Eine Narkose ist ein medizinisch induzierter Zustand, der durch Bewusstseinsverlust, Schmerzfreiheit und Muskelentspannung gekennzeichnet ist. Sie ermöglicht es, schmerzfreie Eingriffe durchzuführen, die andernfalls unerträglich wären. Doch was genau passiert dabei im Gehirn? Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Vorgänge und potenziellen Auswirkungen einer Narkose auf unser Denkorgan.
Die drei Säulen der Narkose
Eine Vollnarkose besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten:
- Ausschaltung des Bewusstseins: Medikamente unterbrechen die Signalweiterleitung im Gehirn, wodurch die bewusste Wahrnehmung ausgeschaltet wird. Der Patient wird in einen tiefen Schlaf versetzt.
- Schmerzunterdrückung: Starke Schmerzmittel hemmen die Schmerzempfindung, indem sie auf bestimmte Bereiche im Gehirn wirken, die für die Schmerzwahrnehmung zuständig sind.
- Muskelrelaxation: Muskelrelaxanzien werden eingesetzt, um die Muskeln zu entspannen und unwillkürliche Bewegungen während der Operation zu verhindern.
Wie Narkosemittel die Signalübertragung im Gehirn beeinflussen
Narkosemittel wirken, indem sie die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen stören. Im Gehirn gibt es sowohl elektrische als auch chemische Signalweiterleitung. Die elektrischen Signale laufen innerhalb einer Nervenzelle ab, während die chemische Signalweiterleitung durch Botenstoffe zwischen den Zellen erfolgt. Narkosemittel können diese Signalweiterleitung unterbrechen und somit das bewusste Erleben hemmen.
Dr. Bernd Schoenes, Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Klinikum Darmstadt, erklärt: „Während einer Vollnarkose wird die Aktivität im Gehirn gestört. Normalerweise senden die Nervenzellen mehr oder weniger gerichtete Signale. Die Narkosemedikamente bringen das durcheinander. Infolge spüren wir keine Schmerzen und fallen in einen tiefen Schlaf."
Allgemeinanästhetika wirken ähnlich wie Lokalanästhetika, indem sie die Signalübertragung zwischen den Nerven stören. Sobald der Patient jedoch unter Vollnarkose ist, werden die elektrischen Signale ruhiger - und vor allem organisierter. Diese extrem synchrone Aktivität der Signale verhindert schließlich den Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Hirnarealen. Die Großhirnrinde - der Sitz des Bewusstseins - reagiert demnach zwar noch auf Reize der Außenwelt, kann diese aber nicht weitergeben.
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Burst-Suppression: Ein tiefschlafähnlicher Zustand im Gehirn
Durch Elektroenzephalographie (EEG)-Studien ist bekannt, dass das Gehirn während der Narkose in einen tiefschlafähnlichen Zustand versetzt wird, bei dem sich Perioden rhythmischer elektrischer Aktivität mit Phasen von völliger Inaktivität abwechseln. Dieser Zustand wird als Burst-Suppression bezeichnet.
Eine Studie unter Verwendung von funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) hat gezeigt, dass sich die Bereiche, in denen Burst-Suppression erkennbar ist, bei Primaten und Nagern signifikant unterscheiden. Während bei der Ratte weite Teile der Hirnrinde synchron das Burst-Suppression-Muster zeigen, sind bei den Primaten einzelne sensorische Regionen, wie beispielsweise die Sehrinde, davon ausgeschlossen.
Mögliche Auswirkungen einer Narkose auf die Kognition
Obwohl Narkosen im Allgemeinen sicher sind, können sie in einigen Fällen vorübergehende kognitive Beeinträchtigungen verursachen. Ein Delir, eine akute Verwirrtheit, ist die häufigste Organfunktionsstörung nach einem operativen Eingriff. Im Durchschnitt erleiden zehn Prozent der Patienten aller Altersgruppen ein Delir.
Symptome eines Delirs können sein:
- Ruhe oder Aggressivität (selten)
- Ruhiges Verhalten, fehlende Äußerungen
- Desorientierung und Angst
- Erinnerungslücken
Für ältere Menschen ist ein Delir mit einem größeren Risiko verbunden, da es bei längerer Dauer zu kognitiven Schäden führen kann. Aber auch jüngere Menschen können noch längere Zeit nach einem Delir unter kognitiven Einschränkungen leiden.
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Eine Studie der Columbia University und der Universität Bonn hat eine Verbindung zwischen koma-assoziierten neurokognitiven Defiziten und Veränderungen der strukturellen Verknüpfungen des Gehirns identifiziert. Die Forscher fanden heraus, dass eine längere Narkose die synaptische Architektur des Gehirns unabhängig vom Alter signifikant verändert.
Dr. Michael Wenzel betont: „Unsere Ergebnisse sind ein Signal insbesondere an die Intensivmedizin, da sie einen physikalischen Zusammenhang zwischen kognitiver Beeinträchtigung und längerem medizinisch induziertem Koma herstellen.“
Risikofaktoren für ein Delir und präventive Maßnahmen
Verschiedene Faktoren können das Risiko für ein Delir nach einer Narkose erhöhen:
- Vorbestehende kognitive und funktionelle Einschränkungen
- Flüssigkeitsmangel vor der Operation
- Mangelernährung
- Eingeschränkte Mobilität
Um das Delirrisiko zu minimieren, können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden:
- Vorbereitung auf die Operation (Hör- und Sehhilfen mitbringen)
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr vor und während der Operation
- Gezielte Ernährung und Bewegungstherapie vor der Operation
- Unterstützung durch Angehörige (Fotos mitbringen, Besuche)
- Betreuung durch wenige, vertraute Pflegekräfte
- Förderung des Tag/Nacht-Rhythmus (Uhr am Bett, persönliche Gegenstände)
Die Rolle der GABA-Typ-A-Rezeptoren bei Gedächtnisstörungen nach Narkose
Eine Studie im Journal of Clinical Investigation deutet darauf hin, dass eine möglicherweise irreversible Wirkung von Anästhetika auf Rezeptoren im Hippocampus die bei einigen Patienten länger anhaltenden Gedächtnisstörungen nach Narkosen erklären könnte.
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Als Wirkmechanismus wird eine „positive Modulation“ der Rezeptoren von GABA-Typ-A-Rezeptoren im Hippocampus vermutet, der Gedächtniszentrale des Gehirns. Diese Rezeptoren haben eine inhibitorische Wirkung, und ihre Verstärkung kann zu einer anhaltenden Gedächtnisblockade führen.