Demenz-Risikofaktoren: Ein umfassender Leitfaden zur Vorbeugung

Demenz ist ein fortschreitender Verlust der geistigen Fähigkeiten, der das Erinnerungsvermögen, die Orientierung und alltägliche Fähigkeiten beeinträchtigt. Obwohl es viele Formen von Demenz gibt, ist die Alzheimer-Krankheit die bekannteste. Es gibt genetische Risiken, aber auch der Lebensstil spielt eine Rolle. Glücklicherweise können Demenzen verhindert oder zumindest um Jahre hinausgezögert werden. Es ist wichtig, frühzeitig anzufangen, um das Gehirn fit zu halten, da es sehr empfindlich ist. Schädliche Prozesse, wie z. B. Alzheimer-Ablagerungen, können zum Absterben von Nervenzellen führen, was die normale Gehirnfunktion beeinträchtigt und zu Demenz führt.

Frühzeitige Prävention ist entscheidend

Früh im Leben an das eigene Gehirn zu denken ist wichtig, denn Gehirngesundheit entscheidet sich im mittleren Lebensalter. Was dem Körper schadet, ist auch schädlich für das Gehirn: Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel und Bluthochdruck erhöhen das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Eine gute geistige Fitness senkt zusätzlich das individuelle Risiko für eine Demenz deutlich.

Forschende haben 12 Faktoren ausfindig gemacht, die vorbeugend wirksam sein können gegen das Vergessen. Die Ergebnisse wurden aus Daten weltweit errechnet. Da sich die Lebensumstände, also die Ausgangslage in den Regionen unterscheiden, sind wohl nicht alle Faktoren in allen Ländern gleich bedeutend.

Die 12 wichtigsten Risikofaktoren für Demenz

Die internationale Expertenkommission zur Demenzprävention (International Commission on Dementia Prevention, Intervention ad Care) kommt in der Zeitschrift Lancet zu dem Schluss, dass es neben genetischen und weiteren unbekannten und damit nicht vermeidbaren Ursachen auch etliche veränderbare Risikofaktoren für eine Demenz gibt. Die Vermeidung aller schädigenden Faktoren könnte bis zu 40 Prozent des Risikos senken und dazu beitragen, den kognitiven Abbau zu bremsen. Hier sind die 12 wichtigsten Risikofaktoren:

  1. Geringe Bildung in jungen Jahren (7 Prozent): Ein aktiver Geist von Kindesbeinen an und der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten könnte das Demenz-Risiko laut Lancet-Studie um 60% mindern. Bildung bzw. eben die mangelnde Bildung sei gemäß der Lancet-Kommission der einzige relevante Faktor für Menschen unter 45 Jahren, an einer Demenz zu erkranken. Die Politik solle daher auf die Bildung von Kindern setzen, schreiben die Autoren. Doch auch erwachsene und ältere Menschen sollten sich geistig aktiv halten.
  2. Unbehandelte Schwerhörigkeit (8 Prozent): Schwerhörigkeit kann zu einer Demenz führen. Gemäß der Forschenden sind ca. 8% aller Demenz-Entstehungen darauf zurückzuführen. Schwerhörigkeit, die nicht behandelt wird, führt zu sozialer Isolation und Kommunikationsproblemen. Darüber hinaus führt ein Hörverlust wohl auch zu Veränderungen im Gehirn: Durch die starke Konzentration auf das Hören werden andere Hirnfunktionen auf Dauer belastet und vernachlässigt. Vor allem die Hirnrinde und der Hippocampus, also die Schaltstelle zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, können davon betroffen sein. Stellt man also Hörverlust fest, sollte man nicht zu lange warten und einen HNO-Arzt aufsuchen.
  3. Hirnverletzungen (3 Prozent): Als Schädel-Hirn-Traumata bezeichnet man Verletzungen des Schädelknochens, die durch Hirnschwellungen und Blutungen zu einer Funktionsstörung des Gehirnes führen können. Häufige Ursachen sind Stürze, Verkehrsunfälle, Sportverletzungen. Je nach Schwere des Traumas treten unterschiedliche Symptome auf. Laut der Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) müssen jährlich in Deutschland ca. 270.000 Menschen werden jedes Jahr wegen einer Kopfverletzung ärztlich behandelt werden. Die Forschung hat Schädel-Hirn-Traumata (SHT) in den vergangenen Jahren zunehmend als Risikofaktor für Demenz-Erkrankungen erkannt und die Lancet-Autoren beziffern die Häufigkeit einer Krankheitsentstehung durch ein SHT mit 3,4 Prozent aller Demenzfälle. Außerdem lohnt es sich, den Kopf lebenslang vor Stößen und Stürzen zu bewahren. Auch vorerst unbemerkte kleine Schäden können in der Summe das Gehirn belasten. Verzicht auf Kopfbälle und ein Fahrradhelm schützen das empfindliche Gehirn.
  4. Bluthochdruck (2 Prozent): Bluthochdruck stellt ein weiteres Risiko dar, an Demenz zu erkranken. Entsprechende Studien weisen darauf hin, dass bereits geringfügig erhöhte Blutdruckwerte das Demenz-Risiko erhöhen können. Ein Blutdruck über 140 mmHg systolisch (Druck beim Herzschlag) im mittleren Alter erhöht das Demenzrisiko den Daten zufolge um 60 Prozent.
  5. Alkoholkonsum (1 Prozent): Dass übermäßiger Alkoholkonsum die Nervenzellen schädigt, ist hinlänglich bekannt. Aber Alkohol an sich ist ein reines Nervengift und wer es täglich über die Maßen konsumiert, erhöht sein Risiko, mittel- oder langfristig an einer Demenz zu erkranken, um 20 Prozent. Andere hochbeachtete Studien gehen sogar von 39 Prozent aus. Darüber hinaus steigt das Risiko an Bluthochdruck, Diabetes, Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz zu erkranken. Unter übermäßigem Konsum versteht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit übrigens 60 Gramm Reinalkohol bei Männern, was in etwa 1,5 Litern Bier oder einer Flasche Wein entspricht. Die Frauen sollten noch stärker aufpassen: Hier liegt der empfohlene Grenzwert bei 40 Gramm, der mit einem Liter Bier bzw. einer halben Flasche Wein erreicht wird.
  6. Adipositas mit BMI über 30 (1 Prozent): Übergewicht kann Auslöser für zahlreiche Erkrankungen sein - so leider auch Demenz. Wer einen Body-Mass-Index von über 30 hat, trägt gemäß Studien ein um 30% höheres Risiko, im Alter an Demenz zu erkranken. Durch die dauerhafte Freisetzung entzündungsfördernder Botenstoffe kommt es leichter zu Gefäßerkrankungen und zu Durchblutungsstörungen, auch im Gehirn.
  7. Rauchen (5 Prozent): Rauchen ist gemäß Lancet-Commission ab einem Alter über 65 Jahren der wichtigste Demenzrisikofaktor. Das Risiko, am einer Demenz zu erkranken, erhöht sich hier um dramatische 60 Prozent. Weltweit betrachtet, rauchen rund 27 Prozent der Menschen in diesem Alter, und so sollen 5,2 Prozent aller Demenzerkrankungen auf Tabakkonsum zurückzuführen sein. Rauchen kann zu Arteriosklerose führen und den Hirnstoffwechsel schädigen, was die kognitive Leistung im Alter beeinträchtigen kann. Die Folgen können Alzheimer oder andere Formen der Demenz auslösen.
  8. Depression (4 Prozent): Dauerhafter Druck, Überforderung, Sorgen und Nöte, also psychischer Stress, spielen leider auch beim Risiko an einer Demenz zu erkranken eine Rolle. Auch Depressionen, die sich nicht nur psychisch, sondern auch physisch manifestieren können, zählen dazu. Ca. 8,2 Prozent, das sind 5,2 Millionen Menschen in Deutschland, erkranken mittlerweile im Laufe eines jeden Jahres an einer Depression, schätzt die AOK-Versicherung. Traurigkeit, Stress und depressive Störungen beeinträchtigen die Gehirnfunktionen und gemäß Studie lassen sich insgesamt 3,9 Prozent aller Demenzerkrankungen auf diesen Faktor zurückführen. Es ist deshalb aus psychiatrischer Sicht höchst wichtig, Depressionen frühzeitig zu erkennen und aktiv zu behandeln, um einer möglichen Demenz-Erkrankung vorzubeugen. Im Übrigen sind viele Demenz-Patient:innen ebenfalls von einer Depression betroffen, da beide Erkrankungen einander bedingen können.
  9. Soziale Isolation (4 Prozent): Einsamkeit und soziale Isolation sind regelrechtes Gift für den Menschen, denn der Mensch ist - zumeist jedenfalls - ein soziales Wesen, das nur im Miteinander gedeihen kann und andere genauso notwendig braucht wie Nahrung und Licht. Doch Millionen Menschen, zumal Ältere, sind oft einsam und haben kaum oder gar keine sozialen Kontakte. Dies beeinflusst die Gehirnfunktionen deutlich. So assoziieren die Forscher mit sozialer Isolation ein um rund 60 Prozent erhöhtes Demenzrisiko und führen 3,5 Prozent der Erkrankungen allein darauf zurück.
  10. Bewegungsmangel (2 Prozent): Regelmäßige Bewegung und Sport wirken sich positiv auf die kognitiven Fähigkeiten aus und auch wenn bereits eine Demenz-Erkrankung eingetreten ist, kann körperliche Aktivität dazu beitragen, den Verlauf der Erkrankung hinauszuzögern. Bei zumeist inaktiven Menschen, die sich kaum bewegen und keinen Sport treiben, machten die Forscher ein um 40 Prozent erhöhtes Demenz-Risiko aus. Dabei führt Bewegungsfaulheit nicht direkt ins Risiko; vielmehr machen sich Dauersitzen und Bewegungsarmut über die Jahre und vermehrt im höheren Alter in Form von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bemerkbar, die wiederum einer Demenz-Erkrankung Vorschub geben.
  11. Luftverschmutzung (2 Prozent): Der letzte Risiko-Faktor der Lancet-Studie geht mit der Umweltbelastung einher, ist ergo hausgemacht und macht in letzter Konsequenz natürlich auch beim Menschen selbst nicht Halt. Vor allem Feinstaub und Stickoxide zerstören das Gehirn. Lange Zeit dachte man, das Gehirn sei durch die Blut-Hirn-Schranke vor schädlichen Angriffen von außen geschützt, doch da z. B. Feinstaub (mit Giftstoffen befüllte winzige Tröpfchen und Festkörperpartikel, die gerade mal ein Dreißigstel eines menschlichen Haares groß sind) durch die Nase beim Einatmen direkt über den Riechkolben ins Gehirn gelangen kann, nützt diese Schranke in diesem Falle nichts. Die Risikoerhöhung für Demenz-Erkrankungen liegt den aktuellen Daten zufolge zwar - noch - nur bei rund zehn Prozent in belasteten Regionen wie Millionen-Städten und Industriegebieten.
  12. Diabetes (1 Prozent): Typ-2-Diabetes, oft auch als „Altersdiabetes“ bezeichnet, ist die häufigste Diabetesform. Bei dieser Stoffwechselerkrankung können die Körperzellen das Hormon Insulin immer schlechter verwerten und den Zucker aus dem Blut nicht mehr optimal in das Zellinnere schleusen. Dies führt u. a. dazu, dass der natürlich auch im Gehirn gestörte Insulinstoffwechsel die krankmachenden Faktoren einer Demenz-Erkrankung fördert. Gemäß „Lancet“ geht Altersdiabetes mit einem um 50 Prozent erhöhten Demenzrisiko einher und rund 1,1 Prozent aller Demenzerkrankungen weltweit sind darauf zurückzuführen.

Die Faktoren 2 bis 6 sind wirksam, wenn sie bereits im mittleren Lebensalter berücksichtigt werden. Die Vermeidung der Faktoren 7 bis 12 kann in jedem Lebensalter zur Risikoreduktion beitragen, auch im höherem Lebensalter.

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Weitere schützende Faktoren

Dabei geht es immer darum, das Gehirn möglichst wenig zu belasten und aktiv eine geistige Reserve aufzubauen. Auch Gedächtnistrainig, Stressbewältigung und ausreichend Schlaf haben schützende Wirkungen. Das alles kann dazu beitragen, dass beispielsweise durch Alzheimerkrankung entstehende Ablagerungen weniger Gedächtnisprobleme verursachen.

Eine Schlüsselfunktion für das Gehirn hat das Herz. Es pumpt Blut als Treibstoff für das Gehirn nach oben, denn es verbraucht 20 Prozent unserer Energie. Wichtig für Herz und Hirn sind gesunde Blutgefäße und ein gesunder Blutdruck. Bei vielen Demenzerkrankungen ist der hohe Blutdruck eine entscheidende Ursache, Mediziner sprechen dann sogar von einer vaskulären Demenz. Bewegung senkt hohen Blutdruck und hilft, frisches Blut ins Gehirn zu schicken. Außerdem bilden sich durch die Bewegung Muskeln, die Hormone produzieren. Im Tierversuch zeigte sich, dass diese sogenannten Myokine bis ins Gehirn wandern. Dort sorgen sie zum Beispiel dafür, dass bestimmte Wachstumsfaktoren vermehrt freigesetzt werden.

Forschende sind davon überzeugt, dass sich das Gehirn widerstandsfähig machen lässt gegen Demenz - indem man die geistige und kognitive Reserve stärkt. So lässt sich dem Verfall von geistigen Funktionen vorbeugen. Ein gut vernetztes Gehirn kann Nervenschäden sogar ausgleichen. Das Forscherteam entwickelt etwas, das es in der Demenzvorbeugung in dieser Form noch nicht gibt: Das Mischprogramm soll Körper, Denken und Seele gleichzeitig fördern und so körperliche, psychische und geistige Demenzrisiken senken.

Was hilft gegen Demenz?

Demenz ist nicht immer ein unabwendbares Schicksal. Zu alt, zu vergesslich, zu müde: Noch immer glauben viele Menschen, Demenz sei ein unausweichliches Risiko im Alter. Doch die Forschung zeigt heute ein anderes Bild. Die gute Nachricht: Fast die Hälfte aller Demenz-Fälle, nämlich rund 40 Prozent, weltweit ließe sich gemäß eines Berichts der berühmten „Lancet-Kommission“ vermeiden oder zumindest deutlich hinauszögern, wenn die größten Risikofaktoren frühzeitig erkannt und reduziert würden. Viele dieser Faktoren hängen mit unserem Lebensstil zusammen: Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte, aber auch Schlaf, Hörvermögen und Bildung spielen eine überraschend große Rolle.

Wer Demenz vorbeugen will, muss die komplexen Ursachen verstehen. Die Krankheit entsteht nicht plötzlich - sie entwickelt sich über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg. In dieser langen Phase der sogenannten stillen Veränderung können wir viel tun, um unser Risiko zu senken. Genau hier setzt moderne Demenz-Prävention an.

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Demenz: Kein Schicksal, dem wir tatenlos zusehen müssen

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Demenz kein unabwendbares Schicksal ist. Durch die Berücksichtigung der genannten Risikofaktoren und die Umsetzung präventiver Maßnahmen kann jeder Einzelne sein persönliches Risiko deutlich senken. Ein gesunder Lebensstil, geistige Aktivität und soziale Interaktion sind der Schlüssel zu einem gesunden Gehirn und einem langen, erfüllten Leben.

Frühzeitige Diagnose und Behandlung

Bis heute gibt es keine wirksame Therapie gegen die Alzheimer-Demenz. Das liegt nach Meinung vieler Experten vor allem daran, dass die Krankheit erst in einem späten Stadium diagnostiziert wird, wenn die charakteristischen Symptome wie Vergesslichkeit vorliegen. Die zugrunde liegenden Gehirnschädigungen sind dann aber bereits weit fortgeschritten und irreversibel.

„Unser einfacher und kostengünstiger Bluttest kann die Erkrankung bereits in einem noch symptomlosen Stadium aufspüren und Personen identifizieren, die ein besonders hohes Risiko haben, Alzheimer zu entwickeln“, sagt Prof. Dr. Klaus Gerwert von der RUB, Koordinator des Forschungskonsortiums „PURE“. „Möglicherweise können Medikamente, die derzeit in klinischen Studien erprobt werden, das Fortschreiten der Krankheit aufhalten, wenn sie in diesem frühen Stadium angewandt würden“, ergänzt Prof. Dr. Hermann Brenner, der im DKFZ die Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung leitet. Auch die Entwicklung neuartiger Therapieansätze wird nach Meinung der Experten von diesem frühzeitigen Bluttest enorm profitieren.

„Demenzerkrankungen nehmen zu und stellen Betroffene, Angehörige und die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Ich bin dankbar, dass das Saarland einen Beitrag zur Entwicklung des Bluttests für Alzheimererkrankungen leisten konnte“, so die für das saarländische Krebsregister zuständige Gesundheitsministerin Monika Bachmann, die selbst aktive Teilnehmerin der Kohortenstudie ist.

Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zu einer Fehlfaltung des Amyloid-β-Proteins, die bereits 15 bis 20 Jahre vor Auftreten der ersten Symptome beginnt. Die fehlgefalteten Proteine verklumpen und lagern sich als Amyloid-Plaques im Gehirn ab. Klaus Gerwert und seinem Team gelang es, einen Test zu entwickeln, der im Blut nachweist, ob das Gehirn mit diesen Plaques belastet ist. Dazu bestimmen die Forscher das Verhältnis von gesunden zu krankhaften Formen der Amyloid-β-Proteine.

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Zunächst prüften die Forscher den Test an Patienten, die an einem Vorstadium (Mild Cognitive Impaired, MCI) der Alzheimer-Krankheit mit nicht eindeutigen kognitiven Beeinträchtigungen litten und die in der schwedischen BioFinder-Kohorte von Prof. Dr. Oskar Hansson, Lund University, erfasst waren. Diagnostiziert werden kann die Alzheimer-Erkrankung in diesem frühen Stadium nur im Gehirn mit teuren bildgebenden Verfahren, wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), oder anhand veränderter Biomarker in der Rückenmarksflüssigkeit, die mit einer invasiven Lumbalpunktion gewonnen wird. Die aktuelle Studie zeigte, dass auch der neu entwickelte Bluttest das MCI-Stadium der Krankheit nachweisen kann.

Im nächsten Schritt wollten Gerwert und Kollegen herausfinden, ob sich die Amyloid-β-Veränderungen im Blut noch früher, also schon vor dem klinischen Ausbruch der Krankheit, erkennen lassen. Dazu verwendeten sie Blutproben, die im Rahmen der ESTHER*-Studie gewonnen worden waren. Die Kohortenstudie, die Hermann Brenner leitet und gemeinsam mit dem Saarländischen Krebsregister durchführt, startete im Jahr 2000. Die Teilnehmer nahmen in definierten Intervallen an Nachuntersuchungen teil. Das ermöglichte es den Wissenschaftlern, das Entstehen der Erkrankung über einen langen Zeitraum von über 15 Jahren zu verfolgen. Die Forscher untersuchten Blutproben, die bei Studieneintritt entnommen worden waren. Sie verglichen die Proben von 65 Personen, bei denen im Verlauf der Studie eine Alzheimer-Demenz diagnostiziert wurde, mit 809 Kontrollen.

Der Test war in der Lage, Personen ohne klinische Alzheimer-Symptome im Durchschnitt acht Jahre vor der klinischen Diagnose der Krankheit zu erkennen. In 70 Prozent der Fälle identifizierte der Bluttest diejenigen Personen, bei denen sich später tatsächlich eine Alzheimer-Demenz entwickelte. Bei neun Prozent lieferte der Test fälschlicherweise ein positives Ergebnis, obwohl die Probanden gesund blieben („falsch-positiv“).

„Momentan ist der Test wegen der falsch positiven Ergebnisse noch nicht zur alleinigen Frühdiagnose von Alzheimer geeignet“, erläutert Gerwert. „Aber er eröffnet die Möglichkeit, in einem kostengünstigen und minimal-invasiven Screening Personen herauszufiltern, die sich dann einer weiterführenden teuren und invasiven Diagnose unterziehen sollten, die ein falsch positives Ergebnis ausschließen kann.“ Die bisherigen diagnostischen Verfahren sind nicht für ein Screening breiter Bevölkerungsgruppen geeignet.

Der Bluttest verwendet eine als Immuno-Infrarot-Sensor bezeichnete Technologie, um das Verhältnis von pathologischem und gesundem Amyloid-β zu messen. Aufgrund einer fehlerhaften Faltung der Proteinkette nimmt das pathologische Amyloid-β eine so genannte β-Faltblatt-Struktur ein, die zur Aggregation neigt, während die gesunde Struktur dies nicht tut. Die beiden Strukturen absorbieren Infrarotlicht mit unterschiedlicher Frequenz, sodass der Bluttest das Verhältnis von gesundem zu pathologischem Amyloid-β in der Probe bestimmen kann.

Der Proteinforscher Gerwert und seine Kollegen arbeiten inzwischen intensiv daran, den Immuno-Infrarot-Sensor technisch zu verbessern und zu standardisieren, um noch mehr Erkrankte herauszufiltern und um die Rate an falsch-positiven Testergebnissen zu reduzieren. Zukünftig wird der Sensor durch Einsatz der Quantenkaskadenlaser-Technologie kaum größer als eine Pralinenschachtel sein, sodass sich das Verfahren dann für den Routineeinsatz eignet.

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