Das menschliche Gehirn, ein Organ von immenser Komplexität und Leistungsfähigkeit, zeichnet sich durch seine charakteristische, von Windungen durchzogene Oberfläche aus. Diese wellige Landschaft, geformt von der Großhirnrinde (Kortex), der grauen Substanz, ermöglicht es dem Gehirn, eine große Anzahl von Zellen auf kleinem Raum unterzubringen und miteinander zu verkabeln. Doch warum ist das so und welche Mechanismen stecken dahinter? Dieser Artikel beleuchtet die Gründe für die Hirnfaltung, die beteiligten Prozesse und die Bedeutung für die kognitiven Fähigkeiten.
Die Bedeutung der Hirnfaltung
Die Falten im Gehirn vergrößern die Oberfläche dieses wichtigen Organs erheblich. Im menschlichen Gehirn bietet dies mehr Platz für höhere Funktionen wie Denken und Handeln. Die Großhirnrinde, die zwei bis vier Millimeter dicke Schicht voller Nervenzellen, ist für unsere Wahrnehmungen, unser Denken, Fühlen und Handeln verantwortlich. Um diese Funktionen zu ermöglichen, benötigt das Gehirn eine große Oberfläche, die durch die Faltung erreicht wird.
Evolutionäre Aspekte der Hirnfaltung
Nicht nur der Mensch legt sein Gehirn in Falten. Schon das vor rund 200 Millionen Jahren lebende Ur-Säugetier besaß wahrscheinlich ein faltiges Gehirn. Im Laufe der Evolution verloren jedoch verschiedene Tierarten ihre Hirnfalten wieder. Der evolutionäre Erfolg dieser und anderer Tierarten mit glatten Gehirnen zeigt, dass ein ungefurchtes Gehirn nicht unbedingt von Nachteil ist und für diese Arten passt. Die Hirnfaltung scheint also nicht zwingend notwendig für Intelligenz oder Überleben zu sein, sondern eher eine Anpassung an spezifische Lebensumstände.
Mechanismen der Hirnfaltung
Die Forschung hat verschiedene Mechanismen identifiziert, die zur Hirnfaltung beitragen.
Zelladhäsion und FLRT-Rezeptoren
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried haben einen bisher unbekannten Mechanismus der Hirnfaltung entdeckt. Junge Nervenzellen, die während der Entwicklung eines Gehirns mit glatter Oberfläche zur Hirnrinde wandern, besitzen an ihrer Zelloberfläche sogenannte FLRT-Rezeptoren. Diese sorgen für einen gewissen Zusammenhalt zwischen den Zellen und ein gleichmäßiges Wanderverhalten, was eine glatte Hirnoberfläche begünstigt. Das stark gefurchte menschliche Gehirn besitzt im Vergleich zum Mausgehirn deutlich weniger FLRTs. Wird die FLRT-Menge im Mausgehirn experimentell reduziert, bilden sich Falten ähnlich wie im menschlichen Gehirn.
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Zellwachstum und Wanderung
Es wird angenommen, dass die Falten in unserem Gehirn einerseits durch schnelles Zellwachstum und andererseits durch die Wanderung der Nervenzellen während der Gehirnentwicklung entstehen. Die Forschenden beobachteten gleichzeitig, dass der Kortex sich mit dem Wachstum faltet. Aus der bisherigen Studienlage ging hervor, dass die Falten in unserem Gehirn vermutlich entstehen, weil die neuronalen Vorläuferzellen zum einen schnell wachsen und zum anderen, weil die Zellen schnell wandern.
Gene und Hirnfaltung
Die Forschenden führten neben den oben genannten Veränderungen noch weitere genetische Modifikationen durch. Diese erhöhten die Anzahl von Vorläuferzellen - also den Zellen, aus denen Nervenzellen entstehen. Zusammen verursachten die Veränderungen eine noch stärkere Hirnfaltung als in der vorherigen Studie. Dabei entstanden in der Großhirnrinde komplexe Muster aus Furchen und Erhebungen.
Extrazelluläre Matrix
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden haben einen neuartigen Mechanismus identifiziert, der für die Faltung des menschlichen Neokortex essenziell ist und von der extrazellulären Matrix aus gesteuert wird. Die extrazelluläre Matrix ist ein dreidimensionales makromolekulares Netzwerk außerhalb der Zellen und wurde in vergangenen Studien bereits mit der Vergrößerung des Neokortex in Verbindung gebracht.
Mechanische Kräfte
Die äußere Gehirnschicht wächst schneller als die innere, von der sie gehalten wird. Durch die so entstehenden Spannungen legt sich die Gehirnmasse in Falten. Die Faltung war mit einem lokalen Anstieg an Hyaluronsäure verbunden, die sich als wesentlich für die Faltung erwies.
Die Rolle der neuronalen Vorläuferzellen
Interessanterweise deuten die Ergebnisse auch darauf hin, dass die Art der neuronalen Vorläuferzellen eine Rolle bei der Bildung der Falten spielt. Wurde die Anzahl sogenannter intermediärer Vorläuferzellen erhöht, begünstige das die Bildung von Sulci. Mit diesen Erkenntnissen können wir nun untersuchen, wie andere zelluläre, genetische und mechanische Faktoren die Entwicklung der Großhirnrinde beeinflussen.
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Klinische Bedeutung der Hirnfaltung
Die richtige Anzahl und Position der Faltungen während der Entwicklung ist entscheidend dafür, dass das Gehirn richtig funktionieren kann. Wenn bei diesem Faltungsprozess Fehler unterlaufen, wie es bei einer Entwicklungsstörung namens Lissenzephalie („glattes Gehirn“) der Fall ist, kann dies zu kognitiven Funktionsstörungen führen. Wenn man mehr über die Hirnfaltung weiß, kann man bereits durch nicht-invasive Bildgebung Schäden in der Hirnfaltung erkennen und in Kombination mit Gentests bereits in früher Kindheit Hinweise auf ein Faltungsproblem erhalten.
Individuelle Unterschiede in der Hirnfaltung
Selbst beim Menschen können die Faltungsmuster der Großhirnrinde von Person zu Person stark variieren. Wie genau die Furchen und Vorwölbungen unseres Gehirns entstehen, blieb daher unklar. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kombination aus Zellwachstum, Zelldichte und Wanderungsverhalten die charakteristischen Strukturen der Großhirnrinde prägt.
Forschungsperspektiven
Mit diesen Erkenntnissen können wir nun untersuchen, wie andere zelluläre, genetische und mechanische Faktoren die Entwicklung der Großhirnrinde beeinflussen. Die neuen Erkenntnisse deuten auf ein zweistufiges Modell der Hirnfaltung hin: In einem gefalteten Gehirn werden zunächst mehr Vorläuferzellen und daraus mehr Neuronen gebildet. Diese können sich in der zweiten Stufe durch das Fehlen von molekularen Klebstoffen ungeordnet und frei ausbreiten, was zur Faltenbildung führt.
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