Was macht ein Neurologe bei Tinnitus? Ursachen, Diagnose und Behandlung

Tinnitus, vom lateinischen Wort für „Klingeln“, ist ein weit verbreitetes Phänomen, bei dem Betroffene Geräusche wahrnehmen, die nicht von einer äußeren Schallquelle stammen. Diese Ohrgeräusche können sich als Pfeifen, Brummen, Rauschen, Klicken, Klopfen oder Summen äußern und in ihrer Lautstärke und Frequenz variieren. Etwa jeder vierte Erwachsene in Deutschland hat bereits Erfahrungen mit Tinnitus gemacht. In den meisten Fällen sind die Ursachen harmlos und die Beschwerden verschwinden von selbst. Hält der Tinnitus jedoch länger als drei Monate an, spricht man von einem chronischen Tinnitus.

Arten von Tinnitus

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten von Tinnitus:

  • Subjektiver Tinnitus: Hierbei nehmen nur die Betroffenen die Ohrgeräusche wahr. Dies ist die häufigste Form des Tinnitus.
  • Objektiver Tinnitus: Diese seltene Form, auch pulssynchroner Tinnitus genannt, ist durch Geräusche gekennzeichnet, die auch von Ärzten gehört oder nachgewiesen werden können. Häufige Ursachen sind Gefäßprobleme.

Ursachenforschung: Das komplexe Zusammenspiel des Hörsystems

Ein Tinnitus ist ein Anzeichen dafür, dass im komplexen Hörsystem etwas nicht richtig funktioniert. Dieses System umfasst das Außen-, Mittel- und Innenohr, den Hörnerv, die Hörbahn und das Hörzentrum im Gehirn. Störungen in jedem dieser Bereiche können Tinnitus auslösen. In manchen Fällen ist ein einfacher Pfropfen Ohrenschmalz im Gehörgang die Ursache. In über 90 Prozent der Fälle tritt Tinnitus in Verbindung mit Schwerhörigkeit auf, wobei die Betroffenen die Hörminderung oft nicht bewusst wahrnehmen, da der Tinnitus im Vordergrund steht. Auch Lärmbelästigung kann vorübergehend einen Tinnitus verursachen.

Weitere mögliche Ursachen sind:

  • Erkrankungen des Ohres und der Hörbahn (z. B. Morbus Menière, Otosklerose, chronische Mittelohrentzündungen)
  • Kiefergelenksprobleme
  • Geplatztes Trommelfell
  • Grunderkrankungen wie Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, Angststörungen oder Depressionen
  • Nebenwirkungen von Medikamenten (z. B. Chemotherapien, Antibiotika, Aspirin)

In vielen Fällen kann die genaue Ursache des Tinnitus jedoch nicht festgestellt werden.

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Mögliche Folgen eines Tinnitus

Die meisten Menschen können gut mit Tinnitus leben. Wenn der Tinnitus jedoch zu ernsthaften Belastungen führt, können sich daraus schwerwiegende Probleme entwickeln, wie zum Beispiel:

  • Schlafstörungen
  • Depressionen
  • Angstzustände
  • Gedächtnisprobleme
  • Konzentrationsschwäche

Was macht ein Neurologe bei Tinnitus?

Ein Neurologe wird hinzugezogen, wenn der Verdacht besteht, dass neurologische Ursachen oder Begleiterkrankungen im Zusammenhang mit dem Tinnitus stehen könnten. Die Rolle des Neurologen umfasst:

  • Ausschluss neurologischer Ursachen: Der Neurologe untersucht, ob der Tinnitus durch neurologische Erkrankungen wie Tumore, Entzündungen, Gefäßmissbildungen oder Durchblutungsstörungen im Gehirn verursacht wird.
  • Diagnostik: Mittels neurologischer Untersuchungen, wie der Untersuchung der Hirnnerven, der evozierten Potentiale (akustisch evozierte Potentiale zur Überprüfung der Hörbahnfunktion), der Dopplersonographie (zur Beurteilung der Blutgefäße) und des EEGs (zur Messung der Hirnströme), kann der Neurologe die Ursache des Tinnitus eingrenzen.
  • Behandlung neurologischer Begleiterkrankungen: Wenn der Tinnitus mit neurologischen Erkrankungen wie Migräne, Depressionen oder Angststörungen einhergeht, kann der Neurologe diese behandeln, um die Tinnitus-Symptome zu lindern.
  • Behandlung des pulssynchronen Tinnitus: Bei pulssynchronem Tinnitus, der durch Gefäßveränderungen verursacht wird, spielt die Neuroradiologie eine Schlüsselrolle. Durch bildgebende Verfahren wie MRT, MR-Angiographie, CT oder Katheterangiographie können Gefäßveränderungen präzise lokalisiert und minimalinvasiv behandelt werden.
  • Psychotherapeutische Maßnahmen: Wenn keine organische Ursache für den Tinnitus gefunden wird, kann der Neurologe psychotherapeutische Maßnahmen empfehlen, um die sekundäre Entwicklung von depressiven Anpassungsstörungen zu vermeiden.
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Der Neurologe arbeitet eng mit anderen Fachärzten, wie HNO-Ärzten, Orthopäden, Zahnärzten, Psychiatern und Psychotherapeuten zusammen, um eine umfassende Diagnose und Behandlung des Tinnitus zu gewährleisten.

Diagnose von Tinnitus

Die Diagnose von Tinnitus umfasst in der Regel die folgenden Schritte:

  1. Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten ausführlich zu seinen Beschwerden, Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme und möglichen Auslösern.
  2. Körperliche Untersuchung: Der Arzt untersucht die Ohren, den Kopf- und Halsbereich, um mögliche Ursachen für den Tinnitus zu identifizieren.
  3. Hörtests: Verschiedene Hörtests, wie die Audiometrie, Stimmgabelprüfung und Sprachaudiometrie, werden durchgeführt, um das Hörvermögen zu überprüfen und die Art der Schwerhörigkeit zu bestimmen.
  4. Tinnitus-Matching: Um die subjektive Lautstärke und Tonhöhe des Tinnitus zu bestimmen, kann ein Tinnitus-Matching durchgeführt werden.
  5. Weitere Untersuchungen: In einigen Fällen können weitere Untersuchungen erforderlich sein, wie z. B. Tympanometrie, Hirnstammaudiometrie, Nasopharyngoskopie oder bildgebende Verfahren (MRT, CT).

Behandlungsmöglichkeiten bei Tinnitus

Es gibt verschiedene Therapieansätze, um mit Tinnitus umzugehen. Da es viele Ursachen gibt, ist es wichtig, diese zu erkennen und zu behandeln.

  • Behandlung der Grunderkrankung: Wenn der Tinnitus durch eine Grunderkrankung verursacht wird, sollte diese behandelt werden.
  • Tinnitus-Counseling: Durch gezielte Informationen über die Erkrankung, deren Ursachen und Auswirkungen können Ängste abgebaut und ein eigenes Krankheitsverständnis entwickelt werden.
  • Kognitive Verhaltenstherapie: Eine kognitive Verhaltenstherapie kann helfen, Strategien zu erlernen, um mit dem Tinnitus besser leben zu können. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen dem Ohrgeräusch, der aktuellen Lebenssituation und der emotionalen Befindlichkeit geklärt.
  • Hörgeräte: Bei einer zugrundeliegenden Schwerhörigkeit können Hörgeräte helfen, die Außengeräusche wieder vermehrt wahrzunehmen und den Tinnitus zu überdecken.
  • Tinnitus-Retraining-Therapie: Bei dieser Therapie werden Tinnitus-Noiser eingesetzt, die ein Rauschen in einer speziellen Frequenz erzeugen, wodurch der Tinnitus überlagert wird.
  • Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie Yoga oder progressive Muskelentspannung können helfen, Stress abzubauen und den Tinnitus zu lindern.
  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann guttun und vom Wissen und den Erfahrungen der anderen profitieren.

Pulssynchroner Tinnitus: Wenn das Ohr zum Resonanzraum des Blutflusses wird

Eine besondere Form des Tinnitus ist der pulssynchrone Tinnitus, bei dem das Ohrgeräusch dem eigenen Herzschlag folgt. Ursache sind oft Veränderungen der Blutgefäße in Kopf oder Hals, wie Fisteln, Gefäßengstellen oder Missbildungen. Die Diagnose erfolgt durch moderne Bildgebungsverfahren wie Kontrastmittel-MRT, zeitaufgelöste MR-Angiografie und gegebenenfalls CT oder Katheterangiografie. Die Therapie erfolgt meist minimalinvasiv, beispielsweise durch Embolisation von Fisteln oder Erweiterung von Engstellen durch Stents.

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Was Sie selbst gegen Tinnitus tun können

  • Vermeiden Sie Lärm: Schützen Sie sich vor lauten Geräuschen, indem Sie sich von Lärmquellen entfernen, die Lautstärke verringern oder Ohrenstöpsel bzw. Ohrenschützer tragen.
  • Kümmern Sie sich um Ihre Ohren: Kümmern Sie sich gut um Ihre Ohrenerkrankungen, damit Sie diese nicht verschleppen.
  • Vermeiden Sie Stress: Vermeiden Sie Stress und versuchen Sie, keine Angst vor einem Tinnitus zu entwickeln.
  • Konzentrieren Sie sich nicht auf den Tinnitus: Sich auf den Tinnitus zu konzentrieren, kann ihn verschlimmern.
  • Entspannung: Entspannung kann helfen, zum Beispiel durch Yoga oder andere Entspannungsübungen.

Wann sollten Sie einen Arzt aufsuchen?

Sie sollten einen Arzt aufsuchen, wenn:

  • Der Tinnitus Sie belastet
  • Er schlimmer wird
  • Er Ihren Schlaf und Ihre Konzentration beeinträchtigt
  • Sie sich durch den Tinnitus ängstlich oder depressiv fühlen
  • Der Tinnitus gemeinsam mit einem plötzlichen Hörverlust (Hörsturz) auftritt

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