Die Trigeminusneuralgie ist eine seltene neurologische Erkrankung, die durch einen starken, blitzartig einschießenden, einseitigen Gesichtsschmerz gekennzeichnet ist. Dieser Schmerz wird als einer der stärksten überhaupt beschrieben und kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Schätzungsweise sind 4 von 100.000 Menschen pro Jahr von dieser Erkrankung betroffen, wobei das mittlere Erkrankungsalter zwischen 53 und 57 Jahren liegt. Frauen sind mit etwa 60 % häufiger betroffen als Männer.
Was ist der Nervus trigeminus?
Der Nervus trigeminus, auch Drillingsnerv genannt, ist der fünfte Hirnnerv. Er ist für die sensible Wahrnehmung im Gesichtsbereich zuständig und versorgt auch die Kaumuskulatur motorisch. Seinen Namen verdankt er der Tatsache, dass er sich in drei Hauptäste verzweigt:
- Nervus ophthalmicus (Augenast): Versorgt den oberen Kopfbereich, die Stirn, Augen und Nase.
- Nervus maxillaris (Oberkieferast): Versorgt den Oberkiefer, die Oberlippe und Teile des Gaumens.
- Nervus mandibularis (Unterkieferast): Versorgt den Unterkiefer, die Unterlippe, die Zähne und die Kaumuskulatur.
Die Trigeminusneuralgie betrifft meist den zweiten oder dritten Trigeminusast, was zu Schmerzen im Bereich der Wangen, Lippen, Zunge und Kaumuskulatur führt. Seltener ist der Augenast betroffen.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen der Trigeminusneuralgie sind bis heute nicht vollständig geklärt. In den ärztlichen Leitlinien werden anhand der Ursachen verschiedene Erkrankungsformen unterschieden. Man unterscheidet zwischen der klassischen (idiopathischen) und der sekundären (symptomatischen) Trigeminusneuralgie.
Klassische Trigeminusneuralgie
Die klassische Trigeminusneuralgie wird oft durch einen Gefäß-Nerven-Kontakt an der Wurzel des Trigeminusnervs verursacht. In den meisten Fällen drückt ein benachbartes Blutgefäß, meist die Arteria cerebelli superior (SCA) - eine das Kleinhirn versorgende Arterie - auf den Nerven. Dieser Druck kann die schützende Myelin-Hülle des Nervs schädigen und zu einer Fehlfunktion führen. In der Folge büßt der Nerv im Bereich der Druckstelle seine schützende Myelin-Hülle ein. Manchmal können auch Venen Druck auf den Trigeminusnerven ausüben.
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Sekundäre Trigeminusneuralgie
In etwa 15 % der Fälle wird die Trigeminusneuralgie durch andere Erkrankungen ausgelöst. In diesen Fällen spricht man von einer sekundären oder symptomatischen Trigeminusneuralgie. Mögliche Ursachen sind:
- Multiple Sklerose (MS)
- Gefäßfehlbildungen im Gehirn
- Tumoren
- Entzündungen
- Verletzungen
Insbesondere bei jüngeren Patientinnen und Patienten sollte bei den typischen Symptomen an andere Erkrankungen gedacht werden.
Symptome
Das Hauptsymptom der Trigeminusneuralgie ist ein starker, plötzlich einschießender Schmerz im Gesicht. Dieser Schmerz wird oft als blitzartig, stechend, elektrisierend oder brennend beschrieben. Die Schmerzattacken dauern meist nur wenige Sekunden, können aber bis zu zwei Minuten anhalten. Die Häufigkeit der Attacken kann individuell sehr unterschiedlich sein und bis zu Hunderten pro Tag reichen.
Die Schmerzattacken können spontan auftreten oder durch bestimmte Reize ausgelöst werden. Häufige Auslöser sind:
- Sprechen
- Kauen
- Schlucken
- Zähneputzen
- Berührungen im Gesicht
- Kalter Luftzug
- Bewegungen der Gesichtsmuskulatur
Zwischen den einzelnen Attacken sind die meisten Patienten beschwerdefrei, einige beschreiben jedoch auch dumpfe, niedrigschwellige Dauerschmerzen. Die Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schmerzen kann sich mit der Zeit verändern und auch deutlich zunehmen.
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Begleitend zu den Schmerzen können sich Teile der Gesichtsmuskulatur zusammenziehen (Tic douloureux). Ferner können Hautrötung und Augentränen auftreten. Emotionaler Stress kann die Symptomatik einer Trigeminusneuralgie verstärken.
Diagnose
Die Diagnose der Trigeminusneuralgie basiert in erster Linie auf der Anamnese des Patienten und einer ausführlichen klinischen Untersuchung. Der Arzt wird sich nach der Art, Lokalisation, Dauer und Häufigkeit der Schmerzen erkundigen. Auch mögliche Auslöser und Begleitsymptome werden erfragt.
Eine neurologische Untersuchung dient dazu, andere mögliche Ursachen für die Gesichtsschmerzen auszuschließen. In einigen Fällen kann auch eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt werden, um den Trigeminusnerv und die umliegenden Strukturen darzustellen.
Mittels moderner Bildgebung lässt sich bei bis zu 15% der Patienten auch andere Auslöser nachweisen - dann ist von sekundären oder symptomatischen Trigeminusneuralgien die Rede [2]. So lassen sich die beschriebenen Kompressionen durch eine dreidimensionale (3D) Time-of-Flight-Magnetresonanz-Angiografie (3D TOF MRA) in Kombination mit einer hochauflösenden T2-gewichteten Bildgebung (HR T2WI) - die von besonders hoher Signalintensität ist - erkennen.
Differentialdiagnose
Es ist wichtig, die Trigeminusneuralgie von anderen Erkrankungen abzugrenzen, die ähnliche Symptome verursachen können. Dazu gehören:
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- Trigeminusneuropathie: Dauerschmerz aufgrund einer Schädigung des Nervensystems im Kiefer- und Gesichtsbereich.
- Postzosterische Neuralgie: Schmerzen nach einer Gürtelrose-Infektion.
- Cluster-Kopfschmerz: Sehr starke, einseitige Kopfschmerzen, die von Begleitsymptomen wie Augentränen und einer verstopften Nase begleitet werden.
- Kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD): Funktionsstörung des Kiefergelenks und der Kaumuskulatur.
- Atypischer Gesichtsschmerz (PIFP): Diffuser Schmerz im Kopf- und Gesichtsbereich ohne erkennbare Ursache.
Behandlung
Die Behandlung der Trigeminusneuralgie zielt darauf ab, die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die je nach Ursache, Schweregrad und individuellen Bedürfnissen des Patienten eingesetzt werden können.
Medikamentöse Therapie
In vielen Fällen können die Schmerzattacken durch Medikamente gut kontrolliert werden. Mittel der ersten Wahl sind Antiepileptika wie Carbamazepin und Oxcarbazepin. Diese Medikamente können die Erregbarkeit der Nerven reduzieren und so die Schmerzen lindern. Die Wirkung von Carbamazepin beruht vermutlich auf der Hemmung der Reizweiterleitung. Es hat dämpfende und beruhigende sowie antidepressive und muskelentspannende Wirkungen und ist in der Regel äußerst wirksam. Allerdings besteht bei diesem Medikament ein erhöhtes Risiko, dass Nebenwirkungen wie Schwindel und Müdigkeit auftreten. Häufig kommt es auch zu allergischen Reaktionen, Veränderungen des Blutbildes und der Leberfunktion, Verringerung der Blutsalze und zu Magen-Darm-Problemen. In der Regel wird die Schmerztherapie mit einer niedrigen Dosierung begonnen und so lange erhöht, bis bei der betroffenen Person keine Schmerzen mehr auftreten. Die Nebenwirkungen können reduziert werden, indem das Medikament auf mehrere Dosen über den Tag verteilt eingenommen wird. Die unterschiedlichen Substanzen können eventuell auch kombiniert zum Einsatz kommen. Ist der Patient beziehungsweise die Patientin vier bis sechs Wochen schmerzfrei, wird die Dosis stufenweise reduziert.
Weitere Medikamente, die zur Behandlung der Trigeminusneuralgie eingesetzt werden können, sind Gabapentin, Pregabalin und Baclofen. Die individuelle medikamentöse Versorgung sollte stets mit Ihren behandelnden Neurologinnen und Neurologogen im Detail abgestimmt werden.
Zu berücksichtigen bleiben mögliche Nebenwirkungen einer medikamentösen Behandlung, z. B. eine langfristige Schädigung der Leber.
Operative Therapien
Wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist oder zu starken Nebenwirkungen führt, können operative Therapien in Betracht gezogen werden. Bei den operativen Therapien geht es darum, durch Kompression ausgelöste Gesichtsschmerzen so zu behandeln, dass der Trigeminusnerv entlastet wird. Der direkte Kontakt zwischen dem drückenden Blutgefäß und dem Nerven soll also unterbunden werden. Es gibt verschiedene operative Verfahren, die sich in ihrer Technik und ihrem Erfolg unterscheiden.
Mikrovaskuläre Dekompression (Jannetta-OP)
Die mikrovaskuläre Dekompression (MVD) nach Jannetta ist ein neurochirurgischer Eingriff, bei dem der Schädel geöffnet wird, um den Trigeminusnerv freizulegen und das komprimierende Blutgefäß zu entfernen oder zu verlagern. Dazu wird der Schädel geöffnet und ein Kunststoffstück, zum Beispiel Teflonflies, als Puffer eingelegt. Der amerikanische Neurochirurg Peter Joseph Jannetta hat hierfür einen Eingriff entwickelt, der erstmals im Jahr 1966 durchgeführt wurde. Nach einer Jannetta-OP sind die Nervenschmerzen im Gesicht in den meisten Fällen verschwunden oder zumindest deutlich gebessert (80 bis 95%), auch die Langzeitergebnisse sind mit ca. Diese Operation wird auch von älteren Patienten gut toleriert (ältester Pat. in unserem Krankengut 87 Jahre). Diese Operation bietet eine ca. 85 %ige Chance auf dauernde Schmerzfreiheit.
Mögliche Nebenwirkungen bzw. Komplikationen sind unabhängig vom Alter der Patienten beispielsweise eine Hörminderung oder Hörverlust. Studien zeigen ein Wiederauftreten der Schmerzattacken bei 10 bis 30 Prozent der Patienten und Patientinnen. Selten kann es zu einem Hörverlust kommen.
Perkutane Verfahren
Bei den perkutanen Operationsverfahren wird der Nervus Trigeminus im Bereich des Ganglion Gasseri (sensibler Nervenknoten im Bereich der Schädelgrube) entweder thermisch (Thermokoagulation), chemisch (Glyzerolinstillation) oder mechanisch (Ballonkompression) geschädigt. Der Zugangsweg erfolgt durch die Haut seitlich des Mundwinkels durch eine Schädelöffnung unter Durchleuchtung. Bei diesen Verfahren wird ein Nervenknoten an der Schädelbasis (das sog. Ganglion Gasseri) mit einer Kanüle, die neben dem Mundwinkel eingestochen wird, aufgesucht (vgl. Abbildung). Anschließend versucht man mit einer gezielten Hitzeläsion (Thermokoagulation) oder Alkoholinjektion (Glyzerolinstillation) einen oder mehrere Äste des Trigeminusnerven kontrolliert zu schädigen, um die Schmerzentstehung und -weiterleitung zu unterbinden. Bei diesen Verfahren handelt es sich um neurochirurgische Routineeingriffe, die weltweit bei mehreren Tausend Patienten mit anhaltend gutem Erfolg eingesetzt wurden. Bei Patienten mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen und hohem Narkoserisiko wird die Injektion von Glycerin in das Ganglion Gasseri (einem Nervenknoten an der Schädelbasis) durchgeführt. Hierbei besteht eine 80 %ige Chance auf sofortige Schmerzfreiheit. Allerdings ist das Wiederauftreten von Beschwerden deutlich höher als nach der mikrovaskulären Dekompression (ca. 40 % Rezidive in 5 Jahren).
Nachteil der perkutanen Verfahren ist, dass es sich um invasive Methoden handelt. Auch kann die Wirkung im Langzeitverlauf nachlassen, Schmerzattacken später also erneut auftreten.
Radiochirurgische Behandlung (Cyberknife, Gamma-Knife)
Die radiochirurgische Behandlung, z. B. mit dem CyberKnife oder Gamma-Knife, ist eine nicht-invasive Methode, bei der der Trigeminusnerv am Abgang mit einer hohen Strahlendosis einmalig bestrahlt wird. Das soll zu einer Teilschädigung des Nervs führen. Je nach individueller Patientengeschichte und Ursache, kann die Trigeminusneuralgie mithilfe der Hochpräzisions-Technologie des CyberKnife-Systems in nur einer einzigen Sitzung ambulant behandelt werden. Danach kommt es innerhalb von wenigen Wochen zu einer Narbenbildung im Trigeminusnerv und damit einhergehend zur Schmerzlinderung bzw. völligen Schmerzfreiheit. Die ambulante radiochirurgische Behandlung mit modernen Robotersystemen, wie z. B. dem CyberKnife und dem ZAP-X, wird bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Trigeminusneuralgie immer häufiger eingesetzt. Neue Erkenntnisse verschiedener Studien belegen für die radiochirurgische Behandlung weniger Komplikationen und eine bessere langfristige Linderung.
Sollte es zu einem Rezidiv mit Schmerzattacken kommen, kann die erneute radiochirurgische Behandlung der Trigeminusneuralgie Abhilfe schaffen: Im Unterschied zu invasiven Methoden (z. B. Ballonkompression) sinkt nämlich mit dem CyberKnife auch bei einer Behandlung des Rezidivs die Wahrscheinlichkeit für einen optimalen Therapieerfolg mit Reduktion der individuellen Krankheitslast nicht.
Bei etwa 10% der Patienten kann sich nach einer radiochirurgischen Therapie mit dem CyberKnife oder dem ZAP-X eine Taubheit in der behandelten Gesichtshälfte entwickeln. Dies liegt daran, dass die wesentlichen Nervenfasern des Nervus trigeminus das Gefühl der jeweiligen Gesichtshälfte an den Hirnstamm weiterleiten. Typischerweise handelt es sich hier um eine leichte Sensibilitätsstörung, in sehr seltenen Fällen kann es allerdings auch zu einem kompletten Gefühlsverlust der jeweiligen Gesichtshälfte kommen. Die motorische Funktion der Gesichtsmuskeln ist dabei nicht betroffen.
Weitere Maßnahmen
Neben der medikamentösen und operativen Therapie können auch andere Maßnahmen zur Linderung der Beschwerden beitragen. Dazu gehören:
- Vermeidung von Triggern: Patienten sollten versuchen, Auslöser für die Schmerzattacken zu vermeiden.
- Physiotherapie: Kann helfen, die Muskulatur zu entspannen und die Beweglichkeit im Gesichtsbereich zu verbessern.
- Psychotherapie: Kann helfen, mit den Schmerzen umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
- Schmerztagebuch: Um Triggerfaktoren zu umgehen, um eine Attacke zu vermeiden, können Betroffene genau dokumentieren, in welchen Situationen die Attacken aufgetreten sind, wie intensiv der Schmerz war und wie gut die Medikamente gewirkt haben.
Verlauf und Prognose
Die Trigeminusneuralgie ist in der Regel eine chronische Erkrankung, die über viele Jahre andauern kann. Bei etwa 30% der Betroffenen bleibt es bei einer einzigen Schmerzepisode während des gesamten Lebens. Die Schmerzepisoden verschwinden normalerweise nicht von selbst, können jedoch in ihrer Intensität und Häufigkeit variieren. Bei einigen Patientinnen und Patienten treten Phasen der Besserung auf, während andere weiterhin unter den Symptomen leiden. Auch trotz erfolgreicher Behandlung kann es erneut zu Schmerzattacken kommen. Es ist möglich, dass bei einem Schmerzrezidiv eine erneute Behandlung erforderlich ist, um die Schmerzen gut zu kontrollieren.
Dank der vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten können die Schmerzen in den meisten Fällen jedoch gut kontrolliert und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessert werden.
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