Seele bei Demenz: Eine spirituelle Perspektive auf die Erkrankung

Was bedeutet Demenz wirklich? Medizinisch gesehen ist Demenz eine Erkrankung des Gehirns, bei der Hirnzellen angegriffen werden und die Denkprozesse beeinträchtigt werden. Betroffene ziehen sich oft aus der uns bekannten Realität zurück. Doch ist das die ganze Wahrheit? Dieses Buch über den Krankheitsprozess meiner Mutter zeigt, dass der Demenz auch eine ganz andere Bedeutung beigemessen werden kann: die einer Stimme der Seele.

Die medizinische und eine spirituelle Sichtweise auf Demenz

Mediziner definieren Demenz als eine Erkrankung des Gehirns, bei der Hirnzellen geschädigt werden und die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt werden. Dies führt dazu, dass sich Betroffene aus der gewohnten Realität zurückziehen. Doch diese rein medizinische Sichtweise greift zu kurz. Während der Krankheit meiner Mutter entdeckte ich, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit von der Bedeutung abhängt, die man ihr selbst gibt. Die Medizinwissenschaft geht oft davon aus, dass Seele und Geist nicht existieren und der Mensch als seelenloses Wesen betrachtet wird, dessen Geist lediglich ein Produkt des Gehirns ist. Doch was, wenn diese Annahme falsch ist? Was, wenn die Seele tatsächlich existiert und der menschliche Geist mehr ist als nur ein Nebenprodukt unseres Gehirns? Was bedeutet Demenz dann?

Die Geschichte meiner demenzkranken Mutter wirft ein anderes Licht auf diese Krankheit. Sie lässt die Existenz von Seele und Geist deutlich werden, und zwar keineswegs als Produkt des Hirns. Der Geist eines Demenzkranken hört nicht auf zu existieren, wenn Hirnzellen angegriffen werden. Im Gegenteil. Aus den Nebeln der Demenz kommen die tieferen Schichten des Menschen zum Vorschein. Die Seele spricht.

Die Stimme der Seele in der Demenz

Die Annahme, dass Demenz mehr als nur eine Hirnerkrankung ist, ist nicht neu. Viele Religionen erkennen die Existenz der Seele an, und die alten Weisen hatten ein anderes Menschenbild als die westlichen Medizinwissenschaftler. Sie sahen den Menschen als mehr als eine seelenlose Maschine und glaubten, dass man besonders in Krankheiten die Stimme der menschlichen Seele vernehmen könne.

Dieses Buch berichtet von dieser anderen Wirklichkeit, die durch die Krankheit Demenz sichtbar wird. Es ist keine bequeme Wirklichkeit, denn die Seele entdecken wir nicht durch reine Vernunft und Rationalität. Hier bewegen wir uns in der Dimension der Mystik. Die Sprache der Seele hat viele Dimensionen und Erscheinungsformen, viel mehr als unsere dreidimensionale Wirklichkeit. Es gilt, ihre mystische Sprache zu entdecken, zu verstehen und zu dekodieren.

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Der Umgang mit Demenz in der Familie

Der Gedanke, meine Mutter könne an Demenz leiden, hatte von unserer Familie schon in den Monaten vor der definitiven Diagnose schleichend Besitz ergriffen. Es war eine Angstvision, gegen die wir uns lange Zeit gewehrt hatten, da wir uns darüber im Klaren waren, was eine solche Krankheit bedeuten würde. Man möchte so gerne glauben, dass es nicht so ist. Nicht darüber zu sprechen, hielt diesen Glauben eine Zeit lang lebendig. Aber als die Diagnose dann einmal gestellt war, konnten wir ihr nicht mehr ausweichen. Die Benennung öffnete uns den Blick auf eine neue Wirklichkeit, die unsere Existenz dramatisch verändern sollte.

Vater übernahm allmählich die Arbeiten meiner Mutter. Zum ersten Mal in seinem Leben kochte er, wusch die Wäsche, bügelte und kümmerte sich auch um die übrige Hausarbeit. Mutter freute sich sichtlich über diesen Rollenwechsel. Wir, ihre Kinder, besuchten sie immer häufiger und wir telefonierten regelmäßiger mit ihr. Dieses Bindemittel, das in den Jahren zuvor in unseren Familienbeziehungen gefehlt hatte, wurde nun nachträglich in einer Art Schnellrenovierung eingebracht. Wir wuchsen zusammen. Wir begriffen es seinerzeit noch nicht, aber später sollte uns klar werden, dass wir gerade dieses Bindemittel brauchten, um dem Sturm standhalten zu können, der durch ihre Demenz entfacht wurde.

Rückblickend war die erste Phase der Demenz meiner Mutter eine Art Trainingslager für die Familie gewesen. Wir mussten uns nun auf die eigentliche Arbeit einstellen. Auf ihre Art hatte meine Mutter die notwendigen Vorbereitungen getroffen und vervollständigt. Die ersten, groben Züge dessen, was ihre Geschichte werden sollte, waren zu Papier gebracht. Sie hatte nun Phase zwei erreicht.

Die veränderte Wahrnehmung und die Urkraft der Seele

An einem Wochenende mit meiner Mutter wurde mir erstmals bewusst, dass sie durch ihre Krankheit hindurch etwas zeigte, was ich zuvor nicht bemerkt hatte. Es verkörperte eine Art unbenannte Urkraft. Es war etwas, das hinter ihrer Krankheit lag, eine Energie, die bedeutend stärker war als jene, die ich von meiner Mutter kannte.

Bei einem Spaziergang sagte sie: "Ich mache mir Sorgen. Nicht um mich selbst, ich vertraue auf Gott. Aber ich mache mir Sorgen um euch. Ob ihr das alles verkraften könnt." Sie bat uns, sie nicht allein zu lassen und nicht in ein Heim abzuschieben. In diesem Moment spürte ich eine seltsame Energie bei meiner Mutter und fragte mich, was sie wusste, was ich nicht wusste.

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Krankheit als Möglichkeit zur Verarbeitung und Loslassen

Krankheit ist niemals sinnlos. Sie ermöglicht im Verborgenen, Dinge zu verarbeiten, die ihnen im Leben schwer gefallen sind. Für andere unsichtbare Schmerzen oder verdeckten Kummer, der unausgesprochen blieb. Der Kranke bekommt Zeit, alle seine dunklen, vergrabenen Gefühle zu verarbeiten und loszulassen. Demente verlieren die Fähigkeit, schreckliche Erinnerungen in sich zu vergraben. Diese Steuerung geht verloren, unterdrückte Emotionen kommen ungefiltert hoch. Diese können sich in Weinen, starker Wut oder großer Ruhelosigkeit äußern.

Der schleichende Verlust der Identität erscheint Menschen schwerer als körperliche Gebrechen. Selbstverständlich kann ich das verstehen. besonders wenn man nicht weiß, dass es nach dem Tod ein neues Leben gibt, erscheint die Krankheit sinnlos. Und warum sollte man sinnloses Leiden verlängern? Wenn man aber weiß, dass diese Krankheit nicht sinnlos ist, sondern einen geistigen Gewinn bringen kann, wird man nicht so leicht den Freitod wählen. Elisabeth Kübler-Ross, die weltberühmte Sterbeforscherin, hat am Ende ihres Lebens, als sie von Gehirnblutungen betroffen war, keinen Freitod gewählt.

Kreativität und spirituelles Wachstum in der Demenz

Der Verlust von Fähigkeiten erfolgt nach und nach und belastet die Betroffenen. Das Denken wird schwieriger und auch das Bewusstsein, wer und wo man ist, verschwindet. Die Fähigkeit aber, kreativ mit Farben, Formen und Klängen zu spielen, bleibt noch lange intakt. Diese Kreativität sollte man fördern. Viele Menschen agieren eindimensional und haben sich nur rationell weiterentwickelt. Ihre Kreativität ist zurückgeblieben.

Es wird gesagt, dass auch bei Dementen geistiges Wachstum erfolgen kann. Wie bereits erwähnt, können Demenzkranke wieder mehr Gleichgewicht zwischen ihren verschiedenen Begabungen herstellen und während ihrer Krankheit im Inneren Vergrabenes nach und nach aufarbeiten. Menschen mit Demenz können sich über die Sprache immer weniger ausdrücken. Gestik und Mimik werden mit der Zeit wichtiger. Man sollte die Symbolsprache der Kranken verstehen lernen.

Die Rolle der Betreuer und die Kommunikation mit Demenzkranken

Für professionelle und familiäre Betreuer ist es wichtig zu verstehen, dass Demenz nicht einfach sinnlos ist. Sie helfen den Patienten, ihr Karma zu tragen, und ihre Hilfe bedeutet ebenfalls einen inneren Gewinn für sie selbst. Es ist wichtig, gut für sich zu sorgen und sich rechtzeitig auch um fremde Hilfe zu kümmern, da viele Angehörige, die einen Demenzkranken versorgen, krank werden, einen Burn-out bekommen und früher sterben.

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Man sollte sich immer darüber im Klaren sein, dass zwar der Körper und das Gehirn zerfallen, aber was uns wirklich ausmacht sind unsere Seele und unser Geist und beide bleiben unberührt von der Krankheit.

Von Clara Wildenrath: Ebenso wie das Gedächtnis verlieren Demenzkranke nach und nach ihre sprachlichen Fähigkeiten. Das erschwert zunehmend die Kommunikation. Friederike Leuthe erklärt: »Was ein Mensch mit Demenz sagt, enthält nicht unbedingt intellektuelle Informationen, sondern ist Ausdruck einer emotionalen Lage.« Diesen Gemütszustand, der sich hinter dem Gesagten verbirgt, gilt es zu erkennen. Die Bedeutung der Worte tritt dabei in den Hintergrund: Wichtig ist manchmal nicht, was ein Demenzpatient sagt, sondern wie und weshalb er es sagt. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung wird diese nonverbale Ebene der Kommunikation immer wichtiger.

Die Sprache wird flacher und ärmer, komplexe Satzkonstruktionen sind nicht mehr möglich. Auch das Tempo der Sprachbildung verlangsamt sich. Das Gleiche gilt für das Sprachverständnis: Ein Dementer kann komplizierte Sätze und rasch aufeinander folgende Informationen nicht mehr entschlüsseln. Oft bleibt ihm nur das Ende einer Aussage in Erinnerung. Bildhafte Redewendungen, Ironie und Doppeldeutigkeiten erschließen sich ihm nicht mehr. Ganz sicher bleibt jedoch das Bedürfnis erhalten, in Beziehung zu treten und Teil der Gemeinschaft zu sein.

Entscheidend sind oft schon die ersten Momente. »Ich spreche sie oder ihn immer mit dem Namen an - egal wie oft am Tag ich Kontakt aufnehmen will. Ich schaue die angesprochene Person an und vergewissere mich so, dass sie sich gemeint fühlt. Ich warte auf die Erwiderung meines Blicks. Dann atme ich ein: Das macht meine Stimme warm und volltönend«, erläutert Sprachtrainerin Leuthe.

Spirituelle Begleitung und die Geistgeburt bei Demenz

Wie lässt sich die Demenzerkrankung unter dem Gesichtspunkt der Geistgeburt verstehen? Wie können Pflegende dem Erkrankten dabei helfen? Bei Menschen, die an Demenz erkrankt sind, kann sich der Prozess der Geistgeburt in Hilflosigkeit und Verwirrtheit sogar über viele Jahre hinziehen, bevor sich ihr Geist endgültig verabschiedet. Das wird aus der materialistischen Weltsicht heraus als großes Drama angesehen, weil man nicht versteht, dass der Geist der Betroffenen diese Zeit braucht, um sich mit der jenseitigen Welt vertraut zu machen, indem er zwischen hier und dort wie pendelt. Dabei löst er sich zunehmend aus den irdischen Gegebenheiten und macht sich mit den geistigen Welten vertraut.

Um diese Prozesse rund ums Sterben zu wissen, kann uns als Pflegenden helfen, den Demenzkranken spirituell würdig zu begleiten, seine geistige Würde wieder wie herzustellen - einfach dadurch, dass wir wissen, was geschieht. Als Pflegender muss ich versuchen, mich in das Leben eines anderen hineinzuversetzen - hier des Dementen - der langsam auf die Todesschwelle zugeht und dessen Ich bereits zunehmend in der geistigen Welt lebt.

Je mehr man sich als Pflegender dessen bewusst ist, kann man die Gesten des Raumschaffens, des Umhüllens und des vorsichtigen Wahrnehmens vollziehen. Die Haltung gegenüber dem Betroffenen muss dabei sein: „Dein Wille geschehe“ - soweit dies möglich ist. Durch Sprache und Musik pflegt man auf liebevolle, künstlerische Art die Organe des alternden, auf den Tod zugehenden Menschen. Über Worte und Töne erlebt er unmittelbar den Zusammenklang mit der Erde. Darüber hinaus nimmt die Seele alles Künstlerische, Konzerte, Musik, - gute, starke Musik - mit über die Schwelle. Sie kann mit „ihrer“ Musik noch mitschwingen. Alles, was ein Mensch auf Erden gehört hat, verbindet ihn in der Läuterungszeit der ersten 30 Jahre nach dem Tod noch mit der Erde.

Wenn Demenzkranke die Möglichkeit bekommen ganz langsam und zum Teil auch unter körperlichen und seelischen Schmerzen - also bewusst, wenn auch wenig selbstbewusst - in die Sterbesituation hinein zu reifen, haben sie ihre Geistgeburt wirklich selbst errungen und stehen mit einem völlig anderen Selbstbewusstsein in der geistigen Welt.

Die Bedeutung der Herzensebene und der inneren Haltung

Menschen mit Demenz erreicht man am besten auf der Herzensebene, sagt Sophie Rosentreter. Die kognitiven Fähigkeiten gehen tatsächlich zurück, aber die Seele bleibt - darüber sind die Menschen erreichbar. In unserer verkopften Welt ist es heilsam, wieder zurück zum Gefühl zu finden. Deshalb hoffe ich, dass wir als Gesellschaft an der Demenz auch ein Stück weit gesunden können und sehen, worauf es ankommt.

Die innere Haltung ist das A und O. Wenn ich heute ins Heim gehe, suche ich die Begegnung zu demenziell Veränderten auf Augenhöhe und Herzensebene. Ich sehe nicht mehr, dass sie vielleicht nicht richtig angezogen oder die Haare nicht schön sind. Was zählt, sind die ruhigen Momente, in denen man sich berührt und ein Lächeln entsteht. Das ist Medizin für die Seele des Erkrankten, aber auch für die eigene.

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