Warum das Gehirn Geschichten liebt: Eine wissenschaftliche Erklärung

Geschichten faszinieren uns seit jeher. Von den Höhlenmalereien unserer Vorfahren bis zu den neuesten Filmen und Romanen - Geschichten sind ein integraler Bestandteil der menschlichen Kultur. Aber warum ist das so? Warum fühlen wir uns so stark zu Geschichten hingezogen? Die Neurowissenschaft bietet uns faszinierende Einblicke in die Mechanismen, die im Gehirn ablaufen, wenn wir Geschichten hören oder lesen. Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Gründe, warum unser Gehirn Geschichten liebt und wie Storytelling effektiv eingesetzt werden kann.

Die Macht des Klatsches: Soziale Intelligenz und Information

Eine Studie von Alex Mesoudi von der Universität St. Andrews und seinen Kollegen hat gezeigt, dass das menschliche Gehirn Klatsch und Tratsch liebt. In ihrer Untersuchung, einer schriftlichen Variante der "Stillen Post", fanden sie heraus, dass Informationen, die pikante Details über Lügen und Untreue enthielten, besonders gut im Gedächtnis blieben. Diese Art von Geschichten wurde nicht nur besser erinnert, sondern auch genauer weitergegeben.

Die Forscher argumentieren, dass diese Vorliebe für Klatsch einen evolutionären Vorteil bietet. Da Menschen soziale Wesen sind, hängt unser Überleben und Wohlergehen stark von unseren Beziehungen zu anderen ab. Klatschgeschichten liefern wertvolle Informationen über das Verhalten und die soziale Stellung anderer, die uns helfen, uns in unserem sozialen Umfeld zurechtzufinden. Wer richtig einschätzt, wer mit wem verbündet oder verfeindet ist, kann seine eigene gesellschaftliche Stellung besser behaupten. Die Studie legt nahe, dass komplexe soziale Strukturen und nicht nur technische Anforderungen die menschliche Intelligenz in der Frühzeit der Entwicklung geprägt haben.

Storytelling im Marketing: Emotionen wecken und Verhalten auslösen

Im Marketing ist Storytelling längst kein Geheimnis mehr. Werner T. Fuchs, ein Experte für Neuromarketing, betont, dass Marketing keine Wissenschaft, sondern die Kunst ist, für jede Zielgruppe eine passende Geschichte zu finden, um das gewünschte Verhalten auszulösen. Nur eine richtig gute Story wird gemeinsam mit der Werbebotschaft im Gehirn der Zielgruppe gespeichert, erinnert und weitererzählt.

Fuchs nennt mehrere Faktoren, die eine gute Geschichte ausmachen:

Lesen Sie auch: Was verursacht Demenz?

  • Zielgruppenorientierung: Die Geschichte muss auf die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppe zugeschnitten sein.
  • Emotionale Ansprache: Storytelling sollte die Emotionen der Kund:innen ansprechen.
  • Klarer Wegweiser: Die Geschichte muss einen klaren Weg zur gewünschten Handlung aufzeigen.

Dr. Werner T. Fuchs gehört zu den Pionieren und führenden Experten für Storytelling und Neuromarketing im deutschsprachigen Raum. Er betont, dass gute Geschichten 22-mal stärker im Gedächtnis bleiben als reine Fakten.

Neurochemie als Verbündeter: Dopamin, Oxytocin und Cortisol

Geschichten wirken auf unser Gehirn, indem sie die Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter beeinflussen. Wenn Spannung oder Überraschung aufgebaut werden, schüttet der Körper Dopamin aus. Dopamin stärkt die Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft. Wenn sich die Zielgruppe mit den Figuren mitfühlt, schüttet der Körper Oxytocin aus, was zu einer emotionalen Verbindung mit der Botschaft führt.

  • Dopamin: Fördert Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft durch Spannung und Überraschung.
  • Oxytocin: Stärkt Vertrauen und emotionale Bindung durch Mitgefühl.
  • Cortisol: Erhöht Energie und Fokus durch den Aufbau von Spannung.

Es ist wichtig, die Neurochemie zum Verbündeten zu machen, indem man Geschichten erzählt, die einen klaren Protagonisten oder eine Held:innenreise beinhalten.

Die Aktivierung des Gehirns: Sensorische und motorische Regionen

Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Erzählungen nicht nur sprachliche Areale aktivieren, sondern auch sensorische und motorische Hirnregionen. Wenn wir lesen oder hören, werden lebendige Bilder, Metaphern und Beschreibungen erzeugt, die unser Gehirn auf vielfältige Weise ansprechen.

Gerald Hüther, ein bekannter Neurobiologe, bestätigt, dass unser Gehirn Geschichten besser speichert, weil sie Sinn stiften und kognitive Verknüpfungen schaffen. Storytelling aktiviert sowohl das narrative als auch das analytische Gedächtnis. Hüther beschreibt den "Subjekt-Effekt": Wenn wir uns wie der Akteur der Story fühlen, verinnerlichen wir Inhalte tiefer.

Lesen Sie auch: Walnüsse: Ein Superfood für Ihr Gehirn

Um dies zu erreichen, ist es wichtig, Fragen zu stellen und Reflexionen zu wecken. Eine Held:innenreise, die Herausforderungen, Wandel und Ergebnisse zeigt, kann ebenfalls sehr effektiv sein.

Emotionen systematisch einsetzen: Spannung, Bilder und klare Sprache

Emotionen sollten systematisch eingesetzt werden, um die Wirkung von Geschichten zu maximieren. Der Aufbau von Spannung erhöht den Cortisol-Spiegel und sorgt so für Energie und Aufmerksamkeit. Klare, bildhafte Sprache erzeugt Bilder im Kopf und spricht die verschiedenen Sinne an.

Die Macht der Spiegelneuronen

Neurowissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass gute Storys sogenannte Spiegelneuronen aktivieren. Diese Nervenzellen werden aktiv, wenn man eine Handlung durchführt, beobachtet oder darüber nachdenkt. Sie sorgen dafür, dass wir die Gefühle unserer Mitmenschen wahrnehmen und uns in sie hineinversetzen können. Je mehr uns eine Story berührt, desto stärker empfinden wir sie als emotionale Realität. Dies führt zu einem Gefühl der Empathie und einer emotionalen Verbindung, sodass die Informationen in Erinnerung bleiben und im episodischen Langzeitgedächtnis abgespeichert werden, genau dort, wo auch die Erinnerungen an eigene Erlebnisse gespeichert werden.

Noch dazu wirken sich gute Storys auch körperlich aus. Befinden sich die Charaktere einer Geschichte in einer spannenden oder emotionalen Situation, so reagieren wir mit erhöhtem Puls, Schwitzen, Lachen oder Weinen. Wir sind so tief in die Geschichte eingetaucht, dass wir theoretisch jederzeit handlungsbereit sind. Folglich werden jede Menge chemische Botenstoffe wie beispielsweise Cortisol, Dopamin und Oxytocin ausgeschüttet, was ein weiterer Grund dafür ist, dass wir uns an gute Geschichten besser erinnern als an reine Fakten.

Storytelling im Content Marketing: Eine umfassende Strategie

Gutes Storytelling führt nicht nur dazu, dass wir uns mit den Figuren einer Geschichte identifizieren, es entführt uns an fremde Orte, ruft Empathie hervor und berührt uns auf emotionale und körperliche Weise. Diese vielschichtige Wirkung sorgt dafür, dass wir aufmerksam zuhören, komplexe Botschaften besser verstehen und sich die Story in unser Gedächtnis einbrennt.

Lesen Sie auch: Wadenkrämpfe effektiv vorbeugen

Im Content Marketing ist Storytelling ein mächtiges Werkzeug, um Zielgruppen zu erreichen, Botschaften zu vermitteln und Interesse zu wecken. Es ist wichtig, eine maßgeschneiderte Strategie zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des Unternehmens zugeschnitten ist.

Storytelling: Eine Urform der menschlichen Kommunikation

Dieter Georg Herbst, Dozent an der Leipzig School of Media (LSoM) und einer der führenden Kommunikationswissenschaftler auf dem Gebiet, sieht in der Geschichte zurecht „eine Urform der menschlichen Kommunikation“. Storytelling liegt der Literatur, dem Film und auch dem Journalismus zugrunde und entwickelt sich zuletzt auch immer mehr zu einem Kernelement der Markenführung und Unternehmenskommunikation.

Eine Studie von Christian Schleier unter dem Titel „Neuromarketing - Über den Mehrwert der Hirnforschung für das Marketing“ weist darauf hin, dass unser Gehirn 95 Prozent der einströmenden Informationen unbewusst und nur fünf Prozent bewusst verarbeitet. Sozialpsychologen unterscheiden hier zwischen dem expliziten und dem impliziten Bewusstsein. Auf dieselbe Art und Weise funktionieren auch Geschichten. Sie beziehen sich strukturell auf bereits Gelerntes, das heißt Muster, Handlungen, Rollen, Schlüsselinformationen. Je emotionaler die Story, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns berührt und ihre Botschaft für uns bedeutend wird. Emotionen werden durch das sogenannte limbische System verarbeitet, dem Sitz unserer emotionalen Intelligenz. Es entscheidet ob und wie emotional und relevant eine Information für uns selbst ist und hat damit maßgeblichen Einfluss auf die gesamte Hirnaktivität. So bewirkt das limbische System, dass bedeutungslose und langweilige Informationen lediglich im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden und im Zweifelsfall nicht einmal dahin durchdringen. Weckt eine Botschaft jedoch Emotionen, indem sie beispielsweise an Erfahrungen anknüpft, gelangt sie in das Langzeitgedächtnis. Das limbische System wird besonders von Geschichten, Bildern und emotional aufgeladenen Worten wie etwa „Tod“ oder „Liebe“ angesprochen, schreibt Annie Murphy Paul in der „New York Times“. Jede emotional aufgeladene Geschichte hat gleichzeitig auch das Potenzial, Identifikation mit dem Protagonisten herzustellen. Sie lädt dazu ein, die Figur mit ihren Handlungen oder Charakterzügen leichter zu verstehen und sich in ihre Situation hineinzuversetzen.

tags: #warum #liebt #das #Gehirn #Geschichten #wissenschaftliche