen der Muskulatur. Obwohl sie meist harmlos sind und von selbst aufhören, können sie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, insbesondere wenn sie häufig auftreten oder die Nachtruhe stören.
Häufigkeit und Betroffene
Muskelkrämpfe sind ein ubiquitäres Phänomen und eine häufige Nebenwirkung von Arzneien. Vereinzelt treten sie bei jungen Erwachsenen, besonders Sportlern, mit einer Häufigkeit von über 90 % auf. Die Frequenz nimmt mit dem Alter zu, sodass 33-50 % der älteren Erwachsenen jenseits von 65 Jahren regelmäßig - mindestens 1-mal pro Woche - an Muskelkrämpfen leiden. Frauen sind eher betroffen als Männer.
Was ist ein Wadenkrampf?
Ein Wadenkrampf ist eine plötzliche, unwillkürliche und schmerzhafte Kontraktion der Wadenmuskulatur. Die betroffene Muskulatur ist tastbar verhärtet und bewegungsunfähig. Muskelkrämpfe halten nur kurz (Sekunden bis Minuten) an und klingen dann von allein wieder ab. Fast immer ist die Wadenmuskulatur betroffen; gelegentlich kann sich die Kontraktion bis auf die Zehenmuskel ausbreiten. Stehen oder gehen bringt in der Regel sofortige Erleichterung.
Ursachen von Wadenkrämpfen
Die Ursachen für Wadenkrämpfe sind vielfältig und oft nicht eindeutig zu identifizieren. In vielen Fällen lassen sich keine konkreten Ursachen finden, dann spricht man von idiopathischen Wadenkrämpfen.
Mögliche Auslöser und Risikofaktoren
- Dehydration und Elektrolytstörungen: Vermutlich war es die Dehydratation und der Elektrolytverlust, welche das Auftreten der Muskelkrämpfe begünstigte. Auch bei Sportlern wird das Auftreten der Muskelkrämpfe durch eine Dehydratation und Elektrolytstörungen begünstigt. Ein Mangel an Mineralstoffen wie Natrium, Kalium, Kalzium und Magnesium kann die Muskelaktivität beeinträchtigen.
- Über- oder Unterforderung der Muskulatur: Wadenkrämpfe entstehen oft, wenn man die Muskeln entweder zu stark fordert oder zu wenig fordert.
- Schwangerschaft: Symptomatische Muskelkrämpfe können beispielsweise im Rahmen körperlicher Anstrengung oder einer Schwangerschaft auftreten.
- Erkrankungen: Zahlreiche internistische Erkrankungen wie Schilddrüsenfunktionsstörung, Diabetes mellitus, Hämodialyse, Leberzirrhose begünstigen das Auftreten von Muskelkrämpfen. Auch neurologische Erkrankungen wie die Parkinson-Krankheit, die Amyotrophe Lateralsklerose oder eine Polyneuropathie können eine Rolle spielen.
- Medikamente: Zahlreiche Medikamente können das Auftreten von Muskelkrämpfen begünstigen. Am häufigsten scheint diese Problematik unter Diuretika, Statinen und unter inhalativen Beta-2-Sympathomimetika aufzutreten.
- Alkohol: Erhöhter Alkoholkonsum kann das Risiko eines Magnesiummangels erhöhen.
- Fehlbelastungen und Fußfehlstellungen: Fehlbelastungen bestimmter Muskeln durch Gelenkprobleme oder einseitige Körperhaltungen sowie Fußfehlstellungen wie Senk- oder Spreizfüße können Krämpfe begünstigen.
- Ungünstige Schlafposition: Eine ungünstige Schlafposition, z.B. mit überstrecktem Fuß schlafen, weil die Bettdecke am Fußende fest eingeschlagen ist oder unbequem liegen, weil die Matratze nicht passt, kann Krämpfe auslösen.
- Lebensalter: Mit zunehmendem Alter verkürzen sich die Muskeln und der Körper baut Muskelmasse ab, wenn man sich nicht regelmäßig bewegt.
Pathophysiologie
Pathophysiologisch entstehen Muskelkrämpfe durch hochfrequente Entladungsserien der motorischen Einheiten mit etwa 50 und 150 Hz. Dies konnte während Muskelkrämpfen elektromyografisch nachgewiesen werden. Sie sind Ausdruck einer neurogenen Übererregbarkeit. Darüber hinaus scheinen zusätzlich spinale Faktoren wie der Wegfall inhibitorischer Einflüsse an den Vorderhornzellen bedeutsam zu sein.
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Diagnose von Wadenkrämpfen
Die Anamnese von Patienten mit Muskelkrämpfen ist für die Diagnose entscheidend. Wichtige Differenzialdiagnosen lassen sich bereits im Gespräch gut differenzieren. Üblicherweise handelt es sich um einen starken Schmerz, der meist im Bereich der Wade oder des Fußgewölbes lokalisiert ist. Der Schmerz hält für wenige Sekunden bis maximal 10 Minuten an. Auch nach dem Krampf kann ein Schmerz noch persistieren. Häufig kommt es zu Schlafstörungen.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sollte an ein - anamnestisch gut abgrenzbares - Restless-legs-Syndrom (RLS) gedacht werden. Die Patienten beschreiben einen Bewegungsdrang meist der Beine. Dieser ist häufig assoziiert mit unangenehmen Missempfindungen wie beispielsweise Kribbeln oder Brennen. Die Beschwerden treten häufig in Ruhephasen auf und bessern sich durch Herumlaufen und durch körperliche Aktivität. Der Schlaf kann ebenso beeinträchtigt sein. Schmerzen sind beim RLS nachrangig und die Beschwerden bessern sich im Gegensatz zu den Muskelkrämpfen durch Bewegung.
Die Lokalisation der Krämpfe ist zu erfragen. Sofern sie häufig am Rumpf, den Armen oder den Oberschenkeln auftreten, sollte der Patient zur Mitbeurteilung neurologisch vorgestellt werden. Anamnestisch ist zu klären, ob es Hinweise für Muskelerkrankungen in der Familie gibt. Es ist wichtig, eine vollständige Medikamentenanamnese zu erheben. Häufig leiden ältere Patienten unter Muskelkrämpfen und hier stellt die Polypharmazie ein ernsthaftes Problem dar.
Neurologische Abklärung
Eine neurologische Abklärung sollte erfolgen, sofern sich Hinweise für eine Schädigung des ersten Motorneurons ergeben. Gesteigerte Reflexe, verbreiterte Reflexzonen, Pyramidenbahnzeichen, Muskeltonuserhöhung und spastische Paresen in der Untersuchung sind Hinweise für eine derartige Erkrankung. Auch bei Hinweisen für eine Schädigung des 2. Motoneurons sollte eine neurologische Mitbeurteilung erfolgen. Klinisch imponiert dies durch schlaffe Paresen, Muskelatrophie und Reflexausfälle. Erkrankungen des 2. Motorneurons wie Polyneuropathien oder Radikulopathien können zu Muskelkrämpfen führen.
Weitere Untersuchungen
Zur weiteren Abklärung sollte eine orientierende neurologische Untersuchung auch hausärztlich erfolgen. Hierbei sollte auf Paresen, Muskelatrophie, Reflexdifferenz und Sensibilitätsstörungen geachtet werden. Bevor eine Therapie eingeleitet und bewertet wird, sollte zunächst der Status quo erhoben werden. Dies ist entscheidend, um später die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen zu bewerten. Der Patient sollte für etwa 4 bis 8 Wochen die Häufigkeit und die Schwere der Muskelkrämpfe erfassen. Er sollte potenzielle Auslösefaktoren wie beispielsweise Alkohol meiden.
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Behandlung von Wadenkrämpfen
Die Behandlung von Muskelkrämpfen lässt sich in nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen unterteilen.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen
Nichtmedikamentöse Therapien werden sowohl in der Prävention als auch in der Akuttherapie angewandt.
- Dehnübungen: Der Patient sollte über die Sinnhaftigkeit regelmäßiger Dehnübungen der betroffenen Muskulatur informiert werden. Hierdurch kann er effektiv die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Muskelkrämpfen reduzieren. Regelmäßige Dehnübungen sollten mehrmals am Tag für circa 30 Sekunden durchgeführt werden. Die Übungen sollten 3-mal wiederholt und zwischen den Durchgängen Pausen von wenigen Sekunden eingehalten werden.
- Akutbehandlung: In der Akutbehandlung kann der Muskelkrampf durch Anspannung der antagonistischen Muskulatur über die einsetzende reziproke antagonistische Hemmung beendet werden. Hierbei hemmen Renshaw-Interneurone über Ia-Interneurone den Antagonisten (Inhibitorische Wirkung auf das α-Motorneuron des Antagonisten). Eine kräftige Dehnung des betroffenen Muskels kann ebenfalls zur Unterbrechung des Krampfes führen (sogenannte autogene Hemmung durch Golgi-Sehnenrezeptoren).
- Massagen: Den Muskel zu massieren und langsam und vorsichtig zu dehnen, kann als Sofortmaßnahme bei einem Krampf helfen.
- Wärme: Eine warme Dusche oder eine auf die betroffene Stelle gelegte Wärmflasche können die Muskulatur entspannen.
- Bewegung: Das Ausschütteln der Beine und vorsichtiges Gehen können einen Krampf im Bein ebenfalls lindern.
Medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Behandlung der Muskelkrämpfe beruht im Wesentlichen auf der Therapie mit Chinin. Gemäß der neurologischen Leitlinie sollte zunächst ein Versuch mit der Gabe von Magnesium aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils durchgeführt werden - auch wenn die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist.
Magnesium: Je nach Alter und Geschlecht liegt die empfohlene Tageszufuhr für Magnesium gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei 300-400 mg pro Tag. Es gibt zahlreiche Hersteller von Magnesiumpräparaten, häufig liegen deren Dosierungen ebenfalls bei 300 oder 400 mg pro Tablette/Kapsel. Es sind auch deutlich höher dosierte Präparate erhältlich. Im Zusammenhang mit der Einnahme von Magnesium kann es zu Durchfällen kommen. Insbesondere bei einer bestehenden Niereninsuffizienz muss die Gefahr einer Hypermagnesiämie beachtet werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt eine Tageshöchstdosis von 250 mg, da Magnesium zusätzlich über die Nahrung aufgenommen wird und insofern eine Überdosierung möglich sein kann. Der Nutzen von Magnesium in der Vorbeugung von Muskelkrämpfen scheint insgesamt jedoch sehr begrenzt zu sein. Die meisten Betroffenen haben Magnesium bereits versucht, bevor sie einen Arzt aufgrund ihrer Beschwerden aufsuchen.
Chinin: Die Gabe von Chinin zur vorbeugenden Behandlung von schmerzhaften Muskelkrämpfen ist etabliert und durch Studien belegt. Insofern wird diese Therapie auch in der aktuellen neurologischen Leitlinie empfohlen. Chininsulfat kann zur Prophylaxe von Muskelkrämpfen verordnet werden, da es zu Veränderungen im Bereich der neuromuskulären Übertragung führt. Es verlängert die Refraktärzeit durch direkte Wirkung auf die Muskelfaser. Es vermindert die Erregbarkeit an der motorischen Endplatte, eine Wirkung ähnlich der von Curare. Außerdem beeinflusst es die Verteilung von Kalzium in der Muskelfaser. Über diese Mechanismen wird die Schwelle für eine Reaktion des Muskels auf einen einzelnen maximalen Reiz erhöht. Die Bereitschaft zu einer tetanischen Kontraktion nimmt ab.
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Chininsulfat weist eine hohe orale Bioverfügbarkeit (> 85 %) auf und wird überwiegend im oberen Teil des Dünndarms resorbiert. Die höchsten Plasmakonzentrationen werden etwa 1-3 Stunden nach Einnahme erreicht. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei etwa 11 Stunden. Die Plasmaeiweißbindung beträgt 70 %.
Die Behandlung mit Chininsulfat beginnt mit 200 mg nach dem Abendessen. Der Behandlungserfolg kann etwa nach 4 Wochen beurteilt werden. Bei Bedarf kann die Dosis auf 400 mg gesteigert werden. Insbesondere zu Beginn der Therapie sollten die Betroffenen die Häufigkeit und die Intensität der Muskelkrämpfe dokumentieren, um die Wirksamkeit besser abschätzen zu können.
Zahlreiche Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit Chininsulfat beschrieben wurden wie beispielsweise eine Schädigung des Nervus vestibulocochleares oder des Nervus opticus, sind auf hohe Plasmakonzentrationen zurückzuführen. Derartig hohe Plasmakonzentrationen werden in der Prophylaxe von Muskelkrämpfen nicht erreicht, da hierfür maximal 400 mg täglich gegeben werden. Dabei sind Plasmakonzentrationen deutlich unter 7 μg/ml zu erwarten. In Malariatherapie ist dies ganz anders. Die Erhaltungstherapie für einen 70 kg schweren Patienten liegt dann bei bei 2 100 mg/d.
Chininsulfat darf nicht in der Schwangerschaft und der Stillzeit angewendet werden. Es ist bei Bradykardien und Herzrhythmusstörungen kontraindiziert, da es zu einer Verlängerung der QT-Zeit kommen kann. Auch sollten regelmäßige Kontrollen der Elektrolyte bei gleichzeitiger Anwendung von Diuretika oder Laxantien erfolgen.
Zahlreiche Medikamente können die QT-Zeit verändern. Dies ist in der Kombination mit Chininsulfat zu berücksichtigen, da es seinerseits zu einer Verlängerung des QT-Intervalls führen kann. Patienten mit vorbestehendem QTc-Intervall > 500 ms sollten nicht mit Chininsulfat behandelt werden.
In sehr seltenen Fällen kann sich unter der Behandlung mit Chininsulfat eine thrombozytopenische Purpura entwickeln. Derartige immunvermittelte Reaktionen unter Chinin haben zu einer erheblichen Verunsicherung der behandelnden Ärzte geführt. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass Patienten mit Muskelkrämpfen häufig eine wirkungsvolle Behandlung vorenthalten wird. Typischerweise treten nach bis zu einer Woche der Einnahme oder bei intermittierender längerer Einnahme petechiale oder ekchymatöse Blutungen als Hinweise auf eine Thrombozytopenie auf. Auch neu aufgetretenes Nasen- oder Zahnfleischbluten oder gastrointestinale Blutungen sollten daran denken lassen. Thrombozytopenien treten unter zahlreichen Arzneien wie Cotrimoxazol, Rifampicin, Carbamazepin, Diclofenac, Ibuprofen, Vancomycin, Heparin und Chinin auf. Unter der Behandlung mit Chininsulfat ist eine medikamentös-induzierte Thrombozytopenie sehr selten.
Gewürzgurkenwasser: Laut einer Studie verkürzte die essighaltige Flüssigkeit die Krampfdauer.
Wann zum Arzt?
Gehen Sie unbedingt zum Arzt, wenn die schmerzhaften Krämpfe
- häufiger auftreten,
- Nachtruhe oder Tagesablauf stören,
- nicht von allein oder durch Dehnen und sanfte Massage vergehen und/oder
- von weiteren Symptomen wie Übelkeit, Taubheitsgefühlen, Kribbeln oder Bewegungseinschränkungen begleitet werden.
Prävention von Wadenkrämpfen
- Regelmäßiges Dehnen: Regelmäßiges Dehnen der betroffenen Muskeln kann helfen, Krämpfen vorzubeugen.
- Ausreichend trinken: Es ist wichtig, ausreichend zu trinken, mindestens anderthalb bis zwei Liter pro Tag - insbesondere nach dem Sport, nach körperlicher Arbeit und an warmen Tagen. Am besten eignen sich stilles Wasser oder Saftschorlen mit etwa einem Drittel Saftanteil. Nicht ideal sind Getränke, die Alkohol, viel Zucker und Kohlensäure enthalten.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit magnesiumreichen Lebensmitteln wie grünem Blattgemüse, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, Nüssen und Samen sowie Fisch und Meeresfrüchten kann helfen, einem Mangel vorzubeugen.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Vermeiden Sie Alkohol und Koffein.
- Bequeme Schuhe: Tragen Sie bequeme Schuhe, die Ihren Füßen guten Halt geben und nicht drücken.
- Regelmäßige Bewegung: Bewegen Sie sich regelmäßig. Gezieltes Stretching mehrmals in der Woche, hält die Muskeln fit und beugt Verkürzungen vor. Vermeiden Sie abrupte Wechsel von Warm zu Kalt.
- Sport: Treibt man viel Sport und wird vermehrt von Krämpfen in den Waden gebremst, empfiehlt es sich, das Trainingsverhalten unter die Lupe zu nehmen.
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