Eine Rückenmarkschädigung ist ein schwerwiegendes Ereignis, das weitreichende Folgen für die Betroffenen hat. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte von Rückenmarkschädigungen, von den Ursachen und Symptomen bis hin zu den Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis für diese komplexe Erkrankung zu vermitteln.
Was ist das Rückenmark und welche Funktion hat es?
Das Rückenmark ist eine etwa fingerdicke Struktur, die vom Gehirn bis zur Lendenwirbelsäule verläuft. Es befindet sich in einem flüssigkeitsgefüllten Kanal, der von den Wirbelkörpern der Wirbelsäule geschützt wird. Als Verlängerung des Gehirns enthält das Rückenmark Zellen, die Signale vom gesamten Körper senden und empfangen. Diese Signale ermöglichen uns unter anderem, unsere Arme, Beine und andere Muskeln zu bewegen. Die Hauptaufgabe des Rückenmarks ist die Weiterleitung von elektrischen Impulsen, die im Gehirn generiert werden, sowie der Rücktransport von Reizen aus der Körperperipherie zur Verarbeitung im Gehirn.
Das Rückenmark selbst wird durch neuronale Bahnen gebildet und ist gut geschützt durch die harte Rückenmarkshaut, die Spinnenhaut und die weiche Rückenmarkshaut. Es ist in 32 Segmente unterteilt, wobei pro Segment ein Spinalnerv links und rechts die Wirbelsäule verlässt und in die Peripherie zieht, um dort motorische und sensible Funktionen zu übernehmen. Das Spinalnervensystem gehört zum peripheren Nervensystem.
Ursachen von Rückenmarkschädigungen
Rückenmarkschädigungen können verschiedene Ursachen haben, wobei zwischen traumatischen und nicht-traumatischen Ursachen unterschieden wird.
Traumatische Ursachen
- Unfälle: Unfälle sind eine der häufigsten Ursachen für Rückenmarkschädigungen. Dazu gehören Autounfälle, Stürze und Sportverletzungen. Studien zeigen, dass Verkehrsunfälle die häufigste Ursache für Wirbelsäulenverletzungen sind, wobei Autoinsassen überproportional betroffen sind. Auch Stürze aus großer Höhe und banale Unfälle können zu Wirbelsäulenverletzungen führen. Ein klassisches Beispiel ist der Kopfsprung in zu seichtes Wasser, der oft eine Querschnittslähmung nach sich zieht.
- Gewalteinwirkung: Rückenmarksverletzungen können auch durch direkte Gewalteinwirkung entstehen, wie beispielsweise Schussverletzungen.
Nicht-traumatische Ursachen
- Erkrankungen des Rückenmarks: Verschiedene Erkrankungen können das Rückenmark schädigen, darunter:
- Myelopathie: Hierbei handelt es sich um eine Reihe klinischer Symptome, die durch Schädigung des Rückenmarks, vor allem im Bereich der Halswirbelsäule, ausgelöst werden. Eine Myelopathie wird meist durch eine Verengung des Spinalkanals verursacht, die das Rückenmark und die Nervenwurzeln einschnürt oder reizt.
- Entzündungen: Entzündungen des Rückenmarks (Myelitis) können durch Viren oder Bakterien verursacht werden.
- Tumore: Tumore im Rückenmark oder in der Umgebung können Druck auf das Rückenmark ausüben und es schädigen.
- Bandscheibenvorfälle: Ein Bandscheibenvorfall kann ebenfalls zu einer Rückenmarkschädigung führen, wenn die Bandscheibe auf das Rückenmark drückt.
- Durchblutungsstörungen: Ein Rückenmarksinfarkt, also eine plötzliche Unterversorgung des Rückenmarks mit Blut, kann ebenfalls zu schweren neurologischen Symptomen führen.
- Multiple Sklerose: Neuronale degenerative oder entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose können zur Ausbildung von Herden im Gehirn und Rückenmark führen, die die neurologische Funktion stark einschränken.
- Chirurgische Komplikationen: In seltenen Fällen können Rückenmarksverletzungen auch als Folge von chirurgischen Eingriffen auftreten.
Symptome einer Rückenmarkschädigung
Die Symptome einer Rückenmarkschädigung hängen von der Art und Schwere der Verletzung sowie von der Lokalisation der Schädigung ab. Generell gilt: Je höher die Verletzung im Rückenmark liegt, desto mehr Körperbereiche sind betroffen.
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Motorische Ausfälle
- Lähmungen: Lähmungen sind ein häufiges Symptom einer Rückenmarkschädigung. Sie können die Arme, Beine oder den gesamten Körper betreffen. Bei einer Schädigung im Brustwirbelbereich oder darunter (Paraplegie) sind die Beine gelähmt, während bei einer Schädigung im Bereich der Halswirbelsäule (Tetraplegie) auch die Arme betroffen sein können.
- Spastik: Spastik ist eine weitere häufige Folge einer Rückenmarkschädigung. Sie äußert sich in einer erhöhten Muskelspannung und unkontrollierten Muskelkrämpfen, die die Bewegung erschweren können.
Sensible Ausfälle
- Gefühlsstörungen: Durch die Schädigung der sensiblen Nerven können Betroffene keine Berührung mehr empfinden, und auch Schmerzen werden oft nicht weitergeleitet. Dies kann dazu führen, dass lebensbedrohliche Erkrankungen wie eine Blinddarmentzündung nicht bemerkt werden.
- Taubheit und Kribbeln: Auch Taubheitsgefühle und Kribbeln in den betroffenen Körperregionen sind typische Symptome einer Rückenmarkschädigung.
Vegetative Störungen
- Blasen- und Darmfunktionsstörungen: Eine Schädigung der vegetativen Nerven kann zu Störungen der Blasenfunktion führen, die sich entweder in Urinverhalt (der Patient kann spontan kein Wasser lassen), in Inkontinenz (der Betroffene kann den Urin nicht halten) oder auch in einer Kombination aus beidem äußert. Auch die Kontrolle über den Stuhlgang geht meist verloren.
- Sexuelle Funktionsstörungen: Rückenmarkschädigungen können auch die sexuelle Funktion beeinträchtigen.
- Atembeschwerden: Bei hohen Rückenmarksläsionen kann es zu Atembeschwerden kommen, da die Atemmuskulatur betroffen sein kann.
- Kreislaufstörungen: Verletzungen oberhalb von Th6/7 können zu einer autonomen Dysreflexie führen, einer gefährlichen Kreislaufstörung.
Weitere Symptome
- Schmerzen: Nervenschmerzen (neuropathische Schmerzen) sind eine häufige Folge einer Rückenmarkschädigung. Sie entstehen durch die Schädigung von „Gefühlsfasern“ des Nervensystems und äußern sich oft als brennende, bohrende oder stechende Schmerzen.
- Druckgeschwüre: Durch den Verlust der Sensibilität und die eingeschränkte Beweglichkeit können Druckgeschwüre entstehen, insbesondere an Stellen, an denen wenig Weichteilgewebe zwischen Haut und Knochen liegt.
- Osteoporose: Aufgrund der fehlenden Bewegung und Knochenbelastung kann es zu Osteoporose kommen.
- Psychische Belastung: Eine Rückenmarkschädigung ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen ein extremer Einschnitt in das normale Leben und kann zu Angst, Mutlosigkeit und Verzweiflung führen.
Diagnose von Rückenmarkschädigungen
Bei Verdacht auf eine Rückenmarkschädigung ist eine schnelle und umfassende Diagnostik entscheidend.
Klinische Untersuchung
Zunächst erfolgt eine ausführliche Befragung des Patienten (Anamnese) und eine körperliche Untersuchung, bei der Motorik, Sensibilität und Reflexe geprüft werden. Bei einer Querschnittslähmung, die ohne Unfall aufgetreten ist, ist eine Differenzialdiagnose erforderlich, um andere Erkrankungen auszuschließen, die zu Lähmungserscheinungen führen können.
Bildgebende Verfahren
- Röntgenaufnahmen: Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule dienen dazu, knöcherne Verletzungen festzustellen.
- Computertomographie (CT): Eine CT des Rückenmarks kann detailliertere Informationen über knöcherne Verletzungen und Schäden am Rückenmark liefern.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT ist das wichtigste bildgebende Verfahren zur Beurteilung von Rückenmarkschädigungen. Sie ermöglicht die Darstellung von Weichteilstrukturen wie dem Rückenmark selbst, den Nervenwurzeln und den Bandscheiben. In den Schichtaufnahmen der MRT ist beispielsweise eine Myelomalazie (eine Schädigung des Rückenmarks) als heller Fleck klar erkennbar.
Weitere diagnostische Maßnahmen
- Rückenmarkspunktion (Lumbalpunktion): Bei Verdacht auf eine Entzündung des Rückenmarks kann eine Rückenmarkspunktion durchgeführt werden, um das Hirnwasser (Liquor) zu untersuchen.
- Neurographie: Die Neurographie dient der Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit und kann helfen, Nervenschädigungen zu lokalisieren.
- Somatosensibel evozierte Potentiale (SEP): SEP werden zur Prüfung der gesamten Gefühlsbahn von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn eingesetzt.
Behandlung von Rückenmarkschädigungen
Die Behandlung von Rückenmarkschädigungen zielt darauf ab, die akuten Komplikationen zu behandeln, die verbleibenden Funktionen zu erhalten und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Akutbehandlung
- Stabilisierung von Kreislauf und Atmung: Die akute Therapie der Querschnittlähmung erfordert eine intensivmedizinische Behandlung mit Stabilisierung von Kreislauf und Atmung.
- Operation: Wenn nötig, erfolgt eine Operation, um beispielsweise Wirbelkörper zu stabilisieren oder Druck auf das Rückenmark zu beseitigen.
- Spinaler Schock: In der Phase des spinalen Schocks muss der Verletzte oft auf einer Intensivstation betreut werden. Er ist extrem komplikationsgefährdet, da er nicht nur gelähmt ist, sondern auch viele vegetative Funktionen wie etwa die Gefäß- und Temperaturregulation ausfallen.
Konservative Therapie
- Medikamentöse Therapie: Medikamente können zur Linderung von Schmerzen, Spastik und anderen Symptomen eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Physiotherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Rückenmarkschädigungen. Sie hilft, die Muskelkraft und Beweglichkeit zu erhalten oder zu verbessern und Komplikationen wie Kontrakturen vorzubeugen.
- Ergotherapie: Ergotherapie unterstützt die Betroffenen dabei, ihren AlltagIndependent zu gestalten und ihreHandlungsfähigkeit zu verbessern.
- Psychotherapie: Eine psychische Betreuung ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen von großer Bedeutung, um die psychischen Folgen der Rückenmarkschädigung zu bewältigen.
Operative Therapie
- Dekompression: Ziel des neurochirurgischen Eingriffs ist es, dem Rückenmark und den Nerven wieder mehr Raum zu verschaffen. Hierzu wird meistens eine sogenannte "ventrale Fusion" durchgeführt, bei der die entfernte Bandscheibe durch einen Platzhalter ersetzt wird.
- Stabilisierung: Bei instabilen Wirbelsäulenverletzungen ist eine Operation erforderlich, um die Wirbelsäule zu stabilisieren und eine weitere Schädigung des Rückenmarks zu verhindern.
- Funktionswiederherstellung: In einigen Fällen können bewegungsfähige Muskeln operativ "umgesetzt" werden, damit sie wichtige ausgefallene Funktionen übernehmen können. Auch elektrische Stimulationsgeräte können zur Unterstützung der Hand-, Atem- oder Blasenfunktion eingesetzt werden.
Rehabilitation
Die Rehabilitation ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Rückenmarkschädigungen. Sie umfasst verschiedene Maßnahmen, die darauf abzielen, die verbleibenden Funktionen bestmöglich zu nutzen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
- Frührehabilitation: Die Frührehabilitation beginnt bereits im Krankenhaus und umfasst physiotherapeutische, ergotherapeutische und psychologische Maßnahmen.
- Stationäre Rehabilitation: Nach der Akutbehandlung erfolgt in der Regel eine stationäre Rehabilitation in einem spezialisierten Zentrum. Dort werden die Betroffenen von einem interdisziplinären Team aus Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften betreut.
- Ambulante Rehabilitation: Nach der stationären Rehabilitation kann eine ambulante Rehabilitation sinnvoll sein, um die erreichten Fortschritte zu festigen und die Betroffenen weiterhin zu unterstützen.
Leben mit einer Rückenmarkschädigung
Eine Rückenmarkschädigung verändert das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen grundlegend. Es ist wichtig, sich über die Erkrankung zu informieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
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Hilfsmittel und Anpassungen
- Rollstuhl: Ein Rollstuhl ist für viele Menschen mit Rückenmarkschädigung ein wichtiges Hilfsmittel, um mobil zu bleiben. Es gibt verschiedene Arten von Rollstühlen, die an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden können.
- Wohnraumanpassung: Eine rollstuhlgerechte Wohnung mit Spezialmatratze, Duschliege, Lifter bzw. Transferhilfe erleichtert den Alltag erheblich.
- Technische Hilfsmittel: Es gibt eine Vielzahl von technischen Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern können, wie beispielsweise Greifhilfen, Sprachsteuerungssoftware und spezielle Computerbedienungen.
Unterstützung und Beratung
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein.
- Beratungsstellen: Es gibt verschiedene Beratungsstellen, die Informationen und Unterstützung für Menschen mit Rückenmarkschädigung und ihre Angehörigen anbieten.
- Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten: Die Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e. V. (www.fgq.de) ist eine besonders informative Anlaufstelle, die Kontakt zu Betroffenen und sogenannten Stützpunkten vermittelt und Hilfe bei der Auseinandersetzung mit der neuen Lebenssituation bietet.
- Deutsche Gesellschaft für Paraplegie: Die deutschsprachige Gesellschaft für Paraplegie (DMGP) bietet auf ihrer Internetseite (www.dmgp.de) u. a. medizinische Leitlinien und hilfreiche Empfehlungen.
- Bundesverband Rehabilitation (BDH): Der Bundesverband Rehabilitation BDH (www.bdh-reha.de/de) bietet kostenlose sozialrechtliche Beratung und viele Informationen.
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