Fast jeder Mensch erlebt Stress in unterschiedlichem Ausmaß. Es ist allgemein bekannt, dass Stress negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat. Weniger bekannt ist jedoch, dass Stress auch Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen verursachen kann, die unser tägliches Leben erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel untersucht die komplexen Mechanismen, die im Gehirn während einer Stressreaktion ablaufen, und beleuchtet sowohl die kurzfristigen Vorteile als auch die langfristigen Folgen von Stress.
Einführung in die Stressreaktion
Die natürliche Stressreaktion des Körpers ist eine sinnvolle Erfindung der Evolution. In brenzligen Situationen reagiert der Organismus mit bewährten Programmen. Die Nebenniere setzt, angeregt durch das sympathische Nervensystem, vermehrt Adrenalin und Noradrenalin frei. Zeitlich verzögert kurbelt die Stresshormonachse - bestehend aus Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde - die Ausschüttung von Glucocorticoiden wie Cortisol an. Infolgedessen steigen Herzfrequenz und Blutdruck, wodurch mehr Nährstoffe zu den Muskeln gelangen. Dies verschafft uns Energie für Kampf oder Flucht.
Diese archaischen Programme laufen im menschlichen Organismus immer noch genauso ab wie vor Tausenden von Jahren, auch wenn uns meist keine echte Lebensgefahr mehr droht. Unser Körper ist darauf eingerichtet, uns so gut wie möglich vor Gefahren zu schützen. Das Gehirn spielt dabei eine maßgebliche Rolle.
In den frühen evolutionären Zeiten, aus denen die Stressreaktion stammt, ging es oft um Gefahren für Leib und Leben. Heute erleben Menschen Stress, wenn ihr Selbstwert bedroht ist, wenn sie Angst haben, zu versagen oder von wichtigen anderen Menschen getrennt zu sein, oder wenn etwas nicht so läuft, wie sie es gerne möchten. Die Stressreaktion läuft immer noch nach dem gleichen alten Muster ab, selbst wenn man sich die stressige Situation nur vorstellt.
Die Rolle der Amygdala: Das Angstzentrum des Gehirns
Eine sehr wichtige Hirnregion für unser Erleben von Stress und Angst ist die Amygdala, ein kleiner, mandelförmiger Komplex von Nervenzellen im unteren Bereich des Gehirninneren. Sie ist Teil des limbischen Systems, einem Verbund verschiedener Hirnstrukturen im Innern des Gehirns, der eine große Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt.
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Die Amygdala steuert zusammen mit anderen Hirnregionen unsere psychischen und körperlichen Reaktionen auf stress- und angstauslösende Situationen. Treffen bei ihr Signale ein, die höhere Aufmerksamkeit erfordern, zum Beispiel, wenn etwas neu oder gefährlich ist, dann feuern ihre Nervenzellen. Wir werden wacher und aufmerksamer, noch bevor wir die Gefahr bewusst erkennen. Ab einer bestimmten Schwelle der Nervenaktivität setzt die Amygdala die Stressreaktion in Gang und aktiviert so die Kampf- und Flucht-Reaktion.
Um die Kampf- und Fluchtreaktion auszulösen, nutzt die Amygdala zwei Wege. Der schnellere Weg läuft über das sympathische Nervensystem, das den Körper auf Aktivität einstimmt. Etwas langsamer ist der Weg über den Hypothalamus. Der Hypothalamus ist ein komplexes Gebilde im Zwischenhirn, das grundlegende Funktionen unseres Körpers steuert. Für die Stressreaktion setzt er eine ganze Kaskade von Hormonen in Gang.
Der schnelle Weg: Das sympathische Nervensystem
Über die Nervenstränge des sympathischen Nervensystems im Rückenmark gelangt die Information "Gefahr" zum Mark der Nebenniere. Dort werden Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Diese Hormone, auch Katecholamine genannt, treiben den Herzschlag und den Blutdruck in die Höhe, sorgen für eine größere Spannung der Muskeln und bewirken, dass mehr Blutzucker freigesetzt wird, sodass die Muskelzellen besser versorgt werden können.
Der "langsame" Weg über den Hypothalamus
Parallel informiert die Amygdala den Hypothalamus, dass Gefahr im Verzug ist. Der Hypothalamus schüttet hormonelle Botenstoffe aus, unter anderem das Corticotropin-releasing-Hormon. Dieses Hormon wirkt auf die Hirnanhangdrüse im Gehirn, auch Hypophyse genannt, und sorgt dafür, dass sie ein weiteres Hormon freisetzt, das Adrenocorticotropin, kurz ACTH. Es gelangt mit dem Blut zur Rinde der Nebenniere und veranlasst diese, das Stresshormon Kortisol auszuschütten. Kortisol ist ein lebenswichtiges Glukokortikoid, das auch viele andere Funktionen im Körper hat. Ist es im Übermaß vorhanden, kann es den Körper aber auch schädigen.
Zusammen sorgen die Hormone und das sympathische Nervensystem dafür, dass unser Körper mehr Sauerstoff und Energie bekommt, um schnell zu handeln.
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Was die Hormone bewirken
Die Ausschüttung von Stresshormonen führt zu einer Reihe von physiologischen Veränderungen im Körper:
- Der Atem beschleunigt sich.
- Puls und Blutdruck steigen an.
- Die Leber produziert mehr Blutzucker.
- Die Milz schwemmt mehr rote Blutkörperchen aus, die den Sauerstoff zu den Muskeln transportieren.
- Die Adern in den Muskeln weiten sich, wodurch die Muskeln besser durchblutet werden.
- Der Muskeltonus steigt, was oft zu Verspannungen führt. Auch Zittern, Fußwippen und Zähneknirschen hängen damit zusammen.
- Das Blut gerinnt schneller, um den Körper vor Blutverlust zu schützen.
- Die Zellen produzieren Botenstoffe, die für die Immunabwehr wichtig sind.
- Verdauung und Sexualfunktionen gehen zurück, um Energie zu sparen.
Stress und Gedächtnis: Die Rolle des Hippocampus
Die Amygdala setzt nicht nur die Stressreaktion in Gang, sondern veranlasst auch eine bedeutende Gedächtnisregion im Gehirn, den Hippocampus, sich die stressauslösende Situation gut zu merken. Auf diese Weise lernen wir, uns vor dem Stressor in Acht zu nehmen. Kommen wir erneut in eine derartige Situation, läuft die Stressreaktion noch schneller ab.
Forschungen haben gezeigt, dass chronischer Stress die Zellfortsätze im Hippocampus schädigen kann. Sie sind Teil der Nervenzelle und wichtig für die Aufnahme von Information. Schrumpfen sie, wirkt sich das negativ auf das Gedächtnis aus. Dies kann zu Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen führen, wie Vergessen von Vorhaben, Terminen, Aufträgen, Störungen der Merkfähigkeit und der Konzentration, Wortfindungsstörungen und Blockaden beim Abruf von Gedächtnisinhalten. Betroffene denken häufig an eine beginnende Alzheimer-Krankheit, aber oft liegt keine organische Erkrankung des Gehirns vor.
Denken und Stress: Der präfrontale Cortex
Auch mit dem "denkenden" Teil des Gehirns ist die Amygdala eng verbunden, vor allem mit dem Stirnlappen, auch präfrontaler Cortex genannt. Er ist wichtig für die Kontrolle der Emotionen und spielt eine große Rolle bei der Bewertung, ob wir einen Stressor für bewältigbar halten oder nicht, und für unser Verhalten in der stressigen Situation. Mit seiner Hilfe können wir durch logische Analyse und Denken unsere Emotionen beeinflussen.
Chronischer Stress kann den präfrontalen Cortex verändern, so dass es schwieriger wird, sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
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Die eingebaute Stressbremse
Normalerweise regen wir uns nach Stress auch wieder ab. Dabei hilft eine eingebaute Stressbremse. Ist nämlich das Stresshormon Kortisol in ausreichendem Maß im Blut vorhanden, merken das bestimmte Rezeptoren im Drüsensystem und im Gehirn, die Glucocorticoidrezeptoren. Daraufhin stoppt die Nebennierenrinde die Produktion von weiterem Kortisol. Das parasympathische Nervensystem, der Teil des Nervensystems, der unseren Körper zur Ruhe kommen lässt, wird aktiv. Wir werden wieder ruhiger und entspannen uns.
Wenn die Hormone aus dem Ruder laufen
Anders sieht es aus, wenn das Zusammenspiel der Hormone nicht optimal funktioniert, zum Beispiel, wenn nicht genug Rezeptoren vorhanden sind, die merken könnten, dass genug Kortisol vorhanden ist, oder wenn die vorhandenen Rezeptoren nicht richtig arbeiten. Dann wird die Achse aus Hypothalamus, Hirnanhangdrüse und Nebenniere zu aktiv und produziert zu viel Kortisol.
In schlimmen Fällen kann dies zu Denkstörungen, zu Gewebeschwund im Hirn und zu Störungen des Immunsystems führen. Auch die Entstehung von Depressionen wird auf diesen Einfluss zurückgeführt, ebenso Stoffwechselstörungen, die Diabetes fördern.
Frühe traumatische Erfahrungen und die Stressreaktion
Intensiver Stress in der frühen Kindheit kann die Arbeitsweise von Genen, die an der Stressreaktion beteiligt sind, so beeinflussen, dass Stresshormone schneller und intensiver ausgeschüttet werden. Dieser Effekt bleibt lebenslang bestehen. Ähnliche Ergebnisse scheint es unter bestimmten genetischen Bedingungen auch bei Menschen zu geben, die ein Trauma erlebt haben, etwa durch eine Naturkatastrophe, durch Missbrauch oder durch Gewalt.
Die Auswirkungen von Stress auf verschiedene Systeme des Körpers
Stress beeinflusst nicht nur das Gehirn, sondern auch das Hormonsystem, das vegetative Nervensystem und das Immunsystem.
Das vegetative Nervensystem
Das vegetative Nervensystem durchzieht den ganzen Körper und beeinflusst verschiedene Organe wie Herz, Darm und Haut. Es besteht aus zwei Komponenten, dem Sympathikus (Anspannung) und dem Parasympathikus (Entspannung), die gleichzeitig aktiv sind. Stress führt zu Anspannung und bei dauerhafter Anspannung "kippt" das vegetative Nervensystem in einen Modus der Überaktivierung des Sympathikus. Dies kann zu Herzrasen, Blutdruckanstieg, beschleunigter Atmung, gereiztem Magen oder Durchfall führen.
Das Hormonsystem
Über einen komplexen Regelmechanismus des Gehirns führt Stress zu einer Ausschüttung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Unter hoher Stressbelastung kommt es zunächst zu einer vermehrten Freisetzung von Cortisol. Bei längerer Erhöhung von Cortisol kann es zu einer eingeschränkten Empfindlichkeit der Cortisol-Rezeptoren im ganzen Körper kommen.
Neben der HPA-Achse beeinflusst Stress auch Wachstums- und Geschlechtshormone. So sinkt bei Affen im Tierversuch bei zunehmendem Stress das Testosteron mit resultierender Einschränkung der Fruchtbarkeit. Bei Frauen verschiebt oder verändert sich bei Stress oft die Regelblutung.
Das Immunsystem
Stress kann das Immunsystem unterdrücken, was die Anfälligkeit für Infektionen erhöht. Auf Dauer kann Stress aber auch zu einer übermäßigen oder fehlerhaften Immunantwort führen, was Autoimmunkrankheiten, Allergien und Krebserkrankungen begünstigen kann.
Die Messung der Stressreaktion
Die Aktivierung des vegetativen Nervensystems kann anhand der Herzschlagvariabilität gemessen werden. Stress hat erhebliche Auswirkungen auf das Hormonsystem. Über einen komplexen Regelmechanismus des Gehirns führt Stress zu einer Ausschüttung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Unter hoher Stressbelastung kommt es zunächst zu einer vermehrten Freisetzung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Cortisol führt als Hormon zu zahlreichen körperlichen und psychischen Veränderungen wie Gewichtszunahme, Anstieg des Blutzuckers, Schlafstörungen und Reizbarkeit. Bei längerer Erhöhung von Cortisol kann es zu einer eingeschränkten Empfindlichkeit der Cortisol-Rezeptoren im ganzen Körper kommen.
Umgang mit Stress: Resilienz entwickeln
Resilienz ist die Fähigkeit, auf die kleinen und großen Belastungen des Lebens schnell, anpassungsfähig und flexibel zu reagieren. Unsere inneren Stärken und Ressourcen bilden die Grundlage für unsere psychische Widerstandskraft. Es ist wichtig, sich auf positive Erfahrungen in schwierigen Situationen zu besinnen. Wir können nicht immer die äußere Situation ändern, aber mehr mentale Ressourcen und Stärken in uns identifizieren, die uns helfen, mit schwierigen Situationen besser umzugehen, so dass sie weniger belastend sind.
Strategien zur Stressbewältigung
- Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung kann helfen, Stress abzubauen und die Stimmung zu verbessern.
- Ausreichend Schlaf: Schlafmangel kann Stress verstärken. Achten Sie auf eine ausreichende Schlafdauer.
- Ausgewogene Ernährung: Eine gesunde Ernährung kann den Körper widerstandsfähiger gegen Stress machen.
- Entspannungstechniken: Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Meditation und Yoga können helfen, Stress abzubauen.
- Soziale Unterstützung: Sprechen Sie mit Freunden, Familie oder einem Therapeuten über Ihre Probleme.
- Mentale Ressourcen stärken: Konzentrieren Sie sich auf positive Erfahrungen und entwickeln Sie eine positive Einstellung.
Wann ist eine Behandlung erforderlich?
Bei stressbedingten Symptomen und Erkrankungen sollte möglichst früh und möglichst ursächlich in den Krankheitsprozess eingegriffen werden. Eine Heilung ist am ehesten möglich, solange es sich noch um Symptome und nicht um Erkrankungen handelt.