Ein Delir ist ein akuter Verwirrtheitszustand, der besonders bei älteren Menschen mit Demenz auftreten kann. Es handelt sich um eine ernstzunehmende Komplikation, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und weitreichende Folgen haben kann. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome, Diagnose, Behandlung und Prävention von Delir bei Demenz.
Einführung
Das Delir, auch als Durchgangssyndrom oder akutes Verwirrtheitssyndrom bekannt, ist eine plötzlich auftretende organische Störung des Gehirns. Es ist gekennzeichnet durch Störungen des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit, des Denkens, des Gedächtnisses, der Orientierung und der Wahrnehmung. Die Symptome können im Tagesverlauf stark schwanken und sich oft abends verstärken.
Definition und Unterscheidung
Ein Delir ist eine akute organische Störung im Gehirn, die zu Verwirrtheit und einer gestörten Wahrnehmung führt. Es ist wichtig, ein Delir von einer Demenz zu unterscheiden. Während sich eine Demenz langsam und dauerhaft entwickelt, tritt ein Delir plötzlich auf und verläuft schwankend. Ein Delir kann Stunden, Tage oder Wochen andauern und in der Regel vollständig abklingen, kann aber auch erhebliche gesundheitliche Folgen haben.
Epidemiologie
Delirante Syndrome sind häufige Komplikationen bei älteren Patienten im Krankenhaus. Etwa 20 % der über 65-Jährigen weisen bei Krankenhausaufnahme ein Delir auf. Bei hochaltrigen, hospitalisierten Patienten liegen die Prävalenzdaten zwischen 14 % und 56 %. In Pflegeheimen ist die Delirprävalenz mit 58 % sogar noch höher. Es wird geschätzt, dass 30-60 % der Delirien unerkannt bleiben, insbesondere das hypoaktive Delir.
Altersabhängigkeit
Der Zusammenhang zwischen Delir und zunehmendem Alter ist deutlich. Mit steigendem Alter nehmen Multimorbidität, Polymedikation und sensorische Beeinträchtigungen zu, was das Risiko für ein Delir erhöht. Ältere Patienten erhalten häufig Medikamente mit anticholinerger Wirkung, die das Delirrisiko zusätzlich erhöhen können.
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Risikofaktoren und Komorbiditäten
Bei den Risikofaktoren werden Vulnerabilitätsfaktoren und auslösende Faktoren unterschieden. Vulnerabilitätsfaktoren sind prädisponierende Faktoren, die das Risiko für ein Delir erhöhen. Auslösende Faktoren sind Noxen oder klinikbezogene Faktoren, die ein Delir verursachen können.
Prädisponierende Faktoren (Vulnerabilitätsfaktoren)
- Visuseinschränkungen
- Gehöreinschränkung
- Immobilität
- Schlafstörungen
- Chronische Schmerzen
- Vorbestehende kognitive Defizite
- Senile Demenz vom Alzheimer-Typ
- Infektionen
- Dehydratation
- Malnutrition
- Schwere Erkrankungen
- Akute metabolische Entgleisungen
- Mehr als drei neue Medikamente
Präzipitierende Faktoren (Auslösende Faktoren)
- Akute Erkrankungen (Infektionen)
- Operationen
- Katheter
- Diagnostische Eingriffe
- Tranquilizer
- Anticholinerge Medikation
- Deprivation
- Psychosozialer Stress
- Fixierungen
- Raum- und Personalwechsel
- Postoperative Verläufe mit Komplikationen
- Iatrogene Ereignisse (neue Druckgeschwüre, Katheterkomplikationen)
- Akute metabolische Entgleisungen
- Mehr als drei neue Medikamente
Demenz als Risikofaktor
Demenz ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs. Der Schweregrad der Demenz scheint ein unabhängiger Prädiktor für ein Delir zu sein. Bei der Diagnosestellung ist die Demenz die wichtigste Differenzialdiagnose. Wichtige Kriterien, die für ein Delir und gegen eine Demenz sprechen, sind ein akuter Krankheitsbeginn, ein fluktuierender Verlauf mit einer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus und eine Störung von Bewusstseinshelligkeit und Aufmerksamkeitsniveau.
Delir bei Tumorpatienten
Das Delir ist das dritthäufigste Symptom bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen. Ein terminales Delir entwickeln bis zu 90 % der sterbenden Patienten mit Tumoren. Häufige Ursachen für ein Delir bei Tumorpatienten sind metabolische Störungen wie eine Hyperkalzämie.
Ursachen
Ein Delir kann durch eine Vielzahl organischer Ursachen ausgelöst werden. Häufige Ursachen sind:
- Medikamente: Insbesondere Schmerzmittel (Opioide), Beruhigungsmittel, Narkosemittel und Psychopharmaka. Auch das plötzliche Absetzen von Beruhigungsmitteln, Opioiden und Alkohol kann ein Delir auslösen.
- Grunderkrankungen des Gehirns: Demenz, Schlaganfall.
- Herzinfarkt
- Infektionen: Lungenentzündung oder Harnwegsinfekt.
- Stoffwechselstörungen: Austrocknung oder niedriger Blutzucker.
- Tumoren oder Metastasen im Gehirn
- Hohes Alter
- Schwere körperliche Erkrankungen
- Reduzierter Allgemeinzustand, Unterernährung, Gebrechlichkeit
- Suchterkrankungen
- Hör- oder Sehstörungen
- Veränderte Umgebung, neue Kontaktpersonen, ungewohnte Eingriffe und Behandlungsmaßnahmen
- Vorausgehende Operationen
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des Delirs ist komplex und nicht vollständig verstanden. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern, insbesondere ein cholinerges Defizit und eine dopaminerge Überaktivität, eine wichtige Rolle spielen. Auch Entzündungsreaktionen im Gehirn und Stressfaktoren können zur Entstehung eines Delirs beitragen.
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Symptome
Die Symptome eines Delirs setzen plötzlich ein und können im Lauf des Tages schwanken. Typische Symptome sind:
- Kognitive Störungen: Orientierungsstörung, Gedächtnisverlust, verminderte Aufmerksamkeit.
- Wahrnehmungsstörungen: Fehlerhafte Sinneswahrnehmungen und Sinnestäuschungen (Halluzinationen).
- Psychomotorische Störungen: Unruhe (hyperaktives Delir) oder Verlangsamung (hypoaktives Delir).
- Stimmungsschwankungen: Angst, Unruhe, Apathie, Depression.
- Schlafstörungen: Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus.
Formen des Delirs
Es gibt verschiedene Formen des Delirs, die sich hinsichtlich der Aktivität der Betroffenen unterscheiden:
- Hyperaktives Delir: Gekennzeichnet durch Unruhe, Agitation, Halluzinationen und Desorientiertheit.
- Hypoaktives Delir: Gekennzeichnet durch Apathie, Verlangsamung, Teilnahmslosigkeit und reduziertem Antrieb. Diese Form wird oft übersehen.
- Mischform: Wechsel zwischen hyperaktiven und hypoaktiven Phasen.
Diagnostik
Die Diagnose eines Delirs erfolgt in erster Linie klinisch anhand der Symptomatik. Wichtig ist die Erhebung der Anamnese und die körperliche Untersuchung, um Risikofaktoren und mögliche Auslöser zu identifizieren.
Assessments
Zur Diagnose des Delirs stehen verschiedene Instrumente ("Assessments") zur Verfügung. Im deutschsprachigen Raum hat sich die "Confusion Assessment Method" (CAM) etabliert. Für die Intensivmedizin eignet sich der CAM-ICU am besten. Psychometrische Tests wie der Mini-Mental-Status (MMSE) und der Uhrentest haben in der Diagnostik des Delirs keinen direkten Stellenwert, können aber ergänzend eine Aussage über die Schwere der kognitiven Ausfälle ermöglichen.
Differenzialdiagnose
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Demenz. Wichtige Kriterien, die für ein Delir und gegen eine Demenz sprechen, sind ein akuter Krankheitsbeginn, ein fluktuierender Verlauf mit einer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus und eine Störung von Bewusstseinshelligkeit und Aufmerksamkeitsniveau.
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Behandlung
Die Behandlung des Delirs zielt in erster Linie darauf ab, die zugrunde liegende Ursache zu behandeln und die Symptome zu lindern.
Behandlung der Ursache
Die wichtigste Maßnahme ist die Behandlung der Ursache des Delirs. Nicht unbedingt notwendige Dauermedikamente werden abgesetzt, falls diese das Delir verursachen könnten. Stoffwechselstörungen, Infektionen und andere Grunderkrankungen werden behandelt.
Allgemeine Maßnahmen
Allgemeine Maßnahmen sind:
- Ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Nährstoffen
- Kontrolle der Blasen- und Darmfunktion
- Mobilisierung
- Schmerztherapie
- Versorgung mit Sehhilfen und Hörgeräten
- Kommunikation
- Integration bekannter Gegenstände in die Umgebung der Patient*innen
Medikamentöse Behandlung
Eine medikamentöse Behandlung kann bei starken Unruhezuständen und Agitation erforderlich sein. In der Regel werden Neuroleptika (z. B. Haloperidol) eingesetzt.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen
Nicht-medikamentöse Maßnahmen spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung des Delirs. Dazu gehören:
- Eine ruhige und reizarme Umgebung
- Klare Kommunikation und Orientierungshilfen (Uhren, Kalender)
- Vertraute Bezugspersonen
- Förderung des Tag-Nacht-Rhythmus
- Kognitive Stimulation (Gespräche, Spiele)
Prävention
Die Prävention eines Delirs ist von großer Bedeutung, insbesondere bei Risikopatienten. Es gibt verschiedene Maßnahmen, die das Risiko eines Delirs verringern können:
- Optimierung der Flüssigkeitszufuhr: Ältere Menschen sollten täglich etwa 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen.
- Regelmäßige Medikamentenüberprüfung: Etwa alle sechs Monate sollte die Medikamentenliste in der Hausarztpraxis oder Apotheke überprüft werden.
- Kognitive Stimulation: Lesen, Rätsel lösen, neue Fähigkeiten lernen oder Gedächtnistraining absolvieren.
- Gesunde Ernährung: Reich an Vitaminen, Mineralien und Omega-3-Fettsäuren.
- Regelmäßige körperliche Aktivität: Mindestens 150 Minuten moderate Aktivität pro Woche.
- Gesunder Schlaf-Wach-Rhythmus: Feste Schlafenszeiten und eine ruhige, dunkle Schlafumgebung.
- Regelmäßiger sozialer Kontakt: Treffen mit Familie und Freunden, Teilnahme an Gruppenaktivitäten oder ehrenamtliches Engagement.
- Vermeidung von Alkohol
- Regelmäßige medizinische Check-ups: Um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
- Delir-Prophylaxe im Krankenhaus: Tragen der eigenen Kleidung, Mobilisation und ausreichende Flüssigkeitszufuhr.
Auswirkungen und Prognose
Ein Delir kann schwerwiegende Folgen haben, insbesondere bei älteren Menschen. Es ist mit einer höheren Mortalität, längeren Krankenhausaufenthalten, erhöhten Pflegebedarf und einer Verschlechterung der kognitiven Funktion verbunden. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um die Prognose zu verbessern.
Die Prognose eines Delirs hängt von den zugrundeliegenden Ursachen und dem allgemeinen Gesundheitszustand der Betroffenen ab. Bei rechtzeitiger Behandlung der Ursache kann ein Delir oft vollständig reversibel sein. Bleibt ein Delir unbehandelt, kann das Risiko für schwerwiegende Komplikationen, bis hin zum Tod, deutlich steigen.
Unterstützung für Angehörige
Ein Delir kann auch für Angehörige eine belastende Erfahrung sein. Es ist wichtig, dass Angehörige gut über das Krankheitsbild und die Behandlungsmöglichkeiten informiert sind. Sie können eine wichtige Rolle bei der Prävention und Linderung eines Delirs spielen, indem sie Vertrautheit, Orientierung und Sicherheit vermitteln.